Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 08.05.2013, Az.: 1 A 5409/12
Änderung der Sachlage; Asyl; Flüchtlingseigenschaft; Folgeantrag; OVG Sachsen-Anhalt - 3 L 147/12 -; Richtlinie; Syrien
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 08.05.2013
- Aktenzeichen
- 1 A 5409/12
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2013, 64472
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 3 AsylVfG
- § 71 Abs 1 AsylVfG
- § 60 Abs 1 AufenthG
- Art 9 EGRL 95/2111
- Art 9 EGRL 83/2004
- § 51 VwVfG
- § 51 Abs 3 VwVfG
- § 51 Abs 1 VwVfG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Aufgrund der nachträglichen Änderung der Sachlage, namentlich den Entwicklungen in Syrien seit März 2011, ist davon auszugehen, dass syrischen Staatsangehörigen oder Staatenlosen aus Syrien, die Syrien illegal verlassen haben oder wegen fehlender Identitätsnachweise an einem Passbeschaffungsverfahren teilgenommen haben, sich länger im Ausland aufgehalten und einen Asylantrag gestellt haben, im Falle ihrer Rückkehr nach Syrien, wegen des Verdachts einer regimekritischen politischen Überzeugung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, zielgerichtete staatliche Verfolgungsmaßnahmen drohen, die nach ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte von Leib, Leben oder Freiheit darstellen.
Tenor:
Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
Der Bescheid vom .. .. 2012 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckungsschuldnerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.
Tatbestand:
Die Kläger begehren im Asylfolgeverfahren die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Die Kläger sind syrische Staatsangehörige, kurdischer Volkszugehörigkeit und yezidischer Glaubenszugehörigkeit.
Sie reisten im Frühjahr 2000 getrennt, die Kl. zu 2 mit vier Kindern und anschließend der Kläger zu 1., illegal d.h. zu Fuß über die „grüne Grenze“ aus Syrien in die Türkei und von dort aus mit falschen Pässen, die ihnen der Schlepper in Istanbul verschafft hatte, auf dem Luftweg in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ein. Anschließend stellten die Kläger und ihre Kinder im Bundesgebiet Asylanträge. Den Asylantrag der Klägerin zu 2. und der Kinder lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom .. .. 2000 ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen, und drohte der Klägerin zu 2) und den vier Kindern, für den Fall, dass sie ihrer Ausreisepflicht nicht innerhalb einer bestimmten Ausreisefrist nachkommen sollten, die Abschiebung nach Syrien an. Den Asylantrag des Klägers zu 1. lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom .. .. 2000 ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen, und drohte dem Kläger zu 1. für den Fall, dass er seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer bestimmten Ausreisefrist nachkommen sollte, die Abschiebung nach Syrien an.
Die dagegen erhobenen Klagen sind ohne Erfolg geblieben.
Da die Kläger nicht im Besitz von syrischen Ausweisdokumenten oder sonstigen Identitätsnachweisen waren, leitete die Ausländerbehörde in der Folgezeit das Verfahren zur Beschaffung von Passersatzpapieren ein und holte zur Identitätsklärung über die Deutsche Botschaft in Damaskus Registerauszüge aus dem syrischen Zivilregister ein. Zur Identitätsklärung verlangte die Syrische Botschaft in Berlin im Weiteren die Vorlage von Identitätsnachweisen und Lichtbildern. Nach Vorlage der geforderten Unterlagen wurden den Klägern 2008 syrische Pässe erteilt.
Am .. .. 2012 suchten die Kläger im Asylverfahren erneut um anwaltlichen Rat nach. Am .. .. 2012 beantragten sie - unter Hinweis auf ihre anwaltliche Vertretung und Vorlage der Vollmacht - bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Wiederaufnahme des Asylverfahrens und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie die Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG. Zur Begründung trugen sie im Wesentlichen vor, die Situation in Syrien habe sich nach Abschluss ihres ersten Asylverfahrens erheblich verschlechtert. Aufgrund der derzeitigen Situation sei davon auszugehen, dass sie im Falle einer Rückkehr an der Grenze verhaftet und im Rahmen einer anschließenden Befragung gefoltert würden, weil ihnen wegen der Asylantragstellung, ihres langen Auslandsaufenthaltes und der illegalen Ausreise eine regimekritische politische Überzeugung unterstellt werde.
Mit Bescheid vom .. .. 2012 stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge unter Abänderung der Bescheide aus dem ersten Asylverfahren (Bescheide vom .. .. 2000 und .. .. 2000) und Aufhebung der Abschiebungsandrohung fest, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG hinsichtlich der Arabischen Republik Syrien vorliege. Den weitergehenden Antrag auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lehnte das Bundesamt ab. Zwar lägen die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Asylverfahrens vor, die aktuellen Umstände in Syrien machten eine erneute Befassung mit dem Schutzbegehren der Kläger notwendig. Die veränderte Lage begründe indes keinen Anspruch der Kläger auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Ein individuelles Verfolgungsschicksal, das an asylerhebliche Merkmale der Kläger, wie die politische Überzeugung anknüpfe, hätten die Kläger nicht behauptet und ein solches liege auch nach den Erkenntnissen des Bundesamtes nicht vor. Eine Verfolgung sei erst dann eine politische, wenn dem Einzelnen in Anknüpfung an seine politische Überzeugung, seine religiöse Grundentscheidung oder an für ihn unverfügbare Merkmale, die sein Anderssein prägten, gezielte Rechtsverletzungen zugefügt würden, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzten. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Inhalt des Bescheides vom .. .. 2012, zugestellt am .. .. 2012, Bezug genommen.
Die Kläger haben am G. Klage erhoben.
Zur Begründung tragen sie im Wesentlichen vor, die Situation in Syrien habe sich nach dem Abschluss ihres ersten Asylverfahrens wesentlich verschlechtert. Zurückgeführte Personen würden bei ihrer Einreise nach Syrien zunächst durch die Geheimdienste über ihren Auslandsaufenthalt und den Grund ihrer Abschiebung befragt, wobei sich die Befragung über mehrere Stunden oder Tage hinziehen könne. Insgesamt häuften sich die Angaben über Misshandlungen und Verhaftungen von Rückkehrern durch die syrischen Behörden. Seit dem Ausbruch der Massenproteste im April 2011 würden die syrischen Sicherheitskräfte mit allen Mitteln gegen tatsächliche und vermeintliche politische Feinde des syrischen Staats vorgehen. Vor diesem Hintergrund drohe auch den Klägern im Falle ihrer Rückkehr nach Syrien, eine Festnahme und Befragung durch die syrischen Sicherheitsbehörden mit der Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung.
Die Kläger beantragen,
die Beklagte zu verpflichten, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und den Bescheid vom .. .. 2012 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sich die Beklagte auf die angefochtene Entscheidung.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Ausländerbehörde Bezug genommen.
Mit der Ladung zum Termin der mündlichen Verhandlung ist den Beteiligten eine Liste über die Erkenntnismittel des Gerichts übersandt worden. Die aufgelisteten Erkenntnismittel und die im Termin der mündlichen Verhandlung zusätzlich eingeführten Erkenntnismittel (Kurdwatch Meldungen vom 29.03.2011, 14.04.2011 und 28.04.2011) hat das Gericht zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gemacht.
Entscheidungsgründe
Die Kammer konnte in der Sache trotz des Ausbleibens der Beklagten verhandeln und entscheiden, denn mit der Ladung zum Termin der mündlichen Verhandlung, die rechtzeitig erfolgte, ist die Beklagte darauf hingewiesen worden ist, dass auch ohne sie verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
Die zulässige Klage ist in der Sache begründet.
Die Kläger haben gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens und die Zuerkennung ihrer Flüchtlingseigenschaft.
Der angegriffene Bescheid erweist sich insoweit als rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren eigenen Rechten, so dass er aufzuheben ist (§ 113 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 VwGO).
Für die Beurteilung des Klagebegehrens ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. gerichtlichen Entscheidung abzustellen (§ 77 Abs. 1 AsylVfG). Maßgeblich sind das Asylverfahrensgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 02.09.2008 (BGBl I S. 1798), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22.11.2011 (BGBl I S. 2258) und das Aufenthaltsgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 25.02.2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21.01.2013 (BGBl I S. 86). Unionsrechtlich finden sowohl die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04. 2004 als auch die am 09.01.2013 (Datum der Veröffentlichung + 20 Tage, vgl. Artikel 40) in Kraft getretene Neufassung durch die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 Anwendung. Für die in der Neufassung inhaltlich geänderten Bestimmungen ist den Mitgliedstaaten eine Umsetzungsfrist bis zum 21.12.2013 eingeräumt worden (Art. 39 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU). Bis zum Ablauf dieser Frist bleibt es bei der Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG (vgl. Art. 41 Abs. 2 i.V.m. Art. 40 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU). Hinsichtlich der unverändert übernommenen Bestimmungen gilt die Neufassung hingegen schon jetzt (BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - BVerwG 10 C 23.12 -, Juris Langtext Rn 15).
Ausgehend davon steht den Klägern gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf die Wiederaufnahme des Asylverfahrens und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu (§ 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG, § 3 Abs. 1 AsylVfG, § 60 Abs. 1 AufenthG).
A. Die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG i.V.m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG liegen vor.
Stellt ein Ausländer nach Rücknahme oder unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrags erneut einen Asylantrag (Folgeantrag), so ist nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG vom Bundesamt ein weiteres Asylverfahren durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Nach § 51 Abs. 1 VwVfG setzt das Wiederaufgreifen des Verfahrens u.a. voraus, dass eine Änderung der Sach- oder Rechtslage eingetreten ist oder neue Beweismittel vorliegen und dass schlüssig dargetan ist, dass diese Umstände geeignet sind, eine für den Antragsteller günstigere Entscheidung herbeizuführen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, Juris Langtext Rn 14; BVerwG, Urteil vom 25.11.2008 - 10 C 25.07 -, Buchholz 402.25 § 71 AsylVfG Nr. 15 Rn. 11). Der Folgeantrag muss binnen drei Monaten gestellt werden (§ 51 Abs. 3 VwVfG). Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen des Verfahrens Kenntnis erhält.
1. Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 VwVfG liegen vor.
