Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 24.08.1999, Az.: VI 579/96
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen verschuldensloser Klagefristversäumung; Rechtzeitige Abgabe der Klageschrift zur Post
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 24.08.1999
- Aktenzeichen
- VI 579/96
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1999, 19611
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1999:0824.VI579.96.0A
Rechtsgrundlagen
- § 47 Abs. 1 FGO
- § 54 Abs. 2 FGO
- § 56 Abs. 1 FGO
- § 56 Abs. 2 S. 2 FGO
- § 56 Abs. 2 S. 1 FGO
Fundstelle
- NWB DokSt 2000, 603
Verfahrensgegenstand
Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gem. § 47 Abs. 1 KStG zum 31.12.1993
Körperschaftsteuer 1993
ges. Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges auf den 31.12.1993
ges. Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.1993
Gewerbesteuermessbetrag 1993
Umsatzsteuer 1993
In dem Rechtsstreit
an dem teilgenommen haben:
Präsident des Finanzgerichts ... als Vorsitzender ...
Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtlicher Richter Dipl.-Kfm ...
ehrenamtlicher Richter Bürokaufmann ...
wurde für Recht erkannt:
Tenor:
Der Klägerin wird wegen der Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Klägerin wegen Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist.
Da die Klägerin die Steuererklärungen für 1993 trotz entsprechender Aufforderung nicht abgab, erteilte der Beklagte (das Finanzamt - FA -) unter dem 1. November 1995 bzw. unter dem 6. November 1995 aufgrund geschätzter Besteuerungsgrundlagen Bescheide über Körperschaftsteuer, Umsatzsteuer, Gewerbesteuermessbetrag sowie die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 47 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes zum 31. Dezember 1992 und die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 1993. Die von der Klägerin hiergegen eingelegten Einsprüche wurden - da die Steuererklärungen auch im Einspruchsverfahren nicht eingereicht wurden - von dem FA durch Einspruchsbescheide vom 26. August 1996, die am 29. August 1996 mit einfachem Brief zur Post gegeben wurden, zurückgewiesen.
Hiergegen erhoben die Steuerberater ... mit Schriftsatz vom 25. September 1996, die am 2. Oktober 1996 bei Gericht einging, Klage. Der Briefumschlag, in dem die Klageschrift übersandt wurde, ist mit einem Freistempleraufdruck der Prozessbevollmächtigten versehen, der das Datum "25.09.1996" trägt.
Das Eingangsdatum der Klage wurde den Prozessbevollmächtigten mit einem am 21. Oktober 1996 zur Post gegebenen Schreiben des Gerichts mitgeteilt. Nachdem das FA darauf hingewiesen hatte,dass die Klage nicht rechtzeitig erhoben worden sei, beantragten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Schriftsatz vom 3. April 1997, der am folgenden Tage bei Gericht einging, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Unter Vorlage einer Ablichtung des den 25. September 1996 betreffenden Teilsihres Postausgangsbuches (Bl. 26 der Gerichtsakte) machen sie geltend, die Klageschrift an diesem Tag zur Post gegeben zu haben, so dass sie bei normalem Postlauf rechtzeitig bei Gericht hätte eingehen müssen.
Im übrigen ergebe sich der Tag der Postaufgabe auch aus dem Datum des Freistempleraufdrucks auf dem Briefumschlag. Nach den Bedingungen der Deutschen Post AG für die Freistempelung von Sendungen (Bl. 31 und 32 der Gerichtsakte) müsse die Tagesangabe im Tagesstempel mit dem Tag der Einlieferung übereinstimmen. Gewöhnliche Briefsendungen mit unzutreffender Tagesangabe könnten zurückgegeben werden .
