Finanzgericht Niedersachsen
Beschl. v. 21.12.2020, Az.: 15 V 127/20

Vollstreckung von Abgabenrückstände im Zusammenhang mit der Rückforderung von Kindergeld

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
21.12.2020
Aktenzeichen
15 V 127/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 70579
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tenor:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Beschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt, die Antragsgegnerin (die Agentur für Arbeit Recklinghausen, Inkasso-Service Familienkasse - den Inkasso-Service -) im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, die Vollstreckung aus einem Rückforderungsbescheid einzustellen.

Die Antragstellerin und Herr L.A. (im Folgenden: V) sind die Eltern ihrer am (...) 1991 geborenen Tochter M.A (im Folgenden: T). Ausweislich einer von der Stadt O auf ein Ersuchen des Inkasso-Services erteilten Behördenauskunft trug die Antragstellerin jedenfalls bis zum 20. April 2017 ebenfalls den Familiennamen A.

Am 30. September 2009 beantragte die Antragstellerin bei der Familienkasse O auf amtlichem Vordruck, für T auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres Kindergeld festzusetzen. T sei beim Kindergeld weiterhin berücksichtigungsfähig, weil sie sich in der Zeit vom 6. August 2009 bis 31. Juli 2010 in einer (Hoch) Schul- oder Berufsausbildung befinde. Das Antragsformular, dem eine Aufnahmebescheinigung der E-Schule beigefügt war, ist von der Antragstellerin unterschrieben.

Am 24. August 2010 beantragte V bei der Familienkasse P Kindergeld. Er sei für T vorrangig kindergeldberechtigt. Nach entsprechender Anhörung hob die Familienkasse O die Kindergeldfestsetzung gegenüber der Antragstellerin mit Bescheid vom 2. November 2010 unter Hinweis auf § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ab August 2010 auf.

Nachdem die Familienkasse O einen am 30. Dezember 2011 gestellten Kindergeldantrag der Antragstellerin abgelehnt hatte, stellte die Antragstellerin am 30. Januar und am 6. Juli 2012 jeweils einen weiteren Antrag auf Kindergeld für T. Diese beiden Anträge weisen ebenso die Unterschrift der Antragstellerin auf wie die dem Antrag vom 30. Januar 2012 beigefügten amtlichen Vordrucke "Erklärung zu den Einkünften und Bezügen eines über 18 Jahre alten Kindes" und "Mitteilung über ein Kind ohne Ausbildungs- oder Arbeitsplatz". Auf dem letztgenannten Formular gab die Antragstellerin als Wohnanschrift ihrer Tochter die damalige eigene Adresse (Q-Straße in O) an. T suche seit Oktober 2010 einen Ausbildungsplatz für eine schulische oder betriebliche Ausbildung. Dem Antrag vom 6. Juli 2012, in dem eine Bankverbindung der T angegeben ist, war ein von dieser und vom Ausbildungsbetrieb F im April 2012 abgeschlossener Berufsausbildungsvertrag beigefügt. Als Anlage eines am 21. September 2012 vorgelegten Schreibens legte die Antragstellerin der Familienkasse O eine Bescheinigung der E-Schule vor, wonach T von der Schule am 3. September 2012 zum Besuch des Bildungsganges "Berufsschule (Ausbildungsberuf: Hauswirtschafterin)" aufgenommen worden war. Der Bildungsgang ende am 31. Juli 2015. Auf Nachfrage teilte die Antragstellerin der Familienkasse O im Oktober 2012 mit, ihrer Tochter - die inzwischen in einen eigenen Haushalt in O, Ortsteil R, umgezogen sei - keinen Unterhalt zu zahlen. V erklärte gegenüber der Familienkasse, seiner Tochter seit 1. Juni 2012 keinen Kindesunterhalt in Höhe von 330,00 € mehr zu zahlen.

Mit Bescheid vom 10. Januar 2013 lehnte die Familienkasse O gegenüber der Antragstellerin den Antrag auf Kindergeld vom 6. Juli 2012 für den Zeitraum "bis Juni 2012" ab. Mit weiterem Bescheid vom selben Tage - welcher an die Antragstellerin unter Verwendung der Anschrift Q-Straße in O adressiert ist - setzte sie für T Kindergeld ab Juni 2012 fest.

Mit Beschluss vom 4. Juni 2013 (...) eröffnete das Amtsgericht (AG) O über das Vermögen der Antragstellerin das Verbraucherinsolvenzverfahren. Das Insolvenzgericht kündigte der Antragstellerin mit in Rechtskraft erwachsenem Beschluss vom 17. Oktober 2014 Restschuldbefreiung an, und mit Beschluss vom 25. November 2014 wurde das Insolvenzverfahren aufgehoben.

Der Familienkasse O hatte die Antragstellerin am 26. August und 16. Dezember 2013 mit zwei nicht unterschriebenen Schreiben mitgeteilt, sie wohne nunmehr unter der Anschrift O, S-Straße.

Mit Bescheid vom 8. Juni 2015 hob die inzwischen zuständige Familienkasse U die Kindergeldfestsetzung für T ab dem Monat Juli 2015 auf. Die Tochter der Antragstellerin werde ihre Berufsausbildung im Juni 2015 beenden. Zugleich forderte die Familienkasse die Antragstellerin auf, innerhalb von vier Wochen das Ende der Ausbildung nachzuweisen. Andernfalls müsse die Kindergeldfestsetzung ab dem Monat des geltend gemachten Ausbildungsbeginns aufgehoben werden. Der Bescheid war an die Anschrift S-Straße in O adressiert.