Es kann dahinstehen, ob aufgrund des am 28.08.2007 in Kraft getretenen Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (Richtlinienumsetzungsgesetz) vom 19.08. 2007 (BGBl. I S.1970) und die damit verbundenen Änderungen asyl- und aufenthaltsrechtlicher Bestimmungen, im vorliegenden Einzelfall eine nachträgliche Änderung der Rechtslage vorliegt (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, Juris Langtext Rn 15; Urteil vom 09.12.2012 - 10 C 13.09 -, Juris Langtext Rn. 29), denn es liegt bereits der Wiederaufnahmegrund der nachträglichen Änderung der Sachlage vor. Die den Bescheiden vom 03.08.2000 und 12.05.2000 zugrundeliegenden tatsächlichen Verhältnisse haben sich aufgrund der Unruhen in Syrien und der heutigen Rückkehrerprognose nachträglich zugunsten der Kläger geändert (vgl. auch VG Augsburg, Urteil vom 27.01.2012 - Au 6 K 10.30677 -, Juris; VG Hannover, Urteil vom 15.05.2012 - 2 A 5462/10 -, Juris; VG Minden, Urteil vom 16.10.2012 - 1 K 2007/12.A -, Juris; VG Regensburg, Urteil vom 14.03.2013 - RN. 6 K 12.30059 -, Juris; VG Trier, Gerichtsbescheid vom 04.07.2012 - 1 K 519/12.TR -, nicht veröffentlicht).
Im März 2011 hat der sogenannte „Arabische Frühling“ auch Syrien erfasst. Auf die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung, die Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Baath Regimes verlangten, reagierte der syrische Staat im März 2011 mit massiven Repressionsmaßnahmen gegen die Zivilbevölkerung vor allem durch den Einsatz von Armee, Sicherheitskräften und staatlich organisierten Milizen (sog. Shabbiha). Seit der zweiten Jahreshälfte 2011 wird die Situation in Syrien von zunehmender Gewaltanwendung gegen die Zivilbevölkerung geprägt. Seit Januar 2012 eskaliert die Gewalt weiter (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration, Syrien - Unruhen und staatliche Reaktionen, innenpolitische Aspekte, internationale Reaktionen, Daten/Fak-ten zur Asylantragstellung und Fazit (Stand 16.01.2012); Auswärtiges Amt vom 17.02.2012, Ad hoc Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien (Februar 2012); Amnesty International, Report 2012 - Syrien;). Kämpfe der Freien Syrischen Armee (FSA) und anderer bewaffneter oppositioneller Gruppen gegen die Regierungstruppen im Frühjahr, Sommer und Herbst 2012 haben weiter zur Verschärfung der Lage beigetragen (vgl. Entschließungen des Europäischen Parlaments vom 13.09.2012 (Bundesrat Drs. 682/12); Berichte der unabhängigen internationalen Untersuchungskommission für Syrien - COI vom 23.11.2011 und 26.06.2012 (United Nations, Human Rights Council, „Report of the independent international commission of inquiry on the Syrian Arab Republic“ vom 23.11.2011, - A/HRC/S-17/2/Add.1 - und „Oral Update of the independent international commission of inquiry on the Syrian Arab Republic“ vom 26.06.2012, - A/HRC/20/CRP.1); Republik Österreich, Bundesasylamt (BAA) vom 19.04.2012, „Zur Lage in Syrien“; NZZ vom 17.08.2012, 05.09.2012 und 11.09.2012; Die Welt vom 13.06.2012 und 30.08.2012). Bei erneuten Demonstrationen und weiteren Kämpfen zwischen den Regierungstruppen und der Freien Syrischen Armee (FSA) kam es auch 2013, allein in der Woche vom 09.03. - 15.03.2013 zu zahlreichen Toten und Verletzten (Kurdwatch 23.03.2013, „Al-Quamischli: Demonstranten erinnern an Halabdscha und begehen den zweiten Jahrestag der syrischen Revolution“; Asyl-Info 04/2013, S. 4 f.). Aufgrund der Eskalation der Lage in Syrien wurde die Rückführung syrischer Staatsangehöriger und Staatenloser nach Syrien im April 2011 aus humanitären Gründen gestoppt. Am 15.03.2013 hat das Bundesministerium des Inneren das Einvernehmen zur weiteren Verlängerung des Abschiebestopps erteilt (§ 61a Abs.1, 23 Abs. 1 Satz 3 AufenthG). Im gleichen Monat hat die Bundesrepublik Deutschland beschlossen, weitere 5.000 Flüchtlinge aus humanitären Gründen aufzunehmen (Asyl-Info 04/2013, S.5; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Entscheiderbrief 3/2013, S.2).
2. Angesichts der fortlaufenden Eskalation der Lage in Syrien wahrt der Folgeantrag auch die Dreimonatsfrist (§ 51 Abs. 3 VwVfG).
B. Die Kläger haben gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
1. Der Anspruch folgt aus § 3 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG.
Gemäß § 3 Abs. 1 und Abs. 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG und den unionsrechtlichen Vorgaben, namentlich der Artikel 4 Abs. 4 sowie den Artikeln 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 in der Neufassung durch die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (zukünftig abgekürzt: RL), auf die § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG verweist, ist einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn er in seinem Herkunftsland Bedrohungen seines Lebens, seiner Freiheit oder anderer in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie geschützter Rechtsgüter wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung ausgesetzt ist. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b) RL kann eine Verfolgungshandlung auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher, wie der unter Art. 9 Abs. 1 Buchst. a) RL beschriebenen Weise, betroffen ist. Nach Art. 9 Abs. 3, Art. 2 Buchst. d) RL muss eine Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen des Art. 10 Abs. 1 RL und den in Art. 9 Abs. 1 RL genannten Verfolgungshandlungen bestehen (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 20.02. 2013 - BVerwG 10 C 23.12 -, Juris Langtext Rn 20). Gemäß § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG kann die Verfolgung ausgehen vom Staat, von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen (staatsähnliche Akteure) oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern staatliche oder staatsähnliche Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht.
Nach Art. 10 Abs. 1 Buchst. e) RL, der den Verfolgungsgrund der „politische Überzeugung“ definiert, ist unter dem Begriff der politischen Überzeugung insbesondere zu verstehen, dass der Antragsteller in einer Angelegenheit, die die in Art. 6 RL genannten potenziellen Verfolger sowie deren Politiken oder Verfahren betrifft, eine Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung vertritt. Bei der Beurteilung der Frage, ob die Furcht vor Verfolgung im Zusammenhang mit dem Verfolgungsmerkmal begründet ist, kommt es nach der Zusammenhangsklausel des Art. 10 Abs. 2 RL nicht darauf an, ob der Antragsteller diesen Verfolgungsgrund bzw. die politische Überzeugung tatsächlich aufweist bzw. im Zusammenhang mit dieser politischen Meinung, Grundhaltung oder Überzeugung tatsächlich tätig geworden ist. Es reicht aus, dass ihm die politische Überzeugung von seinem Verfolger zugeschrieben wird. Die Zusammenhangsklausel des Art. 10 Abs. 2 RL orientiert sich insoweit an dem angloamerikanischen Auslegungsprinzip der „imputed political opinion“, wonach es ausreicht, dass ein Verfolger seine Maßnahmen deshalb gegen den Antragsteller richtet, weil er davon ausgeht, dass dieser eine abweichende politische Überzeugung vertritt (vgl. Reinhard Marx, Kommentar zum Asylverfahrensgesetz, 7. Auflage, § 1 Rn 264; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 - 3 L 147/12 -, Juris Langtext Rn 19 mwN).
Auch nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Asylgrundrecht (Art. 16a GG) kann asylerhebliche politische Verfolgung dann vorliegen, wenn Maßnahmen gegen - an sich unpolitische - Personen ergriffen werden, die aber ihrerseits einer nach asylerheblichen Merkmalen bestimmten Gruppierung zugerechnet werden oder wenn Maßnahmen gegen - an sich unpolitische - Personen ergriffen werden, weil sie dem persönlichen Umfeld einer anderen Person zugerechnet werden, die ihrerseits Objekt politischer Verfolgung ist (vgl. nur BVerfG, Kammerbeschluss vom 28.01.1993 - 2 BvR 1803/92 -, Juris Langtext Rn 19; BVerfG, Kammerbeschluss vom 17. 04.1991 - 2 BvR 1686/90 -,Juris Langtext Rn 22 mwN). Dienen beispielsweise Maßnahmen des Geheimdienstes der Ausforschung der Verhältnisse von Angehörigen oder Dritten, so kann ihnen der Charakter der „politischen Verfolgung“ nicht von vornherein mit dem Argument abgesprochen werden, sie seien nicht gegen die politische Überzeugung des Betroffenen gerichtet. Auch bei solchen Maßnahmen handelt es sich um politische Verfolgung, wenn der Betroffene selbst der Zugehörigkeit zu der oppositionellen Bewegung verdächtigt wird und die Maßnahme an seine vermutete politische Überzeugung anknüpft und dazu dient, ihn selbst einzuschüchtern (BVerfG, Kammerbeschluss vom 17. 04.1991 - 2 BvR 1686/90 -, Juris Langtext Rn 22 mwN; Marx, Kommentar zum Asylverfahrensgesetz, 7. Auflage, § 1 Rn 267). Das Merkmal der „politischen Verfolgung“ können dementsprechend auch Disziplinierungsmaßnahmen oder Sanktionsdrohungen erfüllen, wenn sie als Instrument staatlicher Politik zur Verhinderung oder Schwächung der Solidarität zwischen Widerstandskämpfern und der übrigen Bevölkerung eingesetzt werden. Die Anknüpfung der staatlichen Sanktion oder Sanktionsandrohung als Verfolgungsmaßnahme an das Verfolgungsmerkmal der „politische Überzeugung“ entsteht in diesen Fällen durch die mit der Maßnahme erzwungene Distanz zu den (vermuteten) regimekritischen politischen Zielen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 19.06.1990 - 2 BvR 369/90 -, Juris Langtext Rn 25).
Im Sinne des Art. 9 Abs.1 RL gelten als Verfolgung im Sinne des Artikels 1A der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) solche Handlungen, die a) aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist oder die b) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Buchstabe a) beschriebenen Weise betroffen ist.Als Verfolgung im Sinne von Absatz 1 können nach Art. 9 Abs. 2 RL unter anderem gelten: a) Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt, b) gesetzliche, administrative, polizeiliche und/oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden, c) unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung, d) Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung, e) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter die Ausschlussklauseln des Artikels 12 Absatz 2 RL fallen, und f) Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind. Beeinträchtigen die Maßnahmen die Rechtsgüter Leib, Leben oder Freiheit, ist im Regelfall von einer schwerwiegenden Menschenrechtsverletzung und mithin von Verfolgung auszugehen. Geht es um die Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit, ist jede nicht ganz unerhebliche Maßnahme als Menschenrechtsverletzung und Verfolgung zu qualifizieren, ohne dass es insoweit noch auf eine besondere Intensität oder Schwere des Eingriffs ankommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 15.02.2000 - 2 BvR 752/97 -, Juris Langtext Rn 27; BVerfG, Beschluss vom 02.07.1980 - 1 BvR 147/80, 1 BvR 181/80, 1 BvR 182/80 -, Juris Langtext Rn 46)). Folter ist immer eine schwerwiegende Menschenrechtsverletzung und erfüllt stets den Begriff Verfolgung (BVerfG, Beschluss vom 15.02.2000 - 2 BvR 752/97 -, Juris Langtext Rn 27).
