Sozialgericht Braunschweig
Urt. v. 17.04.2009, Az.: S 17 AS 2140/08
Rückforderung gewährter Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) trotz damit verbundenen Aufbrauchens des Schonvermögens eines Leistungsempfängers
Bibliographie
- Gericht
- SG Braunschweig
- Datum
- 17.04.2009
- Aktenzeichen
- S 17 AS 2140/08
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2009, 19019
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:SGBRAUN:2009:0417.S17AS2140.08.0A
Rechtsgrundlagen
- § 23 Abs. 5 SGB II
- § 40 Abs. 1 S. 1, 2 Nr. 1 SGB II
- § 330 Abs. 3 S. 1 SGB III
- § 50 Abs. 1 SGB X
Tenor:
Der Bescheid vom 08.02.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.07.2008 wird aufgehoben.
Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um eine Rückforderung gewährter Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Zweites Buch (SGB II) für den Zeitraum von April bis Juli 2006.
Ende Januar 2005 trennte sich die Klägerin von ihrem damaligen Ehemann und zog aus dem gemeinsamen Haus aus und in den Landkreis F ... Sie stand dann im Leistungsbezug bei der Arbeitsgemeinschaft F ...
Sie war mit ihrem mittlerweile geschiedenen Ehemann Inhaberin eines Erbbaurechts und Eigentümerin eines Hauses. Der geschiedene Ehemann bewohnt dieses Haus. Die Klägerin hatte mit ihm die Vereinbarung geschlossen, dass sie auf Unterhalt verzichtet und er im Gegenzug für die Verbindlichkeiten für das Haus und den Unterhalt für die beiden Töchter aufkommt.
Weiterhin ist die Klägerin Eigentümerin eines Grundstückes mit Wohnhaus, in dem ihre Mutter wohnt. Die Eltern der Klägerin übereigneten das Grundstück im Jahre 2003 im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolge. Im Gegenzug gewährte die Klägerin ihren Eltern ein lebenslanges Wohnrecht an dem Einfamilienhaus. Nebenkosten übernehmen die Eltern der Klägerin. Die Klägerin verpflichtete sich, ihre Eltern zu betreuen und zu pflegen. Diese als Altenteil bezeichnete Belastung wurde im Grundbuch eingetragen.
Schließlich verfügt die Klägerin noch über einen Bausparvertrag und einen Rentenversicherungsvertrag.
Zum 01.04.2006 zog sie in den Zuständigkeitsbereich der Beklagten um. Mit Bescheid vom 12.04.2006 wurden der Klägerin Leistungen für April bis September 2006 nach dem SGB II erstmals von der Beklagten bewilligt. Die Arbeitsgemeinschaft F. hatte an die Klägerin für April 2006 bereits die Regelleistung und Kosten der Unterkunft von 315,00 EUR gezahlt. Daher bewilligte die Beklagte für April Kosten der Unterkunft in Höhe von 407,27 EUR, zahlte aber nur Differenz von 92,27 EUR aus. Ein entsprechender Hinweis ist im Bescheid erhalten.
Mit Datum vom 13.04.2006 erging ein Änderungsbescheid. Es wurden Kosten der Unterkunft in Höhe von 308,00 EUR bewilligt, da darüber hinausgehende Kosten unangemessen seien. Es erging der Hinweis, dass für April 2006 keine Auszahlung erfolgt, da bereits die Arbeitsgemeinschaft F. geleistet habe.
Mit Datum vom 26.04.2006 erging ein weiterer Änderungsbescheid. Die Leistungen wurden darlehnsweise bewilligt, da nicht sofort verwertbares Vermögen vorhanden und der Abschluss eines Arbeitsvertrages bevorstehe.
Am 16.05.2006 schlossen die Klägerin und ihr geschiedener Mann einer Erbbaurechtsübertragungsvertrag. Danach verpflichtete sich der geschiedene Ehemann zu Zahlung von 13.000,00 EUR und die Klägerin zur Übereignung Miteigentums. Damit wurde auch der Zugewinnausgleich geregelt.