Am 27. Juli 2015 stellte T bei der Familienkasse auf dem entsprechenden Vordruck einen "Antrag auf Auszahlung des anteiligen Kindergeldes für über 18 Jahre alte Kinder". Hierin gab sie u.a. an, die Antragstellerin - welche nunmehr in der V-Straße (O) wohne - beziehe für sie das Kindergeld. Unter Vorlage eines mit dem Inhaber des Ausbildungsbetriebs G (O) geschlossenen Berufsausbildungsvertrages gab die Tochter der Antragstellerin an, sich ab 1. August 2015 in Berufsausbildung zu befinden. Als eigene Wohnanschrift teilte T die Adresse O, S-Straße mit.

Mit Schreiben vom 26. August 2015, das an die Anschrift O, V-Straße, gerichtet war, gab die Familienkasse der Antragstellerin Gelegenheit, zu dem von T gestellten Abzweigungsantrag Stellung zu nehmen. Unter Bezugnahme auf den Bescheid vom 8. Juni 2015 wies die Familienkasse die Antragstellerin darauf hin, dass kein Nachweis über das Ende der Berufsausbildung vorgelegt worden sei. Daher habe die Familienkasse zu prüfen, ob für den Zeitraum August 2012 bis Juni 2015 zu Unrecht Kindergeld festgesetzt und ausgezahlt worden sei. Nachdem die Antragstellerin hierauf nach Aktenlage nicht reagiert hatte, hob die Familienkasse mit Bescheid vom 16. Oktober 2015 die Kindergeldfestsetzung für T für den Zeitraum von August 2012 bis Juni 2015 unter Hinweis auf § 70 Abs. 2 EStG auf. Zugleich forderte die Familienkasse das für diesen Zeitraum zuviel gezahlte Kindergeld in Höhe von insgesamt 6.464,00 € zurück. Dieser Betrag - der sich aus den Kindergeldzahlungen für August 2012 bis Dezember 2014 in Höhe von 5.336,00 € und für Januar bis Juni 2015 in Höhe von 1.128,00 € zusammensetzt - sei bis zum 16. November 2015 auf ein angegebenes Konto der Bundesagentur für Arbeit zu überweisen. Im Erläuterungsteil des Bescheides wurde u.a. darauf hingewiesen, dass der Inkasso-Service für den Einzug der Forderung zuständig sei. Anträge im Zusammenhang mit Zahlungsmodalitäten (z.B. Ratenzahlung, Stundung) seien dorthin zu richten. Mit weiteren Bescheiden vom 16. Oktober 2015 lehnte die Familienkasse gegenüber der Antragstellerin den im Juli 2015 gestellten Kindergeldantrag und gegenüber T den Abzweigungsantrag ab.

Nach Aktenlage hat die Antragstellerin die ihr erteilten Bescheide vom 16. Oktober 2015 nicht angefochten.

Mit Schreiben vom 8. Dezember 2015 ("Mahnung") wies der Inkasso-Service die Antragstellerin darauf hin, die am 16. November 2015 fällige Forderung sei bisher nicht vollständig eingegangen. Die Antragstellerin wurde aufgefordert, den Betrag von 6.528,50 € (hierunter Säumniszuschläge in Höhe von 64,50 €) bis zum 22. Dezember 2015 zu zahlen. Andernfalls werde der Inkasso-Service die zwangsweise Einziehung der Forderung veranlassen. Nachdem die Antragstellerin hierauf keine Zahlung geleistet hatte, forderte sie der Inkasso-Service mit Schreiben vom 5. Januar 2016 ("Vollstreckungsandrohung") zur Zahlung des Betrages von 6.593,00 € (hierunter Säumniszuschläge in Höhe von 129,00 €) bis zum 25. Januar 2016 auf. Falls die Antragstellerin auf diese letztmalige Aufforderung keine Zahlung leiste, leite der Inkasso-Service die Vollstreckung ein.

Da die Antragstellerin weiterhin die Rückforderung nicht beglich, richtete der Inkasso-Service am 2. Februar 2016 ein Vollstreckungsersuchen an das Hauptzollamt (HZA) W. Das Ersuchen nahm der Inkasso-Service mit Schreiben vom 3. März 2016 zurück.

Mit Schreiben vom 13. Mai 2016 teilte der Inkasso-Service der Antragstellerin mit, ein Teilbetrag der Rückforderung in Höhe von 4.440,00 € werde "vom laufenden Verbraucherinsolvenzverfahren" nicht berührt. Nach der Berechnung des Inkasso-Services falle nur die Rückforderung des für die Monate August 2012 bis Juni 2013 zuviel gezahlten Kindergeldes in Höhe von insgesamt 2.024,00 € (= 11 Monate x 184,00 €) unter die Restschuldbefreiung. Hierbei handelt es sich um das Kindergeld, das die Familienkasse vor Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens an die Antragstellerin gezahlt hatte.

Mit Schreiben vom 18. Mai 2016 ("Mahnung") forderte der Inkasso-Service die Antragstellerin zur Zahlung der für den Zeitraum vom 7. November 2015 bis 4. Januar 2016 verwirkten Säumniszuschläge in Höhe von 129,00 € bis zum 2. Juni 2016 auf. Weitere auf Säumniszuschläge begrenzte Mahnungen ergingen mit Schreiben vom 3. März und vom 25. September 2017 sowie vom 17. Mai, vom 3. Juni und vom 17. Juli 2019. Mit "Zahlungserinnerung" vom 16. November 2017 wurde die Antragstellerin zur Zahlung von 6.464,00 € bis zum 26. November 2017 aufgefordert.

