Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 17.03.2004, Az.: L 4 KR 154/00
Berücksichtigung des medizinischen Fortschritts bei Maßnahmen der Krankenbehandlung ; Behandlung einer auditiven Wahrnehmungsstörung durch ein stationäres auditives Wahrnehmungstraining als medizinischer Standard; Pflicht einer gesetzlichen Krankenkasse zur Gewährung eines stationäres auditives Wahrnehmungstrainings in einer als Rehabilitationseinrichtung zugelassenen Tinnitusklinik
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 17.03.2004
- Aktenzeichen
- L 4 KR 154/00
- Entscheidungsform
- Endurteil
- Referenz
- WKRS 2004, 32119
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2004:0317.L4KR154.00.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Stade - 15.06.2000 - AZ: S 1 KR 45/99
Rechtsgrundlagen
- § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V
- § 13 Abs. 3 SGB V
- § 27 Abs. 1 SGB V
Fundstellen
- NZS 2004, 481 (amtl. Leitsatz)
- SGb 2004, 754 (amtl. Leitsatz)
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die Behandlung einer auditiven Wahrnehmungsstörung durch ein stationäres auditives Wahrnehmungstraining war im Jahre 1998 noch kein medizinischer Standard.
- 2.
Eine gesetzliche Krankenkasse war im Jahre 1998 nicht verpflichtet, einem Versicherten, der an auditiver Wahrnehmungsstörung litt, ein stationäres auditives Wahrnehmungstraining in der Tinnitusklinik in Bad Arolsen zu gewähren.
Der 4. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen hat
auf die mündliche Verhandlung vom 17. März 2004 in Celle
durch
die Richterin Schimmelpfeng-Schütte - Vorsitzende -,
den Richter Schreck und
den Richter Wolff sowie
die ehrenamtlichen Richter Frau Sand und Herr Schulz
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Kostenerstattung für seine stationäre Behandlung in der als Rehabilitationseinrichtung zugelassenen Tinnitusklinik, Bad Arolsen wegen auditiver Wahrnehmungsstörung.
Der 1988 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Pro. Der. D., Direktor der Klinik und Poliklinik für Phoniatrie und Pädaudiologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), diagnostizierte bei ihm eine schwere auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung. Er beantragte in seiner Bescheinigung vom 13. Mai 1998, die am 25. Mai 1998 bei der Beklagten einging, die Gewährung einer stationären Intensivtherapie für den Kläger in der Tinnitusklinik.
Prof. Dr. D. führte hierzu aus: Die
"Diagnose wurde aufgrund einer ausführlichen pädaudi-ologischen Diagnostik gestellt (Untersuchungen zur cochleären Funktion, Untersuchungen niederer auditiver Funktionen, Untersuchungen zu höheren auditiven Kognitionsfähigkeiten). Aufgrund dieser Befunde ist eine intensive Wahrnehmungstherapie indiziert. Typischerweise wird eine solche Therapie ambulant durchgeführt. Mittlerweile zeigen die klinischen Ergebnisse von Patienten mit anderen Hör-Wahrnehmungsstörungen (hier insbesondere Kranke mit komplexem chronischen Tinnitus) mit Studien aus den USA, dass eine intensive Therapie (d.h. mehrere Stunden Hörverarbeitungs-Wahrnehmungstraining pro Tag) einer ambulanten Therapie, die naturgemäß nicht mit einer solchen Intensität durchgeführt werden kann, überlegen ist. Im kommenden Sommer wird eine solche Intensivtherapie erstmalig in der Klinik in Arolsen durchgeführt. Diese Klinik zeichnet sich bereits durch eine langjährige Erfahrung mit Hör- und Wahrnehmungstherapien bei Tinnituskranken aus. Da ein dringender Therapiebedarf für schwer auditiv wahrnehmungsgestörte Kinder besteht, wird jetzt in dieser Klinik ein jeweils individuell zusammengestelltes Programm, entsprechend den von uns erarbeiteten Vorgaben von einer ehemaligen Mitarbeiterin der Medizinischen Hochschule Hannover durchgeführt. Gleichzeitig haben wir zugesagt, in der Startphase für Rückfragen zur Verfügung zu stehen. Die Krankenkasse wird gebeten, im Rahmen einer Einzelfallentscheidung die Kostenübernahme für diese dreiwöchige Therapie zu übernehmen. Die Abrechnung erfolgt dann über den entsprechenden Kostensatz der Klinik."