Der geschiedene Ehemann der Klägerin überwies am 26.06.2006 13.000,00 EUR an die Klägerin. Der Betrag ging am 29.06.2006 auf ihr Konto ein.
Am 01.07.2006 zog der jetzige Ehemann der Klägerin in ihre Wohnung. Er bezog am Mai 2006 eine Rente von der Rentenversicherung sowie eine Betriebsrente.
Mit Schreiben vom 25.07.2006 hörte die Beklagte die Klägerin hinsichtlich einer beabsichtigten Rückforderung für Juni und Juli 2006 in Höhe von 1.306,00 EUR und mit Schreiben vom 23.01.2007 bzgl. einer beabsichtigten Rückforderung für April bis Juli 2006 in Höhe von 2.267,00 EUR an.
Die Beklagte hob mit Bescheid vom 08.02.2007 den Bewilligungsbescheid vom 13.04.2006 auf und forderte Leistungen in Höhe von 2.267,00 EUR für April bis Juli 2006 zurück.
Am 15.10.2007 legte die Klägerin gegen diesen Bescheid Widerspruch ein, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 03.07.2008 zurückwies
Die Klägerin hat am 29.07.2007 Klage erhoben.
Zur Begründung trägt sie vor,
die Beklagte habe Sie gezwungen, von ihrem Schonvermögen zu leben. Ihr Ehemann sei insolvent und lebe am Existenzminimum. Auch habe kein eheähnliches Zusammenleben vorgelegen. Eine finanzielle Versorgung durch ihn war nicht gewährleistet. Vor dem Insolvenzgericht habe er als Einzelperson gegolten, der Pfändungsfreibetrag sei geringer gewesen.
Wenn ein eheähnliches Verhältnis vorgelegen haben sollte, so stünde auch ihm ein Freibetrag zu. Sie habe am 31.10.2006 geheiratet. Bis zu diesem Zeitpunkt stünden ihr Leistungen zu.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 08.02.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.07.2008 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie führt begründend aus, die Klägerin habe über Vermögen von 13.738,11 EUR aus der Zahlung ihres geschiedenen Ehemannes und aus ihrem Bausparvertrag verfügt. Ihr stünde ein Vermögensfreibetrag von 10.350,00 EUR zu. Es ergebe sich ein verwertbares Vermögen von 3.388,11 EUR, das vorrangig zur Sicherstellung des Lebensunterhaltes einzusetzen sei. Der Rücknahmebescheid sei nicht zu beanstanden, da der Bescheid vom 13.04.2006 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 13.04.2006 und 26.04.2006 rechtswidrig gewesen sei.
Wegen des weiteren Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird im Übrigen ergänzend Bezug genommen auf die Prozessakte des Klageverfahrens sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Der Bescheid 08.02.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.07.2008 ist rechtswidrig und die Klägerin dadurch in ihren Rechten verletzt und war daher gemäß § 131 Absatz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) aufzuheben.
Offenbleiben kann hier, wann eine Rückzahlungspflicht von Leistungen, die gemäß § 23 Absatz 5 SGB II als Darlehen gewährt werden, weil verwertbares Vermögen nicht sofort verbraucht werden kann, entsteht. Der Gesetzgeber hat in § 23 Absatz 5 SGB II nicht geregelt, wann und unter welchen Voraussetzungen das gewährte Darlehen zurückzuzahlen ist. Jedoch dürfte dafür einer Ermächtigungsgrundlage notwendig sein.
Zunächst käme eine Rückforderung gemäß § 50 Absatz 1 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch (SGB X) i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 SGB II, § 330 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch - Drittes Buch (SGB III) in Betracht. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist.
Eine Rückforderung gemäß § 50 Absatz 1 SGB X scheidet hier jedoch aus. Die Beklagte hat in dem Bescheid vom 08.02.2007 ausdrücklich den Bescheid vom 13.04.2006 aufgehoben, nicht aber den Darlehensbescheid vom 26.04.2006. Zum Zeitpunkt der Aufhebung existierte der Bescheid vom 13.04.2006 in dieser Form nicht mehr, da er durch den Darlehensbescheid abgeändert worden war.