Mit in Rechtskraft erwachsenem Beschluss vom 19. Juli 2019 (...) erteilte das Insolvenzgericht der Antragstellerin Restschuldbefreiung. In den Gründen seiner Entscheidung wies das Gericht "klarstellend" darauf hin, dass die erteilte Restschuldbefreiung nur diejenigen Gläubiger betreffe, die im Zeitpunkt des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin am 4. Juni 2013 bereits Insolvenzgläubiger i.S. des § 38 der Insolvenzordnung (InsO) gewesen seien, unabhängig davon, ob sie am Insolvenzverfahren teilgenommen hätten. Von der Restschuldbefreiung ausgenommen seien die in § 302 InsO a.F. genannten Forderungen.

Ausweislich eines Aktenvermerks wandte sich die Antragstellerin am 19. Juli 2019 telefonisch an den Inkasso-Service. Sie sei neu verheiratet, wolle den geänderten Familiennamen jedoch nicht mitteilen. Bei der Familienkasse habe die Antragstellerin nie etwas unterschrieben. Sie drohe "mit Veröffentlichung in der Presse." Der Inkasso-Service brachte daraufhin den neuen, (...) Familiennamen der Antragstellerin in Kenntnis.

Mit Schreiben vom 30. Oktober 2019 ("Mahnung") forderte der Inkasso-Service die Antragstellerin dazu auf, den offenen Betrag in Höhe von 6.332,00 € spätestens bis zum 8. November 2019 zu zahlen. Aus der beigefügten Forderungsaufstellung ergibt sich, dass sich dieser Betrag aus der Rückforderung in Höhe von 4.440,00 € und aus entstandenen Säumniszuschlägen in Höhe von 1.892,00 € zusammensetzt. Ein weiteres Mahnschreiben hinsichtlich der im Zeitraum vom 17. November bis 7. Dezember 2015 verwirkten Säumniszuschläge in Höhe von 64,50 € wurde am 30. Oktober 2019 versandt.

Die Antragstellerin teilte dem Inkasso-Service mit Schreiben vom 5. November 2019 mit, die geltend gemachten Forderungen wegen der erteilten Restschuldbefreiung für "Betrug" zu halten.

Mit zwei Schreiben vom 14. November 2019 übersandte der Inkasso-Service der Antragstellerin jeweils eine Vollstreckungsandrohung. Die Antragstellerin könne die Einleitung der Vollstreckung durch Zahlung von 6.376,00 € (Hauptforderung: 4.440,00 €; Summe der Säumniszuschläge für 11. April 2016 bis 29. Oktober 2019 sowie für 30. Oktober 2019 bis 13. November 2019: 1.936,00 €) bzw. 64,50 € (Säumniszuschläge für 17. November bis 7. Dezember 2015) bis zum 22. November 2019 abwenden. Mit weiterem Schreiben vom 2. Dezember 2019 wies der Inkasso-Service die Antragstellerin darauf hin, dass sich deren aktuelle Zahlungsverpflichtung auf 6.440,50 € belaufe. Bei der Berechnung dieses Betrages sei die vom Insolvenzgericht erteilte Restschuldbefreiung berücksichtigt. Die Antragstellerin wurde zur Zahlung des genannten Betrages bis zum 2. Januar 2020 aufgefordert.

Am 2. Dezember 2019 hat sich die Antragstellerin an das Sozialgericht (SG) O gewandt. Der Inkasso-Service sei nicht bereit, die vom Insolvenzgericht erteilte Restschuldbefreiung anzuerkennen. Als Anlagen hat sie ihrer Rechtsmittelschrift eine Ablichtung des Beschlusses des Insolvenzgerichts vom 19. Juli 2019 (...) sowie die beiden Vollstreckungsandrohungen vom 14. November 2019 beigefügt. Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG O mit Beschluss vom 23. Dezember 2019 (...) das Verfahren an das Niedersächsische Finanzgericht (FG) verwiesen. Für das Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes sei nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) der Finanzrechtsweg gegeben.

Beim Niedersächsischen FG ist das Verfahren zunächst unter dem Aktenzeichen 9 K 65/20 als Klageverfahren in das Prozessregister des 9. Senats eingetragen worden. Mit Richterbriefen vom 19. Mai 2020 hat der beim 9. Senat zuständige Berichterstatter die Beteiligten darauf hingewiesen, dass es der Antragstellerin um die Gewährung von Vollstreckungsschutz gehe und dass für dieses Begehren die Zuständigkeit des 15. Senats gegeben sei. Das Verfahren ist daraufhin vom 15. Senat übernommen und als Antrag auf einstweilige Anordnung (§ 114 FGO) unter dem Aktenzeichen 15 V 127/20 eingetragen worden.

Zur Begründung ihres Antrags macht die Antragstellerin geltend:

Sie habe bei der Familienkasse keinen Kindergeldantrag gestellt und dementsprechend kein Kindergeld erhalten. Deshalb schulde die Antragstellerin der Familienkasse auch keine Rückzahlung. Sie gehe davon aus, dass V als Kindsvater - welcher bei der Stadt O beschäftigt sei - für T Kindergeld beantragt und bezogen habe. Zu ihrer volljährigen Tochter habe die Antragstellerin keinen Kontakt, auch kenne sie deren Wohnanschrift nicht. Es sei unrechtmäßig, angeblich zuviel gezahltes Kindergeld "nach 8 Jahren aus heiterem Himmel" zurückzufordern.

Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,

den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung zu verpflichten, die Vollstreckung einzustellen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Der Inkasso-Service hält den Anordnungsantrag für unzulässig und für unbegründet. Wie der Inkasso-Service der Antragstellerin bereits im Hinweisschreiben vom 13. Mai 2016 erläutert habe, gehörten zu den in Vollstreckung befindlichen Rückständen keine Forderungen, die unter die Restschuldbefreiung fielen.

