Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 26.08.1999, Az.: XIV 838/97

Gewährung eines dem Sparerfreibetrag entsprechenden Freibetrages für die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung (VuV); Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung wegen des Fehlens eines Freibetrages; Vergleichbarkeit von Einkünften aus Kapitalvermögen und solchen aus VuV im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG; Beachtung des Willkürverbots im Rahmen der gesetzgeberischen Entscheidung gegen einen Freibetrag bei Einkünften aus VuV; Rechtfertigung des Sparerfreibetrages sowie des Freibetrages bei Einkünfte aus Landwirtschaft und Forstwirtschaft (LuF)

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
26.08.1999
Aktenzeichen
XIV 838/97
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 18016
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1999:0826.XIV838.97.0A

Fundstelle

  • NWB DokSt 2000, 1039

Verfahrensgegenstand

Keine Erweiterung des Sparerfreibetrags auf andere Einkunftsarten

Einkommensteuer 1995

In dem Rechtsstreit
hat der XIV. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 26. August 1999,
an der mitgewirkt haben:
1. Vorsitzender Richter ... am Finanzgericht ...
2. Richter am Finanzgericht ...
3. Richterin am Finanzgericht ...
4. ehrenamtlicher Richter Fleischermeister
5. ehrenamtlicher Richter Landwirt
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten.

Tatbestand

1

Der verheiratete Kläger wird vom beklagten Finanzamt (FA) mit seiner Ehefrau zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Im Streitjahr bezog er als Diplom-Ingenieur Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Außerdem sind ihm aufgrund einer Mitteilung über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen Einkünfte aus einer Grundstücksgemeinschaft der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung (VuV) gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 1 Einkommensteuergesetz (EStG) in Höhe von 7.414,00 DM zugerechnet worden. Das beklagte FA bezog die Einkünfte aus VuV im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung mit ein.

2

Im Einspruchsverfahren wandte sich der Kläger dagegen, dass ihm bei den Einkünften aus VuV nicht ein gleichhoher Freibetrag gewährt worden sei, wie er vom Gesetzgeber bei den Einkünften aus Kapitalvermögen vorgesehen sei. Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück. Es verwies in seinem Einspruchsbescheid darauf, dass nach den gesetzlichen Bestimmungen der §§ 9, 21 EStG eine entsprechende Freibetragsregelung bei den Einkünften aus VuV nicht vorhanden sei. Ein Freibetrag gemäß § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG in Höhe von 6.000,00 DM sei lediglich bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 2 Abs. 1 Nr. 5 EStG i.V.m. § 20 EStG) abzugsfähig. Eine Übertragung von Freibeträgen einer Einkunftsart auf eine andere Einkunftsart sei nach vorliegendem Recht nicht möglich.

3

Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage, mit der der Kläger sein bisheriges Begehren weiter verfolgt. Es sei ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Artikel 3 Grundgesetz (GG), wenn der Gesetzgeber lediglich bei den Einkünften aus Kapitalvermögen und nicht auch zugleich bei den Einkünften aus VuV einen Freibetrag vorsehe. In beiden Fällen handele es sich um Einkünfte aus Kapitalvermögen. Es sei unerheblich, dass es sich in einem Fall um Barvermögen und im anderen Fall um Grundvermögen handele, denn auch das Grundvermögen stelle zugleich einen "Bar"-Wert dar. Zwar habe mit der Erhöhung des Sparerfreibetrages von 600,00 DM auf 6.000,00 DM u.a. ein wirksamer Anreiz geschaffen werden sollen, inländisches Kapitalvermögen nicht mehr in das Ausland zu verlagern. Es dürfe jedoch einem Besitzer von Vermögen nicht zum Nachteil gereichen, wenn er diese Vermögenswerte nicht in Aktien, Obligationen oder als Barvermögen, sondern in Immobilien anlege. Soweit diese der Alterssicherung dienten, seien die Erträge äquivalent zu behandeln. Auch sei zu berücksichtigen, dass bei den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft gleichfalls ein Freibetrag gemäß § 13 Abs. 3 EStG gewährt werde. Die unterschiedliche Behandlung gleichartiger Einkunftsarten verstoße gegen Artikel 3 GG.

4

Der Kläger beantragt,

den Einkommensteuerbescheid 1995 abzuändern und bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung einen Freibetrag in Höhe von 6.000,00 DM zu berücksichtigen sowie

5

das Verfahren auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vorzulegen, ob die Besteuerung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung wegen des Fehlens eines Freibetrages in Höhe von 6.000,00 DM verfassungswidrig sei.

6

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Es verweist auf seine Ausführungen im Einspruchsbescheid und macht diese vollinhaltlich zum Gegenstand der Klageerwiderung.

Entscheidungsgründe

8

Die Klage ist unbegründet.

9

Entgegen der Ansicht des Klägers besteht kein aus Artikel 3 GG resultierender verfassungsrechtlicher Anspruch, die Einkünfte aus VuV in Höhe des Sparerfreibetrages nach § 20 Abs. 4 EStG von der Besteuerung freizustellen.