Nach Art. 4 Abs. 4 RL ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden. Etwas anderes gilt nur dann, wenn stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Antragsteller erneut von entsprechender Verfolgung oder entsprechendem Schaden bedroht ist. Damit privilegiert Art. 4 Abs. 4 RL den Vorverfolgten bzw. Geschädigten; wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr wiederholen werden. Den in der Vergangenheit liegenden Umständen kommt Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft zu (vgl. EuGH, Urteil vom 2.03.2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla - Rn 92 ff.). Der Vorverfolgte bzw. Geschädigte wird von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei einer Rückkehr erneut realisieren werden.
Bei einer fehlenden Vorverfolgung gelten dagegen strengere Maßstäbe (vgl. EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02. 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - a.a.O. Rn 128 mwN). Die Furcht vor Verfolgung ist in diesen Fällen dann begründet, wenn dem Ausländer die genannten Gefahren, aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände und in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, Juris Langtext Rn 19; BVerwG, Beschluss vom 7.02. 2008 - 10 C 33.07 -, Juris Langtext Rn 37 ff.). Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit folgt aus Art. 2 Buchstabe e der Richtlinie 2004/83/EG, der der Formulierung des Art. 2 Buchstabe f. der Richtlinie 2011/95/EU entspricht. Die unionsrechtliche Regelung setzt voraus, dass der Antragsteller bei einer Rückkehr „…tatsächlich Gefahr liefe, einen ernsthaften Schaden…zu erleiden“. Der in diesem Tatbestandsmerkmal zum Ausdruck kommende Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr „real risk" abstellt (vgl. z.B. EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28.02.2008 - Nr. 37201/06, Saadi - NVwZ 2008, 1330). Dieser Maßstab entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, Juris Langtext Rn 19; BVerwG, Beschluss vom 7.02.2008 - 10 C 33.07 -, Juris Langtext Rn 37 ff.).
Bei der Prüfung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist § 28 Abs. 2 AsylVfG zu beachten. Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Folgeverfahren scheidet danach regelmäßig aus, wenn der Ausländer nach der unanfechtbaren Ablehnung eines Asylantrags erneut einen Asylantrag stellt und er diesen auf Umstände stützt, die er nach der unanfechtbaren Ablehnung seines früheren Antrags selbst geschaffen hat.
Mit der Regelung des § 28 AsylVfG hat der Gesetzgeber die Berufung auf Nachfluchttatbestände, die nach negativem Abschluss des Asylverfahrens von dem Betreffenden selbst geschaffen werden, unter Missbrauchsverdacht gestellt. Die Regelung verlagert die Substantiierungs- und objektive Beweislast auf den Ausländer. Er muss die gesetzliche Vermutung widerlegen, dass er mit seinem Verhalten nur die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft herbeiführen wollte. Wird der Asylbewerber nach einem erfolglosen Asylverfahren erstmals exilpolitisch aktiv oder intensiviert er seine bisherigen Aktivitäten, muss er dafür gute Gründe anführen, um die gesetzliche Vermutung zu widerlegen. Der Tatrichter hat in diesem Zusammenhang die Persönlichkeit des Asylbewerbers und dessen Motive für seine erstmalig aufgenommenen oder intensivierten Aktivitäten vor dem Hintergrund seines bisherigen Vorbringens und seines Vorfluchtschicksals einer Gesamtwürdigung zu unterziehen (BVerwG, Urteil vom 24.09.2009 - 10 C 25/08 -, BVerwGE 135, 49 ff.).
Ausgehend von diesem Prüfungsrahmen ist die Kammer unter Abwägung der Gesamtumstände des Einzelfalls und der Erkenntnisse, die das Gericht zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung gemacht hat, davon überzeugt, dass den Klägern aufgrund ihrer illegalen Ausreise, ihrer Asylantragstellung und dem längeren Aufenthalt im europäischen Ausland im Falle einer Rückkehr nach Syrien in Anknüpfung an eine bei ihnen vermutete regimekritische politische Überzeugung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen durch den syrischen Staat, namentlich Festnahme mit der Gefahr für Leib und/oder Freiheit im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG drohen.
Es kann offen bleiben, ob die Kläger Vorverfolgung erlitten haben und damit die Nachweiserleichterung und Privilegierung des Art. 4 Abs. 4 Art. 4 Abs. 4 RL greift.
Auch unter Anwendung des strengeren Prüfungsmaßstabs der „beachtlichen Wahrscheinlichkeit“ ist zur Überzeugung der Kammer davon auszugehen, dass syrische Staatsangehörige und Staatenlose aus Syrien, die illegal ausgereist und/oder ohne eigene Personalpapiere in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sind und auf die Beschaffung von Pässen oder Passersatzpapieren angewiesen sind, einen Asylantrag gestellt und sich länger im Ausland aufgehalten haben, im Falle ihrer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von politischer Verfolgung und menschenrechtswidriger Behandlung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG bedroht sind (vgl. VG Magdeburg, Gerichtsbescheide vom 26.01.2012 - 9 A 33/11 - und 24.08.2011 - 9 A 152/10 -, jeweils veröffentlicht in Juris sowie vom 25.08.2011 - 9 A 239/10 -, nicht veröffentlicht; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 - 3 L 147/12 -, Juris; VG Aachen, Urteil vom 15.09.2011 - 9 K 1408/09.A -, Juris; VG Augsburg, Urteil vom 27.01.2012 - Au 6 K 10.30677 -, Juris; VG Bremen, Urteil vom 07.11.2012 - 1 K 238/07.A -, nicht veröffentlicht; VG Gießen, Urteil vom 27.01.2012 - 2 K 1823/11.GI.A -, nicht veröffentlicht; VG Köln, Urteil vom 21.06.2011 - 20 K 6194/10.A -, nicht veröffentlicht; VG Stuttgart, Urteil vom 15.03.2013 - A 7 K 2987/12 -, Juris; VG Regensburg, Gerichtsbescheid vom 14.03.2013 - RN 6 K 12.30059 -, Juris; VG Trier, Gerichtsbescheid vom 04.07.2012 - 1 K 519/12.TR -, nicht veröffentlicht; VG Oldenburg, Urteil vom 18.04.2013 - 4 A 3481/12 -, nicht veröffentlicht; VG Stade, Urteil vom 15.04.2013 - 6 A 1811/12 -, nicht veröffentlicht).
Die Erkenntnisse des Gerichts rechtfertigen den Schluss, dass dem genannten Personenkreis, ungeachtet einer tatsächlichen regimekritischen politischen Betätigung und/oder Gesinnung, sondern anknüpfend an eine allein vermutete regimekritische politische Haltung, aufgrund des zwischenzeitlichen Nachfluchtgeschehens im Falle einer Rückkehr nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung droht.
Ihre Schlussfolgerungen stützt die Kammer, ähnlich wie das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 - 3 L 147/12 -, Juris), auf vier Gründe, die das Nachfluchtgeschehen prägen, namentlich 1. auf die Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, 2. auf die Eskalation der innenpolitischen Situation in Syrien, 3. auf den seit 2011 und 2012 zu beobachtenden menschenrechtswidrigen Umgang der syrischen Behörden mit Personen, die verdächtig werden, die Opposition zu unterstützen oder eine oppositionelle Haltung zu haben sowie 4. auf die umfassende Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste.
Aus den Erkenntnissen des Gerichts ergibt sich dazu im Einzelnen folgendes:
zu 1. Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungsstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden.
Im Rahmen des Anfang 2009 in Kraft getretenen deutsch-syrischen Rücknahmeabkommens (RÜA) (BGBl II, 2008, S.811, 2009, S. 107) wurden bis April 2011 zahlreiche Personen nach Syrien zurückgeführt.
Nach den Informationen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom April 2010 (Informationszentrum Asyl und Migration - Syrien, asylrelevante Informationen, Rückübernahmeabkommen, Identitätspapiere, Asyl-Like-Minded-Group und aktuelle Situation (Berichtszeitraum 01.06.2010 - 08.02.2011)) ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sämtliche nach Syrien zurückgeführten Personen nach der Einreise zunächst einer Identitätsprüfung durch die syrischen Sicherheitsbehörden unterzogen werden. Die Schwerpunkte der Befragung liegen in diesem Stadium vor allem bei den Gründen für die Ausweisung oder Abschiebung aus Deutschland. Zudem konzentriere sich die Befragung darauf, auf welchem Weg die betreffende Person Syrien verlassen hat (die illegale Ausreise aus Syrien ist strafbar) und eine eingehende Prüfung der Personalien.
In einer Reihe von Fällen (Referenzfälle) sind über eine einfache Befragung hinaus abgelehnte Asylbewerber (aus Deutschland und anderen europäischen Staaten) aber auch freiwillige Rückkehrer in Syrien im Rahmen der Befragung festgenommen und ohne Kontakt zur Außenwelt und unter erheblicher Foltergefahr von den syrischen Sicherheitskräften auch über längere Zeiträume inhaftiert worden (vgl. auch Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 27.09.2010; Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke u.a. und der Fraktion Die Linke vom 29.04.2011 (BT Drs 17/5679) und vom 22.10.2010 (BT Drs 17/3365); Amnesty International, Bericht vom 14.04. 2012 „Menschenrechtskrise in Syrien - Krise erfordert Abschiebungsstopp und Aussetzung des Deutsch-Syrischen Rückübernahmeabkommens“; Auswärtiges Amt an BAMF vom 02.02.2011; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration - Syrien, „Asylrelevante Informationen, Rückübernahmeabkommen, Identitätspapiere, Asyl-Like-Minded-Group und aktuelle Situation“ (Berichtszeitraum 01.06.2010 - 08.02.2011); Europäisches Zentrum für Kurdische Studien - EZKS, Stellungnahme vom 19.05.2010 an das Bundesasylamt Österreich - BAA, Ziffer 6; Schweizer Flüchtlingshilfe vom 07.09.2010 „Syrien: Zuverlässigkeit von Botschaftserklärungen:…“; Kurdwatch, Meldungen vom 07.09.2010, 10.09.2010, 18.10.2010, 21.11.2010, 17.12.2010, 29.03.2011, 14.04.2011, 26.04.2011, 28.04.2011 und vom 03.09.2011).