Der beim 15. Senat zuständige Berichterstatter hat der Antragstellerin mit Richterbrief vom 21. Juli 2020 unter Hinweis auf § 114 FGO Gelegenheit gegeben, einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft zu machen. (...)

Dem Gericht lagen zur Entscheidung ein Band Kindergeldakten und ein Band Erhebungsakten vor.

II.

Der Anordnungsantrag ist unbegründet. Die Antragstellerin hat weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.

1. Der Antrag ist zulässig. Richtiger Antragsgegner ist der Inkasso-Service.

a) Der Inkasso-Service wird in der Antragsschrift zwar nicht ausdrücklich als Antragsgegner bezeichnet. Daraus, dass der Antragsschrift dessen beiden Schreiben vom 14. November 2019 beigefügt waren, ergibt sich jedoch, dass sich der Anordnungsantrag gegen den Inkasso-Service richtet.

b) Auch wenn der Inkasso-Service nicht Vollstreckungsbehörde ist, ist er für den Antrag der Antragstellerin der richtige Antragsgegner.

aa) Die Durchführung des Familienleistungsausgleichs nach Maßgabe der §§ 31, 62 bis 78 EStG ist gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 des Finanzverwaltungsgesetzes (FVG) Aufgabe des Bundeszentralamtes für Steuern (BZSt). Die Bundesagentur für Arbeit stellt dem BZSt zur Durchführung dieser Aufgaben ihre Dienststellen als Familienkassen zur Verfügung (§ 5 Abs. 1 Nr. 11 Satz 2 FVG). Das Nähere, insbesondere die Höhe der Verwaltungskostenerstattung, wird gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 11 Satz 3 FVG durch Verwaltungsvereinbarung geregelt. Der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit kann innerhalb seines Zuständigkeitsbereichs abweichend von den Vorschriften der Abgabenordnung (AO) über die örtliche Zuständigkeit von Finanzbehörden die Entscheidung über den Anspruch auf Kindergeld für bestimmte Bezirke oder Gruppen von Berechtigten einer anderen Familienkasse übertragen (§ 5 Abs. 1 Nr. 11 Satz 4 FVG).

Die Hauptzollämter sind auf Ersuchen der Bundesagentur für Arbeit bzw. der Agenturen für Arbeit für die Vollstreckung von Forderungen der bundesunmittelbaren Körperschaft des öffentlichen Rechts bzw. deren Gliederungen zuständig (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 20. Juli 2000 VII B 12/00, BFH/NV 2001, 144; vom 10. Juli 2007 VII S 25/07 [PKH], BFH/NV 2007, 2240 [BFH 10.07.2007 - VII S 25/07 (PKH)]). Für die Vollstreckung zugunsten der bundesunmittelbaren Körperschaften des öffentlichen Rechts gilt gemäß § 66 Abs. 1 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) das Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG). Vollstreckungsbehörden sind hiernach gemäß § 4 Buchst. b VwVG die Vollstreckungsbehörden der Bundesfinanzverwaltung und somit die Hauptzollämter (§ 249 Abs. 1 Satz 3 AO i.V.m. § 1 Nr. 3 FVG). Auf Ersuchen der Bundesagentur für Arbeit führen diese Dienststellen die Vollstreckung durch (§ 3 Abs. 4 VwVG).

Ist eine Forderung der Familienkasse bis zum Ablauf der gesetzten Zahlungsfrist nicht gezahlt worden, hat die Familienkasse nach der Dienstanweisung zum Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz 2020 V 32.2 Abs. 1 Satz 1 (DA-KG 2020, veröffentlicht am 24. September 2020 auf der Internetseite des BZSt; wortgleich mit DA-KG 2019, BStBl I 2019, 846, V 32.2) unverzüglich eine Rückstandsanzeige an das HZA zu richten.

bb) Nach Maßgabe dieser Bestimmungen ist der Inkasso-Service für das auf Einstellung der Vollstreckung gerichtete einstweilige Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin der richtige Antragsgegner.

Zwar ist der Inkasso-Service nicht Vollstreckungsbehörde i.S. des § 249 Abs. 1 Satz 3 AO. Allerdings obliegt es der Familienkasse bei nicht rechtzeitiger Erfüllung von Zahlungsansprüchen, das zuständige HZA hierüber zeitnah in Kenntnis zu setzen. Den beiden an die Antragstellerin gerichteten Schreiben vom 14. November 2019 ist die Ankündigung des Inkasso-Services zu entnehmen, im Falle der Nichtzahlung das zuständige HZA (erneut) über die bestehenden Rückstände zu informieren und um die Vollstreckung der offenen Forderungen zu ersuchen. Aufgrund der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG), wonach auch gegen das Handeln der Finanzbehörden ein umfassender und lückenloser gerichtlicher Schutz zu gewähren ist (vgl. etwa BFH-Urteil vom 1. Februar 1957 VI 112/55 U, BFHE 64, 237, BStBl III 1957, 90; BFH-Beschluss vom 30. Juli 1996 VII B 7/96, BFH/NV 1997, 93; Krumm in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 33 FGO Rz 1, m.w.N.), kann auch gegen die Übersendung einer Rückstandsanzeige an das HZA und das damit verbundene Vollstreckungsersuchen die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes beantragt werden. Ob der Inkasso-Service auch nach Übersendung einer Rückstandsanzeige an das HZA für einen auf (vorläufige) Einstellung der Vollstreckung gerichteten Anordnungsantrag noch richtiger Antragsgegner sein kann, braucht nicht entschieden zu werden.

