Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 04.01.2022, Az.: 2 A 168/18
Zweitantrag
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 04.01.2022
- Aktenzeichen
- 2 A 168/18
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2022, 59472
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 29 Abs 1 Nr 5 AsylVfG 1992
- § 71a Abs 1 AsylVfG 1992
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Der Zeitpunkt der Asylantragstellung ist der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung eines Asylantrags als Zweitantrag, weil der Wortlaut des § 71a Abs. 1 Halbsatz 1 AsylG insofern eindeutig ist. Die Voraussetzungen für eine richterliche Rechtsfortbildung in Form der Analogie oder teleologischen Extension liegen nicht vor.
Eine wortlautgetreue Auslegung des § 71a AsylG sorgt für eine Gleichstellung des Zweitantragsverfahrens mit dem Folgeantragsverfahren, weil der in der Bundesrepublik Deutschland gestellte, weitere Antrag im Rahmen des Dublin-Verfahrens in das im sicheren Drittstaat laufende (Rechtsbehelfs-)Asylverfahren einzubeziehen ist.
Tatbestand:
Die Kläger sind irakische Staatsangehörige, arabischer Volkszugehörigkeit und muslimisch-sunnitischen Glaubens aus {J.}. Sie sind Brüder.
Der Kläger zu 1) verließ sein Heimatland am {K.}, der Kläger zu 2) und der Kläger zu 3) zusammen mit ihrem jüngsten Bruder am {L.}. Sie reisten mit dem Flugzeug in die Türkei und von dort aus auf dem See- und Landweg zunächst nach Finnland ein, der Kläger zu 1) am {M.}, die Kläger zu 2) und 3) einen Monat später.
Dem Kläger zu 1) stellte bei der finnischen Einwanderungsbehörde am 10.09.2015 einen Asylantrag, die Kläger zu 2) und 3) stellten am 15.10.2015 Asylanträge. Die Anträge wurden jeweils mit Bescheiden vom 31.10.2016 abgelehnt. Die Kläger erhoben Klage gegen die ablehnenden Bescheide vor dem Verwaltungsgericht Ostfinnland. Dieses wies die Klagen mit Urteilen vom 22.05.2017 ab.
Sodann verließen die Kläger Finnland und reisten am 10.06.2017 nach Deutschland ein. Am 14.06.2017 legten sie durch ihren damaligen Prozessbevollmächtigten Einspruch gegen die Urteile des Verwaltungsgerichts Ostfinnland vor dem Obersten Verwaltungsgericht in Helsinki ein. Am 13.06.2017 ermittelte die Beklagte für die Kläger zu 1) und zu 3) einen Eurodac-Treffer für Finnland, am 20.06.2017 für den Kläger zu 2).
Die Kläger stellten am 20.06.2017 förmliche Asylanträge bei der Beklagten. In ihren persönlichen Gesprächen zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates am 20.06.2017 gaben die Kläger übereinstimmend an, ihre Asylanträge seien in Finnland abgelehnt worden.
Die persönliche Anhörung der Kläger erfolgte am 29.06.2017. Sie wiederholten im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem finnischen Asylverfahren und gaben an, der Kläger zu 1) sei im Irak für einen Geheimdienst tätig gewesen, der nun, nachdem er diese Arbeit aus moralischen Gründen nicht länger habe ausführen wollen, ihm und seinen Familienmitgliedern nach dem Leben trachte. Sie ergänzten, ihr älterer Bruder, der im Irak zurückgeblieben sei, sei am 20.05.2017 angeschossen worden und sodann im Krankenhaus verstorben. Nach dem Anschlag auf ihren Bruder, aber noch vor dessen Tod hätten sie in Finnland vergeblich einen Eilantrag gestellt.
Am 07.07.2017 stellte die Beklagte für den Kläger zu 2) und den Kläger zu 3) Wiederaufnahmegesuche an Finnland, am 21.07.2017 für den Kläger zu 1). Am 17.07.2017 erklärten sich die finnischen Behörden zur Wiederaufnahme des Klägers zu 2) und des Klägers zu 3), am 24.07.2017 zur Wiederaufnahme des Klägers zu 1), jeweils nach Maßgabe des Art. 18 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO), bereit.
