Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 31.03.2004, Az.: L 3 KA 93/03

2000; Absenkung; Ersatzkasse; Ersatzkassenbereich; Festlegung; Gesamtvergütung; Kieferorthopädie; kieferorthopädische Leistung; Landesschiedsamt; Punktwert; Schiedsspruch; Vertragszahnarzt; vertragszahnärztliche Versorgung; Zahnersatz; Zahnersatzleistung

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
31.03.2004
Aktenzeichen
L 3 KA 93/03
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2004, 51060
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

nachfolgend
BSG - 27.04.2005 - AZ: B 6 KA 42/04R

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Mit der durch das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 (GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000) neu gefaßten Regelung des § 71 Abs. 2 SGB V hat der Gesetzgeber keine Regelungsspielräume für eine Korrektur der mit Art. 15 GKV-SolG vorgesehenen Absenkung der Vergütungsvolumina für Zahnersatz und Kieferorthopädie eröffnen wollen.

Tenor:

Der Streitwertbeschluss des Sozialgerichts Hannover vom 10. Juli 2003 wird aufgehoben.

Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

1

Die Klägerin wendet sich gegen einen Schiedsspruch des beklagten Landesschiedsamtes, soweit in diesem unter Punkt II und III die von den Ersatzkassen für das Jahr 2000 zu erbringenden Leistungen für die Leistungsbereiche Zahnersatz und Kieferorthopädie festgesetzt worden sind. Streitig ist insbesondere die Frage, inwieweit die in Art. 15 S. 2 und 8 des Gesetzes zur Stärkung der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz – GKV-SolG vom 19. Dezember 1998, BGBl. I 3853) vorgesehene Absenkung der Gesamtvergütungszahlungen und Punktwerte für die Bereiche Zahnersatz und Kieferorthopädie sich auch auf die entsprechenden Festlegungen für das Jahr 2000 auswirkt.

2

Für das Jahr 1999 traf das Landesschiedsamt mit Beschluss vom 07. Mai 1999 (LSZ 1/99 Ersatzkassen) hinsichtlich der Festsetzung der Gesamtvergütung folgende Regelungen:

3

"Die Gesamtvergütung in den BEMA-Teilen A, B und E wird für die Zeit vom 01.01.1999 bis zum 31.12.1999 als Festbetrag festgesetzt, der wie folgt, getrennt für VdAK, AEV und GEK, zu ermitteln ist:

4

Basis ist die abgerechnete entsprechende Gesamtvergütung 1995 abzüglich der Individualprophylaxe-Leistungen (IB alt).

5

Die vorgenannte Basis ist um die Grundlohnsummensteigerungen

6

1996 = 1,1 %

7

1997 = 0,79 %

8

1998 = 1,66 %

9

1999 = 2,0 %

10

zu erhöhen.

11

Der so errechnete Betrag ist entsprechend der Mitgliederentwicklung in 1998 und 1999 um 2,6 % zu mindern ...

12

Die Gesamtvergütung wird begrenzt auf die Gesamtvergütung 1997 entsprechend den Bestimmungen des Art. 15 GKV-SolG."

13

Hinsichtlich der für Leistungen nach dem BEMA-Teils C zu erbringenden Gesamtvergütungen sah der Beschluss vor, dass diese auf die abgerechneten Gesamtvergütungen 1997 ohne Kostenerstattung laut § 13 Abs. 2 SGB V entsprechend den Bestimmungen des Art. 15 GKV-SolG begrenzt werden sollten. Entsprechendes galt für Leistungen des BEMA-Teil D mit der Maßgabe, dass die Abrechnungsergebnisse des ersten Halbjahres 1997 zu verdoppeln und entsprechend den Bestimmungen des Art. 15 GKV-SolG zu begrenzen seien.

14

Nachdem auch für das Jahr 2000 direkte Verhandlungen zwischen der Klägerin und den beigeladenen Ersatzkassenverbänden zu keiner Einigung geführt hatten, beantragte die Klägerin am 06. März 2000 die Einleitung eines Schiedsverfahrens zur Festsetzung eines Vergütungsvertrages für die Gebührentarife A, B, C, D und E des Ersatzkassenvertrages.