Unerheblich ist im Streitfall, ob der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit in zulässiger Weise durch einen Beschluss die Zuständigkeit für Entscheidungen im Erhebungsverfahren betreffend den Familienleistungsausgleich dem Inkasso-Service als Dienststelle der Agentur für Arbeit Recklinghausen übertragen hat. Eine Entscheidung des BFH in einem der zu dieser Frage anhängigen Revisionsverfahren (z.B. III R 36/19, vorgehend FG Düsseldorf, Urteil vom 14. Mai 2019 10 K 3317/18 AO, juris) ist noch nicht veröffentlicht worden. Da der Inkasso-Service der Antragstellerin mit Schreiben vom 14. November 2019 die Vollstreckung angedroht hat, ist hiergegen jedenfalls die Möglichkeit vorläufigen Rechtsschutzes nach § 114 FGO gegeben.

2. In der Sache hat der Anordnungsantrag keinen Erfolg.

a) Nach § 114 Abs. 1 Satz 1 FGO kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wird (Sicherungsanordnung). Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (Regelungsanordnung). Voraussetzung für eine einstweilige Anordnung ist, dass der Antragsteller den Anspruch, aus dem er sein Begehren herleitet (Anordnungsanspruch), und den Grund für die zu treffende Regelung (Anordnungsgrund) schlüssig darlegt und die tatsächlichen Voraussetzungen glaubhaft macht (§ 114 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 der Zivilprozessordnung - ZPO -).

Ein Regelungsanspruch kommt auch dann in Betracht, wenn das Gesuch - wie im Streitfall - auf Einstellung der Zwangsvollstreckung nach § 257 AO (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 24. November 1987 VII B 34/87, BFH/NV 1988, 423; vom 26. Februar 1992 I B 113/91, BFH/NV 1993, 349) oder auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung oder auf Aufhebung einzelner Vollstreckungsmaßnahmen nach § 258 AO gerichtet ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 27. September 1988 V B 83/88, BFH/NV 1989, 269; vom 23. November 1999 VII B 310/98, BFH/NV 2000, 588; Stapperfend in Gräber, FGO, 9. Aufl., § 114 Rz 51).

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat im Streitfall deshalb keinen Erfolg, weil die Antragstellerin auch auf die mit Richterbrief vom 21. Juli 2020 erteilten Hinweise weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht hat.

b) Abweichend von der vom Hessischen FG mit Beschluss vom 30. August 2019 12 V 591/19 (EFG 2020, 218) vertretenen Auffassung hält der erkennende Senat bei der Androhung des Inkasso-Services, wegen bestehender Rückstände die Vollstreckung einzuleiten, einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund jedenfalls nicht ohne Weiteres für gegeben. Ein anderes gilt auch nicht im Lichte der Zweifel daran, ob der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit in zulässiger Weise die Zuständigkeit für Entscheidungen im Erhebungsverfahren betreffend den Familienleistungsausgleich dem Inkasso-Service übertragen hat (vgl. z.B. FG Düsseldorf, Urteil vom 14. Mai 2019 10 K 3317/18 AO, juris).

Der Inkasso-Service ist keine Vollstreckungsbehörde und kann deshalb allein die Einleitung des Vollstreckungsverfahrens durch Übersendung einer Rückstandsanzeige an das HZA veranlassen. Nach V 32.2 Abs. 1 Satz 1 DA-KG 2020 ist der Inkasso-Service hierzu verpflichtet ("... hat ...zu richten."). Zwar hat der BFH es bislang ausdrücklich offen gelassen, ob die Vorschrift des § 249 Abs. 1 Satz 1 AO, nach der die dort genannten Verwaltungsakte im Verwaltungsweg vollstreckt werden "können", überhaupt eine Ermessensentscheidung über das Ob einer Vollstreckung zulässt. Er weist jedoch darauf hin, dass von gewichtigen Stimmen in der Literatur die Auffassung vertreten werde, dass die Finanzbehörden - und damit auch die Familienkassen - aufgrund der Verpflichtungsnorm des § 85 AO, wonach die Steuern nach Maßgabe der Gesetze gleichmäßig festzusetzen und erheben sind, verpflichtet seien, die Ansprüche des Steuergläubigers, die freiwillig nicht erfüllt werden, im Verwaltungswege zu vollstrecken. Nach diesen Stimmen komme daher eine Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen nur noch im Hinblick auf die Auswahl der Vollstreckungsmaßnahmen in Betracht (BFH-Urteil vom 22. Oktober 2002 VII R 56/00, BFHE 199, 511, BStBl II 2003, 109, unter II. 3. b, mit Nachweisen zur Literatur; vgl. aus der aktuellen Literatur z.B. Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 249 AO Rz 11: "Vollstreckungspflicht der FinBeh."; Werth in Klein, AO, 15. Aufl., § 249 Rz 1, jeweils m.w.N.).