Mit Bescheid vom 20.07.2017 lehnte die Beklagte den Asylantrag des Klägers zu 2) als unzulässig ab, mit Bescheid vom 21.07.2017 den des Klägers zu 3) und mit Bescheid vom 28.07.2017 den des Klägers zu 1). Sie ordnete ihre Abschiebung nach Finnland an begründete die Ablehnung im Wesentlichen damit, dass Finnland für die Bearbeitung der Asylanträge zuständig sei. Nach Ablauf der Überstellungsfrist hob die Beklagte die Bescheide wieder auf.
Das finnische Oberste Verwaltungsgericht lehnte den Antrag der Kläger auf Zulassung des Einspruchs gegen die erstinstanzlichen Urteile vom 22.05.2017 mit Entscheidung vom 01.09.2017 ohne nähere Begründung ab.
Nach Ablauf der Überstellungsfrist hob die Beklagte die Bescheide vom Juli 2017 wieder auf.
Mit zwei Bescheiden vom 07.03.2018, zugestellt am 12.03.2018, lehnte die Beklagte sodann die Asylanträge des Klägers zu 1) und des Klägers zu 2) erneut als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte das Fehlen von Abschiebungsverboten fest (Ziffer 2), drohte die Abschiebung in den Irak an (Ziffer 3) und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate (Ziffer 4). Sie begründete die Ablehnung im Wesentlichen damit, dass die finnischen Behörden mit Schreiben vom 24.07.2017 durch den Verweis auf Art. 18 Abs. 1 Buchst. d Dublin III-VO signalisiert hätten, dass das Verfahren zur Prüfung ihrer Anträge auf internationalen Schutz in Finnland erfolglos abgeschlossen worden sei. Dies hätten die Kläger auch selbst angegeben. Es handele sich folglich jeweils um einen Zweitantrag, dessen Voraussetzungen nicht vorlägen, da es an einem Wiederaufgreifensgrund in Form einer Änderung der Sach- oder Rechtlage fehle. Auch lägen keine Abschiebungsverbote vor, da die Behauptung des Klägers zu 1), er werde vom irakischen Geheimdienst verfolgt, als unglaubhaft anzusehen sei.
Mit Bescheid vom 08.05.2018, zugestellt am 11.05.2018, lehnte die Beklagte den Asylantrag des Klägers zu 3) ebenfalls erneut als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte das Fehlen von Abschiebungsverboten fest (Ziffer 2), drohte die Abschiebung in den Irak an (Ziffer 3) und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 36 Monate (Ziffer 4). Sie begründete die Ablehnung im Wesentlichen damit, dass die finnischen Behördenmitgeteilt hätten, dass das Verfahren zur Prüfung eines Antrages auf internationalen Schutz in Finnland erfolglos abgeschlossen worden sei. Es handele sich folglich um einen Zweitantrag, dessen Voraussetzungen nicht vorlägen, da es an einem Wiederaufgreifensgrund in Form einer Änderung der Sach- oder Rechtlage fehle. Eine solche Änderung der Sachlage bestehe insbesondere nicht darin, dass sein Bruder nach Abschluss des finnischen Asylverfahrens gestorben sei, denn dies sei keine gegen den Kläger zu 3) gerichtete Handlung gewesen. Auch lägen keine Abschiebungsverbote vor. Der Kläger zu 3) habe ungehindert über den Flughafen in {J.} aus dem Irak ausreisen können, folglich habe der Staat offenbar kein Interesse, ihn zu verfolgen. Die vorgelegten ärztlichen Atteste führten auch nicht zur Annahme eines Abschiebungsverbots, da der Kläger zu 3) nicht akut suizidgefährdet sei.
Der Kläger zu 1) und der Kläger zu 2) haben am 19.03.2018 Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben und Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt, der Kläger zu 3) am 18.05.2018.
Sie halten die angefochtenen Entscheide für rechtswidrig und argumentieren, seit sie Finnland verlassen hätten, habe sich die Sachlage im Irak durch den Sieg über den sog. „Islamischen Staat“ maßgeblich verändert. Dadurch sei eine neue Machtsituation entstanden. Auch sei das finnische Asylverfahren zum Zeitpunkt der Asylantragstellung in Deutschland noch nicht rechtskräftig abgeschlossen gewesen, sodass es sich nicht um Zweitanträge handele.