15

Mit Beschluss vom 12. April 2000 traf das beklagte Landesschiedsamt folgende Entscheidung:

"I.

16

Zu den Gebührentarifen A, B und E gilt der Schiedsspruch vom 07. Mai 1999 für die Zeit vom 01.01. bis 31.12.1999 mit der Maßgabe bis zum 31.12.2000 weiter, dass der Basisbetrag für 1999 nach Abschnitt I des genannten Schiedsvertrages um 1,43 % erhöht und entsprechend der Mitgliederentwicklung 2000 gemindert wird.

17

Die Begrenzung der Gesamtvergütung auf die Gesamtvergütung 1997 entsprechend den Bestimmungen des Art. 15 GKV-SolG entfällt.

II.

18

Die Punktwerte für die Leistungen nach dem BEMA – Teil C werden für die Zeit vom 01.01. bis 31.12.2000 wie folgt festgesetzt:

19
VdAK DM 1,3611
AEV  DM 1,2650
GEK  DM 1,3192
20

Die Gesamtvergütung wird begrenzt auf die abgerechnete Gesamtvergütung 1997 ohne Kostenerstattung laut § 13 Abs. 2 SGB V entsprechend den Bestimmungen des Art. 15 GKV-SolG.

III.

21

Die Punktwerte für die Leistungen nach dem BEMA – Teil D werden für die Zeit vom 01.01. bis 31.12.2000 wie folgt festgesetzt:

22
VdAK DM 1,3651
AEV  DM 1,2703
GEK  DM 1,3239
23

Die Gesamtvergütung für KfO wird begrenzt auf die abgerechnete Gesamtvergütung 1999 entsprechend den Bestimmungen des Art. 15 GKV-SolG.

..."

24

In den Gründen erläuterte das Landesschiedsamt die Festsetzungen in den hier streitigen Bereichen Zahnersatz und Kieferorthopädie wie folgt:

25

Die mit Schiedsspruch vom 07. Mai 1999 für die Teile C und D des Gebührentarifs festgesetzten Punktwerte seien für das Jahr 2000 unverändert übernommen worden. Es handele sich dabei um die gemäß Art. 15 Abs. 1 GKV-SolG um 5 % reduzierten Punktwerte. Diese gesetzliche Regelung bringe nicht zum Ausdruck, dass die dort vorgesehene Reduzierung allein für das Jahr 1999 maßgeblich sein sollte. Eine Erhöhung des Punktwertes sei im Hinblick auf die Vorrangigkeit des Grundsatzes der Beitragsstabilität nicht geboten gewesen, zumal 2000 unter Berücksichtigung des 1999 im Bereich der Prothetik zu verzeichnenden Rückganges mit einem gewissen Nachholbedarf zu rechnen sei. Dem stehe nicht entgegen, dass das Schiedsamt im Bereich der Primärkassen für das Jahr 2000 auch bezogen auf die Teile C und D des Gebührentarifs eine Punktwertanhebung beschlossen habe. Aufgrund der historischen Entwicklung würden im Bereich der Ersatzkassen noch höhere Punktwerte als im Bereich der Primärkassen zugrundegelegt. Mittelfristig seien diese Werte jedoch aneinander anzugleichen.

26

Gegen diesen ihr am 04. Juli 2000 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 07. Juli 2000 Klage erhoben. Sie wendet sich dagegen, dass das Landesschiedsamt in der angefochtenen Entscheidung die in Art. 15 Abs. 1 S. 2 und 8 GKV-SolG mit Wirkung zum 01. Januar 1999 vorgesehene Herabsetzung des Gesamtvergütungsvolumens und der Punktwerte in den Bereichen Zahnersatz und Kieferorthopädie um jeweils 5 % auch für das Jahr 2000 fortgeschrieben hat.