Dieser Ansicht schließt sich der Senat an. Mit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung wäre es nicht vereinbar, wenn die Einleitung der Vollstreckung im Ermessen der Finanzbehörde stünde (so auch z.B. Werth in Klein, AO, 15. Aufl., § 249 Rz 1). Ein Verstoß gegen diesen Grundsatz läge vor, wenn jeder Schuldner, der zuviel gezahltes Kindergeld an die Familienkasse zu erstatten hat, wegen der bestehenden Zweifel an der Zuständigkeit des Inkasso-Services für das Erhebungsverfahren vom Inkasso-Service verlangen könnte, die Übersendung einer Rückstandsanzeige an das zuständige HZA zu unterlassen. Anderes mag für Ermessensentscheidungen gelten, welche der Inkasso-Service im Erhebungsverfahren (§§ 218 ff. AO) etwa über Stundungs- oder Erlassanträge trifft (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 15. Oktober 1998 V R 77/97; Ratschow in Klein, AO, 15. Aufl., § 127 Rz 14, m.w.N.). Welche der gesetzlich zulässigen Vollstreckungsmaßnahmen (§§ 249 ff. AO) im Einzelfall zu treffen sind, hat jedoch nicht der Inkasso-Service, sondern das zuständige HZA als Vollstreckungsbehörde im Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Entsprechendes gilt für Entscheidungen über Anträge auf Vollstreckungsaufschub, nachdem dem HZA eine Rückstandsanzeige übersandt worden ist (vgl. V 32.2 Abs. 1 Satz 3 DA-KG 2020). Gegen die Ermessensentscheidungen des HZA im Vollstreckungsverfahren sind die in der AO und der FGO geregelten Rechtsbehelfe und Rechtsmittel gegeben.

c) Es ist nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen eines Anordnungsanspruchs aus § 257 AO erfüllt werden. Insbesondere sind nicht die Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen weggefallen (§ 257 Abs. 1 Nr. 1 AO), und der Anspruch auf Leistung ist auch nicht erloschen (§ 257 Abs. 1 Nr. 3 AO).

aa) Die Vollstreckung ist nach § 257 Abs. 1 Nr. 1 AO einzustellen oder zu beschränken, sobald die Vollstreckbarkeitsvoraussetzungen des § 251 Abs. 1 AO weggefallen sind. Nach § 251 Abs. 1 Satz 1 AO können Verwaltungsakte vollstreckt werden, soweit nicht ihre Vollziehung ausgesetzt oder die Vollziehung durch Einlegung eines Rechtsbehelfs gehemmt ist (§ 361 AO; § 69 FGO).

Nach § 251 Abs. 2 Satz 1 bleiben die Vorschriften der InsO unberührt. Das bedeutet, dass die Bestimmungen der InsO grundsätzlich dem Steuerrecht vorgehen (vgl. etwa Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 251 AO Rz 5 ff.). Die Finanzbehörde ist berechtigt, in den Fällen des § 201 Abs. 2, §§ 257 und 308 Abs. 1 InsO gegen den Schuldner im Verwaltungswege zu vollstrecken (§ 251 Abs. 2 Satz 2 AO). Macht die Finanzbehörde im Insolvenzverfahren einen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis als Insolvenzforderung geltend, so stellt sie erforderlichenfalls die Insolvenzforderung durch schriftlichen Verwaltungsakt fest (§ 251 Abs. 3 AO).

Die Erteilung der Restschuldbefreiung steht der Vollstreckung von Abgabenforderungen entgegen. Die Restschuldbefreiung wirkt gemäß § 286 und § 301 Abs. 1 Satz 1 InsO gegen alle Insolvenzgläubiger. Insolvenzgläubiger sind alle persönlichen Gläubiger des Schuldners, die zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben (§ 38 InsO). Ein Steueranspruch ist zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet, wenn bis dahin der den Anspruch begründende steuerliche Tatbestand vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist (vgl. allgemein BFH-Urteil vom 28. November 2017 VII R 1/16, BFHE 260, 26, BStBl II 2018, 457, unter Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 5. April 2016 VI ZR 283/15, NJW-RR Zivilrecht 2017, 37; zur Umsatzsteuer BFH-Urteil vom 30. April 2009 V R 1/06, BFHE 226, 130, BStBl II 2010, 138; zur Rückforderung von Eigenheimzulage FG Baden-Württemberg, Urteil vom 1. Juli 2015 1 K 1231/13, EFG 2015, 1788, rechtskräftig). Das bedeutet, dass Forderungen der Neugläubiger, die im Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahren ausgeklammert bleiben, von der Restschuldbefreiung nicht erfasst werden (vgl. Jaeger in Jaeger, Insolvenzordnung, § 301 Rz 12, m.w.N.).

bb) Nach diesen Grundsätzen kann die Antragstellerin vorliegend nach § 257 AO nicht die Einstellung der Vollstreckung der Abgabenrückstände verlangen, welche in den beiden Schreiben des Inkasso-Services vom 14. November 2019 bezeichnet sind.

(1) Schuldgrund für die Erstattung der Beträge von 6.376,00 € (Rückforderung in Höhe von 4.440,00 €, Säumniszuschläge in Höhe von 1.892,00 € für die Zeit vom 11. April 2016 bis 29. Oktober 2019, Säumniszuschläge in Höhe von 44,00 € für die Zeit vom 30. Oktober bis 13. November 2019) und von 64,50 € (Säumniszuschläge für die Zeit vom 17. November bis 7. Dezember 2015) ist der der Antragstellerin übersandte Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 16. Oktober 2015. Während der Anspruch auf Rückforderung des zuviel gezahlten Kindergeldes nach § 37 Abs. 2 AO erst durch die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung (Verwaltungsakt) entstanden und mit dem Leistungsgebot fällig geworden ist (vgl. Schmieszek in Gosch, AO § 37 Rz 64, 83), genügt bei den Säumniszuschlägen (§ 240 AO) die Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes (§ 218 Abs. 1 AO).

Anhaltspunkte dafür, dass der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid unwirksam ist, werden von der Antragstellerin nicht dargelegt und sind auch nach Aktenlage nicht ersichtlich. Bei der im Anordnungsverfahren gebotenen summarischen Betrachtung ist davon auszugehen, dass der Bescheid wirksam bekannt gegeben worden ist. Den vorgelegten Kindergeldakten ist nicht zu entnehmen, dass der Bescheid der Antragstellerin nicht zugegangen ist.