Mit Schriftsatz vom 18. Dezember 1996 hat die Klägerin die Steuererklärungen für das Streitjahr nachgereicht.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
unter Änderung der Bescheide über Körperschaftsteuer, Gewerbesteuermessbetrag und Umsatzsteuer 1993 sowie die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen gemäß § 47 Abs. 1 KStG zum 31. Dezember 1993 und zur gesonderten Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges und des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 1993 sowie der dazu ergangenen Einspruchsbescheide vom 26. August 1996 die Festsetzung der Körperschaft- und Umsatzsteuer sowie des Gewerbesteuermessbetrages und die gesonderte Feststellung der Besteuerungsgrundlagen gemäß § 47 Abs. 1 KStG sowie des verbleibenden Verlustabzuges und des vortragsfähigen Gewerbeverlustes entsprechend der im Klageverfahren abgegebenen Steuererklärungen zu ändern.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er vertritt die Ansicht, dass die Klage unzulässig sei, weildie Klagefrist bereits am Montag, den 1. Oktober 1996 abgelaufen, die Klageschrift tatsächlich aber erst am darauffolgenden Tage bei Gericht eingegangen sei. Die von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin vorgelegte Kopie einer Seite des Postausgangsbuches sei nicht beweiskräftig, da auch eine weitere - darin unter dem 25. September 1996 verzeichnete - Klageschrift (zu dem Az. VI 591/96) erst am 2. Oktober 1996 bei Gericht eingegangen sei. Auch der Freistempleraufdruck des Bevollmächtigten reiche zum Nachweis der rechtzeitigen Postaufgabe nicht aus.
Entscheidungsgründe
Der Klägerin wird wegen der Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
Die Klägerin hat die Klage gegen die angefochtenen Bescheide verspätet erhoben. Nach § 47 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) beträgt die Frist für die Erhebung der Anfechtungsklage einen Monat; sie beginnt mit der Bekanntgabe der Entscheidungüber den außergerichtlichen Rechtsbehelf. Im Streitfall wurde die Einspruchsentscheidung am 29. August 1996 mit einfachem Brief zur Post gegeben, so dass sie als am 1. September 1996 bekanntgegeben galt (§ 122 Abs. 2 Nr. 1 der Abgabenordnung - AO -). Die Klagefrist begann daher mit Ablauf des 1. September 1996 zu laufen und endete mit Ablauf des 1. Oktober 1996 (§§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches in Verbindung mit § 222 Abs. 1 der Zivilprozessordnung - ZPO - und § 54 Abs. 2 FGO). Tatsächlich ging die Klage im Streitfall jedoch erst am 2. Oktober 1996 (einem Mittwoch) bei Gericht ein.
Der Klägerin ist jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil sie ohne ihr Verschulden verhindert war, die Klagefrist zu wahren (§ 56 Abs. 1 FGO). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (siehe Nachweise bei Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Auflage 1997, § 56 Randnummer 29) liegt ein Fall unverschuldeter Fristversäumnis insbesondere dann vor, wenn diese auf Verzögerungen bei der Briefbeförderung oder -zustellung zurückzuführen ist. Davon ist im Streitfall auszugehen. Die Klägerin hat die Klageschrift nach ihrem eigenen Vorbringen bereits am 25. September 1996 zur Post gegeben. Die von diesem Tag bis zum Fristablauf verbleibende Zeitspanne von 6 Tagen war so groß, dass die Klägerin auf einen rechtzeitigen Zugang der Klageschrift bei Gericht vertrauen konnte. Entgegen der Auffassung des FA ist die rechtzeitige Aufgabe der Klageschrift zur Post auch glaubhaft gemacht. Denn der Tagesstempel des Freistempleraufdrucks auf dem Kuvert, mit dem die Klageschrift übersandt und das zu der Gerichtsakte genommen wurde, enthält die Tagesangabe "25.09.1996". Der Tagesstempel im Freistempleraufdruck kann zwar keinen vollen Beweis für den Aufgabezeitpunkt erbringen, weil dieser - anders als der Tagesstempel der Deutschen Post AG - schon vor der Einlieferung von dem Absender der Sendung selbst auf den Umschlagangebracht wird. Dies ist zur Wiedereinsetzung aber auch nicht erforderlich. Glaubhaft gemacht im Sinne von § 56 Abs. 2 Satz 2 FGO ist eine Tatsache bereits dann, wenn aufgrund des bezeichneten Beweismittels ein nicht nur geringes Maß an Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der Tatsachenbehauptung besteht (Bundesfinanzhof, Urteil vom 10. Juli 1974 I R 223/70, BFHE 113, 209; BStBl. II 1974, 736). Diese Bedingung wird durch die Tagesangabe im Freistempleraufdruck erfüllt, weil nach Nr. 3.11 der von der Deutschen Post AG aufgestellten Bedingungen zur Benutzung von Freistempelmaschinen für die Freimachung von Sendungen" die Tagesangabe im Tagesstempel mit dem Tag der Einlieferung übereinstimmen muss und Sendungen mit unzutreffender Tagesangabe zurückgegeben werden können. Diese Regelung begründet zwar keine vollständige Gewähr, aber doch eine nicht ganz geringe Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Tagesangabe im Freistempleraufdruck mit dem Tag der Einlieferung übereinstimmt. Denn der Absender muss damit rechnen, dass die Einhaltung der von der Deutschen Post AG aufgestellten Bedingungen bei der Einlieferung zumindest stichprobenartig überprüft wird.