27

Die Klägerin hat geltend gemacht, dass die von dem beklagten Landesschiedsamt vorgenommene Bemessung der Vergütungsobergrenzen und der Vertragspunktwerte in den Leistungsbereichen Zahnersatz und Kieferorthopädie rechtswidrig sei. Schon aus dem Regelungsinhalt und dem klaren Wortlaut der Überschrift zu Art. 15 GKV-SolG werde deutlich, dass die dort getroffenen Regelungen, namentlich die Absenkungen der Punktwerte und Gesamtvergütungszahlungen für die Leistungsbereiche Zahnersatz und Kieferorthopädie, allein für das Jahr 1999 relevant werden sollten. Diese Kürzungen hätten mithin bei der Bestimmung der im Jahr 2000 zu erbringenden Vergütungen außer Betracht zu bleiben. Diese Interpretation werde auch dadurch gestützt, dass das Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 (GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 vom 22. Dezember 1999, BGBl. I 2626) keine Bestimmung über die Fortgeltung der Regelungen in Art. 15 Abs. 1 GKV-SolG für das Jahr 2000 treffe, wohingegen es in Art. 21 § 1 ausdrücklich anordne, dass die im Jahre 1999 nach Art. 14 Abs. 1a GKV-SolG vorzunehmenden Erhöhungen der Gesamtvergütungen im Beitragsgebiet bzw. vorzunehmenden Absenkungen außerhalb des Beitrittsgebiets auch den Bemessungen der Gesamtvergütungshöhe für das Jahr 2000 zu Grunde zu legen seien. Dies lasse den Gegenschluss zu, dass im zahnärztlichen Bereich Art. 15 GKV-SolG für die Gesamtvergütung 2000 nicht zu berücksichtigen sei.

28

Mit Urteil vom 17. März 2003, der Klägerin zugestellt am 02. April 2003, hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt: Die gerichtliche Kontrolle der angefochtenen Schiedsamtsentscheidung sei auf die Prüfung beschränkt, ob das Schiedsamt die Grenzen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums eingehalten und sein Gestaltungsermessen sachgerecht ausgeübt habe. Nach diesem Maßstab sei die angefochtene Regelung nicht zu beanstanden. Insbesondere habe der Beklagte zutreffend die gemäß Art. 15 GKV-SolG abgesenkte Gesamtvergütung als Ausgangspunkt für die Festlegung der für das Jahr 2000 maßgeblichen Gesamtvergütung herangezogen. Unter Berücksichtigung des mit Art. 15 GKV-SolG verfolgten Ziels der Vorbereitung einer dauerhaften Strukturreform und des Regelungsgehalts des § 71 SGB V (i.d.F. des GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000) finde die gegenteilige Rechtsauffassung der Klägerin keine Stütze in den gesetzlichen Regelungen. Auch im Übrigen verließen die angefochtenen Regelungen nicht die Grenzen des dem Beklagten zukommenden Gestaltungsspielraums. Auch durch eine einvernehmliche Regelung der Gesamtvertragsparteien hätten Regelungen des von dem Beklagten festgesetzten Inhalts vereinbart werden können. Namentlich sei der Beklagte ebenso wenig wie die Vertragspartner der Gesamtverträge verpflichtet gewesen, die nach den gesetzlichen Vorgaben höchstmöglichen Werte für die Gesamtvergütungszahlungen und Punktwerte festzusetzen.

29

Mit der am 03. April 2003 eingelegten Berufung macht die Klägerin weiterhin geltend, dass der Beklagte durch Heranziehung der in Art. 15 GKV-SolG vorgesehenen Reduzierung der Gesamtvergütungszahlungen auch für das streitige Jahr 2000 verkannt habe, dass sich der Anwendungsbereich des Art. 15 GKV-SolG auf das Jahr 1999 beschränkt habe. Damit habe der Beklagte unter Missachtung des eindeutigen Wortlauts des Art. 15 GKV-SolG sowohl die maßgeblichen Tatsachen falsch ermittelt als auch sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Dieses werde im Ergebnis auch im Umkehrschluss durch Art. 21 § 1 GKV-Gesundheitsreformgesetz bestätigt.