Ob das Vorbringen der Antragstellerin, sie habe keinen Kindergeldantrag gestellt, überhaupt geeignet ist, die Unwirksamheit des Aufhebungs- und Rückforderungsbescheides zu begründen, braucht nicht geklärt zu werden. Denn nach Aktenlage trifft dieses Vorbringen in der Sache nicht zu. In dem am 6. Juli 2012 bei der Familienkasse auf amtlichem Vordruck eingereichten und von der Antragstellerin unterschriebenen Kindergeldantrag ist diese unter Ziffer 1 als "Antragsteller(in)" eingetragen. Unerheblich für die Wirksamkeit des an die Antragstellerin adressierten Aufhebungs- und Kindergeldbescheides ist, dass im Antragsformular eine Bankverbindung der T, nicht aber der Antragstellerin angegeben ist.

(2) Dass das AG O - Insolvenzgericht - der Antragstellerin mit Beschluss vom 19. Juli 2019 (...) Restschuldbefreiung erteilt hat, steht einem Ersuchen an das zuständige HZA um Vollstreckung der in den beiden Vollstreckungsankündigungen vom 14. November 2019 bezeichneten Rückstände nicht entgegen.

Entsprechend dem klarstellenden Hinweis in den Gründen dieses Beschlusses wirkt die Restschuldbefreiung gegen alle Insolvenzgläubiger (§ 301 Abs. 1 Satz 1 InsO). Hinsichtlich der in den Vollstreckungsankündigungen bezeichneten Forderungen ist das FA nicht Insolvenzgläubiger i.S. des § 38 InsO. Denn diese Forderungen waren zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 4. Juni 2013 noch nicht begründet. Zwar hatte das FA mit dem Rückforderungsbescheid (Erstattungsbescheid) vom 16. Oktober 2015 eine Rückforderung zuviel gezahlten Kindergeldes in Höhe von insgesamt 6.464,00 € (August 2012 bis Dezember 2014: 5.336,00 €; Januar bis Juni 2015: 1.128,00 €) festgesetzt. Jedoch macht der Inkasso-Service gegenüber der Antragstellerin lediglich den Teil der Rückforderung geltend, der durch die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für die Monate nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Juli 2013 bis Juni 2015) entstanden ist. Hinzu kommen die insoweit verwirkten Säumniszuschläge (§ 240 AO).

cc) Da die in den Vollstreckungsankündigungen bezeichneten Forderungen nicht erloschen sind, ist die Vollstreckung auch nicht nach § 257 Abs. 1 Nr. 3 AO einzustellen.

(1) Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis erlöschen gemäß § 47 AO insbesondere durch Zahlung (§§ 224, 224a, 225 AO), Aufrechnung (§ 226 AO), Erlass (§§ 163, 227 AO), Verjährung (§§ 169 bis 171, §§ 228 bis 232 AO), ferner durch Eintritt der Bedingung bei auflösend bedingten Ansprüchen. Jedenfalls nach einem Teil der Literaturstimmen kann ein Anspruch auch durch Verwirkung erlöschen (so Koenig/Koenig, Abgabenordnung, 3. Aufl., § 47 Rz 19).

(2) Im Streitfall liegt kein Erlöschenstatbestand vor.

(a) Insbesondere ist nicht Zahlungsverjährung eingetreten. Die Verjährungsfrist beträgt fünf Jahre (§ 228 Satz 2 AO), und die Verjährung beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist (§ 229 Abs. 1 Satz 1 AO). Vorliegend ist der Anspruch zum 16. November 2015 fällig geworden. Die fünfjährige Frist begann mit Ablauf des Jahres 2015 und ist daher noch nicht abgelaufen. Im Übrigen ist die Verjährung durch mehrfache schriftliche Geltendmachung der Ansprüche (etwa mit Mahnschreiben vom 30. Oktober 2019) unterbrochen worden (§ 231 Abs. 1 Nr. 8 AO).

(b) Unabhängig davon, ob ein Anspruch überhaupt durch Verwirkung erlöschen kann (ablehnend BFH-Beschluss vom 13. September 1991 IV B 105/90, BFHE 165, 469; Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 47 AO Rz 16; Ratschow in Klein, AO, 15. Aufl., § 47 Rz 10; bejahend Koenig/Koenig, Abgabenordnung, § 47 Rz 19), ist im Streitfall eine Verwirkung nicht gegeben.

(aa) Verwirkung setzt ein bestimmtes Verhalten der Finanzbehörde voraus, aufgrund dessen der Steuerpflichtige bei objektiver Betrachtung annehmen darf, die Behörde werde den Anspruch nicht oder nicht mehr geltend machen (BFH-Urteil vom 7. Juli 2004 X R 24/03, BFHE 206, 292, BStBl II 2004, 975, unter II. B. 5.). Neben diesem Zeitmoment muss als vertrauensgeprägtes Umstandsmoment ein Verhalten der Finanzbehörde hinzukommen, aus dem der Steuerpflichtige bei objektiver Beurteilung den Schluss ziehen darf, dass er nicht mehr in Anspruch genommen werden soll. Allerdings führt bloße Untätigkeit und allein der Zeitablauf noch nicht zur Verwirkung (BFH-Beschluss vom 1. Juli 2003 II B 84/02, BFH/NV 2003, 1534; BFH-Urteil vom 26. Oktober 2005 II R 9/01, BFH/NV 2006, 478). Schließlich muss der Steuerpflichtige als sog. Vertrauensfolge auch tatsächlich auf die Nichtgeltendmachung des Anspruchs vertraut und sich entsprechend eingerichtet haben (BFH-Urteil vom 14. Oktober 2003 VIII R 56/01, BFHE 203, 472, BStBl II 2004, 123, m.w.N.; zum Ganzen und zur Verwirkung in Vollstreckung befindlicher Steueransprüche BFH-Urteil vom 27. Juni 2006 VII R 34/05, BFH/NV 2006, 2024).

