Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 10.05.2012, Az.: 2 A 7/10

Armenien; Rückführungsabkommen; Yeziden

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
10.05.2012
Aktenzeichen
2 A 7/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 44419
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Personen, die im Rahmen des Deutsch-Armenischen Rückführungsabkommens nach Armenien abgeschoben werden, droht keine Weiterschiebung.

Armeniern droht allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Gruppe der Yeziden eine konkrete Lebens- oder Leibesgefahr im Ralle ihrer Rückkehr nach Armenien nicht.

Tatbestand:

Die ... und ... geborenen Kläger sind mit hoher Wahrscheinlichkeit armenische Staatsangehörige kurdischer Volks- und behaupteter yezidischer Religionszugehörigkeit. Sie verließen ihr Heimatland Armenien im Jahr 1991 und lebten bis Juni 1999 in Kiew/Ukraine. Im Juli 1999 reisten sie in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten hier Asylanträge.

Diese Anträge lehnte das vormalige Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Bescheid vom 13. August 1999 als offensichtlich unbegründet ab. Gleichzeitig stellte es fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG offensichtlich nicht und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Zudem forderte es die Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen, wobei es für den Fall der Nichtbefolgung die Abschiebung in die Ukraine androhte. Die Kläger könnten auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den sie einreisen dürften oder der zu ihrer Rücknahme verpflichtet sei. Zur Begründung führte das Bundesamt an, den Klägern drohe allenfalls Gefahr durch private Dritte, was eine politische Verfolgung nicht begründe. Zudem sei ihr Vortrag unsubstantiiert und deshalb unglaubhaft. Das Bundesamt ging dabei davon aus, dass die Kläger die ukrainische Staatsangehörigkeit besitzen. Die dagegen gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht Osnabrück mit Urteil vom 10. Oktober 2000 als offensichtlich unbegründet ab (1 A 3177/99). Dabei ging das Gericht, Bezug nehmend auf seinen vorangegangenen Beschluss im Eilverfahren vom 22. Oktober 1999, davon aus, die Kläger seien eindeutig keine armenischen Staatsangehörigen.

Da die Kläger über keine Personaldokumente verfügten, erhielten sie in der Folgezeit vom Landkreis L. Duldungen. Nach Vorlage von Geburtsurkunden, die nach Angabe des Auswärtigen Amtes von Armenien vom 4. Juni 2007 echt sind, bestätigte sich die Identität der Kläger. Am 6. Februar 2008 wurden die Kläger im Rahmen des zwischen der Republik Armenien und der Bundesrepublik geschlossenen Rückübernahmeabkommens einer armenischen Expertenkommission vorgestellt, die prüfte, ob es sich bei den Klägern um armenische Staatsangehörige handele und ob für sie Rückkehrdokumente nach Armenien ausgestellt werden könnten. Mit Schreiben vom 29. April 2008 an die für dieses Verfahren zuständige Zentrale Ausländerbehörde M. teilte die Botschaft der Republik Armenien mit, für die Kläger könnten Passersatzpapiere ausgestellt werden und sie würden in Armenien aufgenommen werden. Auf Bitte des Landkreises L. leitete daraufhin das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge von Amts wegen unter dem 30. Juni 2008 ein Verfahren auf Prüfung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG in Bezug auf Armenien ein. Das Bundesamt wies darin darauf hin, dass sich seine Prüfung auf das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG beschränken werde. Es bat die Kläger, mit ausführlicher Begründung ihrer politischen Probleme zum Ausdruck zu bringen, wenn sie im Zuge dieses Verfahrens den Prüfbereich auf einen Asylfolgeantrag im Sinne des § 71 Abs. 1 AsylVfG erweitern wollten. Im Rahmen ihrer Anhörung trugen die Kläger Sorgen um ihren Staatsangehörigkeitsstatus in Armenien vor. Zudem befürchteten sie als Yeziden Schwierigkeiten in Armenien. Der Kläger zu 1.) trug in diesem Zusammenhang erstmals ohne nähere Angaben auch vor, in Armenien verhaftet worden zu sein.