Zuvor hatte Prof Dr D. in einem Arztbrief vom 5. März 1998 ein normales peripheres Hörvermögen sowie eine zentrale auditive Verarbeitungsstörung festgestellt und ausgeführt: "Wir empfehlen, dass zunächst das begonnene LRS-Training fortgeführt wird. Sollte es binnen 1 Jahr nicht zu einer Besserung kommen, kann ein auditives Wahrnehmungstraining versucht werden." Der Beklagten lag außerdem das ärztliche Attest des Hals- Nasen- und Ohrenarztes Dr E. vom 16. Juni 1998 vor. Er führte aus, beim Kläger habe eine logopädisch erfolgreich behandelte Dyslalie (Sprachstörung) im Kindesalter bestanden. Jetzt liege eine zentrale auditive Verarbeitungsstörung bei normalem peripheren Hörvermögen vor. Trotz intensiver Förderung bestehe eine erhebliche Problematik in der Schule. Die Beklagte holte das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Niedersachsen (MDKN), Fachärztin für Anästhesie F., vom 19. Juni 1998 ein. Sie befürwortete die dreiwöchige stationäre Therapie in Bad Arolsen nicht, weil keine medizinische Indikation für eine stationäre Maßnahme gegeben sei. Beim Kläger lägen offensichtlich Defizite vor, die durch Nachhilfe im Bereich der Rechtschreibung behandelbar seien. Eine Krankheit im Sinne des Gesetzes liege nicht vor. Mit Bescheid vom 25. Juni 1998 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab.
Mit Erhebung des Widerspruchs teilten die Eltern des Klägers mit, dass der stationäre Aufenthalt des Klägers am 23. Juli 1998 beginnen würde. Gleichzeitig überreichten sie Unterlagen der Tinnitusklinik sowie ein erneutes Schreiben des Prof Dr D. vom 3. Juli 1998 zum Gutachten des MDKN vom 19. Juni 1998. Die Beklagte holte daraufhin das Gutachten des MDKN, Dr G., vom 23. Juli 1998 ein. Die Gutachterin bestätigte das Ergebnis des MDKN-Gutachtens vom 19. Juni 1998. Es gäbe auch ambulante Förderungsmaßnahmen im pädagogischen Bereich. Mit Bescheid vom 5. August 1998 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme erneut ab.
Auch hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und übersandte zugleich die Rechnung der Tinnitusklinik vom 14. August 1998 über die Kosten der stationären Behandlung vom 26. Juli bis 14. August 1998 in Höhe von 6.255,75 DM (3.198,51 Euro). Die Beklagte holte nun ein drittes Gutachten des MDKN vom 31. August 1998, Hals-Nasen-Ohrenärztin H., ein. Auch sie verneinte die Voraussetzungen für eine stationäre Behandlung. Es sei auch nicht bekannt, dass die Tinnitusklinik eine Zulassung zur Behandlung von Kindern mit auditiven Wahrnehmungsstörungen habe. Die durchgeführte Behandlung sei dem pädagogischen Bereich zuzuordnen. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch daraufhin mit Widerspruchsbescheid vom 22. Januar 1999 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 19. Februar 1999 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Stade erhoben. Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 15. Juni 2000 abgewiesen: Die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 Fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V) für eine Kostenerstattung lägen nicht vor. Zum Einen habe es sich nicht um einen Notfall gehandelt. Zum Anderen habe die Beklagte die Kostenerstattung für die Behandlung in der Tinnitusklinik, Bad Arolsen zu Recht abgelehnt. Die Klinik sei nicht zur Behandlung von Wahrnehmungsstörungen zugelassen. Es genüge nicht, dass sie ihr Therapiekonzept mit der Abteilung Pädaudiologie und Phoniatrie der MHH abstimme und von dort wissenschaftlich begleiten lasse. Die Tinnitusklinik biete mit dem Wahrnehmungstraining einen Standard an, der über das Maß des Notwendigen und Wirtschaftlichen hinausgehe.
Gegen den dem Kläger am 23. Juni 2000 zugestellten Gerichtsbescheid hat dieser Berufung eingelegt, die am 14. Juli 2000 beim Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen eingegangen ist. Er meint unter anderem, bei der auditiven Wahrnehmungsstörung handele es sich sehr wohl um eine Krankheit im Sinne des SGB V. Zwar habe keine Verordnung der stationären Behandlung vorgelegen. Das sei im vorliegenden Falle aber entbehrlich, weil er - der Kläger - insoweit Vertrauensschutz genieße. Entgegen der Ansicht des MDKN sei die Therapie in der Tinnitusklinik auch keine Versorgung, die über das Maß des Notwendigen hinausgehe. Seine stationäre Behandlung sei unbedingt erforderlich gewesen. Denn eine ambulante Versorgung hätte nicht zu gleichwertigen Ergebnissen geführt. Bei der stationären Intensivtherapie zur Behandlung auditiver Wahrnehmungsstörungen handele es sich zwar um eine vergleichsweise neue Behandlungsform. Dass es hierfür noch keine zugelassenen Einrichtungen gebe, dürfe einer Kostenerstattung jedoch nicht entgegen stehen.
