Arbeitsgericht Celle
v. 30.07.1998, Az.: 1 Ca 356/98
Begriff der "betrieblichen Übung"; Vorbehalt des Arbeitgebers zur Verhinderung einer in Zukunft wirkenden Bindung seines Verhaltens; Dreimalige Zahlung von Weihnachtsgeld als betriebliche Übung; Rechtfertigung der Kürzung der Weihnachtsgratifikation unter Einbeziehung der wirtschaftlichen Situation des Beklagten
Bibliographie
- Gericht
- ArbG Celle
- Datum
- 30.07.1998
- Aktenzeichen
- 1 Ca 356/98
- Entscheidungsform
- Teilurteil
- Referenz
- WKRS 1998, 30016
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:ARBGCE:1998:0730.1CA356.98.0A
Rechtsgrundlagen
- § 133 BGB
- § 151 BGB
- § 157 BGB
- § 242 BGB
- § 315 BGB
Fundstellen
- BB 1999, 535 (amtl. Leitsatz)
- NZA-RR 1998, 490-492 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Forderung
Die 1. Kammer des Arbeitsgerichts Celle hat
auf die mündliche Verhandlung vom 28.05.98
durch
den Direktor des Arbeitsgerichts ... als Vorsitzenden und
die ehrenamtlichen Richter ... als Beisitzer
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.155,68 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den Nettobetrag seit dem 16.02.1998 zu zahlen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.
Der Streitwert wird auf 2.155,68 DM festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Zahlung einer Weihnachtsgratifikation für 1997.
Der Kläger ist seit dem 07.09.1993 bei der Beklagten im Rahmen einer 39-Stundenwoche zu einem Bruttostundenlohn von 20,35 DM beschäftigt. Er arbeitete im Jahr 1997 1.501,50 Stunden.
Weder der mit Wirkung vom 01.02.1997 geltende Haus-Rahmentarifvertrag noch der zwischen den Parteien bestehende Arbeitsvertrag regelt den Bezug einer Weihnachtsgratifikation bzw. Sonderzahlung.
In den Jahren 1994 bis 1996 zahlte die Beklagte an den Kläger vorbehaltlos Weihnachtsgratifikationen in folgender Höhe:
1994: | 3.222,70 DM |
---|---|
1995: | 3.114,67 DM |
1996: | 3.376,88 DM. |
Den Zahlungen lagen die folgenden unterschiedlichen Berechnungsmethoden zugrunde, den die Beklagte gegenüber dem Kläger bei der Zahlung nicht bekanntgab:
Die Sonderzahlung in Höhe von 3.222,70 DM brutto für 1994 errechnet sich nach folgender Formel: Geleistete Stunden zuzüglich Entgeltfortzahlungskosten der letzten 12 Monate (Stichtag 01. Dezember des Vorjahres) multipliziert mit dem Stundenlohn und geteilt durch den Faktor 10,5. Als Mindestbetrag setzte die Beklagte das 102-fache des Stundenlohnes fest. Arbeitnehmer mit einer Betriebszugehörigkeit von weniger als 12 Monaten erhielten eine Zahlung von 125 DM/Monat.
Der Weihnachtsgratifikation in Höhe von 3.114,67 DM für 1995 liegt folgende Berechnungsmethode zugrunde: 169 Stunden multipliziert mit dem Stundenlohn des Klägers. Arbeitnehmer mit einer Betriebszugehörigkeit von weniger als einem Jahr erhielten einen anteiligen Betrag.
1996 zahlte die Beklagte an den Kläger eine Weihnachtsgratifikation in Höhe von 3.376,88 DM nach folgender Formel: Von den tatsächlich geleisteten Jahresgesamtstunden (Stichtag 01.12.) zog die Beklagte die Stunden der von ihr geleisteten Entgeltfortzahlung ab und addierte die Stunden ohne Entgeltfortzahlung hinzu (Zeiten, in denen Krankengeld bezahlt wurde). Die Beklagte hat die sich errechnende Stundenzahl mit dem Stundenlohn multipliziert und die sich ergebende Summe durch 11,5 geteilt.
Für 1997 zahlte die Beklagte an jeden Arbeitnehmer unter Hinweis auf ihre wirtschaftlichen Situation nur eine Weihnachtsgratifikation in Höhe von 500,00 DM. Die Beklagte schloß das Geschäftsjahr 1997 mit einem Verlust von ca. 160.000,00 DM ab. Ausschlaggebend für dieses negative Ergebnis ist die Kürzung der Stundensätze um 5 % durch den alleinigen Vertragspartner der Beklagten, die ...