Mit Bescheid vom 8. Oktober 2008 stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge fest, dass bei den Klägern Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. In der Begründung dieses Bescheides heißt es zum Prüfungsumfang, die Kläger hätten, obwohl über diese Möglichkeit aufgeklärt, keinen Asylfolgeantrag gestellt, so dass nur Abschiebungsverbote zu prüfen seien. Solche lägen nicht vor. Insbesondere ergäben sie sich nicht aus dem Umstand, dass die Kläger Yeziden seien. Diese würden zwar vielfach diskriminiert und schikaniert; dies erreiche jedoch nicht die für ein Abschiebungsverbot erforderliche Intensität; bei Straftaten gegen Yeziden sei der Staat schutzbereit.

Gegen diesen Bescheid haben die Kläger am 22. Oktober 2008 Klage erhoben.

Zu deren Begründung tragen sie vor, sie seien staatenlos. Nur ein gültiger Pass begründe die Staatsangehörigkeit; einen solchen besäßen sie nicht und ein solcher solle auch nicht ausgestellt werden; die Bereitschaft Armeniens, ihnen Passersatzpapiere ausstellen zu wollen, bestreiten sie mit Nichtwissen. Weiter tragen sie vor, keine Bezüge mehr zu Armenien zu haben. Ferner befürchten sie Probleme als Yeziden. Zudem sei die Klägerin zu 2.) in Deutschland Mitglied der Zeugen Jehovas geworden. Zum Beweis dessen legt sie eine von ihr unterschriebene Patientenverfügung vom 1. August 2007 vor.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid der Beklagten vom 8. Oktober 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie tritt dem klägerischen Vorbringen in der Sache entgegen.

Der vormals zuständige Einzelrichter hat auf die mündliche Verhandlung vom 18. Mai 2010 Beweis erhoben zu verschiedenen Fragen im Zusammenhang mit der sog. armenischen Expertenkommission, der auch die Kläger am 6. Februar 2008 vorgestellt worden sind. Wegen der Beweisfragen im Einzelnen wird auf den Beweisbeschluss vom 18. Mai 2010 Bezug genommen. Auf diesen Beschluss haben sich im Auftrag des Auswärtigen Amtes, die Zentrale Ausländerbehörde M. und Frau Dr. N. O. geäußert. Wegen der Einzelheiten wird auf die Stellungnahme der Ausländerbehörde vom 17. Juni 2010 und von Frau Dr. O. vom 19. November 2010 Bezug genommen. Der ebenfalls um Stellungnahme gebetene UNHCR teilte unter dem 14. Juni 2011 mit, keine verwertbaren Informationen zu besitzen. Gleiches teilte amnesty international unter dem 24. Juni 2010 mit. Das Trans-Kaukasus-Institut hat sich trotz mehrmaliger und eindringlicher Erinnerung nicht geäußert.

Mit Beschluss vom 26. Juli 2011 ist der Rechtsstreit in die Zuständigkeit der Kammer zurück übertragen worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten und die Ausländerakten des Landkreises L. Bezug genommen. Diese Unterlagen sind ebenso Gegenstand der mündlichen Verhandlungen gewesen wie die aus den den Beteiligten jeweils mit der Ladung übersandten Listen ersichtlichen Erkenntnismittel.

Entscheidungsgründe

Das Gericht legt den Klageantrag gemäß § 86 Abs. 1 VwGO sachgerecht dahin aus, dass die Kläger beantragen,

den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 8. Oktober 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass bei den Klägern ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG vorliegt,

hilfsweise,

festzustellen, dass bei den Klägern ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG vorliegt.

Die so verstandene Klage ist zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 8. Oktober 2088 ist rechtmäßig und die Kläger haben einen Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG durch die Beklagte nicht.

In formeller Hinsicht ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte tätig geworden ist und dass sie sich in dem angefochtenen Bescheid auf die Frage von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG beschränkt hat.