Der Kläger beantragt,
- 1.
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stade vom 15. Juni 2000 sowie die Bescheide der Beklagten vom 25. Juni 1998 sowie 5. August 1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 1999 aufzuheben,
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für den stationären Aufenthalt in der Tinnitusklinik, Bad Arolsen in der Zeit vom 26. Juli bis 14. August 1998 in Höhe von 6.255,75 DM (3.198,51 Euro) zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den Gerichtsbescheid für zutreffend.
Der Senat hat im vorbereitenden Verfahren Beweis erhoben durch Einholung einer schriftlichen Zeugenaussage des Prof Dr D. vom 24. Februar 2003. Darüber hinaus hat der Senat eine Auskunft des Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie eV Prof Dr I., Abteilung für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum in Göttingen, vom 13. Oktober 2003 eingeholt. Darin führt Prof Dr I. aus, das auditive Wahrnehmungstraining sei im Jahre 1998 noch nicht medizinischer Standard gewesen. Es sei auch nicht verbreitet angewendet worden. Dennoch sei die Behandlung sehr wohl "auf dem aktuellen Wissensstand medizinisch anerkannt mit bereits im deutschsprachigen Raum wohl erstmaliger Evaluation".
Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes, des Ergebnisses der Beweisaufnahme und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichts- sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet.
Der Gerichtsbescheid des SG Stade vom 15. Juni 2000 ist zutreffend. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Kostenerstattung in Höhe von 6.255,75 DM (3.198,51 Euro).
§ 13 Abs. 3 SGBV in der hier anzuwendenden alten Fassung bestimmt: Konnte eine Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen (Alternative 1) oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt (Alternative 2) und sind dadurch Versicherten Kosten für die selbstbeschafften Leistungen entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Nach allgemeiner Ansicht tritt der Kostenerstattungsanspruch an die Stelle des Anspruchs auf eine Sach- oder Dienstleistung. Er besteht daher nur, soweit die Leistung ihrer Art nach zu den Leistungen gehört, die von der gesetzlichen Krankenkasse als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen sind.
Die 1. Alternative des § 13 SGB V alter Fassung scheidet aus. Denn im vorliegenden Fall hat kein Notfall vorgelegen.
Entgegen der Ansicht des Klägers entfällt aber auch die 2. Alternative des § 13 Abs. 3 SGB V alter Fassung. Zwar hat der Kläger offensichtlich den Beschaffungsweg eingehalten. Die Beklagte hat den Antrag des Klägers jedoch nicht zu Unrecht abgelehnt.
Nach § 27 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern (Satz 1). Die Maßnahmen der Krankenbehandlung müssen nach § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen und den medizinischen Fortschritt berücksichtigen.
Zwischen den Beteiligten ist bereits streitig, ob die auditive Wahrnehmungsstörung des Klägers eine Krankheit im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V ist. Ebenso ist umstritten, ob schon im Juli/August 1998 eine stationäre Versorgung des Klägers notwendig gewesen ist. Es ist auch fraglich, ob eine ärztliche Verordnung erforderlich war und ob eine solche vorlag. Schließlich ergeben sich Fragen aus der Beurteilung des stationären Wahrnehmungstrainings als Krankenbehandlung oder Rehabilitationsmaßnahme und - damit verbunden - der Zulassung der Tinnitusklinik zur Durchführung der Maßnahme. Der Senat kann sämtliche Fragen offen lassen. Denn die stationäre Intensivtherapie zur Behandlung einer schweren auditiven Wahrnehmungsstörung gehörte im Jahre 1998 noch nicht zu den medizinischen Maßnahmen des allgemein anerkannten Stands der medizinischen Erkenntnisse. Sie entsprach im Jahre 1998 noch nicht dem medizinischen Standard. Diese Feststellung ergibt sich zur Überzeugung des Senats insbesondere aus der Auskunft des Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie eV Prof Dr I. vom 13. Oktober 2003.
Die Frage, ob eine Behandlungsmethode dem medizinischen Standard entspricht und damit als wirksam und zweckmäßig einzuschätzen ist, richtet sich nach dem Zeitpunkt der Durchführung der Behandlung. Im Jahre 1998 sahen die §§137 ff. SGBV zwar Maßnahmen zur Qualitätssicherung in der stationären Krankenhausbehandlung und der Rehabilitation vor, die sich auf die Qualität der Behandlung, der Versorgungsabläufe und der Behandlungsergebnisse zu erstrecken hatten.