Mit Beschlüssen vom 04.04.2018 (2 B 169/18), 05.04.2018 (2 B 171/18) und 19.06.2018 (2 B 288/18) hat das Verwaltungsgericht die Eilanträge der Kläger auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klagen abgelehnt mit der Begründung, ein Abschiebungsverbot für den Irak sei nicht anzunehmen, da in der Herkunftsregion der Kläger in {J.} kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt bestehe bzw. die Kläger durch einen solchen jedenfalls nicht ernsthaft individuell bedroht seien. Die Tötung ihres Bruders begründe keine unmittelbare Bedrohung ihrer Person und die depressive Episode des Klägers zu 3) stelle derzeit keine lebensbedrohliche Erkrankung dar.
Mit Beschluss vom 28.12.2021 hat die Einzelrichterin die drei Klageverfahren der Kläger zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.
Die Kläger beantragen,
die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide vom 07.03.2018 und vom 08.05.2018 zu verpflichten, in ihrer Person Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich des Irak festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf die angefochtenen Entscheidungen und ergänzt, maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung eines Asylantrags als Zweitantrag wegen des erfolglosen Abschlusses eines Asylverfahrens im Drittstaat sei nicht der der Asylantragstellung in Deutschland, sondern der des Zuständigkeitsübergangs auf die Bundesrepublik, im Falle der Kläger also der Ablauf der sechsmonatigen Überstellungsfrist am Ende des 17.01.2018 bzw. des 24.01.2018. Durch das Zweitantragsverfahren würden ansonsten diejenigen Antragsteller privilegiert, die sich nicht an den idealtypischen Verfahrensablauf hielten, sondern möglichst viele Asylanträge möglichst schnell hintereinander stellten. Stattdessen habe der Gesetzgeber mit der Regelung des § 71a AsylG eine Beschleunigung des Asylverfahrens erreichen wollen. Parallel dazu sei auch im Rahmen der Regelung des Folgeantrags in § 71 AsylG ein verfrüht, noch vor Abschluss des Erstverfahrens gestellter weiterer Antrag in das Erstverfahren miteinzubeziehen, obwohl der Wortlaut eine zeitliche Abfolge vorsehe. Diese Lösung sei bei der Beteiligung mehrerer Staaten nicht darstellbar; somit gebiete die Gleichstellung des Zweitantragsverfahren mit dem nationalen Folgeantragsverfahren eine extensive Auslegung des § 71a AsylG.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten und die elektronischen Asylakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Einzelrichterin (§ 76 Abs. 1 AsylG) entscheidet im schriftlichen Verfahren (§ 101 Abs. 2 VwGO), da die Kläger mit Schreiben vom 03.01.2022 und die Beklagte mit Schreiben vom 30.12.2021 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben.
Die Klage hat im tenorierten Umfang Erfolg.
Sie ist zulässig und begründet, soweit die Aufhebung der angefochtenen Bescheide begehrt wird.
Die angefochtenen Bescheide des Bundesamtes vom 07.03.2018 und 08.05.2018 erweisen sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) als rechtswidrig und verletzen die Kläger in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 VwGO).
Die Beklagte hat die Asylanträge der Kläger auf Grundlage des § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG i. V. m. § 71a AsylG als unzulässig abgelehnt und gemäß § 71a Abs. 4 AsylG i. V. m. § 34 Abs. 1 AsylG und § 59 AufenthG ihre Abschiebung in den Irak angedroht.
Eine Ablehnung des Asylantrags als unzulässig nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG setzt voraus, dass im Falle eines Folgeantrags nach § 71 AsylG oder eines Zweitantrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. Ein Zweitantrag liegt nach der Legaldefinition in § 71a Abs. 1 Halbsatz 1 AsylG vor, wenn ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag stellt (Zweitantrag). Liegt ein Zweitantrag vor, so ist nach § 71a Abs. 1 Halbsatz 2 AsylG ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen.