30

Dem in § 71 SGB V normierten Grundsatz der Beitragsstabilität werde auch dann hinreichend Rechnung getragen, wenn im Jahr 2000 die in Art. 15 GKV-SolG allein für das Jahr 1999 vorgesehene Punktwert- und Gesamtvergütungsreduzierung rückgängig gemacht und im Übrigen die Gesamtvergütungen nur im Rahmen der Steigerung der Grundlohnsumme (in Höhe von 1,43 %) erhöht würden. Soweit § 71 Abs. 2 SGB V Grenzen für eine Erhöhung der Gesamtvergütungszahlungen normiere, habe der Gesetzgeber nicht selbst die maßgebliche Basisgröße festgelegt. Diese sei vielmehr eine empirisch fassbare Größe. Heranzuziehen sei die Gesamtvergütung des Vorjahres. Nur mit einer solchen Interpretation könne den verfassungsrechtlichen Vorgaben in Art. 97 Abs. 1 GG Rechnung getragen werden, denen zufolge Maßstab einer gerichtlichen Entscheidung allein das rechtliche Sollen sein dürfe, wie es als Bedeutung des blanken Gesetzestextes zum Ausdruck komme.

31

Die Klägerin beruft sich ferner auf ein Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 30. Januar 2002 (S 27 KA 4456/00), das den Gegenstand des beim Landessozialgericht Darmstadt anhängigen Berufungsverfahrens L 7 KA 425/02 bildet.

32

Die Klägerin beantragt,

33
1.   das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 17. März 2003 und die im Beschluss des Beklagten vom 12. April 2000 unter II. und III. getroffenen Regelungen über die Festsetzung der Punktwerte und Gesamtvergütungsobergrenzen für die Leistungsbereiche Zahnersatz und Kieferorthopädie aufzuheben und
34
2.   den Beklagten zu verpflichten, über die Festsetzung der Punktwerte und Gesamtvergütungsobergrenzen für die Leistungsbereiche Zahnersatz und Kieferorthopädie für das Jahr 2000 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senates erneut zu entscheiden,
35

hilfsweise,

36

das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 17. März 2003 zu ändern und die im Beschluss des Beklagten vom 12. April 2000 unter II. und III. getroffenen Punktwertfestsetzungen ersatzlos aufzuheben.

37

Der Beklagte beantragt,

38

die Berufung zurückzuweisen.

39

Die von der Klägerin aufgeworfene Problematik des Art. 15 GKV-SolG habe bei der Schiedsamtsentscheidung nicht im Vordergrund gestanden; es sei vielmehr um die Festschreibung der begrenzten Gesamtvergütung 1999 auch für das Jahr 2000 gegangen.

40

Davon abgesehen habe die Regelung des Art. 15 GKV-SolG auch über 1999 hinaus – ungeachtet der zum Jahresende 1999 eingetretenen "Erledigung" dieser Vorschrift – insofern eine rechtliche Wirkung entfaltet, als dass in den Folgejahren die 1999 reduzierten Gesamtvergütungszahlungen als Basis zu Grunde zu legen seien. Der Gesetzgeber habe namentlich die bei einem entgegenstehenden Willen zu erwartende Klarstellung versäumt, dass bei der Berechnung der nach § 71 Abs. 2 SGB V zulässigen Veränderungsrate als Bezugsgröße anstelle der 1999 in den Bereichen Zahnersatz und Kieferorthopädie um 5 % gekürzten Gesamtvergütung ein fiktiver Wert – in Form der ungekürzten Gesamtvergütung – zu Grunde zu legen sei.

41

Die Beigeladenen, die schriftsätzlich ebenfalls die Zurückweisung der Berufung beantragt haben, heben hervor, dass die von der Klägerin angestrebte Erhöhung der Gesamtvergütungszahlungen für die Bereiche Zahnersatz und Kieferorthopädie den durch § 71 SGB V gesteckten Rahmen bei weitem überschreiten und zu einer Kostenexplosion führen würde. Dies entspreche auch der vom Bundesministerium für Gesundheit im Schreiben vom 07. Dezember 2000 dargelegten Rechtsauffassung. Ohne eine ausdrückliche, vom Gesetzgeber aber gerade nicht erlassene Ermächtigung sei der Beklagte nicht befugt gewesen, dem Antrag der Klägerin zu entsprechen. Die angefochtene Entscheidung sei um so weniger zu beanstanden, als der für 1999 festgesetzten Vergütung die Vermutung der Angemessenheit zukomme.