Nach der Rechtsprechung des BFH steht der Rückforderung zuviel gezahlten Kindergeldes der Grundsatz von Treu und Glauben nicht bereits dann entgegen, wenn die Behörde trotz Kenntnis von Umständen, die zum Wegfall des Kindergeldanspruchs führen, zunächst weiterhin Leistungen erbringt. Erforderlich sind vielmehr besondere Umstände, die die Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs als illoyale Rechtsausübung erscheinen lassen (BFH-Urteile in BFHE 203, 472, BStBl II 2004, 123 [BFH 14.10.2003 - VIII R 56/01]; vom 10. März 2016 III R 29/15, BFH/NV 2016, 1278 [BFH 03.05.2016 - VIII R 4/13], unter II. 3.).

(bb) Nach diesen Maßstäben sind die Ansprüche der Familienkasse allein deshalb nicht verwirkt, weil sie nach Fälligkeit mehrfach vom Inkasso-Service etwa durch Mahnschreiben geltend gemacht worden sind. Es liegt kein Verhalten der Familienkasse vor, aus dem die Antragstellerin darauf schließen durfte, nicht mehr für die Erstattung des zuviel gezahlten Kindergeldes in Anspruch genommen zu werden.

d) Die Antragstellerin hat auch keinen Anordnungsanspruch aus § 258 AO glaubhaft gemacht.

aa) Soweit im Einzelfall die Vollstreckung unbillig ist, kann die Vollstreckungsbehörde sie nach § 258 AO einstweilen einstellen oder beschränken oder eine Vollstreckungsmaßnahme aufheben. Der Vollstreckungsschutz nach dieser Vorschrift zielt nur auf vorläufige Maßnahmen ab, die die Beitreibung der rückständigen Steuern nicht auf Dauer behindern oder gefährden.

Eine Unbilligkeit ist dann anzunehmen, wenn die Vollstreckung oder eine einzelne Vollstreckungsmaßnahme dem Vollstreckungsschuldner einen unangemessenen Nachteil bringen würde, der durch kurzfristiges Zuwarten oder durch eine andere Vollstreckungsmaßnahme vermieden werden könnte (vgl. BFH-Urteil vom 31. Mai 2005 VII R 62/04, BFH/NV 2005, 1743, unter 1.; BFH-Beschlüsse vom 15. Januar 2003 V S 17/02, BFH/NV 2003, 738; vom 24. November 1987 VII B 134/87, BFH/NV 1988, 422, und vom 4. Februar 1986 VII B 129/85, BFH/NV 1986, 478). In jedem Fall müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Steuerschulden in absehbarer Zeit durch freiwillige Leistungen des Schuldners zurückgeführt werden können. Als absehbarer Zeitraum werden in Rechtsprechung und Literatur regelmäßig sechs Monate, in Ausnahmefällen zwölf Monate angesehen (vgl. FG München, Beschluss vom 31. Juli 2013 5 V 1840/13, juris Rz 9; FG Köln, Beschluss vom 19. Februar 2014 13 V 228/14, EFG 2014, 1017; FG Hamburg, Beschluss vom 18. Mai 2017 2 V 117/17, EFG 2017, 1364, unter II. 2. b bb (5); Neumann in Gosch, AO § 258 Rz 20, m.w.N.; ähnlich BFH-Beschluss vom 5. Oktober 2001 VII B 15/01, BFH/NV 2002, 160).

bb) Im Streitfall liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Antragstellerin den Willen hat und wirtschaftlich dazu imstande ist, die bestehenden Rückstände in absehbarer Zeit zurückzuführen. Insbesondere hat sie dem Inkasso-Service keinen Vorschlag über eine ratenweise Tilgung der Rückstände gemacht.

e) Einen Anordnungsgrund hat die Antragstellerin ebenfalls nicht schlüssig dargelegt.

Die den Anordnungsgrund rechtfertigenden Maßnahmen müssen so schwerwiegend sein, dass sie eine einstweilige Anordnung unabweisbar machen (BFH-Beschluss vom 7. Januar 1993 VII B 125/92, BFH/NV 1994, 480). Ein Anordnungsgrund besteht demnach nur, wenn die Vollstreckung mit schwerwiegenden Nachteilen für den Vollstreckungsschuldner verbunden ist, z.B. seine wirtschaftliche oder persönliche Existenz dadurch konkret bedroht wird. Es müssen Umstände vorliegen, die über die Nachteile hinausgehen, die im Regelfall bei einer Vollstreckung zu erwarten sind (z.B. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2003, 738; vom 8. Dezember 1992 VII B 150/92, BFH/NV 1993, 709, m.w.N., und vom 24. April 2001 X B 118/00, juris).

Solche Umstände hat die Antragstellerin nicht dargelegt und erst recht nicht glaubhaft gemacht.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Beschwerde war nach § 128 Abs. 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen. Diese Entscheidung weicht vom Beschluss des Hessischen FG in EFG 2020, 218 insoweit ab, als nach Auffassung des Senats die ungeklärte Frage der Zuständigkeit des Inkasso-Services für das Erhebungsverfahren betreffend den Familienleistungsausgleich nicht ohne Weiteres einen Anordnungsanspruch oder Anordnungsgrund für einen auf (vorläufige) Einstellung der Vollstreckung gerichteten Anordnungsantrag nach § 114 FGO begründet.