Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 22.05.2012, Az.: 2 A 97/11

Umfang einer Vollmacht; Vollmacht; Umfang

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
22.05.2012
Aktenzeichen
2 A 97/11
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 44412
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Der Umfang einer einem Anwalt erteilten Vollmacht ist durch Auslegung der Vollmachtsurkunde nach § 133 BGB zu ermitteln.

Tatbestand:

Der Kläger studiert seit dem Wintersemester 2006/2007 an der Beklagten Humanmedizin und erhält Ausbildungsförderungsleistungen von der Beklagten. Der Prozessbevollmächtigte ist sein Vater. Beginnend am 13. September 2007 führte der Kläger mehrere Prozesse gegen die Beklagte, in denen ebenfalls sein Vater als Prozessbevollmächtigter auftrat. Dieser legitimierte sich erstmals mit Schriftsatz vom 10. April 2007 zur Förderungsakte, die für den Kläger bei dem namens und im Auftrage der Beklagten handelnden Studentenwerk C. geführt wurde. Der Prozessbevollmächtigte zeigte mit diesem Schriftsatz an, die rechtlichen Interessen des Klägers zu vertreten. Er bat, zukünftigen Schriftwechsel ausschließlich über ihn zu führen, sowie Bescheide ihm bekannt zu geben. Ausweislich der Vollmachtsurkunde wird dem Prozessbevollmächtigten in Sachen des Klägers gegen das Studentenwerk wegen Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz für den Finanz-, Sozial- oder Verwaltungsrechtsweg vollumfänglich Vollmacht erteilt. Die Vollmacht ermächtigt zu allen das Verwaltungs-, Rechtsbehelfs- und Klageverfahren betreffenden Verfahrenshandlungen, gilt für alle Instanzen und erstreckt sich auch auf Neben- und Folgeverfahren aller Art.

Am 22. Oktober 2010 beantragte der Kläger zunächst formlos beim Studentenwerk C. Leistungen für den Bewilligungszeitraum Oktober 2010 bis September 2011. Nachdem er mit Verfügung des Studentenwerkes vom 5. Januar 2011 daran erinnert worden war, legte er am 17. Januar 2011 die unterschriebenen Formblätter 1 und 3 sowie seine Studienbescheinigung für das Wintersemester 2010/2011 vor. Mit weiterer Verfügung vom 14. Februar 2011 erinnerte ihn das Studentenwerk daran, die Felder 104 bis 106 des Formblatt 1 auszufüllen, Angaben über seine aktuelle Studienanschrift zu machen sowie anzugeben, wann er sein PJ ableiste und hierzu nähere Angaben zu machen. Diese Verfügung enthielt, wie auch schon diejenige vom 5. Januar 2011 den Hinweis darauf, dass Leistungen abgelehnt werden könnten, wenn er die Angaben nicht innerhalb der gesetzten Monatsfrist mache. Alle Verfügungen waren an den Kläger persönlich adressiert. Der Kläger reagierte zunächst nicht.

Mit Bescheid vom 22. März 2011 versagte daraufhin das Studentenwerk Ausbildungsförderungsleistungen für den Bewilligungszeitraum Oktober 2010 bis September 2011 bis zur Nachholung der Mitwirkung. Rechtsgrundlage sei § 66 SGB I. Die gesetzte Monatsfrist sei angemessen und der Sachverhalt durch das Studentenwerk nicht ohne Mitwirkung des Klägers zu ermitteln.

Hiergegen hat der Kläger am 18. April 2011 Klage erhoben.

Zu deren Begründung trägt er im Wesentlichen vor, er sei entgegen § 66 Abs. 3 SGB I nicht vor Erlass des angefochtenen Bescheides über die Folgen fehlender Mitwirkung belehrt worden. Diese Belehrung hätte an seinen Bevollmächtigten erfolgen müssen, nicht an ihn direkt. Die Vollmacht vom 9. April 2007 sei umfassend und erstrecke sich auch auf den Bewilligungszeitraum Oktober 2010 bis September 2011. Bis Oktober 2010 sei die Beklagte auch stets so verfahren.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 22. März 2011 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung sowohl die Belehrung nach § 66 Abs. 3 SGB I wie auch der angefochtene Bescheid selbst seien dem Kläger wirksam bekannt gegeben worden. Die Vollmacht vom 9. April 2007 habe sich nicht auf den Bewilligungszeitraum Oktober 2010 bis September 2011 erstreckt; daher habe ihr Studentenwerk Verfügungen direkt an den Kläger versenden dürfen.