42

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

43

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.

44

Die angefochtenen Regelungen verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, so dass diese weder mit ihrem Haupt- noch mit ihrem Hilfsantrag durchzudringen vermag.

45

Nachdem zwischen der Klägerin und den Beigeladenen keine gesamtvertragliche Regelung für das Jahr 2000 zu Stande gekommen war, war das beklagte Landesschiedsamt nach § 89 Abs. 1 S. 1 SGB V berechtigt und verpflichtet, anstelle der dazu sonst berufenen Gesamtvertragsparteien den vertraglichen Inhalt festzusetzen. Entsprechend dieser gesetzlichen Ermächtigung hat es auch die von der Klägerin beanstandeten Regelungen über die Gesamtvergütungsobergrenzen und die Punktwerte in den Bereichen Zahnersatz und Kieferorthopädie getroffen, ohne dass seine Entscheidung Rechts- oder Ermessensfehler zu Lasten der Klägerin erkennen lässt.

46

Dem Schiedsamt kommt nach der Rechtsprechung des BSG bei der Festsetzung des Inhalts eines Gesamtvertrages über die vertragszahnärztliche Vergütung gemäß § 89 Abs. 1 SGB V ein weiter Beurteilungsspielraum zu. Seine Vertragsgestaltungsfreiheit, die der aufsichtsrechtlichen und gerichtlichen Nachprüfung Grenzen setzt, ist nicht geringer als diejenige der Vertragspartner bei einer im Wege freier Verhandlungen erzielten Vereinbarung. Die aufsichtsrechtliche und die gerichtliche Kontrolle der Festsetzung von Vergütungsvereinbarungen durch das Schiedsamt ist dementsprechend auf die Prüfung beschränkt, ob der Entscheidung zutreffend ermittelte Tatsachen zugrunde gelegt worden sind, ob das Schiedsamt die Grenzen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums eingehalten und sein Gestaltungsermessen – soweit ihm ein solches zukommt – sachgerecht ausgeübt hat (BSG, SozR 3-2500 § 85 Nr. 37 m.w.N.).

47

Diese Grenzen hat das beklagte Schiedsamt im vorliegenden Fall eingehalten.

48

Insbesondere ist es nicht zu beanstanden, dass es als Gesamtvergütungsobergrenze in den Bereichen Zahnersatz und Kieferorthopädie die nach Maßgabe des Art. 15 GKV-SolG um 5 % reduzierte Gesamtvergütung für das Jahr 1999 herangezogen hat.

49

Bezeichnenderweise räumt die Klägerin selbst im Schriftsatz vom 11. Juli 2003 zunächst ausdrücklich ein, dass maßgebliche Bezugsgröße die Gesamtvergütung des Vorjahres sei. Mit ihren weiteren Erwägungen versucht sie allerdings darzulegen, dass dessen ungeachtet im vorliegenden Zusammenhang an Stelle der für das Vorjahr vereinbarten Gesamtvergütungszahlungen als Bezugsgröße eine fiktive Summe in Form derjenigen Gesamtvergütungszahlungen heranzuziehen sei, die sich ohne eine Kürzung nach Maßgabe des Art. 15 GKV-SolG mutmaßlich ergeben hätte. Diese Argumentation vermag jedoch nicht zu überzeugen.

50

Der nach der – mit dem GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 neu gefassten – Bestimmung des § 71 Abs. 2 SGB V maßgebliche Begriff der "Änderung der Vergütung" ist unter Berücksichtigung der herkömmlicherweise jährlich abzuschließenden Vergütungsvereinbarungen entsprechend dem allgemeinen Sprachgebrauch auf die im Vorjahr (hier: 1999) vereinbarte Vergütung zu beziehen. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber diesen Begriff in einem anderen Sinne verstanden wissen wollte. Namentlich kommt ihm auch unter Berücksichtigung der im Dezember 1998 erlassenen Regelung des Art. 15 GKV-SolG kein anderer Bedeutungsgehalt zu.

