Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 26.09.2001, Az.: 2 U 171/01
Krankenversicherung; Krankheitskosten; Krankengeldtageversicherung; Psychotherapie; Begrenzung; Überraschende Klausel; Allgemeine Geschäftsbedingungen; Allgemeine Vertragsbedingungen; Inhaltskontrolle
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 26.09.2001
- Aktenzeichen
- 2 U 171/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 23422
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2001:0926.2U171.01.0A
Rechtsgrundlagen
- § 3 AGBG
- § 9 AGBG
Fundstellen
- KGReport Berlin 2002, 3
- NVersZ 2002, 74-75
- OLGR Düsseldorf 2002, 3
- OLGR Frankfurt 2002, 3
- OLGR Hamm 2002, 3
- OLGR Köln 2002, 3
- OLGReport Gerichtsort 2001, 343-345
- OLGReport Gerichtsort 2002, 3
- VersR 2002, 696-697 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
Eine Regelung in den AVB eines Krankenversicherers für die Krankheitskosten- und Krankentagegeldversicherung, nach der Aufwendungen für Psychotherapie höchstens für 30 Behandlungen bzw. bei stationärem Krankenhausaufenthalt für 30 Behandlungstage je Kalenderjahr erstattet werden, ist nicht überraschend im Sinn von § 3 AGBG und hält der Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG stand.
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das am 13. Juni 2001 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 13. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren und der Wert der Beschwer betragen 29. 690, 77 DM.
Gründe
Die Berufung hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat zu Recht § 4 Teil II Abs. 1 der vereinbarten Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten und Krankentagegeldversichertung der Beklagten (im folgenden: AVB) als wirksam angesehen und eine Erstattungspflicht der Beklagten für die im Zusammenhang mit der stationären Behandlung des Klägers in der Fachabteilung Psychotherapie und Psychosomatik der Kliniken entstandenen Krankheitskosten über den (bereits regulierten) Zeitraum von 30 Behandlungstagen hinaus abgelehnt. Die Angriffe der Berufung rechtfertigen eine abändernde Entscheidung nicht.
1. § 4 Teil II Abs. 1 AVB ist entgegen der Annahme der Berufung nicht wegen Verstoßes gegen die §§ 3, 9 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 AGBG unwirksam. Die Bestimmung lautet:
Es werden die Aufwendungen für medizinisch notwendige Heilbehandlungen mit den tariflichen Sätzen erstattet. Aufwendungen für ärztliche und zahnärztliche Leistungen sowie Leistungen von Heilpraktikern werden erstattet, wenn sie gemäß den jeweils gültigen Gebührenordnungen berechnet werden. Die Durchführung der Psychotherapie durch einen für die Behandlung zugelassenen Diplompsychologen ist erstattungsfähig, wenn sie auf Veranlassung eines approbierten Arztes erfolgt. Aufwendungen für Psychotherapie werden höchstens für 30 Behandlungen bzw. bei stationärem Krankenhausaufenthalt für 30 Behandlungstage je Kalenderjahr erstattet.
a. Diese Bestimmung stellt schon deswegen keine überraschende Klausel im Sinn von § 3 AGBG dar, weil sie Teil der Gesamtregelung des § 4 der AVB ist, die ausdrücklich den "Umfang der Leistungspflicht" beschreibt und dem Versicherungsnehmer deutlich vor Augen führt, in welchen Fällen und in welchem Umfang Versicherungsschutz beansprucht werden kann.