Die Wiedereinsetzung ist auch nicht aus verfahrensrechtlichen Gründen zu versagen. Nach § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO ist der Antrag auf Wiedereinsetzung zwar binnen 2 Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Auch in den Fällen, in denen es - wie im Streitfall - eines ausdrücklichen Wiedereinsetzungsantrages nach § 56 Abs. 2 Satz 4 FGO nicht bedarf, weil die versäumte Rechtshandlung innerhalb der Antragsfrist nachgeholt worden ist (§ 56 Abs. 2 Satz 3 FGO), müssen die den Antrag begründeten Tatsachen innerhalb der Antragsfrist mitgeteilt werden (ständige Rechtsprechung des BFH; vgl. nur Beschlüsse vom 24. Juli 1973, IV R 204/69, BFHE 110, 232, BStBl. II 1973, 823, 824; vom 10. Oktober 1988 IV R 202/85, BFH/NV 1990, 42; Beschluss vom 20. Februar 1990 VII R 125/89, BFHE 159, 573,BStBl. II 1990, 546, 548; Urteil vom 27. März 1985 II R 118/83, BFHE 144, 1, BStBl. II 1985, 586, 587). Die Antragsfrist beginnt, wenn der Beteiligte von der Fristversäumung Kenntnis erlangt hat. Dies ist im Streitfall zu dem Zeitpunkt geschehen, zu dem der Prozessbevollmächtigten der Klägerin die - am 21. Oktober 1996 zur Post gegebene - Eingangsbestätigung des Gerichts erhalten hat. Ausdrücklich geltend gemacht haben die Prozessbevollmächtigten der Klägerin den Wiedereinsetzungsgrund aber erst mit ihrem am 4. April 1997 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz.
Die Verspätung der Geltendmachung des Wiedereinsetzungsgrunds ist im Streitfall aber unerheblich, weil dieser aufgrund deszur Akte gelangten Briefumschlages aktenkundig war. Im Hinblick auf die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Deutschen Post AG begründet die Tagesangabe im Tagesstempel des Freistempleraufdrucks den Schluss darauf, dass die Briefsendung andem darin angebenen Tag bei der Post eingeliefert worden ist. Es war daher auch ohne ausdrücklichen Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin für das Gericht offenkundig, dass die Versäumung der Klagefrist nur auf einer Verzögerung bei der Briefbeförderung oder -zustellung beruhen konnte.
Da das FA bisher nur die Zulässigkeit der Klage bestritten und sich nicht inhaltlich mit der von der Klägerin im Klageverfahren eingereichten Steuererklärung auseinandergesetzt hat, hielt es der Senat für zweckmäßig, über die Wiedereinsetzung durch Zwischenurteil (§ 303 ZPO in Verbindung mit § 155 FGO) zu entscheiden.
Dieses Urteil ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 5 der Finanzgerichtsordnung).