51

Schon aufgrund des zeitlichen Ablaufs kann das GKV-SolG nicht ausschlaggebend für die Auslegung des GKV-Gesundheitsreformgesetzes sein. Bei Erlass des GKV-SolG gab es § 71 Abs. 2 SGB V noch gar nicht in der heutigen Fassung, mithin sind Detailregelungen des GKV-SolG auch keine Hinweise darauf zu entnehmen, wie § 71 Abs. 2 SGB V in der heutigen Fassung auszulegen ist.

52

Bei Schaffung des § 71 Abs. 2 SGB V n.F. stellte sich die vom Gesetzgeber vorgefundene Vergütungssituation dahingehend dar, dass 1999 im Vergleich zu früheren Jahren die Ausgabenvolumina für Zahnersatz und Kieferorthopädie durch Art. 15 GKV-SolG um 5 % reduziert waren. Gleichwohl hat der Gesetzgeber sich mit Schaffung einer allgemeinen Regelung über die "Veränderung der jeweiligen Vergütung" in § 71 Abs. 2 SGB V begnügt. Auch die – in der durch Art. 15 GKV-SolG reduzierten Höhe – maßgeblichen Gesamtvergütungen für Zahnersatz und Kieferorthopädie im Jahre 1999 stellten eine solche "jeweilige Vergütung" dar.

53

Hätte der Gesetzgeber mit § 71 Abs. 2 SGB V n.F. Raum für eine Korrektur der durch Art. 15 GKV-SolG bewirkten Absenkung der Vergütungsvolumina für Zahnersatz und Kieferorthopädie lassen wollen, dann wäre zu erwarten gewesen, dass er eine solche – über den Gesetzeswortlaut hinausgehende – Möglichkeit ausdrücklich durch eine entsprechende Ausnahmeregelung eröffnet hätte; eine derartige Ausnahmeregelung ist jedoch nicht ersichtlich.

54

Eine Absicht des Gesetzgebers, mit § 71 Abs. 2 SGB V n.F. die im Vorjahr durch Art. 15 GKV-SolG getroffene Vergütungsabsenkung in den Bereichen Zahnersatz und Kieferorthopädie rückgängig zu machen, ist um so weniger ersichtlich, als diese Absenkung aus der Sicht des Gesetzgebers keiner einmaligen Sondersituation im Jahre 1999, sondern einer langfristigen strukturellen Entwicklung, namentlich dem "langfristigen Trend zur Verbesserung der Mundgesundheit" und einem daraus resultierenden verminderten Bedarf an Zahnersatz (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zum GKV-SolG, BT-Drs. 14/157, zu Art. 15), Rechnung tragen sollte (vgl. auch die Gesetzesbegründung, BT-Drs. 14/24, derzufolge mit Art. 15 GKV-SolG die Voraussetzungen zur Durchführung einer Strukturreform der gesetzlichen Krankenversicherung zum 01. Januar 2000 geschaffen werden sollten).

55

Der von der Klägerin geltend gemachte Umkehrschluss aus Art. 21 § 1 GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 vermag nicht zu überzeugen. Die dort in Bezug genommene Regelung des Art. 14 Abs. 1a GKV-SolG betraf einen anderen Zusammenhang. Bezüglich der in letzterer Vorschrift vorgesehenen Ausgleichszahlungen zwischen Kassenärztlichen Vereinigungen im Beitrittsgebiet und in den alten Bundesländern wäre ohne eine entsprechende Klarstellung des Gesetzgebers offen geblieben, inwieweit die dadurch eingetretenen Modifizierungen der den einzelnen Kassenärztlichen Vereinigungen zur Verfügung stehenden Gesamtvergütungszahlungen im Rahmen von § 71 Abs. 2 SGB V zu berücksichtigen sind. Beide Vorschriften betreffen schließlich verschiedene Rechtsverhältnisse. Die in Art. 14 Abs. 1a GKV-SolG vorgesehenen Ausgleichszahlungen waren – wie dargelegt – unter den Kassenärztlichen Vereinigungen vorzunehmen, wohingegen Gesamtvergütungszahlungen im Sinne der §§ 85 Abs. 1, 71 Abs. 1 und 2 SGB V von den Krankenkassen an die Kassenärztlichen Vereinigungen zu entrichten sind. Vergleichbare Unklarheiten waren hinsichtlich der in Art. 15 GKV-SolG vorgesehenen Kürzungen der Gesamtvergütungszahlungen nicht zu befürchten. Diesbezüglich bestand für den Gesetzgeber mithin kein Anlass zu klarstellenden Regelungen im GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000, solange er an der im GKV-SolG vorgesehenen Vergütungsabsenkung für die Bereiche Zahnersatz und Kieferorthopädie festhalten wollte.