10

Gemäß § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG in der ab dem 01.01.1993 geltenden Fassung des Gesetzes zur Neuregelung der Zinsbesteuerung (Zinsabschlaggesetz vom 09.11.1992, BGBl. I 1992, 1853) ist bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen nach Abzug der Werbungskosten ein Betrag von 6.000,00 DM abzuziehen (Sparer-Freibetrag). Eine in diesem Umfang vergleichbare Entlastung gibt es bei den Einkünften aus VuV nicht. Die vergleichsweise hohe Steuerfreistellung der Einkünfte aus Kapitalvermögen verstößt jedoch nach Ansicht des Senats nicht gegen Artikel 3 GG. Das Gericht sieht daher keine Veranlassung, das Verfahren auszusetzen, um eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gemäß Artikel 100 Abs. 1 GG einzuholen.

11

1.

Artikel 3 Abs. 1 GG verlangt, dass wesentlich Gleiches auch gleich behandelt wird. Bei der Entscheidung, welche Sachverhalte als im wesentlichen gleich anzusehen sind, hat der Gesetzgeber einen weitreichenden Gestaltungs- und Beurteilungsspielraum, der erst dort endet, wo für die ungleiche Behandlung der Sachverhalte schlechthin ein einleuchtender Grund fehlt. Lässt sich hingegen die gesetzliche Differenzierung mit sachgerechten finanzpolitischen, sozialpolitischen oder steuertechnischen Erwägungen rechtfertigen, liegt kein Verstoß gegen das Willkürverbot des Artikel 3 Abs. 1 GG vor (BVerfG-Urteil vom 27.06.1991 2 BvR 1493, 89, BStBl. II 1991, 654). Insbesondere ist der Gesetzgeber nicht gehalten, allein deshalb, weil er einer bestimmten Gruppe von Steuerpflichtigen zur Erreichung eines bestimmten Zwecks einen Freibetrag gewährt, einer anderen Gruppe von Steuerpflichtigen, bei denen andere Verhältnisse vorliegen, einen gleich hohen Freibetrag zu gewähren (BFH-Urteil vom 26.09.1969 VI R 158/67, BStBl. II 1969, 730).

12

Für die Privilegierung der Einkünfte aus Kapitalvermögen im Vergleich zu den Einkünften aus VuV gibt es Gründe, die zumindest als nicht willkürlich im Sinne der o.g. Rechtsprechung zu werten sind.

13

Mit der Verzehnfachung des Sparerfreibetrages von 600,00 DM auf 6.000,00 DM durch das ab dem 01.01.1993 in Kraft getretene Zinsabschlaggesetz sollte die Kapitalbildung aus Gründen der Alterssicherung oder der sonstigen existenzsichernden Vorsorge angeregt und zugleich ein Inflationsausgleich geschaffen werden. Ferner sollte ein wirksamer Anreiz geschaffen werden, inländisches Kapitalvermögen nicht mehr in das Ausland zu verlagern (BT-Drucksache 246/92, S. 24). Hiermit sollte den verfassungsrechtlichen Vorgaben des "Zinsabschlag"-Urteils des BVerfG vom 27.06.1991 (a.a.O.) Rechnung getragen und das strukturelle Erhebungsdefizit bei der Zinsbesteuerung für die Veranlagungszeiträume ab 1993 abgebaut werden.

14

a)

Das BVerfG hat es insbesondere für verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen, die Geldwertabhängigkeit und damit die gesteigerte Inflationsanfälligkeit der Einkunftsart "Kapitalvermögen" bei der Besteuerung zu berücksichtigen. Dabei könne auch die Kapitalbildung als Quelle der Altersversorgung oder als sonstige existenzsichernde Versorgungsgrundlage gesondert gewürdigt werden. Das BVerfG hat insoweit "beachtliche Freibeträge" für geboten erachtet. Diesem Gebot ist der Gesetzgeber durch das Zinsabschlaggesetz nachgekommen. Insbesondere sind die Erwägungen des Gesetzgebers nach Ansicht des Senats vernünftig und bewegen sich innerhalb des weiten, ihm zustehenden Gestaltungsermessens.

15

Im Unterschied zu anderen Einkunftsarten (insbesondere Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und sonstige Einkünfte), die regelmäßig an die Geldentwertung angepasst werden, sind Einkünfte aus Kapitalvermögen gesteigert inflationsanfällig. Bei entsprechend hohen Geldentwertungsraten droht der Kapitalstamm ausgehöhlt zu werden, wenn zu der fortschreitenden Geldentwertung auch noch die unbeschränkte Besteuerung der Kapitalerträge hinzukommt (vgl. Schleswig Holsteinisches FG, Urteil vom 12.02.1998, EFG 1998, 1584). Eine vergleichbare Gefahr ist bei den Einkünften aus VuV nicht gegeben. Unbestritten ist Grundvermögen nicht gesteigert inflationsanfällig, sondern unterliegt - vergleicht man die Wertzuwächse von Immobilienüber einen längeren Zeitraum - zumeist realen Wertsteigerungen, die steuerlich allenfalls im Rahmen der Einkünfte aus Spekulationsgewinnen gemäß § 23 EStG besteuert werden.