Die Entscheidung der Beklagten im Bescheid vom 08.02.2007 kann nicht so ausgelegt werden, dass auch der Darlehensbescheid vom 26.04.2006 aufgehoben wurde. Einer Auslegung entgegen dem eindeutigen Wortlaut ist die Entscheidung der Beklagten nicht zugänglich.
Durch den Widerspruchsbescheid hat die Beklagte den Darlehensbescheid ebenfalls nicht aufgehoben. Zwar wird der Bescheid vom 26.04.2006 in der Begründung des Widerspruchsbescheides erwähnt, eine eindeutige, rechtswirksame Aufhebung liegt jedoch nicht vor.
Gemäß § 50 Absatz 2 SGB X i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 SGB II, § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III sind Leistungen, die ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind, zu erstatten. Auch danach scheidet eine Rückzahlungsverpflichtung der Klägerin aus. Zum einen wurden die Leistungen aufgrund eines Verwaltungsakts, dem Darlehensbescheid vom 26.04.206 erbracht. Auch erhielt die Klägerin die Leistungen nicht zu Unrecht, da sie zum Zeitpunkt der Bewilligung verwertbares Vermögen nicht sofort verbrauchen konnte.
Nicht entscheidungserheblich ist, ob die Beklagte allein aufgrund der Tatsache, dass die Leistungen nicht als Zuschuss, sondern als Darlehen gewährt worden sind, zur Geltendmachung des Rückzahlungsanspruches berechtigt ist.
Bedenken bestehen dagegen allerdings, da es an einer ausdrücklichen Ermächtigungsgrundlage fehlt. Nebenbestimmungen im Sinne von 32 SGB X enthält der Darlehensbescheid nicht, unabhängig von der Frage, ob diese rechtlich zulässig wären. Unter Zugrundelegung zivilrechtlicher Grundsätze über einen Darlehensvertrag, der keine Rückerstattungsvereinbarung trifft, muss gemäß § 488 Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuches selbst ein Darlehensvertrag zuerst gekündigt werden, bevor eine Rückzahlungsverpflichtung des Darlehensnehmers entsteht. So ist es naheliegend, dass ein Darlehensbescheid zumindest aufgehoben werden müsste. § 48 Absatz 1 Satz 1 SGB X ermöglicht eine Aufhebung für die Zukunft bei wesentlicher Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, hier der eingetretenen Verbrauchsmöglichkeit des Vermögens. Auch ist eine Aufhebung für die Zukunft ausreichend und würde zur Rückzahlungspflicht nach § 50 Absatz 1 SGB X führen, da es um die Rückzahlung eines Darlehens und nicht um die Rückzahlung zu Unrecht erbrachter Leistungen geht. Die Bewilligung eines Darlehens beinhaltet, im Unterscheid zur Zuschussgewährung, dass das Darlehen in der Zukunft zurückzuzahlen ist.
Dieses außer Acht gelassen, führt die Entscheidung der Beklagten auch aus anderen Gründen nicht zu einer Rückzahlungspflicht der Klägerin. Die Beklagte hat die Zahlungen gemäß § 50 Absatz 1 SGB X zurückgefordert. Die Voraussetzungen liegen -wie bereits ausgeführt - nicht vor. Eine Umdeutung dieses Verwaltungsaktes gemäß § 43 SGB X in einen anderen Verwaltungsakt - Rückzahlungsverpflichtung allein aufgrund der Darlehensgewährung ohne spezielle Ermächtigungsgrundlage - kommt nicht in Betracht.
Selbst unter Annahme, dass die Beklagte in dieser Form berechtigt wäre, dass Darlehen zurückzufordern, könnte es sich dabei nicht um eine gebundene Entscheidung - wie in § 50 SGB X- handeln. Soweit wäre der Grundsatz des Vorbehaltes des Gesetzes nicht unberücksichtigt zu lassen. Insbesondere wäre im Rahmen dieser Form der Darlehensrückforderung die Voraussetzungen eines Erlasses gemäß § 44 SGB II zu prüfen. Eine Umdeutung einer gebundenen Entscheidung in eine Ermessensentscheidung ist gemäß § 43 Abs. 3 SGB X unzulässig.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.