Der syrische Kurde Berzani Karro wurde im Juni 2009 von den zypriotischen Behörden nach Syrien abgeschoben. Er hatte im Jahr 2006 in Zypern einen Asylantrag gestellt, der abgelehnt wurde. Berzani Karro wurde bei seiner Ankunft auf dem Flughafen in Damaskus festgenommen und vier Monate ohne Kontakt zur Außenwelt von den Geheimdiensten inhaftiert und offenbar misshandelt und gefoltert. Nach den Erkenntnissen von amnesty international war Karro bereits Anfang 2005 als Jugendlicher für zweieinhalb Monate u.a. in der Haftanstalt der „Palästinensischen Abteilung“ beim Militärischen Geheimdienst in Haft. Im März 2010 wurde Berzani Karro von einem Militärgericht zu einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt. Er wurde der „versuchten Abspaltung von syrischem Territorium und dessen Angliederung an einen anderen Staat“ für schuldig befunden.
Anfang September 2009 wurde der abgelehnte kurdische Asylbewerber Khaled Kenjo von deutschen Behörden nach Syrien abgeschoben. Zwei Wochen nach seiner Rückkehr wurde er bei seiner Vorsprache bei dem Geheimdienst festgenommen und drei Wochen lang ohne Kontakt zur Außenwelt inhaftiert, verhört und eigenen Angaben zufolge gefoltert und misshandelt. Gegen Kenjo wurde Anklage wegen „Verbreitung falscher Informationen im Ausland“ gemäß § 287 des syrischen Strafgesetzbuches vor dem Militärgericht erhoben. Anfang 2010 wurde Kenjo vorläufig aus der Haft entlassen. Das Verfahren gegen ihn wurde fortgesetzt und er wurde von dem Militärgericht in Abwesenheit zu einer Haftstrafe von vier Monaten sowie einer Geldbuße verurteilt. Im Juli 2010 konnte Kenjo wieder in die Bundesrepublik einreisen und wurde als Asylberechtigter anerkannt. Bei seiner Vernehmung durch den syrischen Geheimdienst sollen Kenjo Aussagen aus seiner Asylakte vorgehalten worden sein (vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke u.a. und der Fraktion Die Linke - BT Drs 17/5679 vom 29.04.2011).
Am 08.10.2009 wurde die alleinerziehende Sexa (Scheicha bzw. Shekha) Cindo, die seit 2001 in Lübbecke gelebt und erfolglos Asylverfahren betrieben hatte, mit vier Kindern nach Syrien abgeschoben. Sie wurde mit ihren Kindern am Flughafen Damaskus festgenommen und bis zum 22.10.2009 bzw. Sohn Imad (geb. 1990) bis 24.10.2009 festgehalten. Auf die Nachfrage der Botschaft Damaskus nach den Haftgründen verwiesen die syrischen Behörden per Verbalnote vom 03.12.2009 auf illegale Ausreise der Familie aus Syrien. Nach der Haftentlassung gab die Familie in einem Telefonat an, dass sie mehrere Wochen inhaftiert gewesen und mehrfach zu ihren Ausreisegründen, dem Grund des Aufenthalts in Deutschland und fehlenden Personaldokumenten befragt worden seien (vgl. Antwort der Bundesregierung vom 29.04.2011 auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke u.a. und der Fraktion Die Linke (BT Drs 17/5679)).
Am 27.07.2010 wurde Khalid Hasan zusammen mit seiner Familie aus Essen abgeschoben. Hamza Hasan und Khalid Hasan wurden bei der Ankunft am Flughafen Damaskus von syrischen Sicherheitskräften festgenommen. Von den Abgeschobenen sind drei - Hamza, Mariam und Imad Hasan - in Deutschland geboren. Die Eltern hatten im Asylverfahren in Deutschland angeblich eine falsche Identität angegeben. Knapp einen Monat später, am 24.08.2010 wurde Hamza Hasan aus der Haft in Damaskus entlassen. Hasans Aussagen zufolge wurde er an drei unterschiedlichen Orten festgehalten. Begründet wurde seine Festnahme damit, dass er in Deutschland wegen Diebstahls verurteilt worden sei und diese Strafe noch in Syrien ableisten müsse. Unklar blieb, woher bzw. durch wen die syrischen Sicherheitskräfte Kenntnis von der Straffälligkeit hatten (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration - Syrien, Asylrelevante Informationen, Rückübernahmeabkommen, Identitätspapiere, Asyl-Like-Minded-Group und aktuelle Situation (Berichtszeitraum 01.06.2010 - 08.02.2011) unter Bezugnahme auf Kurdwatch, Meldung vom 07.09.2010).
Im August 2010 wurde der syrische Kurde Abd Al-Karim Hussein aus Norwegen abgeschoben und bei seiner Ankunft auf dem Flughafen Damaskus festgenommen. Abd Al-Karim Hussein ist stellvertretender Direktor des Vereins syrischer Kurden in Norwegen, einer Nichtregierungsorganisation (NGO), die sich mit der Situation der Kurden in Syrien beschäftigt. Er wurde nach seiner Festnahme zwei Wochen ohne Kontakt zur Außenwelt beim Geheimdienst in Damaskus festgehalten. Berichten zufolge soll er bei der Haftentlassung aufgefordert worden sein, sich beim Geheimdienst in Aleppo zu melden, was ihn zur Flucht aus Syrien veranlasste (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration - Syrien, Asylrelevante Informationen, Rückübernahmeabkommen, Identitätspapiere, Asyl-Like-Minded-Group und aktuelle Situation (Berichtszeitraum 01.06.2010 - 08.02.2011)).
Auch der am 15.11.2010 aus Dänemark abgeschobene, staatenlose Kurde Amir Muhammad Dschan Ato wurde bei seiner Rückkehr auf dem Flughafen Damaskus verhaftet. Ato war in Dänemark politisch aktiv (Kurdwatch, Meldung vom 21.11.2010).
Im Juni 2010 wurde Dschuan Yusuf Muhammad aus Zypern abgeschoben. Er musste am Flughafen Damaskus seinen Pass abgeben und wurde von Mitgliedern des Direktorats für politische Sicherheit am 4.12.2010 vorgeladen und festgenommen. Es folgten mehrere Verhöre durch verschiedene Geheimdienste. In Zypern hatte Muhammad gemeinsam mit anderen kurdischen Flüchtlingen gegen seine Abschiebung demonstriert und an einem mehrtätigen Hungerstreik teilgenommen (OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 - 3 L 147/12 -, Juris Langtext Rn 34 unter Bezugnahme auf Kurdwatch, Meldung vom 17.12.2010).
Am 23.08.2010 wurde der Deutsch-Syrer, der Menschenrechtsaktivist und Jurist Ismail Muhammad Abdi, auf dem Flughafen von Aleppo festgenommen, als er nach einem Besuch in Deutschland nach Syrien zurückkehren wollte. Der an Asthma und Migräne erkrankte und an Magenproblemen leidende Abdi, wurde 40 Tage, davon 20 Tage in Einzelhaft bei der Staatssicherheit in Damaskus festgehalten. Während der Verhöre wurde er mit E-Mails konfrontiert, die er im Zuge seiner Menschenrechtsarbeit nach Syrien versandt hatte. Am 18.04.2011 wurde er von dem Militäreinzelrichter in Damaskus gemäß Art. 307 Strafgesetzbuch zu einer Haftstrafe von sieben Monaten und sieben Tagen verurteilt. Die Haftstrafe entsprach der Länge seiner Untersuchungshaft, die auf die Haftzeit angerechnet wurde. Aufgrund des gegen ihn verhängten Ausreiseverbots konnte Abdi erst am 21.08.2011 nach Deutschland zurückkehren (Kurdwatch, Meldungen vom 03.09.2011, 26.04.2011,18.10.2010 und 10.09.2010).
Der Deutsch-Syrer Masud, alias Ayid Hawas Silo, der sich zu einem Besuch in Syrien aufgehalten hatte, wurde am 13.09.2010 bei seiner Ausreise aus Syrien am Grenzübergang Al-Quamishli/Nusaybin festgenommen und inhaftiert. Am 27.10.2010 wurde er wieder freigelassen. Während seiner Inhaftierung wurde ihm von dem Geheimdienst vorgeworfen, in Deutschland vor ca. 8 bis 10 Jahren an Demonstrationen teilgenommen zu haben. Dabei sei ihm erklärt worden, dass man bei der erwähnten Demonstration mehrere Fotos gemacht habe, auf denen er zu sehen sei.
Die syrische Staatsangehörige Jazia H. wurde nach eigenen Angaben, nach ihrer Abschiebung im Juli 2009, zwei Monate inhaftiert und massiv misshandelt und geschlagen. Im Rahmen eines Verhörs sei ihr u.a. die Teilnahme an einer Demonstration in Deutschland vorgeworfen worden.
Am 8. Februar 2011 wurde Annas Abdullah von Dänemark über Wien nach Syrien abgeschoben. Obgleich Dänemark zuvor die Rücknahme Abdullahs zugesichert worden war, erhielt er am Flughafen Damaskus die Information, er könne nicht einreisen, weil er nicht syrischer Staatsangehöriger sei. Entweder, er verlasse das Land oder er werde inhaftiert, bis seine Identität geklärt sei. Die drei dänischen Beamten, die Abdullah begleiteten, hielten daraufhin Rücksprache mit der dänischen Botschaft und erhielten die Anweisung, noch am selben Tag mit Abdullah nach Kopenhagen zurückzufliegen. In diesem Moment wurde Abdullah angeblich von einem Geheimdienstmitarbeiter erkannt, der einen Beitrag des kurdischen Senders Roj-TV gesehen hatte, in dem der Kurde im September 2010 als Sprecher von Hungerstreikenden aufgetreten war. Der Geheimdienstmitarbeiter nahm Abdullah mit in sein Büro und warf ihm vor, im Ausland falsche Informationen über Syrien verbreitet zu haben. Abdullah leugnete dies und behauptete, es handele sich um eine andere Person, es sei doch gerade festgestellt worden, dass er kein syrischer Staatangehöriger sei. Daraufhin, so gab Abdullah gegenüber Kurdwatch an, sei er von dem Geheimdienstmitarbeiter massiv mit Kabeln auf den Rücken geschlagen und gezwungen worden, ein Papier zu unterschreiben, dass er nicht wieder nach Syrien einreisen werde. Schließlich wurde er entlassen und flog noch am selben Tag mit den dänischen Beamten nach Kopenhagen zurück. In Dänemark angekommen informierte Abdullah die dänische Polizei über die erlittene Folter, die durch entsprechende Spuren auf seinem Rücken belegt sind (Kurdwatch, Meldung vom 29.03.2011).