Gemäß § 24 Abs. 2 AsylVfG obliegt es dem Bundesamt, nach Stellung eines Asylantrages auch eine Entscheidung darüber zu treffen, ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 bis 5 oder Abs. 7 AufenthG vorliegt. Unerheblich ist dabei, wann ein solcher Asylantrag gestellt worden ist; die Vorschrift findet auch Anwendung, wenn der Asylantrag, wie im Fall der Kläger, bereits 12 Jahre zurückliegt. Seinerzeit hatte die Beklagte die Abschiebung in die Ukraine angedroht und nur insoweit Abschiebungshindernisse geprüft. Sie hat allerdings auch darauf hingewiesen, dass die Kläger in einen anderen Staat abgeschoben werden könnten, in den sie einreisen dürften oder der zu ihrer Rücknahme bereit verpflichtet sei. Eine solche Androhung lässt aber nicht ohne weiteres eine Abschiebung in einen in der Androhung nicht bezeichneten Staat zu. Ein solcher Hinweis hat keinen Regelungscharakter und entbindet die Behörde nicht davon, dem Ausländer einen konkret ins Auge gefassten neuen Abschiebezielstaat rechtzeitig vorher mitzuteilen, um ihm Gelegenheit zu geben, etwaige Abschiebungshindernisse bezüglich dieses Staats geltend zu machen und gegebenenfalls Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen (BVerwG vom 04.12.2001 - 1 C 11.01 -, InfAuslR 2002, 284). In seinem Urteil vom 25.07.2000 (9 C 42.99 - InfAusR 2001, 46) hat das BVerwG offen gelassen, ob für die nachträgliche Konkretisierung des Zielstaats das Bundesamt oder die Ausländerbehörde zuständig ist und in welcher Weise beide Behörden dabei gegebenenfalls angesichts der nach wie vor nach § 24 Abs. 2 AsylVfG bestehenden Zuständigkeit für Entscheidungen über Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG (nunmehr § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG) zusammenwirken müssen. Entscheidend ist aber, dass vor einer Abschiebung eine Prüfung von Abschiebeverboten hinsichtlich des neuen Zielstaats durch das Bundesamt erfolgt sein muss (vgl. OVG Magdeburg, Beschl. v. 13.08.2008 -2 L 12/08-, zitiert nach juris). Der Schutzzweck des § 24 Abs. 2 AsylVfG kann nur dann erreicht werden, wenn eine solche Prüfung gerade hinsichtlich des Staates erfolgt, in den der Ausländer tatsächlich abgeschoben werden soll. Hat das Bundesamt eine solche Prüfung lediglich hinsichtlich des in der Androhung bezeichneten Zielstaates durchgeführt, würde der Schutzzweck des § 24 Abs. 2 AsylVfG unterlaufen, wenn der Ausländer ohne weiteres und allein wegen des erfolgten Hinweises nach § 59 Abs. 2 AufenthG auch in jeden anderen Staat abgeschoben werden könnte. Voraussetzung für eine solche Abschiebung ist vielmehr, dass das Bundesamt auch hinsichtlich dieses Zielstaates die Prüfung im Sinne des § 24 Abs. 2 AsylVfG i. V. m. § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vornimmt. Dies hat die Beklagte in rechtlich nicht zu beanstandender Weise von Amts wegen in Bezug auf Armenien nunmehr getan.

Die Klage ist in der Sache unbegründet, weil die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen. Für die Prüfung ist rechtsunerheblich, ob die Kläger die armenische Staatsangehörigkeit tatsächlich besitzen. Entscheidend ist, dass Armenien ausweislich der Mitteilung seiner Botschaft vom 29. April 2008 bereit ist, die Kläger im Rahmen des Deutsch-Armenischen-Rückübernahmeabkommens in Armenien aufzunehmen. Armenien ist damit der zur Aufnahme bereite Staat im Sinne der Abschiebungsandrohung des Bescheides der Beklagten vom 13. August 1999. Auf Armenien bezieht sich daher die Prüfung von Abschiebungsverboten. Dabei ist zunächst das Vorliegen eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (als Umsetzung des Art. 15 der Qualifikationsrichtlinie) zu prüfen und sodann - hilfsweise - die Voraussetzungen nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG (BVerwG, Urteil vom 24.6.2008 -10 C 43.07- BVerwGE 131, 198, st.Rspr.).

Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG liegt bei den Klägern nicht vor.

Gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Mit diesem durch das Richtlinienumsetzungsgesetz ergänzten Abschiebungsverbot, das bereits in § 53 Abs. 1 AuslG 1990 und § 53 Abs. 4 AuslG 1990 i.V.m. Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 685 - EMRK) enthalten war, wird Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG umgesetzt. Die Europäische Kommission hat sich bei der Formulierung dieser Richtlinienbestimmung an Art. 3 EMRK orientiert und in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Bezug genommen (Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen vom 12. September 2001 KOM(2001) 510 endgültig S. 6, 30).

Da es gemäß § 77 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ankommt, ist bei der Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG ferner Art. 19 Abs. 2 der Grundrechte-Charta (ABl EU 2010 Nr. C 83 S. 389 - GR-Charta) als verbindlicher Teil des primären Unionsrechts (Art. 6 Abs. 1 EUV) zu berücksichtigen. Danach darf niemand in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht. Die Vorschrift gilt nach Art. 51 Abs. 1 GR-Charta für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Nach den gemäß Art. 52 Abs. 7 GR-Charta bei ihrer Auslegung gebührend zu berücksichtigenden Erläuterungen (ABl EU 2007 Nr. C 303 S. 17 = EuGRZ 2008, 92 [BGH 17.01.2008 - GSSt 1/07]) wird durch diese Bestimmung die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK in Auslieferungs-, Ausweisungs- und Abschiebungsfällen übernommen. Da die Kläger vor ihrer Ausreise aus Armenien einer solchen unmenschlichen Behandlung nicht unterworfen waren, muss ihnen eine solche Gefahr nun mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. BVerwG, Urteile vom 27.04.2010 -10 C 5/09- , BVerwGE 136, 377-388; vom 07.09.2010 -10 C 11/09-, Buchholz 451.902 Europ Ausl- u Asylrecht Nr 42 und vom 17.11.2011 -10 C 13/10-, AuAS 2012, 64-67).

Nach diesen Maßgaben droht den Klägern die Gefahr einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung nicht. Insbesondere kann nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ein Verstoß gegen das sog. Refoulementverbot nicht angenommen werden.

Dieses Verbot besagt, dass keiner der vertragschließenden Staaten einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen darf, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde. Eine solche Weiterschiebung droht den Klägern nicht.

Zur Überzeugung der Kammer steht nach Auswertung der aufgrund des Beweisbeschlusses vom 18. Mai 2010 eingeholten sachverständigen Stellungnahmen fest, dass die Kläger entweder in Armenien verbleiben oder nach Deutschland zurückgeschickt werden; eine Weiterschiebung in ein Drittland, in dem ihnen möglicherweise die von Art. 33 GK genannten Gefahren drohen, erfolgt nicht.

Rechtsgrundlage für die Rückführung der Kläger nach Armenien und die dafür nötige Beschaffung von Rückreisedokumenten ist das Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Armeneinen über die Übernahme und Durchbeförderung von Personen ohne Aufenthaltsrecht (Rückübernahmeabkommen), bekannt gemacht am 19. Dezember 2006 (BGBl II S. 1404), in Kraft seit 20. April 2008. Gemäß Art. 2 Abs. 2 dieses Abkommens übernimmt Armenien auf Ersuchen Deutschlands ohne andere als in diesem Abkommen vorgesehene Förmlichkeiten eine Person ohne Aufenthaltsrecht im Hoheitsgebiet der ersuchenden Vertragspartei, bei der auf der Grundlage von Glaubhaftmachungsmitteln berechtigterweise angenommen werden kann, dass es sich bei ihr um einen Staatsangehörigen der ersuchten Vertragspartei handelt. Die Staatsangehörigkeit gilt durch die in Anhang 2 aufgeführten Dokumente als glaubhaft gemacht. Wenn derartige Dokumente vorliegen, gehen die Vertragsparteien von der Feststellung der Staatsbürgerschaft aus, es sei denn, sie können Gegenteiliges nachweisen. In Anhang 2 des Abkommens ist als Mittel der Glaubhaftmachung u.a. das Ergebnis der Anhörung der betroffenen Person, hier der Kläger, durch die zuständigen Stellen der ersuchten Vertragspartei genannt, die auf Antrag der ersuchenden Vertragspartei durchzuführen ist. Art. 12 des Abkommens regelt darüber hinaus die Einrichtung von Expertenkommissionen zur Regelung von Einzelheiten der Durchführung dieses Abkommens. Ausweislich der eingeholten sachverständigen Stellungnahmen setzt sich die armenische Expertenkommission aus 3-4 Beamten des armenischen Außenministeriums zusammen. Es unterliegt danach keinen Zweifeln, dass dieses Expertengremium rechtlich und faktisch authorisiert ist, die Entscheidung über die Zusage von Rückreisedokumenten im Rahmen des Rückübernahmeabkommens zu treffen. Solche Zweifel entstehen auch nicht allein daraus, dass die Vertragsparteien zum persönlichen Schutz dieser Personen offenbar übereingekommen sind, deren Namen nicht bekannt zu geben (ebenso: VG Osnabrück, Beschluss vom 22.11.2006 -5 A 282/06-). Eine weitere Prüfung der Staatsangehörigkeit im Heimatland erfolgt nach erteilter Rückübernahmezusage nicht mehr. Insoweit macht es auch keinen Unterschied, dass es sich bei den Klägern angeblich um Yeziden handelt (vgl. AA, Auskunft an VG Ansbach vom 21. Mai 2003).