Der Kläger vertritt die Auffassung, die Beklagte habe sich durch ihr gleichförmiges Verhalten, nämlich durch die vorbehaltlose Zahlung einer Weihnachtsgratifikation über einen Zeitraum von mehr als drei Jahren, konkludent zur Zahlung entsprechender Beträge für die Zukunft bereit erklärt. Er - der Kläger - habe daher einen Anspruch aufgrund betrieblicher Übung erworden. Daß die Beträge jährlich geringfügig differierten, stehe einem gleichförmigen Verhalten, auf dessen Fortsetzung er - der Kläger - vertraut habe, nicht entgegen. Es sei treuwidrig, wenn sich ein Arbeitgeber wegen jährlich geringfügiger Differenzen darauf berufe, daß keine betriebliche Übung entstanden sei.
Der Kläger ist bei der Berechnung des Klageanspruchs von folgender Formel ausgegangen: 1.501,5 Jahresgesamtstunden durch 11,5 = 130,5 × Stundenlohn 20,35 DM = 2.655,68 DM.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.655,68 DM brutto abzüglich bereits gezahlter 500,00 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den Nettobetrag seit dem 16.02.1998 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte meint, der Kläger habe keinen Anspruch auf Zahlung einer Weihnachtsgratifikation aufgrund betrieblicher Übung. Sie habe die Zahlungen in den vergangenen Jahren freiwillig geleistet. Dies habe dem Kläger dadurch klar sein müssen, daß die Beträge nach unterschiedlichen Berechnungsmethoden und in unterschiedlicher Höhe geleistet worden seien. Da sie - die Beklagte - die Sonder Zahlung zu Weihnachten somit nach "Gutdünken" neu festgesetzt und folglich nicht gleichförmig gezahlt habe, habe der Kläger nicht auf unveränderte Zahlungen in den Folgejahren vertrauen dürfen. Dies werde besonders bei denjenigen Arbeitnehmern deutlich, die längere Fehlzeiten aufwiesen. Hier differierten die Endbeträge beträchtlich.
Gegenstand des Rechtsstreits ist ferner ein Anspruch des Klägers auf Auskunft von "Gutstunden", die auf einem "Halde-Konto" geführt werden, Abrechnung dieser Stunden sowie Zahlung. Hinsichtlich dieses Streitgegenstandes ruht das Verfahren auf beiderseitigen Antrag der Parteien.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die in der Akte befindlichen Schriftsatze der Parteien nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet, soweit sie von den Parteien zur Entscheidung gestellt worden ist. Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung einer Weihnachtsgratifikation für 1997 in Höhe von 2.155,68 DM brutto aufgrund betrieblicher Übung.
1.
Unter einer betrieblichen Übung wird die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers verstanden, aus denen die Arbeitnehmer schließen können, ihnen solle eine Leistung oder eine Vergünstigung auf Dauer gewährt werden. Aufgrund einer Willenserklärung, die vom Arbeitnehmer stillschweigend angenommen wird (§ 151 BGB), erwachsen vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Vergünstigungen. Bei der Anspruchsentstehung ist nicht der Verpflichtungswille des Arbeitgebers entscheidend, sondern wie der Erklärungsempfänger die Erklärung oder das Verhalten nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Begleitumstände (§§ 133, 157 BGB) verstehen mußte. Will der Arbeitgeber verhindern, daß aus der Stetigkeit seines Verhaltens eine in Zukunft wirkende Bindung entsteht, muß er unmißverständlich einen Vorbehalt erklären. Dabei steht die Form des Vorbehalts dem Arbeitgeber frei. Diese Grundsätze entsprechen der ständigen Rechtsprechung des BAG (vgl. Urteile vom 12.01.1994 NZA 1994, 694, BAG 06.09.1994 NZA 1995, 418; 28.02.1996 NZA 1996, 758; 26.03.1997 NJW 1998, 475 [BAG 26.03.1997 - 10 AZR 612/96]), der das erkennende Gericht folgt. Auch die dreimalige Zahlung von Weihnachtsgeld kann zu einem Anspruch aus betrieblicher Übung führen (vgl. BAG AP Nr. 26 zu § 611 BGB Gratifikation). Dies gilt jedoch dann nicht, wenn aus dem Verhalten des Arbeitgebers nur eine Zahlung für das jeweilige Jahr abzuleiten ist. Nach der von der Beklagten herangezogenen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts besteht keine betriebliche Übung auf zukünftige Gewährung von Weihnachtsgeld, wenn - für den Arbeitnehmer erkennbar - die Zuwendung nach "Gutdünken" des Arbeitgebers dreimalig in unterschiedlicher Höhe gezahlt wird. Der Arbeitnehmer muß in einem solchen Fall davon ausgehen, daß der Arbeitgeber die Zuwendung nur für das jeweilige Jahr gewähren will (BAG 28.02.1996, NZA 1996, 758; Dörner, Luczak, Wildschütz, Arbeitsrecht in der anwaltlichen und gerichtlichen Praxis, C Rn 678). Der Entscheidung des BAG lag der Fall zugrunde, daß der Arbeitgeber in drei aufeinander folgenden Jahren Weihnachtsgeld in Höhe von 1.000,00 DM, 1.100,00 DM und 1.400,00 DM zahlte, ohne daß hierfür ein System erkennbar war.