Im Laufe des Gerichtsverfahrens hat der Kläger im April 2011 die erforderlichen Unterlagen eingereicht. Daraufhin hat die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 2. August 2011 ab April 2011 Ausbildungsförderungsleistungen weiter bewilligt; für den Zeitraum Oktober 2010 bis März 2011 erfolgte eine Bewilligung indes nicht. Gegen den Bescheid vom 2. August 2011 hat der Kläger ebenfalls Klage erhoben; dieses Verfahren ruht im Hinblick auf diese Entscheidung.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter als Einzelrichter einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage, über die das Gericht im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 22. März 2011 ist rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 VwGO).

Die auf die Rechtsgrundlage des § 66 Abs. 1 SGB I gestützte Versagung von Ausbildungsförderungsleistungen für den Zeitraum Oktober 2010 bis September 2011 an den Kläger ist rechtswidrig, weil der Kläger als Leistungsberechtigter nicht im Sinne von § 66 Abs. 3 SGB I schriftlich auf die Rechtsfolge der Leistungsversagung hingewiesen worden ist, als das Studentenwerk C. ihn mit Verfügungen vom 5. Januar und 14. Februar 2011 zur Vorlage verschiedener Unterlagen aufgefordert hat. Denn diese Verfügungen hätten nicht nur an den Kläger persönlich, sondern auch an seinen Bevollmächtigten Vater ergehen müssen; dass der Kläger zumindest die Verfügung vom 5. Januar tatsächlich wohl erhalten hat, was aus der Vorlage weiterer Unterlagen am 17. Januar 2011 zu schließen ist, ist rechtsunerheblich. Denn der Kläger hatte mit seinem Vater wirksam einen Bevollmächtigten bestellt, so dass sich die Beklagte gemäß § 13 Abs. 3 Satz 2 SGB X wegen der für den Kläger bestehenden Mitwirkungspflicht zwar an diesen wenden durfte, allerdings gemäß Satz 3 der Vorschrift verpflichtet gewesen ist, den Bevollmächtigten zu verständigen, was nicht geschah. Dadurch hat die Beklagte die Rechtsschutzmöglichkeiten des Klägers unzulässig eingeschränkt; sie darf daher die Leistung nicht nach § 66 Abs. 1 SGB versagen.

Die vom Kläger seinem prozessbevollmächtigten Vater am 9. April 2007 erteilte Vollmacht erstreckte sich auch auf das Verwaltungsverfahren den Bewilligungszeitraum Oktober 2010 bis September 2011 betreffend.

Gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 SGB X ermächtigt die Vollmacht zu allen das Verwaltungsverfahren betreffenden Verfahrenshandlungen, sofern sich aus ihrem Inhalt nicht etwas anderes ergibt. Zu Unrecht schlussfolgert die Beklagte aus dieser Vorschrift eine Beschränkung der Vollmacht auf das jeweilige Verwaltungsverfahren, das mit Erlass des den Bewilligungszeitraum regelnden Leistungsbescheides beendet ist. Nicht das Verwaltungsverfahrensgesetz bestimmt den Umfang einer Vollmacht, sondern der Vollmachtgeber. Dessen Willenserklärung ist nach den Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuches auszulegen. Das gilt nicht nur für Einschränkungen einer Vollmacht, wie das § 13 Abs. 1 Satz 2 SGB X deutlich macht, sondern auch für die Bestimmung des Inhalts überhaupt. Die Kammer folgt insoweit der Rechtsprechung des Nds. Landessozialgerichts in der vom Kläger herangezogenen Entscheidung vom 7.12.2011 –L 7 AS 906/11B-, zitiert nach juris, die sich auch mit der von der Beklagten herangezogenen Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 2. November 2005 auseinandersetzt, und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen darauf Bezug.