Bei den Asylanträgen der Kläger vom 20.06.2017 handelt es sich nicht um Zweitanträge im Sinne des § 71a Abs. 1 Halbsatz 1 AsylG. Ein erfolgloser Abschluss des in einem anderen Mitgliedstaat betriebenen Asylverfahrens setzt voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig eingestellt worden ist. Die Asylverfahren der Kläger in Finnland waren am 20.06.2017 noch nicht unanfechtbar abgeschlossen, sondern erst mit der Nichtzulassung ihres Einspruchs durch das Oberste Verwaltungsgerichts in Helsinki am 01.09.2017.
Der Zeitpunkt der Asylantragstellung ist der maßgebliche Zeitpunkt für die Beurteilung des Asylantrags als Zweitantrag, weil der Wortlaut des § 71a Abs. 1 Halbsatz 1 AsylG insofern eindeutig ist (ebenso VG Frankfurt (Oder), Urteil vom 24.11.2021 - 10 K 95/21.A -, juris Rn. 30; VG Berlin, Beschluss vom 10.09.2021 - 33 L 204/21 A -, juris Rn. 7; VG Regensburg, Urteil vom 08.08.2018 - RN 12 K 18.31824 -, juris Rn. 21; VG Augsburg, Beschluss vom 09.07.2018 - Au 4 S 18.31170 -, juris Rn. 10; Bruns in: NK-AuslR, 2. Aufl., AsylVfG § 71a Rn. 5; offen gelassen von: BVerwG, Urteil vom 14.12.2016 - 1 C 4/16 -, juris Rn. 40). Eine später, nach Stellung des Asylantrags in der Bundesrepublik erfolgende negative Sachentscheidung des Staates des bisherigen Asylverfahrens muss außer Betracht bleiben und führt nicht im Nachhinein zur Anwendung des § 71a AsylG. Der zweite Halbsatz des § 71a Abs. 1 AsylG, in dem die Zuständigkeit Deutschlands als Voraussetzung für die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens genannt wird, wäre überflüssig, wenn stattdessen der Zuständigkeitsübergang auf Deutschland der maßgebliche Zeitpunkt und damit bereits begriffsnotwendige Voraussetzung für das Vorliegen eines Zweitantrags wäre.
Der Gegenauffassung (VG Oldenburg, Beschluss vom 01.03.2021 - 15 B 1052/21 -, juris Rn. 8; VG Bremen, Beschluss vom 15.09.2021 - 5 K 2818/20 -, juris Rn. 26; VG Hannover, Beschluss vom 07.02.2019 - 3 B 217/19 -, juris Rn. 29; VG Schleswig, Beschluss vom 27.11.2017 - 1 B 190/17 -, juris Rn. 31), die stattdessen den Zeitpunkt des Zuständigkeitsübergangs auf Deutschland für maßgeblich für den erfolglosen Abschluss des Verfahrens hält, ist zuzustimmen, dass es nicht Sinn und Zweck der Dublin III-Verordnung entspricht, dass Antragsteller durch ihre Ausreise und erneute Antragstellung zum richtigen Zeitpunkt in den Genuss von zwei vollständigen Asylverfahren kommen. Denn ein Antrag auf internationalen Schutz soll schon nach Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO grundsätzlich nur in einem einzigen Mitgliedstaat vollständig inhaltlich geprüft werden.
Die Voraussetzungen für eine richterliche Rechtsfortbildung in Form der Analogie oder teleologischen Extension liegen hier jedoch nicht vor, weil es an einer planwidrigen Regelungslücke fehlt. Denn die erneute und uneingeschränkte Prüfung des im Zweitstaat gestellten Asylantrags ist auch bei einer Ausreise des Antragstellers im laufenden Gerichtsverfahren nicht zwingende Folge der wortlautgetreuen Anwendung von § 71a Abs. 1 AsylG. Bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens bleibt der Mitgliedsstaat des Erstantrages zuständig für den jeweiligen Antragsteller; dementsprechend ordnete die Beklagte auch im Verfahren der Kläger mit Bescheiden vom Juli 2017 richtigerweise ihre Abschiebung nach Finnland an. Dies steht im Einklang mit der Regelung des Folgeantrags in § 71 AsylG, die keine Anwendung findet, wenn der Antragsteller vor unanfechtbarem Abschluss des Erstverfahrens in Deutschland erneut einen Asylantrag stellt (BVerwG, Beschluss vom 20.07.1999 - 9 B 404/99 -, juris Rn. 4). Stattdessen ist der sog. Doppelantrag dorthin weiterzuleiten, wo der erste Asylantrag anhängig ist, und als Bestandteil des laufenden Verfahrens zu behandeln (VG Bremen, Urteil vom 22.04.1999 - 2 K 22077/96.A -, juris Rn. 17). Eine wortlautgetreue Auslegung des § 71a AsylG sorgt also gerade für eine Gleichstellung des Zweitantragsverfahrens mit dem Folgeantragsverfahren.