Nach seiner Abschiebung nach Syrien wurde am 13.04.2011 Khalid Hamid Hamid am Flughafen Damaskus festgenommen. Hamid hatte im Jahr 2002 einen Asylantrag in Deutschland gestellt. Am 20.04.2011 wurde er in Damaskus aus der Haft entlassen. Nach seiner Abschiebung aus Deutschland war er eine Woche lang im Gefängnis der Fara Filastin, einer Abteilung des Militärischen Nachrichtendienstes, festgehalten worden. Dort war er zu seinen exilpolitischen Aktivitäten und zu in Deutschland lebenden Syrern verhört und dabei mit einer als „al kursi al almani“ („deutscher Stuhl“) bezeichneten Methode gefoltert worden, bei der das Opfer auf einem beweglichen Stuhl fixiert wird, der die Wirbelsäule nach hinten biegt (Kurdwatch, Meldungen vom 14.04.2011 und 28.04.2011).
Weitere Referenzfälle sind dem Gericht nicht bekannt, dies liegt darin begründet, dass die Bundesrepublik Deutschland Rückführungen nach Syrien im April 2011 ausgesetzt hat (Deutscher Bundestag, Antwort der Bundesregierung vom 27.02.2012 auf eine Kleine Anfrage zum Konflikt in Syrien (BT Drs. 17/8751)).
Die vorgenannten Fälle zeigen, dass besonders die Personen von der Gefahr der Festnahme, längeren Inhaftierung und/oder Misshandlung bedroht sind, die sich im Ausland exilpolitisch betätigt haben oder aber im Verdacht stehen, sich exilpolitisch betätigt zu haben, wobei für den Vorwurf der exilpolitischen Betätigung eine niedrigschwellige Betätigung, wie die einfache Teilnahme an einer Demonstration oder der Austausch regimekritischer E-mails ausreichen.
Darüber hinaus zeigen die Fälle, dass auch die Personen gleichermaßen von der Gefahr der Festnahme, Inhaftierung und/oder Misshandlung bedroht sind, die sich länger im Ausland aufgehalten, einen Asylantrag gestellt und illegal aus Syrien ausgereist sind oder verdächtigt werden, illegal ausgereist zu sein, weil sie aus dem Ausland ohne gültige syrische Reisepässe, z.B. nur mit einem Laissez-Passer-Dokument, zurückgeführt wurden (vgl. Auswärtiges Amt an BAMF vom 02.02.2011; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration - Syrien, Asylrelevante Informationen, Rückübernahmeabkommen, Identitätspapiere, Asyl-Like-Minded-Group und aktuelle Situation (Berichtszeitraum 01.06.2010 - 08.02.2011)). Allein die Tatsache, dass eine Rückführung ohne gültige syrische Dokument erfolgt, führt dazu, dass die Person der illegalen Ausreise, die einen Straftatbestand darstellt, verdächtigt wird, zur Identitätsprüfung bis zu 2 Wochen festgehalten wird und Ermittlungen gegen sie angestellt werden (Auswärtiges Amt an BAMF vom 01.02.2011).
Diese Feststellungen lassen zur Überzeugung der Kammer den Schluss zu, dass das Fehlen gültiger syrischer Personaldokumente in der derzeitigen angespannten und von Misstrauen geprägten unduldsamen Lage Syriens ausreicht, um den Betroffenen zu verdächtigen, Syrien illegal verlassen zu haben. Der Verdacht, das Land illegal verlassen zu haben, zieht dabei den weiteren Verdacht nach sich, der Betroffene habe „etwas zu verbergen“, nämlich seine regimekritische politische Gesinnung und/oder beabsichtigte politische Betätigung im Ausland, und dies begründet im Fall der Rückkehr die Gefahr der Festnahme, Inhaftierung und Misshandlung durch die syrischen Sicherheitskräfte. Daher droht die Gefahr gleichermaßen den Personen, die zwar legal ausgereist sind, sich aber ohne gültige syrische Dokumente im Bundesgebiet aufgehalten haben und zu deren Identitätsklärung entsprechende Registerauszüge über die syrischen Behörden beschafft und/oder Reisepässe durch die Syrische Botschaft ausgestellt wurden. Denn auch dieser Personenkreis wird gleichermaßen verdächtigt, illegal ausgereist zu sein und „etwas zu verbergen zu haben“. Diese Einschätzung wird auch dadurch genährt, dass der syrische Staat das europäische Ausland, der Unterstützung der politischen Opposition verdächtigt und für die Unruhen im Land verantwortlich macht (ebenso VG Magdeburg, Gerichtsbescheid vom 25.08.2011 - 9 A 239/10 -, nicht veröffentlicht).
Erschwerend kommt hinzu, dass der syrische Staat und sein Sicherheitsdienst im Zuge der Verfahren zur Beschaffung von syrischen Pässen oder Passersatzpapieren, regelmäßig schon im Vorfeld der Rückführung/Abschiebung Kenntnis von den erforderlichen Namen und Daten der Personen erhalten, die nicht über gültige syrische Personalpapiere verfügen. Denn für die Ausstellung der Personalpapiere und die Identitätsklärung ist regelmäßig die Beschaffung von Registerauszügen aus dem Zivilregister für syrische Staatsangehörige, aus dem Ausländerregister, aus dem Register für Palästinenser oder die Vorlage von Identitätspapiere für staatenlose Personen aus Syrien erforderlich. Die Beschaffung der Unterlagen ist mit der Angabe der wesentlichen Daten der betroffenen Person verbunden (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration, April 2011 - Syrien, Asylrelevante Informationen, Rückübernahmeabkommen, Identitätspapiere, Asyl-Like-Minded-Group und aktuelle Situation (Berichtszeitraum 01.06.2010 - 08.02.2011)).
Der Gefahr der Preisgabe der Namen dieser Personen kann auch nicht (mehr) durch die Einschaltung des Vertrauensanwalts der deutschen Botschaft in Damaskus begegnet werden. Die Möglichkeit, über den Vertrauensanwalt - ohne Preisgabe der Personalien der betroffenen Person - Einsicht in Behördenregister etc. zu nehmen, besteht seit Ende 2011 nicht mehr (AA - Auskunft an BAMF vom 06.12.2011).
Auch das Auswärtige Amt geht aufgrund der Entwicklungen in Syrien zwischenzeitlich davon aus, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass durch die Übermittlung persönlicher Daten an die Botschaft der Arabischen Republik Syrien auch im Bundesgebiet lebende syrische Staatsangehörige und Angehörige in Syrien gefährdet sein können, weil die Personaldaten auch den syrischen Sicherheitsdiensten bekannt gegeben und für deren Zwecke verwendet werden können (AA an BAMF vom 06.12.2011). Aufgrund dieser Erkenntnisse hat das Niedersächsische Innenministerium seine Praxis im Februar 2012 geändert und die Landesaufnahmebehörde Niedersachsen sowie die Ausländerbehörden mit Erlass vom 08.02.2012 - 42.12/12231.3-6 SYR - angewiesen, syrische Staatsangehörige darauf hinzuweisen, dass sie sich zur Erledigung ihrer personenstands- und passrechtlichen Angelegenheiten vorläufig nicht mehr an die Konsularabteilungen ihrer Auslandsvertretungen zu wenden haben.
zu 2. Eskalation der innenpolitischen Situation in Syrien seit März 2011 und im Frühjahr 2012
Die Gefahr, in den Verdacht einer regimekritischen Gesinnung zu geraten und deshalb bei der Rückkehr verhaftet und im Rahmen der genannten Befragung misshandelt zu werden, hat sich durch die Eskalation der innenpolitischen Lage in Syrien wesentlich erhöht. Seit März 2011 ist eine zunehmende Verschlechterung der Lage in Syrien festzustellen. 2012 gingen Regierungskräfte mit exzessiver Gewalt gegen friedliche Demonstranten vor, die in noch nie dagewesener Anzahl auf die Straße gingen und politische Reformen und den Rücktritt der Regierung forderten (vgl. zur Lage in Syrien, z.B. Berichte der unabhängigen internationalen Untersuchungskommission für Syrien - COI vom 23.11.2011 und 26.06.2012 (United Nations, Human Rights Council, „Report of the independent international commission of inquiry on the Syrian Arab Republic“ vom 23.11.2011, - A/HRC/S-17/2/Add.1 - und „Oral Update of the independent international commission of inquiry on the Syrian Arab Republic“ vom 26.06.2012, - A/HRC/20/CRP.1); Amnesty International vom Juli 2011, „Crackdown in Syria: Terror in Tell Kalakh“; Human Rights Wacht, „Torture Archipelago“ vom Juli 2012; Entschließung des Europäischen Parlaments vom 13.09.2012 (BR Drs. 682/12); Amnesty Report 2012 -Syrien; Republik Österreich, Bundesasylamt (BAA) vom 19.04.2012, „Zur Lage in Syrien“).
Im Zusammenhang mit der Verschlechterung der innenpolitischen Lage und der Zunahme von Unruhen, mehren sich die Berichte über willkürliche Misshandlungen und Folterungen bis hin zur Tötung von Zivilisten (vgl. Berichte der unabhängigen internationalen Untersuchungskommission für Syrien - COI vom 23.11.2011 und 26.06.2012 (United Nations, Human Rights Council, „Report of the independent international commission of inquiry on the Syrian Arab Republic“ vom 23.11.2011, - A/HRC/S-17/2/Add.1 - und „Oral Update of the independent international commission of inquiry on the Syrian Arab Republic“ vom 26.06.2012, - A/HRC/20/CRP.1); Amnesty Report 2012 -Syrien -; Human Rights Watch, Syria, Dez. 2011, „By All Means Necessary“; Die taz vom 20.09.2012, „Armee terrorisiert Zivilisten mit wahllosen Angriffen“).
Die Berichte über zunehmende Misshandlungen und Tötungen von Zivilisten lassen aber zur Überzeugung der Kammer nicht den Schluss zu, dass es sich bei der Lage in Syrien um einen allgemeinen Zustand handelt und alle Zivilisten in Syrien gleichermaßen von den Übergriffen der syrischen Polizei, Armee und den Sicherheitsdiensten betroffen sind, mit der Folge, dass sich die erforderliche „gezielte, gegen die politische Gesinnung gerichtete Rechtsverletzung“ nicht feststellen ließe (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86, 2 BvR 1000/86, 2 BvR 961/86 -, Juris Langtext Rn 45; BVerfGE 80, 315 ff. (335); BVerfG, Beschluss vom 04.12.2012 - 2 BvR 2954/09 -,Juris Langtext Rn24 f. mwN).
zu 3. Umgang der syrischen Behörden in Syrien, insbesondere seit 2011, mit Personen, die aus Sicht der syrischen Behörden verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen
Nach den Erkenntnissen des Gerichts ist vielmehr festzustellen, dass der syrische Staat mit Personen sowie mit Angehörigen und Freunden solcher Personen, die sich (auch nur niedrigschwellig) regimekritisch betätigt haben oder verdächtigt werden, sich entsprechend betätigt oder nur eine regimekritische Haltung zu haben, besonders unduldsam und gewalttätig umgeht, mit dem Ziel, sie einzuschüchtern und Druck auszuüben, um die Betroffenen dadurch zur Aufgabe ihrer (vermuteten) politischen Überzeugung zu zwingen.