Legt man die vom Kläger unter dem 9. April 2007 erteilte Vollmacht entsprechend dem objektiv erkennbaren Willen der Vertragsparteien unter Berücksichtigung der mit der Vollmachterteilung einhergehenden Begleitumstände (wirklicher Wille im Sinne von § 133 BGB) aus, gelangt man zu dem Schluss, dass sie eine umfängliche Generalvollmacht für alle Ausbildungsförderungsangelegenheiten des Klägers ist. Hierfür sprechen folgende Gesichtspunkte:

Die Vollmacht wird „in Sachen A. B. / Studentenwerk C.“ und „wegen Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz“ erteilt. Sie enthält damit nach ihrem Wortlaut keine Beschränkung auf einen bestimmten Streit- bzw. Verfahrensgegenstand, sondern betrifft ganz allgemein Ausbildungsförderungsangelegenheiten des Klägers mit dem Studentenwerk C.. Weiter heißt es im Vollmachttext die Vollmacht werde „für den Finanz-, Sozial- oder Verwaltungsrechtsweg vollumfänglich erteilt“. Mit dem Wort „vollumfänglich“ wird deutlich, dass eine Beschränkung gerade nicht gewollt ist. Dem lässt sich nicht entgegen halten, dass diese Formulierung ausdrücklich auf den „Rechtsweg“ bezogen ist, vordergründig also keine Aussagekraft für das Verwaltungsverfahren entwickeln muss. Dem ist entgegen zu halten, dass die Vollmacht nach dem folgenden Satz „zu allen das Verwaltungs-, Rechtsbehelfs- und Klageverfahren betreffenden Verfahrenshandlungen“ ermächtigt. Folglich liegt eine Beschränkung auf gerichtliche Verfahren und Verfahrenshandlungen nicht vor.

Entsprechend dieser umfassenden Vollmacht, wendete sich der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit anwaltlichem Schriftsatz an das Studentenwerk. Auch dieses Anschreiben, das als Begleitumstand zur Vollmachterteilung herangezogen werden kann, spricht für eine umfassende Vollmachterteilung. Ausdrücklich bittet der Prozessbevollmächtigte darum, zukünftigen Schriftwechsel ausschließlich über ihn zu führen sowie Bescheide ihm bekannt zu geben. Eine Beschränkung auf irgendwelche Verfahren, Bescheide oder Bewilligungszeiträume wird hiermit gerade nicht beschrieben.

Schließlich spielt auch der Aspekt der Finanzierbarkeit der Anwaltsgebühren, den das Nds. LSG am Rande als Argument gegen eine Generalvollmacht erwähnt, hier keine Rolle. Denn der Prozessbevollmächtigte ist der Vater des Klägers und es ist nicht zu erwarten, dass er seinem Sohn Rechtsanwaltsgebühren in Rechnung stellt, zumal er als Unterhaltspflichtiger ein eigenes Interesse am positiven Ausgang der Ausbildungsförderungsstreitigkeiten seines Sohnes hat.

Lange Zeit, auch für nachfolgende Bewilligungszeiträume, die fast durchgängig auch Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen waren, hat die Beklagte die Bevollmächtigung auch in ihrem Verwaltungshandeln berücksichtigt. Dass sie es gelegentlich nicht tat, wie sie im Klageverfahren vortrug, ändert nichts an der Wirksamkeit der Generalvollmacht und dem Umstand, dass sie von der Beklagten zu beachten gewesen ist.

Da die Beklagte § 13 Abs. 3 Satz 3 SGB X missachtet hat, hat sie den Kläger nicht ordnungsgemäß im Sinne von § 66 Abs. 3 SGB I angehört, so dass die Versagung der Ausbildungsförderungsleistungen für den Zeitraum von Oktober 2010 bis September 2011 mit Bescheid vom 22. März 2011 rechtswidrig war.

Es kommt daher rechtlich nicht mehr darauf an, ob der angefochtene Bescheid vom 22. März 2011 auch unter anderen Rechtsfehlern leidet. Hier ist ein Ermessensfehler nicht fern liegend. Ein Anhaltspunkt dafür könnte sein, dass die Beklagte unter dem 14. Februar 2011 neue, über die mit Verfügung vom 5. Januar 2011 geforderten hinausgehende Angaben verlangt hat. Sollte eine Verwaltungspraxis der Beklagten bestehen, nicht nach einmal fruchtlosem Fristablauf sofort die Leistung nach § 66 SGB I zu versagen, könnte darin eine Ermessensbindung der Leistungspraxis liegen, die es als ermessenfehlerhaft erscheinen ließe, nach der erstmaligen fruchtlosen Aufforderung einen Versagungsbescheid erlassen wurde. Zwar währte das Verfahren schon sehr lange, die Aufforderung vom 14. Februar 2011 betraf jedoch Angaben und Unterlagen, die bisher nicht Verfahrensgegenstand gewesen waren.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.