2.
Gemessen an diesen Rechtsgrundsätzen hat der Kläger einen Anspruch aus betrieblicher Übung. Die Beklagte hat dem Kläger über einen Zeitraum von drei Jahren ein Weihnachtsgeld in nahezu gleicher Höhe gezahlt und diese Zahlungen nicht unter den Vorbehalt der Freiwilligkeit gestellt.
a)
Die Beklagte hat die Weihnachtsgratifikationen für 1994 bis 1996 zwar nicht exakt in gleicher Höhe gezahlt, nämlich 3.222,70 DM für 1994, 3.114,67 DM für 1995 und 3.376,88 DM für 1996. Dennoch ist aus Sicht des Klägers von einem gleichförmigen Verhalten der Beklagten auszugehen. Sie hat für den Kläger erkennbar zum Ausdruck gebracht, daß sie die Sonderzahlung nicht nach "Gutdünken" zahlt, also nach freiem Belieben darüber entscheidet, ob und in welcher Höhe sie eine Sonderzahlung leistet, sondern diese jeweils nach bestimmten abstrakten Grundsätzen berechnet. Dies ergibt sich schon aufgrund der "ungeraden Beträge". Ungerade Beträge sind im Zweifel das Ergebnis einer Rechenoperation und nicht Folge willkürlicher Bemessung. Bei allen Berechnungsmethoden wollte die Beklagte dem Kläger wie allen anderen Arbeitnehmern des Betriebs, die mindestens ein volles Jahr bei ihr beschäftigt sind - eine Weihnachtsgratifikation in der Größenordnung eines Bruttomonatsverdienstes zahlen, sich dabei aber die Festlegung der einzelnen Modalitäten im Hinblick auf die Berücksichtigung von Fehlzeiten im Rahmen des § 315 BGB offen halten. Nur unter diesem Gesichtspunkt, unter dem die Beklagte in der Berechnung die Bemessungsgrundlage (Jahres- bzw. Monatsstunden) und den Divisor geringfügig modifiziert hat, differieren die Zahlungen für 1994 bis 1996. Bei durchschnittlicher tariflicher Arbeitsleistung errechnet sich pro Jahr ohne Fehlzeiten nach jeder Formel ungefähr ein Bruttomonatsverdienst. Auch wenn die Beklagte dem Kläger die Zahlungsmodalitäten nicht mitgeteilt hat, muß er sich die Kenntnis der Berechnungsformeln in den Jahren 1994 bis 1996 entgegenhalten lassen. Die Beklagte hat die jeweilige Sonderzahlung gegenüber dem Kläger abgerechnet und ihm dadurch die Möglichkeit eingeräumt, sich die Berechnungsgrundlage erläutern zu lassen. Folglich konnte der Kläger zwar nicht darauf vertrauen, daß er jährlich unabhängig von seiner tatsächlichen Arbeitsleistung ein Bruttomonatsgehalt als Sonderzahlung zu Weihnachten erhält, wie dies 1995 der Fall war. Er mußte damit rechnen, daß die Beklagte im Rahmen ihres konkludenten Vorbehalts nach § 315 BGB die tatsächlich erbrachten Jahresgesamtstunden als Bemessungsgrundlage nimmt, um Zeiten der Arbeitsunfähigkeit berücksichtigen zu können. Auch mußte er mit Abweichungen rechnen, die sich durch geringfügige Änderungen des Divisors in der Formel ergeben, nicht aber damit, daß die Beklagte jährlich über diesen konkludenten Vorbehalt hinaus die Bedingungen modifiziert. Er mußte folglich aufgrund des Verhaltens der Beklagten in den Jahren 1994 bis 1996 nicht davon ausgehen, daß die Beklagte überhaupt keine Weihnachtsgratifikation zahlt oder unter ganz anderen Gesichtspunkten, etwa der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens, auf einen Betrag reduziert, der bei voller Arbeitsleistung ohne Fehlzeiten deutlich unter einem Bruttomonatseinkommen liegt. Ein so weitreichendes Bestimmungsrecht hätte sich die Beklagte ausdrücklich vorbehalten müssen, was ihr rechtlich und tatsächlich ohne weiteres möglich gewesen wäre. Der Kläger mußte also nicht in Betracht ziehen, daß die Beklagte die Weihnachtsgratifikation pauschal auf 500,00 DM absenkt.