Die Schlussfolgerung wird durch eine Vielzahl von Berichten und Referenzfällen belegt (vgl. Bericht der unabhängigen internationalen Untersuchungskommission für Syrien - Human Rights Council, Report of the independent international commission of inquiry on the Syrian Arab Republic“ - COI vom 23.11.2011; Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 07.09.2010 - „Syrien: Zuverlässigkeit von Botschaftserklärungen…“; Human Rights Watch vom Juli 2012 „Torture Archipelago“; Human Rights Watch, Syria, Dez. 2011, „By All Means Necessary“; Amnesty Report 2012 -Syrien -; Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration - Syrien, Asylrelevante Informationen, Rückübernahmeabkommen, Identitätspapiere, Asyl-Like-Minded-Group und aktuelle Situation (Berichtszeitraum 01.06.2010 - 08.02.2011); Kurdwatch, Meldungen vom 26.06.2011 und 29.11.2011; Die taz, vom 18.07.2011 „In der Gewalt des syrischen Regimes“; SZ vom 26.09.2012 „Bericht über Folter an Kindern“; Die Welt vom 13.06.2012 „Kinder als menschliche Schutzschilde“; Die Welt vom 14.06.2011, „Sie können uns umbringen aber nicht stoppen“; Auswärtiges Amt vom 17.02.2012, Ad hoc Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien (Februar 2012)).
Nach dem Bericht der Unabhängigen Internationalen Untersuchungskommission für Syrien vom 23.11.2011 haben Sicherheitskräfte als Reaktion auf eine Demonstration am 14. Mai 2011, am Folgetag bei nächtlichen Razzien mehr als 400 Personen festgenommen. Andere Festnahmen trafen Aktivisten, die an Demonstrationen teilgenommen oder geholfen hatten, diese zu organisieren, und deren Namen auf den Listen der Sicherheitskräfte standen. Nach dem COI-Bericht wurden zum Zwecke der Vergeltung und der Einschüchterung auch Familien und Verwandte der gesuchten Personen gefangen genommen und misshandelt. Auch etliche Journalisten und Web-Aktivisten behaupten, gefangen genommen und gefoltert worden sein, nur weil sie über Demonstrationen berichtet hätten.
Nach der Meldung von Kurdwatch vom 26.06.2011 haben Polizisten und Mitarbeiter verschiedener Geheimdienste nach regimekritischen Protesten im Studentendorf der Universität Damaskus das Studentendorf am Abend des 21.06.2011 gestürmt und hunderte Studentinnen und Studenten festgenommen. Die Studierenden wurden gewaltsam aus ihren Wohnungen geholt, mit Schlagstöcken angegriffen und teilweise verletzt. Auch bei den anschließenden Verhören am 22.06.2011 wurden die Studierenden geschlagen. Aus Angst vor weiteren Repressionen haben die meisten Studierenden Damaskus direkt nach der Haftentlassung verlassen.
Dem Studenten Djwar, der Ende 2011 wegen seiner Beteiligung an einer Demonstration verhaftet worden war, wurden während der Verhöre, die er stehend über sich ergehen lassen musste, die Augen verbunden. Er musste sich nackt ausziehen und wurde mit kaltem Wasser übergossen, er wurde misshandelt und geschlagen, unter anderem auch auf die Fußsohlen. In dem Verhör wurde ihm gedroht, dass er nicht wieder nach Hause zurückkehren würde, wenn er sich erneut an regimekritischen Demonstrationen beteilige (Kurdwatch vom 29.11.2011).
Der 23jährige syrische Student Sami (Codename), der im März bei einer Demonstration in Damaskus festgenommen worden war und während seiner anschließenden einmonatigen Haft verhört und gefoltert wurde, wurde seinen Eltern mit den Worten übergeben: „Wenn wir ihn noch ‘mal bei Protesten sehen, dann werden wir ihn nicht festnehmen, wir werden ihn an Ort und Stelle erschießen (Die taz, vom 18.07.2011 „In der Gewalt des syrischen Regimes“).
Der in Deutschland studierende Syrer „Asis“ (Codename) wurde im März 2011 nach seinen Aufrufen zu Demonstrationen und seiner Teilnahme an friedlichen Demonstrationen von Mitarbeitern des Geheimdienstes festgenommen und vier Wochen inhaftiert. Bei den anschließenden Verhören wurden sein Kopf und seine Füße durch einen Autoreifen gezwängt. In der gekrümmten Lage wurde er mit Gummiknüppeln u.a. auf die Fußsohlen geschlagen und gegen seinen Kopf getreten. Er wurde u.a. danach gefragt, wer ihn unterstütze: „Unterstützt dich der deutsche Geheimdienst?“. Am nächsten Tag hörte er in seiner Nähe die Stimme seines 14jährigen Bruders. Dann erfuhr er, dass auch seine 17jährige Schwester festgenommen worden war. Beide Geschwister wurden während ihrer Festnahme ebenfalls ins Gesicht und auf den Rücken geschlagen. Später wurde „Asis“ in ein anderes Foltergefängnis gebracht und gemeinsam mit ca. 20 anderen Männern, bei denen es sich sämtlich um Demonstranten gehandelt haben soll, in einer Zelle inhaftiert, die nur ca. acht Quadratmeter maß. Nach und nach wurde der Raum mit weiteren Häftlingen gefüllt, am Ende waren es 36 Personen, die auf der Fläche gefangen gehalten wurden. Immer wieder wurden die Demonstranten geschlagen (Die Welt vom 14.06.2011, „Sie können uns umbringen aber nicht stoppen“)
Nach dem Amnesty International Report 2012 - Syrien haben Regierungskräfte 2011 wiederholt exzessive Gewalt mit Todesfolge gegen überwiegend friedliche Demonstranten angewandt. Amnesty schildert dazu beispielhaft, dass Sicherheitskräfte am 18.03.2011 dem Vernehmen nach mindestens vier Menschen bei Protesten erschossen. Die Demonstrierenden hatten die Freilassung inhaftierter Kinder gefordert, die beschuldigt worden waren, regierungsfeindliche Slogans auf eine Wand gemalt zu haben. Sieben weitere Personen kamen am 23.03.2011 ums Leben, als Sicherheitskräfte die Omari-Moschee angriffen, in der Demonstrierende Zuflucht gesucht hatten. Ashraf Abd al-‘Aziz al-Masri erlitt bei dem Angriff eine Verletzung am Bein. Als er einen Sicherheitsbeamten um Hilfe bat, wurde er von diesem aus nächster Nähe in den Kopf geschossen. In Jisr al-Shughur erschossen Scharfschützen dem Bericht von Amnesty zufolge bis zu 25 Trauernde, die am 4.06.2011 an der Beerdigung von Basel al-Masri teilnahmen. In Homs wurden am 19.07.2011 etwa 15 Personen erschossen, die an einer Trauerfeier für zehn Demonstrierende teilnahmen, die am Tag zuvor getötet worden waren. Am 13.11.2011 wurde der 14jährige Muhammad al-Mulaa von einem Angehörigen der Sicherheitskräfte in Dayr al-Zor erschossen. Er hatte sich geweigert, gemeinsam mit seinen Klassenkameraden an einem Demonstrationszug zur Unterstützung der Regierung teilzunehmen.
In dem Ad-hoc-Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 17.02.2012 wird zudem ausgeführt, dass Oppositionsgruppen im Jahr 2011 mehrfach Anträge zur Genehmigung von Mahnwachen gestellt hätten, die mit einer Ausnahme sämtlich abgelehnt worden seien. Demonstrationen der Opposition würden grundsätzlich nicht genehmigt. Vielmehr würden Demonstrationen, die sich gegen das Regime richteten, gewaltsam von staatlicher Seite bekämpft. Sicherheitskräfte und staatlich organisierte Melizen (Shabbiha) gingen mit Schlag- und Schusswaffen gegen Demonstranten vor. Regelmäßig würden auch Scharfschützen eingesetzt. Auch das Auswärtige Amt bestätigte Gewaltanwendungen durch Sicherheitskräfte und staatlich organisierte Milizen gegen Teilnehmer von Beerdigungszügen für Opfer staatlicher Gewalt. Zu ihrem eigenen Schutz hätten in den letzten Monaten zahlreiche Akteure der Zivilgesellschaft und des Menschenrechtsbereiches Syrien auf legalem oder illegalem Weg verlassen. Unliebsame öffentliche Äußerungen würden auf Grundlage des Strafgesetzes verfolgt (insbesondere nach Art. 285 und 286, die „Propaganda zur Schwächung nationaler Gefühle“ bzw. das „Verbreiten falscher Informationen“ unter Strafe stellen). Im Sommer 2011 ist zudem ein neues Mediengesetz erlassen worden, das das syrische Pressegesetz von 2001 ersetzt. In dem neuen Gesetz wird das Recht des Bürgers auf Information anerkannt und die Reichweite der Zensur eingeschränkt. Allerdings werden die Medienvertreter zur „wahrheitsgemäßen Berichterstattung“ verpflichtet. Faktisch hat sich der Raum für Meinungs- und Pressefreiheit indes in den letzten Monaten stark verringert. Filmemacher, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger und „citizen journalists“, die über die Aktivitäten der Opposition, die Anti-Regime-Demonstrationen sowie die staatliche Repression zu berichten versuchten, wurden nach dem Ad hoc Lagebericht verfolgt, festgenommen, angegriffen oder sogar ermordet. Auch unter Menschenrechtsverteidigern ist der Eindruck verbreitet, dass das Regime mit besonderer Härte gegen diejenigen Personen vorgehe, denen nachgewiesen werden könne, dass sie Informationen über die Lage im Land an ausländische Medien weitergeben würden. In den letzten zehn Monaten (ab Februar 2012) sind zahlreiche Journalisten in Syrien inhaftiert und mehrere Medienvertreter getötet worden.
Auch das Auswärtige Amt geht davon aus, dass schon der bloße Verdacht oppositioneller Umtriebe zu einem besonders hohen Folterrisiko führt (vgl. Auswärtiges Amt vom 17.02.2012, Ad hoc Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien (Februar 2012)).