56

Die gegenteilige Auffassung der Klägerin leuchtet um so weniger ein, als sie dem in § 71 Abs. 1 SGB V vom Gesetzgeber hervorgehobenen Grundsatz der Beitragssatzstabilität zuwiderlaufen würde. Die in Art. 15 Abs. 1 GKV-SolG vorgesehenen Kürzungen verfolgten auch das Ziel, die Stabilität der Krankenkassenbeiträge zu fördern. Eine Korrektur dieser Kürzungen mit Wirkung für das nachfolgende Jahr 2000 hätte dieses Ziel nachhaltig gefährdet. Dieses Argument gewinnt um so größere Bedeutung, als der – die Vertragspartner und damit auch das beklagte Landesschiedsamt bindende – Grundsatz der Beitragssatzstabilität die Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit der gesetzlichen Krankenversicherung sowie deren Finanzierbarkeit zu vertretbaren Beitragssätzen sichern soll und damit einen Gemeinwohlbelang von hohem Rang verfolgt (vgl. BSG, SozR 3-2500 § 85 SGB V Nr. 37, und BVerfGE 82, 209, 230 [BVerfG 12.06.1990 - 1 BvR 355/86] m.w.N.).

57

Die des weiteren von der Klägerin problematisierten Fehler bei der Ermittlung von Tatsachen sind schon deshalb nicht feststellbar, weil die gerügte fehlerhafte Tatsachenfeststellung sich der Sache nach als eine – wie dargelegt: unbegründete – Rüge der fehlerhaften Rechtsanwendung darstellt.

58

Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich zugleich, dass auch die Festsetzung der Vertragspunktwerte für die Leistungsbereiche Zahnersatz und Kieferorthopädie keine Rechts- oder Ermessensfehler erkennen lässt. Es hätte den Vertragspartnern freigestanden, sich einvernehmlich auf eine Regelung des vom Beklagten festgesetzten Inhalts zu verständigen. Zutreffend hat bereits das Sozialgericht hervorgehoben, dass das beklagte Landesschiedsamt dementsprechend nicht verpflichtet war, den durch § 71 SGB V gesteckten Rahmen zulässiger Punktwerterhöhungen zugunsten der Klägerin und der von ihr vertretenen Vertragszahnärzte auszuschöpfen. Ein anderweitiges Verständnis würde der Grundfunktion des Landesschiedsamts nicht gerecht, dass unter Berücksichtigung der wechselseitigen Interessen aller Beteiligten nach einem gerechten Ausgleich zu streben hat. In diesem Rahmen durfte der Beklagte sich auch von der Erwägung leiten lassen, dass eine Reduzierung der Punktwertdifferenz zwischen Primär- und Ersatzkassen anzustreben sei.

59

Aus den vorstehenden Erwägungen folgt zugleich, dass die Klägerin auch mit ihrem – der Sache nach bereits als Minus im Hauptantrag enthaltenen – Hilfsantrag keinen Erfolg hat.

60

Da im vorliegenden Verfahren noch das bis zum 01. Januar 2002 maßgebliche Kostenrecht anzuwenden ist, richtet sich die Kostenentscheidung nach § 193 SGG.

61

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen. Mit der Zulassung der Revision trägt der Senat dem Umstand Rechnung, dass vor dem Hintergrund der erläuterten Regelung des § 71 SGB V die Höhe der für das Jahr 2000 zu erbringenden Gesamtvergütungszahlungen auch die Höhe der in den Folgejahren zu gewährenden Zahlungen beeinflussen kann.