Zurückgeführten Personen droht allenfalls eine Befragung bei der Einreisekontrolle, wenn auf ihren Passersatzpapieren ein Vermerk von der Botschaft angebracht ist, dass es sich um eine Aliasidentität handelt. Das steht bei den Klägern nicht zu erwarten, da deren Geburtsurkunden, auf denen sich die von ihnen benutzten Personalien befinden, vom Auswärtigen Amt der Republik Armenien unter dem 4. Juni 2007 für echt befunden worden ist. Eine Weiterschiebung der von Armenien zurückgenommenen Ausländer erfolgt nach den eingeholten Stellungnahmen nicht. Indirekt wird dieser Befund durch den UNHCR und ai bestätigt, wenn sie übereinstimmend ausführen, keine Informationen über das Verfahren der Rückführung zu haben. Solche Erkenntnisse wären indes zu erwarten, wenn es Verstöße gegen das Refoulementverbot gäbe. Allenfalls eine Rücküberstellung nach Deutschland kann im Rahmen des Art. 2 Abs. 4 des Rückübernahmeabkommens geschehen, wenn sich innerhalb von drei Monaten nach Rückübernahme herausstellt, dass die Person doch nicht die armenische Staatsangehörigkeit besitzt.

Auch § 60 Abs. 3 AufenthG begründet ein Abschiebungsverbot nicht. Den Klägern droht nicht die Todesstrafe.

Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG besteht ebenso wenig.

Nach dieser Bestimmung ist von einer Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist. Diese Vorschrift setzt die sich aus Art. 18 i.V.m. Art. 15 c der Richtlinie 2004/83/EG ergebenden Verpflichtungen auf Gewährung eines „subsidiären Schutzstatus“ bzw. „subsidiären Schutzes“ in nationales Recht um.

Der Begriff des internationalen wie auch des innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ist dabei unter Berücksichtigung der Bedeutung dieser Begriffe im humanitären Völkerrecht, insbesondere unter Heranziehung von Art. 3 der Genfer Konventionen zum humanitären Völkerrecht 1949 und des am 8. Juni 1977 abgeschlossenen Zusatzprotokolls II auszulegen. Danach müssen die Kampfhandlungen von einer Qualität sein, wie sie u.a. für Bürgerkriegssituationen kennzeichnend sind, und über innere Unruhen und Spannungen wie Tumulte, vereinzelt auftretende Gewalttaten und ähnliche Handlungen hinausgehen. Bei innerstaatlichen Krisen, die zwischen beiden Erscheinungsformen liegen, scheidet die Annahme eines bewaffneten Konflikts im Sinne von Art. 15 c der Richtlinie 2004/83/EG nicht von vornherein aus. Der Konflikt muss hierfür aber jedenfalls ein bestimmtes Maß an Intensität und Dauerhaftigkeit aufweisen. Typische Beispiele sind Bürgerkriegsauseinandersetzungen und Guerillakämpfe (BVerwG, Urteil vom 24.6.2008, a.a.O.).