Das gilt auch, soweit für Aufwendungen für Psychotherapie eine Höchstleistungsgrenze von 30 stationären Behandlungstagen pro Kalenderjahr festgelegt ist. Der Versicherungsnehmer muß bei dem hier gewählten Aufbau der AVB, bei dem jeweils die maßgeblichen Tarifbedingungen im Sinn von § 4 Abs. 1 MB/KK zusammen mit den Regelungen der MB/KK in einen einheitlichen Text eingearbeitet sind, nicht einmal wie bei anderer Gestaltung Allgemeiner Versicherungsbedingungen (vergl. den der Entscheidung BGH VersR 1999, 746 [BGH 17.03.1999 - IV ZR 137/98] zugrundeliegenden Sachverhalt) erst an anderer Stelle eines umfangreichen Bedingungs- und Tarifwerks nach Einzelheiten suchen, sondern braucht die Gesamtregelung des § 4 AVB nur bis zum Ende zu lesen, um zuverlässig zu wissen, wofür ihm Versicherungsschutz versprochen worden ist.
b. § 4 Teil II Abs. 1 Satz 4 AVB hält auch einer Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG stand.
Ob eine Bestimmung in AVB den Versicherungsnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben benachteiligt und eine Gefährdung des Zwecks des Versicherungsvertrages darstellt, ist grundsätzlich danach zu beurteilen, ob der Versicherungsschutz, der durch die AVB konkretisiert wird, sich insgesamt für den Versicherungsnehmer in einer Weise darstellt, daß gemessen daran eine bestimmte Risikobegrenzung, Obliegenheit oder Ausnahmeregel als unbillig, willkürlich oder überraschend erscheint (vgl. Senat VersR 1998, 174 m. w. N. ). Davon kann hier keine Rede sein.
Der Vertragszweck der Krankheitskostenversicherung besteht darin, eine Abdeckung des Kostenrisikos für den Versicherungsnehmer zu erreichen, das ihm durch die notwendige Behandlung von Krankheiten entsteht. Das schließt regelmäßig jede Art der Behandlung ein, wenn sie sich als zur Heilung oder Linderung einer Krankheit erforderlich erweist (vgl. BGH a. a. O). Die von der Beklagten angebotene Krankheitskostenversicherung trägt diesem Zweck auch Rechnung, denn sie verspricht für den Versicherungsfall, die medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen Krankheit oder Unfall (§ 1 Teil I Abs. 2 AVB), den Ersatz von Aufwendungen für Heilbehandlungen und sonst vereinbarte Leistungen (§ 1 Teil I Abs. 1 Buchst. a AVB). Dieses Leistungsversprechen differenziert nicht nach der Art der Behandlung, so daß vom Zweck des Vertrages die Erstattung der Kosten jeder - also auch der psychotherapeutischen - Behandlung erfaßt wird, wenn sie sich als zur Behandlung einer Erkrankung notwendig erweist. Die Beklagte hat damit den Ersatz von Aufwendungen für psychotherapeutische Behandlungen grundsätzlich von ihrem Leistungsversprechen nicht ausgenommen.
Nach § 9 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 AGBG war sie nicht an jeglicher auf solche psychotherapeutischen Behandlungen bezogenen Einschränkung der Leistungspflicht gehindert (vgl. BGH a. a. O). Und durch die hier bestimmte Beschränkung der Erstattungsfähigkeit von Aufwendungen für Psychotherapie bei stationärem Krankenhausaufenthalt auf 30 Behandlungtage im Kalenderjahr sind anders als bei einer Regelung, die Leistungen auf 30 Behandlungstage während der Vertragsdauer beschränkt (vergl. BGH a. a. O. ), wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, (noch) nicht so eingeschränkt, daß die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist. Der Versicherungsnehmer trägt hier lediglich das Risiko, bei Überschreitung der zeitlichen Höchstleistungsgrenze von 30 Behandlungstagen die danach entstehenden Kosten der Behandlung selbst tragen zu müssen. Der durch § 1 Teil I Abs. 1 AVB begründete Zusammenhang zwischen dem Eintritt des Versicherungsfalls und dem daran geknüpften Leistungsversprechen (Kostenerstattung) wird dadurch nicht generell in Frage gestellt.