Obwohl die syrische Verfassung (Art. 28) und das syrische Strafrecht Folter verbieten und Syrien das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Strafe vom 10.12.1984 ratifiziert hat, wenden Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt an. Besonders groß ist die Gefahr körperlicher Gewalt und seelischer Misshandlung in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste, zu denen weder Anwälte noch Familienangehörige Zugang haben. In dem Bericht vom August 2011 „Deadly Detention - Death in Custody amid Popular Protest in Syria“ dokumentiert Amnesty International allein für den Zeitraum von 1. April - 15. August 2011 achtundachtzig Todesfälle von Häftlingen, die im Zuge der Repressionen gegen die Protestbewegung verhaftet wurden.
Unter den Folteropfern, die zwischen 13 und 72 Jahre alt sind, sind auch zehn Kinder im Alter von 13 - 18 Jahren. Amnesty International (Bericht vom August 2011 „Deadly Detention - Death in Custody amid Popular Protest in Syria“) schildert den Fall des 13-jährigen Hamza Ali al Khateeb. Er war laut Amnesty am 29.04.2011 während der Proteste in Daara, einer Hochburg der Assad-Gegner verschwunden. Seine Leiche wurde später gefunden mit Spuren von Schlägen und abgetrenntem Penis. Für den Bericht hat Amnesty gemeinsam mit 20 unabhängigen forensischen Experten 45 Videos ausgewertet. Die meisten Fälle stammen danach aus den Hochburgen der Proteste, in Homs und Daara (vgl. FR vom 31.08.2011, „Mord in Syriens Knästen“).
Nach dem Bericht der Zeitung „Die Welt“ vom 28.09.2011 („Regime in Syrien geht gezielt gegen Frauen vor“) haben in den Monaten zuvor die syrischen Behörden mehrfach Leichen von Kindern an ihre Familien übergeben, die klare Spuren von Folter zeigten. Aktivisten haben in der Protesthochburg Homs 20 Fälle von Vergewaltigungen und Misshandlungen von Frauen und Kindern dokumentiert, die Dunkelziffer soll höher liegen. Die 18jährige Zeinab al-Hosni starb in der Gewalt der Sicherheitskräfte. Rumpf, Arme, Beine und Kopf wurden getrennt. Die Familie wurde gezwungen zu unterzeichnen, dass Zeinab von kriminellen Banden vergewaltigt und ermordet wurde. Zuvor war Zeinabs Bruder, Mohammed, der in Homs ein bekannter Aktivist war, untergetaucht. Als Zeinab anschließend auf dem Weg zum Supermarkt verschleppt wurde, erhielt die Familie fünf Tage später einen Anruf: Zeinab werde freigelassen im Austausch gegen ihren Bruder. Dann kam die Nachricht von Mohammeds Tod. Als die Eltern die Leiche Mohammeds im Krankenhaus identifizieren wollten, stießen sie auch auf Zeinabs Leiche.
Fünf Mädchen wurden nackt und blutend auf einem Feld nahe der Stadt Homs gefunden. Weitere Informationen gaben die Familien nicht preis, denn zu der Scham kommt oft die Angst vor Vergeltung. Hinzu kommt auch die traditionell konservative Haltung. Allein, wenn eine Frau gezwungen wird, über Nacht bei Fremden zu bleiben, kann dies für sie schwere Konsequenzen haben. Es kann dazu führen, dass sie von ihrer Familie verstoßen oder gar getötet wird (Die Welt vom 28.09.2011, „Regime in Syrien geht gezielt gegen Frauen vor“).
Dennoch sind weitere Fälle der Gewalt gegen Frauen und Mädchen bekannt geworden: Hiba Bazirkaan, 23 Jahre alt, war mit ihrer zweijährigen Tochter auf dem Weg zur Apotheke, als Unbekannte die beiden in einen Lieferwagen zerrten und offensichtlich betäubten. Hiba kam später auf der Straße zu sich, ihr Körper zeigte Spuren von Folter und Vergewaltigung. Ihre Tochter starb an den Folgen des Betäubungsmittels. Die 30jährige Doha al-Schawa verschwand am 18.September 2011, Tage später kam die 25jährige Abir Scharbutli nicht nach Hause. Beide Frauen waren in ein Taxi gestiegen, um Verwandte zu besuchen, und es wird vermutet, dass es sich bei dem Taxifahrer um einen Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes gehandelt hat.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat zwischenzeitlich 27 Foltergefängnisse in Syrien identifiziert. Der knapp 80seitige Bericht von Human Rights Wacht, „Torture Archipelago“ vom Juli 2012 beschreibt die syrischen Foltergefängnisse und Foltermethoden und stützt sich dabei auf 200 Interviews (vgl. auch Spiegel Online, vom 03.07.2012; NZZ vom 04.07.2012).
Auch der Untersuchungsbericht der Unabhängigen Internationale Untersuchungskommission für Syrien bestätigt, dass Kinder als menschliche Schutzschilde missbraucht werden: „Sie nehmen Kinder, stellen Sie vor sich und machen einen Schutzschild aus den Kindern“ (vgl. auch SZ vom 26.09.2012, „Bericht über Folter an Kindern“). Ein 15jähriger berichtete über eine als Folterzentrum genutzte Schule: „Sie hängten mich an den Handgelenken an die Decke, meine Füßen waren über der Erde und dann wurde ich geschlagen“. Ein aus Syrien geflohener 17jähriger berichtete von der Ermordung eines zweijährigen Mädchens: „Es lief einfach nur da lang und sie haben es erschossen“. Andere berichten, Sechsjährigen seien als Strafe nach einer Demonstration Fingernägel herausgerissen worden (SZ vom 26.09.2012, „Bericht über Folter an Kindern“; Die Welt vom 13.06.2012, „Kinder als menschliche Schutzschilde“).
In dem Bericht von Human Rights Watch vom Juli 2012 „Torture Archipelago“ wird anhand einer Vielzahl von Einzelbeispielen belegt, dass Ziel der Folter nicht allein die Gewinnung von Informationen sondern vor allem die Einschüchterung und Bestrafung von als illoyal gegenüber der syrischen Regierung angesehenen Personen ist. Auch nach diesem Bericht werden im Grunde belanglose Handlungen und Äußerungen geschildert, die jeweils Foltermaßnahmen nach sich zogen. So wird der Fall eines in Idlib Verhafteten geschildert, der in einem Verhör die bei Demonstrationen Getöteten als „Märtyrer“ bezeichnet hatte und daraufhin mit Elektroschocks gefoltert wurde. Die Misshandlungen wurden erst eingestellt, nachdem er erklärt hatte, dass er die Getöteten nicht mehr als Märtyrer sondern nur noch als tote Personen bezeichnen werde.
zu 4. Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste.
Die Gefahr, in den Fokus syrischer Staatssicherheitskräfte zu geraten, wird zusätzlich durch die Aktivitäten des syrischen Geheimdienstes und die massive Zunahme von Folter und Misshandlung im Gewahrsam der syrischen Geheimdienste erhöht (vgl. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration - Syrien, Asylrelevante Informationen, Rückübernahmeabkommen, Identitätspapiere, Asyl-Like-Minded-Group und aktuelle Situation (Berichtszeitraum 01.06.2010 - 08.02.2011); Auswärtiges Amt vom 17.02.2012, Ad hoc Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien (Februar 2012); Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 07.09.2010 - „Syrien: Zuverlässigkeit von Botschaftserklärungen…“; Amnesty International vom Oktober 2011,Studie: „The Long Reach of the Mukhabaraat: Violence and Harassment against Syrians Abroad and their relatives back home“; Europäisches Zentrum für Kurdische Studien - EZKS, Stellungnahme vom 07.12.2011 an das VG Hamburg; BMI, Verfassungsschutzbericht 2011, S. 398 f.; Amnesty International - Syrien, Bericht vom 14.03.2012, „I wanted to die“; Kurdwatch, Meldung vom 16.08.2010; Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 09.10.2011 „Die Rache des Regimes“; FAZ vom 06.10.2011 „Der lange Arm des Diktators“; Der Spiegel vom 30.07.2012, „Wolke 7“).
Die zahlreichen syrischen Nachrichten- und Sicherheitsdienste sowie die Armee- und Polizeikräfte spielen als Stützen des Regimes eine entscheidende Rolle bei der Unterdrückung der Proteste. Es gibt in Syrien fünf große Geheimdienste, die faktisch unabhängig agieren und direkt dem Präsidenten unterstehen: Das Nationale Sicherheitsbüro, das Allgemeine nachrichtendienstliche Direktorat, das Direktorat für politische Sicherheit, der Militärische Nachrichtendienst und der Luftwaffen-Nachrichtendienst. Das Nationale Sicherheitsbüro, Organ der Baath-Partei, ist zuständig für die Überwachung der verschiedenen Geheimdienste und Ansprechpartner des Präsidenten Assad in zivilen Sicherheitsfragen. Das Allgemeine nachrichtendienstliche Direktorat (Idarat al-Mukhabarat al-Amma) ist zuständig für die Überwachung der Baath-Partei, der zivilen Administration, der Studenten, der Palästinenser sowie der Bevölkerung im Allgemeinen. Außerdem kontrolliert das Direktorat die Polizei und Grenzwächter. Neben diesen internen Aufgaben betreibt es die Spionageabwehr und unterhält einen Auslandsnachrichtendienst. Das Direktorat für politische Sicherheit (Idarat al-Amn al Syasi) ist für die Kontrolle politischer Organisationen, Regierungsbehörden, Studenten, Medien, Ausländer in Syrien und politischer Dissidenten zuständig. Es betreibt ebenfalls einen Auslandsnachrichtendienst mit drei Abteilungen (Arabische Welt, Israel, Flüchtlinge). Der Militärische Nachrichtendienst (Shu’bat al-Mukhabarat al Askariyya) betreibt neben den klassischen militärspezifischen Aufgaben Spionageabwehr und ist für die geheimdienstliche Überwachung des Libanons zuständig. Der Luftwaffen-Nachrichtendienst (Idarat al-Mukhabarat al Jawiyya) wird neben der Überwachung der Luftwaffe mit besonders heiklen Missionen betraut und spielt insbesondere bei der Bekämpfung der Muslim-Bruderschaft eine entscheidende Rolle. Alle Geheimdienste operieren unabhängig voneinander, verfügen über ihre eigene Infrastruktur inklusive Gefängnissen. Jeder Geheimdienst hat auch eine eigene Fahndungsliste, die an Grenzposten durch eigene Mitarbeiter elektronisch abgerufen werden kann (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 07.09.2010 - „Syrien: Zuverlässigkeit von Botschaftserklärungen…“). 2010 verfügte der syrische Geheimdienst über ca. 65.000 Vollzeit- und Hundertausende von Teilzeitmitarbeitern. Ein Agent ist für ca. 150 volljährige Personen zuständig. Unter Berücksichtigung der zusätzlichen, teils gekauften, teils durch Drohungen zur Mitarbeit gezwungenen Spitzel, ist nach den Angaben der Schweizerischen Flüchtlingshilfe in dem Bericht vom 07.09.2010 davon auszugehen, dass die Bevölkerung fast ausnahmslos durch Bekannte überwacht wird.