Es gab aber - anders als für den ambulanten vertragsärztlichen Bereich - keine Regelung, die eine für Krankenhäuser, Rehabilitationseinrichtungen, Kassen und Versicherte verbindliche Entscheidung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen sowie die Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit einer stationären Maßnahme und damit über deren Zugehörigkeit zum Leistungsspektrum der Krankenversicherung ermöglichte. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung hatten im Streitfall daher die Gerichte über die Wirksamkeit und Zweckmäßigkeit der jeweiligen Methode zu befinden, d.h. zu entscheiden, ob eine Methode dem medizinischen Standard entsprach. Maßgebend war insoweit, ob in den ärztlichen Fachkreisen über die Wirksamkeit und Zweckmäßigkeit der Behandlungsmethode ein durch wissenschaftliche Studien hinreichend untermauerter Konsens bestand (BSG, Urteil vom 19. Februar 2002 - B 1 KR 1/02 R). Die Auffassung der Beklagten, wonach insoweit der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen gemäß § 92 SGB Vüber die Anerkennung einer medizinischen Methode zu entscheiden hatte, teilt der Senat daher nicht.
Im Jahre 1998 kam es für die Beurteilung der Wirksamkeit und Zweckmäßigkeit einer stationären medizinischen Methode darauf an, ob hierüber in den ärztlichen Fachkreisen ein durch wissenschaftliche Studien hinreichend untermauerter Konsens bestand. Die §§ 137 ff. SGB V in der im Jahre 1998 geltenden Fassung sahen diesbezüglich Empfehlungen der Bundesärztekammer, der Spitzenverbände der Krankenkassen und der Deutschen Krankenhausgesellschaft bzw. der Spitzenorganisationen der Rehabilitationseinrichtungen oder der Bundesverbände der Krankenhausträger zur Sicherung der Qualität der Behandlung und zur Abstimmung dieser Fragen die Bildung einer Arbeitsgemeinschaft vor. Alles fehlte im streitbefangenen Zeitraum.
Im Jahre 1998 lag für die stationäre Behandlung einer auditiven Wahrnehmungsstörung weder eine Empfehlung der Bundesärztekammer, der Spitzenverbände der Krankenkassen und der Deutschen Krankenhausgesellschaft bzw. der Spitzenorganisationen der Rehabilitationseinrichtungen oder der Bundesverbände der Krankenhausträger vor. Es gab damals auch keine diesbezügliche Leitlinie einer medizinischen Fachgesellschaft. Mithin kommt es allein darauf an, ob hinsichtlich der Wirksamkeit und Zweckmäßigkeit der Therapie in anderer Form ein hinreichend untermauerter Konsens in ärztlichen Fachkreisen bestand. Das war nicht der Fall.
Dieses Ergebnis folgt aus der Auskunft des Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e.V. Prof Dr I. vom 13. Oktober 2003. Danach steht zur Überzeugung des Senats fest, dass das in der Tinnitusklinik, Bad Arolsen durchgeführte stationäre Wahrnehmungstraining bei auditiver Wahrnehmungsstörung im Jahre 1998 noch nicht medizinischer Standard war. Prof Dr I. hat glaubhaft und überzeugend bekundet, dass das erste Papier zur stationären Behandlung der auditiven Wahrnehmungsstörung im Herbst 1999 erarbeitet und erst im Jahre 2000 veröffentlicht worden ist. Deshalb - so Prof Dr I. - kann das stationäre Wahrnehmungstraining im Jahre 1998 weder medizinischer Standard noch verbreitet gewesen sein, auch wenn es - wie Prof Dr I. betont - auf dem aktuellen Wissensstand gewesen ist.
Die Auskunft von Prof Dr I. wird durch die Bescheinigung des Prof Dr D. vom 13. Mai 1998 bestätigt. Prof Dr D. betont ausdrücklich, dass das stationäre Wahrnehmungstraining nun "erstmalig" stattfinde. Das Behandlungsprogramm werde - so Prof Dr. D. - entsprechend den von der MHH erarbeiteten Vorgaben von einer ehemaligen Mitarbeiterin der MHH durchgeführt. Gleichzeitig habe er zugesagt, "in der Startphase" für Rückfragen zur Verfügung zu stehen. Deshalb bitte er, die Kosten des Wahrnehmungstrainings im Rahmen einer "Einzelfall"entscheidung zu übernehmen. Alles das bestätigt, dass das stationäre Wahrnehmungstraining im Jahre 1998 noch keine Methode nach medizinischem Standard war.
Dementsprechend hatte der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung dieser Leistung gegen die Beklagte nach § 27 Abs. 1 SGB V. Damit entfällt ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V alter Fassung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Ein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen, liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).
Schreck
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