In der Rechtsfolge kann der Kläger eine Weihnachtsgratifikation nach der für 1996 angewandten Formel berechnen. Denn die Beklagte hat bei der Festsetzung der Weihnachtsgratifikation für 1997 das von ihr selbst vorbehaltene Bestimmungsrecht nicht in den Grenzen des § 315 BGB ausgeübt. Der Kläger kann damit den eingeklagten Betrag in Höhe von 2.655,68 DM verlangen, von dem bereits gezahlte 500,00 DM brutto abzusetzen sind. Bei der Berechnung dieses Betrages hat er die tatsächlich geleisteten Jahresstunden zugrunde gelegt, mit seinem Stundensatz multipliziert und die Summe durch 11,5 dividiert. Zugunsten der Beklagten hat er dabei Zeiten etwaiger Krankengeldzahlungen, die den gesamten Betrag möglicherweise erhöht hatten, nicht berücksichtigt.
b)
Schließlich ist die Kürzung der Weihnachtsgratifikation nicht unter Einbeziehung der wirtschaftlichen Situation der Beklagten nach § 242 BGB gerechtfertigt. Das BAG hat mit Urteil vom 26.10.1961 (AP Nr. 7 zu § 322 ZPO) entschieden, daß ein durch wiederholte, vorbehaltlose Gratifikationszahlung begründeter Rechtsanspruch nach § 242 BGB auf ein "erträgliches Maß" zurückzuführen ist oder - wenn auch nur vorübergehend - wegfallen kann, wenn "derartige Gratifikationsansprüche die Grenzen der zumutbaren Belastung des Arbeitgebers" übersteigen.
Dieser rechtliche Gesichtspunkt läßt den Anspruch des Klägers nicht entfallen. Zum einen hält das erkennde Gericht den Rechtssatz des Bundesarbeitsgerichts für nicht mehr anwendbar. Ansprüche aus betrieblicher Übung sind vertragliche Ansprüche, von denen sich der Arbeitgeber einseitig nur durch eine (Massen-) Änderungskündigung lösen kann, die nach den Grundsätzen der betriebsbedingten Kündigung (§ 1 KSchG) zu begründen ist. Zum anderen sind die Voraussetzungen eines "Wegfalls der Geschäftsgrundlage" nach § 242 BGB nicht dadruch dargelegt, daß die Beklagte das Geschäftsjahr 1997 ohne Gratifikations Zahlung mit einem Verlust von 160.000,00 DM abgeschlossen hat. Die bloße Schilderung eines negativen Betriebsergebnisses ohne Darlegung der Kosten- und Einnahmestruktur im einzelnen kann nicht dazu führen, eine unzumutbare, den Bestand des Unternehmens bedrohende wirtschaftliche Situation anzunehmen, in deren Konsequenz nach der Rechtsprechung des BAG ausnahmsweise eine Reduzierung der Sonderzahlung möglich wäre.
c)
Der Anspruch auf Prozeßzinsen ist nach §§ 288, 291 BGB begründet.
3.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten. [...].
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird auf 2.155,68 DM festgesetzt.
Die Entscheidung über den Streitwert ergibt sich aus § 61 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit § 3 ZPO.