Auch sonst kann die Regelung weder als unbillig noch als nicht sachgerecht beurteilt werden. Sie enthält keine unangemessene und deshalb unzumutbare Benachteiligung des Versicherungsnehmers. Kein Versicherungsnehmer kann von seinem Versicherer erwarten, daß - u. U. zeitlich langwierige - psychotherapeutische Behandlungen unbegrenzt finanziert werden, da anderenfalls eine erhebliche Erhöhung der Prämien für alle Versicherten erforderlich würde. Es ist deshalb einem Versicherer wie der von ihm betreuten Versichertengemeinschaft ein schutzwürdiges Interesse zuzubilligen, Leistungen für kostenintensive, stationäre psychotherapeutische Behandlungsmaßnahmen einzuschränken (vgl. im übrigen: Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl. , § 4 MB/KK 94 Rn 3; LG Bremen VersR 1989, 1076, 1077 [LG Bremen 03.08.1989 - 2 O 1041/89]; OLG Celle VersR 1985, 682; a. A. LG Berlin NJWRR 1989, 535).
2. Das Landgericht hat mit insgesamt zutreffenden Erwägungen auch die weiteren Voraussetzungen eines Anspruchs des Klägers aus dem Versicherungsvertrag i. V. m. den AVB verneint.
Es handelt sich entgegen der Auffassung des Klägers bei der ihm zuteil gewordenen Behandlung nicht um eine klassisch psychiatrische, sondern um eine psychotherapeutische Behandlung. Das Landgericht hat zutreffend darauf hingewiesen (§ 543 Abs. 1 ZPO), daß sich gerade aus den vorgelegten Rechnungen und dabei insbesondere aus der Rechnung des Prof. Dr. S erschließt, daß der Kläger eine psychotherapeutische Behandlung erfahren hat. Das betrifft jedenfalls die Ziffern 860 und 861 GOÄ (Ziffer 860: Erhebung einer biographischen Anamnese unter neurosepsychologischen Gesichtspunkten; Ziffer 861: tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie; Einzelbehandlung).
3. Die den Kliniken auf deren unter Bezugnahme auf eine "Notfallaufnahme" gestellten Kostenübernahmeantrag vom 31. 08. 1999 erteilte Erstattungszusage vom 13. 09. 1999 "für die Dauer der medizinisch notwendigen stationären Heilbehandlung bis zum 00. 00. 00" verpflichtet die Beklagte nicht, über die Höchstleistungsgrenze der einschlägigen AVB hinaus für die Kosten der Behandlung aufzukommen. Denn der Eintrag "00. 00. 00" ließ aus - verständiger - Empfängersicht unter den gegebenen objektiven Umständen (Notfallaufnahme, keine Angaben zur voraussichtlichen Verweildauer im Kostenübernahmeantrag an der formularmäßig dafür vorgesehenen Stelle) allenfalls darauf schließen, daß über die Dauer der Kostenerstattung noch nicht entschieden werden sollte. Die Erstattungszusage besagte lediglich, daß die Beklagte grundsätzlich für die Kosten einer stationären Behandlung aufkommen werde.
4. Aus den vorstehenden Ausführungen erschließt sich, daß die Beklagte entgegen der Auffassung der Berufung auch keinen Vertrauenstatbestand gesetzt hat, der sie unter dem Gesichtspunkt einer Schadensersatzverpflichtung wegen positiver Vertragsverletzung zur Kostenerstattung verpflichten könnte. Vielmehr durfte der Kläger, wenn er die - gar nicht an ihn gerichtete - Erstattungszusage überhaupt zu Gesicht bekommen haben und sie in seinem Namen eingeholt worden sein sollte, im Hinblick auf die vereinbarten AVB gerade nicht auf eine unbegrenzte Erstattungspflicht der Beklagten vertrauen. Wegen der klaren und für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer ohne weiteres verständlichen Regelung in § 1 AVB in Verbindung mit § 4 AVB bedurfte es - auch unter Beachtung der Selbstverantwortlichkeit eines Versicherungsnehmers - insoweit keines gesonderten Hinweises durch die Beklagte.
5. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97, 708 Nr. 10, 713 sowie 546 Abs. 1 und 2 ZPO.