Nach Maßgabe dieser Grundsätze besteht ein solcher Konflikt in Armenien nicht.

Den Klägern steht ferner ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 - EMRK - (BGBl 1952 II S. 685) nicht zu. Dieser Vorschrift kommt neben derjenigen des § 60 Abs. 2 AufenthG, deren Tatbestandsvoraussetzungen oben verneint worden sind, eigenständige Bedeutung nicht -mehr- zu (vgl. HK-AuslR/Möller/Stiegeler, § 60 Rn. 48).

Der Abschiebung der Kläger steht schließlich auch kein nationales Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG entgegen.

Nach dieser Vorschrift soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.

Gefahren, denen die Bevölkerung oder eine Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Entscheidungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG zu berücksichtigen (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG).

Beruft sich der Ausländer auf allgemeine Gefahren, kann er Abschiebungsschutz regelmäßig nur durch einen generellen Abschiebestopp nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG erhalten. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt es bei der Gewährung nationalen Abschiebungsschutzes nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht darauf an, ob sich die von einem bewaffneten Konflikt für eine Vielzahl von Zivilpersonen ausgehende und damit allgemeine Gefahr in der Person des Ausländers so verdichtet hat, dass sie eine „ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit“ im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG darstellt. Im Fall allgemeiner Gefahren darf daher grundsätzlich auf Erlasse nach § 60a AufenthG verwiesen werden. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass bei Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2, 3, 5 und 7 AufenthG im Regelfall die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG vorgesehen ist, der Schutz durch eine Erlasslage dagegen lediglich zu jeweils verlängerten Duldungen führt. Verfassungsrechtlich kommt es nämlich mit Rücksicht auf Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG nur auf den Schutz vor Abschiebung in eine unmittelbar drohende extreme Gefahrensituation an, nicht aber auf Folgewirkungen im Hinblick auf eine Verfestigung des Aufenthaltsrechts wie etwa einen Anspruch auf eine Aufenthaltsgenehmigung (BVerwG, Urteil vom 24.06.2008, a.a.O.). Die damit zum Ausdruck kommende Sperrwirkung der in § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG angesprochenen allgemeinen Gefahr kann nur überwunden werden, um verfassungswidrige Schutzlücken zu vermeiden. Eine solche Schutzlücke wäre gegeben, wenn einerseits allgemeine Gefahren bestünden und andererseits ein dieser Gefahrenlage Rechnung tragender Erlass nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG nicht bestehen würde. Damit in einem solchen Fall der Ausländer nicht „sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde“, wären (auch) die Verwaltungsgerichte verpflichtet, ungeachtet der Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG, dem Ausländer Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu gewähren (BVerwG, Urteil vom 08.12.1998 - 9 C 4.98 - ,BVerwGE 108, 77, 80 f zu § 53 Abs. 6 AuslG a. F.). Nur dann gebieten es die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG - als Ausdruck eines menschenrechtlichen Mindeststandards (vgl. auch das Urteil vom 24. Mai 2000 - BVerwG 9 C 34.99 - BVerwGE 111, 223, 228 f. zu Art. 9 EMRK unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Auslieferung) -jedem betroffenen Ausländer trotz Fehlens einer Ermessensentscheidung nach § 53 Abs. 6 Satz 2, § 54 AuslG (jetzt § 60 a AufenthG) Abschiebungsschutz zu gewähren (so auch: OVG Lüneburg, Beschluss vom 12.1.2011, -13 LA 228/10-).

Soweit sich die Kläger auf eine ihnen als Yeziden drohende Verfolgung berufen, machen sie eine allgemeine Gefahr in diesem Sinne geltend; sie sind auf § 60 a AufenthG zu verweisen, wobei es einen Erlass, der sie wegen ihrer Religionszugehörigkeit vor Abschiebung schützt, nicht gibt. Eine verfassungskonforme Einschränkung der Vorschrift im oben dargestellten Sinne ist nicht geboten. Die Kläger werden nicht sehenden Auges in den Tod geschickt oder schwersten Verletzungen ausgeliefert. Die Kammer geht dabei zugunsten der Klägerin zu 2.) davon aus, dass sie auch nach ihrem Übertritt zu den Zeugen Jehovas noch als Yezidin angesehen wird.

Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8. November 2010 garantiert die Verfassung nationalen Minderheiten das Recht, ihre kulturellen Traditionen und ihre Sprache zu bewahren, in der sie studieren und veröffentlichen dürfen. Angehörige der yezidischen Minderheit berichteten zwar immer wieder über Diskriminierungen, aber nach Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes seien weder Yeziden noch andere Minderheiten Ziel systematischer und zielgerichteter staatlicher Repression. Im Falle von Straftaten gegen Angehörige von Minderheiten seien die Behörden bereit, diese zu schützen und nähmen Strafanzeigen auf. Die Ermittlungen dauerten zwar häufig sehr lange, was aber bei Ermittlungen, an denen nur armenische Volkszugehörige beteiligt seien auch der Fall sei. Aus dem Bericht des Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation - Accord - vom 14. Februar 2008 über die Situation von Yeziden ergeben sich ebenso wenig Anhaltspunkte für eine erhebliche Gefährdung von Yeziden in Armenien. So habe der im Zusammenhang mit dem Council of Europe eingerichtete Ombudsmann 2006 nur fünf Beschwerden erhalten, die ethnische Diskriminierung zum Gegenstand hatten. Berichtet wird lediglich von Schwierigkeiten, eine Ausbildung in der Muttersprache zu erhalten und dass Yeziden manchmal von den örtlichen Behörden und der Polizei diskriminiert würden; die Grenzen zwischen Diskriminierung und Korruption seien dabei nicht trennscharf. Allerdings wird für 2003 auch von einer großen Anzahl an Misshandlungen yezidischer Wehrdienstpflichtiger berichtet. Die Analyse des österreichischen Bundesasylamtes vom 26. August 2009, „Yeziden in Armenien“, gelangt zu dem Ergebnis, eine systematische Diskriminierung von Angehörigen yezidischer Volksgruppen finde nicht statt; in Einzelfällen würden Yeziden diskriminierend behandelt. In der aktualisierten Fassung dieses Berichts vom August 2010 heißt es ergänzend, aufgrund der bäuerlichen Struktur sehe sich die yezidische Gemeinschaft häufig Vorurteilen gegenüber. Von einer Hassattitüde zu sprechen, wäre aber wohl etwas zu hoch gegriffen, denn das Verhältnis zwischen Yeziden und Armeniern sei zwar - zum Beispiel aufgrund der Landnutzungsrechte - teilweise angespannt, aber trotzdem eher von Ignoranz als von Hass geprägt. Im Großen und Ganzen könne man feststellen, dass die Yeziden in Armenien eine lange Zeit einen relativ „sicheren Hafen“ für ihr Dasein fanden, wobei die Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion eine Ausnahme gewesen seien. Heutzutage scheine sich die Situation wieder beruhigt zu haben, wobei individuelle Problemstellungen zwischen der Mehrheitsbevölkerung und der yezidischen Minderheit immer noch möglich seien. Schließlich hat auch die vom Gericht beauftragte Gutachterin, Frau O. in ihrer Stellungnahme vom 19. November 2010 zum Ausdruck gebracht, dass es zwar Beschwerden über gesellschaftliche Diskriminierungen sowohl von Yeziden als auch von Zeugen Jehovas gebe, indes keine Hinweise auf eine durchgehende gerichtliche Benachteiligung; von Angriffen auf die körperliche Integrität ganz zu schweigen.

Diese Feststellungen gelten für Zeugen Jehovas entsprechend. Allenfalls im Zusammenhang mit der Ableistung des Militärdienstes, den die Klägerin zu 2.) nicht zu leisten hat, wird von einer Benachteiligung von Angehörigen dieser Religionsgruppe berichtet (vgl. ai Reports 2009 und 2010, jeweils Seite 2).

Da den Klägern somit eine Gefahr für ihre körperliche Integrität im Falle ihrer Rückkehr nach Armenien nicht droht, bedürfen sie des Schutzes des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Auslegung nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylVfG. Die Entscheidung über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis ergibt sich aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.