Nach Übergang der Zuständigkeit auf die Bundesrepublik Deutschland ist eine Einbeziehung des weiteren Antrags in das im sicheren Drittstaat laufende Verfahren aber gerade nicht mehr möglich, weil der Drittstaat damit quasi aus dem Asylverfahren „ausscheidet“. Dass die Abschiebung der Kläger nach Finnland scheiterte und die Überstellungsfrist erfolglos ablief, liegt im Verantwortungsbereich der Beklagten. Die Überstellungsfristen dienen insbesondere auch dem Zweck, Rechtssicherheit für die Antragsteller zu schaffen. Sie würden obsolet, wenn das Bundesamt lediglich abwarten müsste, bis das Asylverfahren des Antragstellers im Drittstaat abgeschlossen ist, um dann – gegebenenfalls noch Jahre später – den Antrag auf neuer Grundlage als unzulässig abzulehnen und den Antragsteller nun doch noch, bei negativem Ausgang des Verfahrens, in sein Herkunftsland, oder aber, bei Zuerkennung internationalen Schutzes, in den Drittstaat abzuschieben.
Auch Antragstellern im Falle der Ausreise in einen anderen EU-Mitgliedsstaat und einer erneuten Antragstellung vor Abschluss des Erstverfahrens pauschal ein rechtsmissbräuchliches Vorgehen zu unterstellen, geht zu weit. Für den Wechsel des Aufnahmelandes kann es diverse Gründe geben, von prekären Lebensbedingungen im Drittstaat über Familienzusammenführung bis hin zur schlichten Unkenntnis über den korrekten Ablauf des Verfahrens.
Die mangels Vorliegens eines Zweitantrages zu Unrecht auf § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG gestützte Entscheidung über die Unzulässigkeit des Asylantrages kann auch nicht auf der Grundlage einer anderen Rechtsgrundlage aufrechterhalten oder in eine solche umgedeutet werden. Insbesondere eine Umdeutung in eine Entscheidung nach Art. 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG kommt nicht in Betracht, weil es sich um einen der Sache nach anderen Bescheid handeln würde, der eine auf den Drittstaat gerichtete Abschiebungsanordnung anstelle einer auf den Herkunftsstaat gerichteten Abschiebungsandrohung beinhalten müsste. Auch die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG hätte die Beklagte in dem Fall im Hinblick auf Finnland und nicht im Hinblick auf den Irak prüfen müssen. Zudem liegen bereits die Voraussetzungen für eine Unzulässigkeitsentscheidung auf der Grundlage des Unzulässigkeitstatbestandes in § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG nicht (mehr) vor. Dem steht die durch Ablauf der Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 1 UAbs. 1 Dublin III-VO begründete Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland für das Asylverfahren der Kläger entgegen.
Mit ihrem weitergehenden Verpflichtungsbegehren auf Feststellung von Abschiebungsverboten ist die Klage bereits unzulässig, da für diesen Antrag kein Rechtsschutzbedürfnis besteht. Die erfolgreiche Anfechtungsklage gegen die Unzulässigkeitsfeststellung führt in der Folge zur vollumfänglichen, inhaltlichen Prüfung der Asylanträge durch die Beklagte. Ein „Durchentscheiden“ des Gerichts ist nicht angezeigt.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylG. Soweit die Kläger hinsichtlich des Verpflichtungsbegehrens unterliegen, sieht die Einzelrichterin unter Berücksichtigung des § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO keinen Anhalt für eine Kostenlast.