Auch die Ausspähung von Aktivitäten von Syrern im Ausland hat eine lange Tradition. Die Syrische Botschaft in Bonn gilt als die federführende Institution, was die Sammlung von Daten über im Exil lebende syrische Staatsbürger anbelangt.
Im Zuge der Unruhen in Syrien haben Bedrohungen, Verhaftungen, Misshandlung und Folter durch die syrischen Geheimdienste nachweislich zugenommen. Unter den Bestimmungen des Ausnahmezustandes können Personen ohne Haftbefehle festgenommen und ohne Anklage praktisch unbegrenzte Zeit festgehalten werden. Nach den Angaben der Schweizer Flüchtlingshilfe werden dabei insbesondere politische Flüchtlinge ohne Benachrichtigung ihrer Familien abgeführt und haben kein Recht auf einen Anwalt (Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 07.09.2010 - „Syrien: Zuverlässigkeit von Botschaftserklärungen…“). In der im Oktober 2011 von Amnesty International veröffentlichten Studie („The Long Reach oft he Mukhabaraat: Violence and Harassment against Syrians Abroad and their relatives back home“) werden über dreißig Fälle von Aktivisten in acht Ländern - darunter auch Deutschland - dokumentiert, in denen Aktivisten Einschüchterungsversuchen durch syrische Botschaftsbeamte und andere Personen ausgesetzt sind. Betroffen sind sowohl Personen, die an regimekritischen Demonstrationen oder Protesten - etwa vor den syrischen diplomatischen Vertretungen - teilgenommen haben, als auch Personen, die im Internet regimekritische Positionen vertreten haben. Der Syrische Geheimdienst überwacht und reguliert mittlerweile die Internetnutzung mit ausgefeilter Software. Bestimmte Websites wurden im Laufe des Jahres 2011 entsperrt (z.B. Facebook und Youtube), die gesamte E-mail-Kommunikation wird potentiell überwacht. Belastendes Material nutzt der syrische Nachrichtendienst sowohl dazu, syrische Staatsangehörige im Bundesgebiet unter Druck zu setzen, als auch dazu, Angehörige im Ausland und in Syrien zu bedrohen und zu schikanieren, um Exilsyrer unter Druck zu setzen, ihren Protest einzustellen. Nach den Erkenntnissen der Schweizer Flüchtlingshilfe werden Familienmitglieder der Betroffenen regelmäßig verhört, unter Druck gesetzt, riskieren ihre Arbeit zu verlieren, werden nicht an Universitäten zugelassen oder werden zwangsweise als Informant rekrutiert. In einigen Fällen wurden auch Angehörige anstelle der Gesuchten verhaftet.
Sondo S., die in Berlin lebt, rief im Sommer 2011 in einem Video dazu auf, Präsident Assad zu stürzen. Darauf holten syrische Sicherheitskräfte ihren Bruder ab und zwangen ihn, seine Schwester im Sender „Dunya TV“ der Kollaboration mit ausländischen Mächten zu bezichtigen.
Auch in anderen Fällen hat der syrische Geheimdienst seine Drohungen umgesetzt. Derzeit sind in Deutschland und den USA drei Verhaftungen wegen Drohungen gegen Exilsyrer/Innen bekannt (vgl. Auswärtiges Amt vom 17.02.2012, Ad hoc Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien (Februar 2012); Amnesty International, Oktober 2011 „The Long Reach of the Mukhabaraat: Violence and Harassment against Syrians Abroad and their relatives back home“; Amnesty International - Syrien, Bericht vom 14.03.2012, „I wanted to die“; Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 09.10.2011 „Die Rache des Regimes“; FAZ vom 06.10.2011 „Der lange Arm des Diktators“; Der Spiegel vom 30.07.2012 - Wolke 7 -; Europäisches Zentrum für Kurdische Studien - EKZS, Stellungnahme an VG-Hamburg vom 07.12.2011; Amnesty International Report 2012 - Syrien; Republik Österreich, Bundesasylamt (BAA) vom 19.04.2012, „Zur Lage in Syrien“).
Nach Berichten von Kurdwatch (Meldung vom 16.08.2010) leitete das syrische Innenministerium Anfang Mai 2010 eine Liste mit 287 Namen von Personen, die im Ausland leben, an die Standesämter der Provinz Al-Hasake, mit der Aufforderung, diesen Personen Ausweispapiere und andere Dokumente erst dann auszustellen, wenn sie sich beim Staatssicherheitsdienst gemeldet haben. Nach dem Anschreiben des Innenministeriums soll es sich bei den genannten Personen um „Geflohene und Versteckte“ handeln, die wegen „Verbrechen gegen den Staat“ gesucht würden. Nach Angaben von Kurdwatch handelt es sich bei der Mehrzahl der Personen tatsächlich um politisch aktive Personen. Nach Ansicht des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Informationszentrum Asyl und Migration - Syrien, Asylrelevante Informationen, Rückübernahmeabkommen, Identitätspapiere, Asyl-Like-Minded-Group und aktuelle Situation (Berichtszeitraum 01.06.2010 - 08.02.2011, Ziffer 1.1.) gebe es keine gesicherten Erkenntnisse über die Herkunft und Authentizität der Liste, angesichts der syrischen Verwaltungspraxis geht aber auch das Bundesamt davon aus, dass es eine Liste mit Namen von Personen gibt, die von den syrischen Sicherheitsdiensten gesucht werden bzw. über die eine Ausreisesperre verhängt wurde, und dass sie sich vor der Ausstellung von Personaldokumenten bei den Sicherheitsbehörden zu melden haben.
Der syrische Staat ist auch nicht willens, den Amtswalterexzessen der Geheimdienste und der Polizei wirksam entgegenzutreten. Die syrischen Sicherheitsdienste sind weder parlamentarischer noch gerichtlicher Kontrolle unterworfen, und durch den Präsidialerlass Nr. 69 vom September 2008 wurden alle Klagen gegen Mitglieder von Polizei und Sicherheitsdiensten wegen Verfehlungen bei Ausführung ihrer Amtsgeschäfte an Militärgerichte verwiesen. Dies führt faktisch zu einer umfassenden Immunität für die Beschäftigten der Polizei und Sicherheitsdienste (vgl. Auswärtiges Amt vom 17.02.2012, Ad hoc Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien (Februar 2012); Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 27.09.2010; VG Trier, Urteil vom 22.02.2011 - 1 K 712/10.TR -, Juris).
Vor diesem Hintergrund ist die Kammer davon überzeugt, dass der syrische Staat auf jegliche Anzeichen einer regimekritischen Haltung in hohem Maß empfindlich und rigoros reagiert. Die Schwelle der Verdächtigung ist dabei auf ein geringes Maß gesunken. Bereits kleinste Anzeichen für eine oppositionelle Haltung oder die Nähe zu Regimekritikern begründen die Gefahr der Verdächtigung und daran anknüpfend die Gefahr der Verhaftung und menschenrechtswidriger Misshandlung.
Die Schwelle für eine Verdächtigung überschreiten aufgrund der derzeitigen innenpolitischen Lage Syriens auch die Personen, die illegal ausgereist bzw. wegen fehlender syrischer Ausweispapiere an einem Passbeschaffungsverfahren teilgenommen, sich länger im europäischen Ausland aufgehalten und einen Asylantrag gestellt haben. Auch diesen Personen drohen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im Falle einer Rückkehr nach Syrien wegen des bloßen Verdachts einer regimekritischen politischen Gesinnung zielgerichtete staatliche Verfolgungsmaßnahmen, die nach ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte von Leib, Leben oder Freiheit darstellen (vgl. ähnlich VG Magdeburg, Gerichtsbescheide vom 26.01.2012 - 9 A 33/11 - und vom 24.08.2011 - 9 A 152/10 -, jeweils veröffentlicht in Juris sowie vom 25.08.2011 - 9 A 239/10 -, nicht veröffentlicht (letztere Entscheidung bejaht die Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung und Folter allein wegen illegaler Ausreise und Aufenthalt im europäischen Ausland); OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 - 3 L 147/12 -, Juris; VG Aachen, Urteil vom 15.09.2011 - 9 K 1408/09.A -, Juris; VG Augsburg, Urteil vom 27.01.2012 - Au 6 K 10.30677 - Juris; VG Bremen Urteil vom 07.11.2012 - 1 K 238/ 07.A -, nicht veröffentlicht; VG Gießen, Urteil vom 27.01.2012 - 2 K 1823/11.GI.A - (Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung und Folter bereits wegen Asylantragstellung und Auslandsaufenthalt), nicht veröffentlicht; VG Köln, Urteil vom 21.06.2011 - 20 K 6194/10.A -, nicht veröffentlicht; VG Regensburg, Gerichtsbescheid vom 14.03.2013 - RN 6 K 12.30059 -, Juris; VG Stuttgart, Urteil vom 15.03.2013 - A 7 K 2987/12 -, Juris; VG Trier, Gerichtsbescheid vom 04.07.2012 - 1 K 519/12.TR -, nicht veröffentlicht; VG Oldenburg, Urteil vom 18.04.2013 - 4 A 3481/12 -, nicht veröffentlicht; VG Stade, Urteil vom 15.04.2013 - 6 A 1811/12 -, nicht veröffentlicht).
Ungeachtet der Gefahr, im Falle einer Rückkehr bereits an der Grenze verhaftet und von menschenrechtswidriger Behandlung bedroht zu sein, können die Kläger auch nicht darauf verwiesen werden, dass sie in anderen Landesteilen vor drohender Verfolgung sicher sind, denn innerstaatliche Ausweichmöglichkeiten gibt es im Falle drohender staatlicher Repressionen in Syrien nicht (vgl. auch Auswärtiges Amt, Ad hoc Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien (Februar 2012) vom 17.02.2012).
C. Der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft stehen auch Ausschlusstatbestände gemäß § 60 Abs. 8 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 3 Abs. 2 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) und Art. 1 F der Genfer Flüchtlingskonvention (GK) nicht entgegen. Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger vor ihrer Ausreise aus Syrien Verbrechen gegen den Frieden oder die Menschlichkeit oder eine schwere nichtpolitische Straftat begangen oder den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt haben, hat die Beklagte nicht vorgetragen, noch sind Anhaltspunkte dafür sonst ersichtlich.
Der mit der Klage angegriffene Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, denn insoweit erweist er sich aus den vorgenannten Gründen als rechtswidrig und verletzt die Kläger in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83 b AsylVfG). Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.