16

Auch der weitere vom Gesetzgeber verfolgte Gedanke, mit der Erhöhung des Sparerfreibetrages den Anreiz zur Kapitalflucht zu vermindern, lässt sich auf die Besteuerung der Einkünfte aus VuV infolge der Immobilität des Grundvermögens nichtübertragen.

17

b)

Schließlich rechtfertigt auch der Gedanke des Schutzes der Alterssicherung oder der sonstigen existenzsichernden Vorsorge den hohen Sparerfreibetrag. Zwar ist dem Kläger einzuräumen, dass auch Grundvermögen - ebenso wie Kapitalvermögen - der Alterssicherung dienen kann. Gleichwohl durfte der Gesetzgeber in verfassungsrechtlich zulässiger Weise die besonders förderungswürdige eigenverantwortliche Vorsorge der Bürger durch Sparen durch entsprechende Schonung der Kapitalerträge aus einem Sockel-Sparvermögen begünstigen (vgl. BT-Drucksache 7/1470 S. 220). Denn das BVerfG hatte es in seinem "Zinsabschlagurteil" im Zusammenhang mit der von ihm als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehenen gleichmäßigen Erfassung der Kapitalerträge durch die Erhebung einer Quellensteuer als folgerichtig bezeichnet, "dem vermutlich unterdurchschnittlichen Steuersatz der Kleinsparer durch beachtliche Freibeträge Rechnung zu tragen". Der Senat ist der Auffassung, dass der Gesetzgeber bei der Umsetzung dieser Entscheidung die Vorgaben des BVerfG hinreichend beachtet hat. Denn aufgrund der unter gleichzeitiger Einführung einer 30 prozentigen Zinsabschlagsteuer vorgenommenen Erhöhung des Sparerfreibetrages ist die zahlenmäßig grosse und wegen des Sozialstaatsprinzips besonders schutzbedürftige Gruppe von Sparern mit nach ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen beschränktem Sparvermögen vom Problem der Geldentwertung nicht mehr betroffen, da nach den Berechnungen der Bundesbank rund 80 % der Bezieher von Kapitalerträgen nunmehr von der Besteuerung ausgenommen sind (BR-Drucksache 246 92 S. 26; Hessisches FG, Urteil vom 07.03.1996, EFG 1996, 812, 814).

18

c)

Entgegen der Ansicht des Klägers sind diese Gedanken jedoch in dieser Allgemeinheit auf die Eigentümer von Grundvermögen nichtübertragbar. Anders als bei Kapitalvermögen erfordert der Erwerb von Grundvermögen regelmäßig den Einsatz von erheblichem Eigenkapital, dass regelmäßig zuvor angespart sein muss sowie den Einsatz von Fremdkapital, dessen Vergabe erst bei entsprechenden Einkunftsverhältnissen gesichert ist. Die durch das angesammelte Kapital gebildete finanzielle Ausstattung dieses Personenkreises rechtfertigt daher von Verfassungs wegen keinen entsprechenden hohen Freibetrag wie bei den Beziehern von Einkünften aus Kapitalvermögen.

19

2.

Soweit der Kläger sich auf den Freibetrag bei den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft gemäß § 13 Abs. 3 EStG beruft, vermag der Senat auch insoweit keinen verfassungsrechtlichen Verstoß gegen das Willkürverbot zu erkennen. Denn dessen Einführung wurde im wesentlichen mit agrarpolitischen Erwägungen wie der Förderung der Investitionsbereitschaft der Betriebe, der Verringerung der Zahl der Betriebsaufgaben, der Erleichterung weiterer Rationalisierungsmaßnahmen und der Eingliederung in die EWG begründet (vgl. BFH-Urteil vom 26.09.1969 VI R 158/67, BStBl. II 1969, 730). Wenn auch die ursprünglichen Absichten des Gesetzgebers heute keinen aktuellen Bezug mehr besitzen, so ist der Freibetrag nach § 13 Abs. 3 EStG auch in heutiger Zeit unter sozialpolitischen Gesichtspunkten verfassungsrechtlich unbedenklich, da die mit ihm verbundene Subventionierung die Wettbewerbsfähigkeit kleiner und mittlerer landwirtschaftlicher Vollerwerbsbetriebe begünstigt, deren Erhaltung imöffentlichen Interesse einer ausgewogenen nationalen Agrarstruktur und einer breiten Eigentumsstreuung liegt (Kanzler in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG und KStG, § 13 EStG Erl. zu Abs. 3 - Grüne Blätter -). Es liegt auf der Hand, dass diese Grundsätze auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht übertragbar sind.

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3.

Da nach alledem die vom Kläger begehrte Aussetzung des Verfahrens und Vorlage an das BVerfG gemäß Artikel 100 Abs. 1 GG nicht in Betracht kam, war die Klage mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung abzuweisen.

21

Die Revision ist nicht zugelassen worden.