Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 06.02.2013, Az.: 2 VAs 22/12

Unterliegen der Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft der Überprüfung durch den Senat im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG; Spätere Ergänzung der Ermessensbegründung des Justizverwaltungsaktes im gerichtlichen Verfahren bei Ermessensentscheidungen

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
06.02.2013
Aktenzeichen
2 VAs 22/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2013, 48935
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2013:0206.2VAS22.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
GenStA Celle - AZ: 21 VAs 21/12
StA Hannover - AZ: 6413 Js 24706/97

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Der Überprüfung durch den Senat im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG unterliegt nicht der Bescheid der Staatsanwaltschaft, sondern die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft, wenn sie auf die Vorschaltbeschwerde des Antragstellers hin eine eigene abschließende Sachentscheidung unter Ausübung ihres Ermessens getroffen hat.

  2. 2.

    Bei Ermessensentscheidungen ist eine spätere Ergänzung der Ermessensbegrün-dung des Justizverwaltungsaktes auch im gerichtlichen Verfahren grundsätzlich möglich. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die nachträglich von der Vollstreckungsbehörde angegebenen Gründe schon bei Erlass des Justizverwaltungsaktes vorlagen, der Justizverwaltungsakt durch sie in seinem Wesen nicht geändert und der hiervon Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird.

  3. 3.

    Die AV des niedersächsischen Justizministeriums zum Absehen von der Strafverfolgung und von der Strafvollstreckung bei Nichtdeutschen (§§ 154 b, 456 a StPO) vom 16.12.2009 (Nds.MBl. Nr. 1/2010 S. 41) wie auch die Vorgänger-AV vom 30.06.2005 (Nds.MBl. S. 625) sind Verwaltungsvorschriften, die die Ermessens-ausübung der Verwaltung für zahlreiche gleich oder ähnlich gelagerte Fälle vereinheitlichend steuern sollen. Sie bewirken für den Regelfall eine rechtliche Bindung des Ermessens, ihnen kommt jedoch nicht der Charakter einer Rechtsnorm zu.

In dem Justizverwaltungsstreitverfahren
des C. B.,
geboren am xxxxxx 1962 in B. (Rumänien),
zurzeit in der Justizvollzugsanstalt S.,
- Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt H., H. -
wegen Ablehnung des Antrags auf Absehen von der weiteren Strafvollstreckung gemäß § 456 a StPO
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf den Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff. EGGVG gegen die Bescheide der Staatsanwaltschaft Hannover vom 23. Oktober 2012 und des Generalstaatsanwalts in Celle vom 20. November 2012 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxx, den Richter am Oberlandesgericht xxxxxx und den Richter am Landgericht xxxxxx am 6. Februar 2013
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird auf Kosten des Antragstellers als unbegründet verworfen.

Der Geschäftswert wird auf 500 € festgesetzt.

Gründe

I.

Das Landgericht Hannover verurteilte den Antragsteller am 15.07.1999 wegen Mordes in Tateinheit mit schwerem Raub zu lebenslanger Freiheitsstrafe. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Antragsteller, gemeinsam mit fünf weiteren Personen, am frühen Morgen des 24.03.1997 dem Geschädigten P. auflauerte, als dieser nachts von der Jagd nach Hause kam. Die Täter drängten auf den Geschädigten ein, dieser wehrte sich und gab zwei Schüsse ab, von denen einer den Antragsteller traf. Die Täter schlugen und traten sodann auf den Geschädigten ein, bis dieser zusammenbrach, fesselten ihn und zwangen ihn auch unter Einsatz eines mitgeführten Elektroschockgerätes, das Versteck seines Vermögens im Hause preiszugeben. Aus dem sodann von den Tätern geöffneten Tresor entnahmen diese Bargeld in Höhe von 30.000 DM, Wertpapiere, Schmuck, eine Armbanduhr und weitere Gegenstände. Der Geschädigte P. verstarb an den ihm zugefügten massiven Verletzungen.

Der Antragsteller wurde im November 1997 in Frankreich festgenommen und verbüßte dort zunächst Strafhaft. Danach befand er sich in Auslieferungshaft und später bis zur Rechtskraft des Urteils am 27.04.2000 in Untersuchungshaft. Die Strafhaft wird seit dem 27.04.2000 vollzogen, 15 Jahre der lebenslangen Freiheitsstrafe werden am 18.09.2013 vollstreckt sein.

Gegen den Antragsteller, der rumänischer Staatsangehöriger ist und der in Deutschland keine Angehörigen hat, besteht eine bestandskräftige Ausweisungsverfügung der Stadt C. vom 04.10.2000.

Mit Schriftsatz vom 11.10.2012 hat der Verurteilte zum wiederholten Mal beantragt,

von der weiteren Vollstreckung der Freiheitsstrafe gemäß § 456 a StPO abzusehen.

Er macht geltend, dass sein Vater während der Haftzeit verstorben sei und er seine nunmehr 75-jährige, schwer kranke Mutter seit seinem Haftantritt nicht mehr gesehen habe. Er habe mittlerweile mehr als 14 Jahre der Freiheitsstrafe verbüßt, Lockerungen seien ihm nicht gewährt worden. Er habe in der Bundesrepublik Deutschland keine persönlichen Kontakte und sei auf seltene Besuche seiner Ehefrau angewiesen. Im Vollzug habe er sich im Wesentlichen beanstandungsfrei geführt. Zudem werde er durch die seit dem 01.01.2010 geltende Neufassung der AV des niedersächsischen MJ zum Absehen von der Strafverfolgung und von der Strafvollstreckung bei Nichtdeutschen benachteiligt. Die bis zum 31.12.2009 geltende alte Fassung der AV habe bei lebenslanger Freiheitsstrafe nur eine Mindestverbüßungszeit von 10 Jahren vorgesehen, die in der Neufassung auf 15 Jahre heraufgesetzt worden sei. Vor Inkrafttreten der Neufassung der AV habe er jedoch keinen Antrag nach § 456 a StPO stellen können, weil bis zum 17.12.2009 gegen ihn ein Strafverfahren wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln geführt worden sei, welches am 17.12.2009 mit einem Freispruch geendet habe und während dessen Dauer ein Antrag nach § 456 a StPO aussichtslos gewesen wäre.

Diesen Antrag wies die Staatsanwaltschaft Hannover am 23.10.2012 mit der Begründung zurück, dass eine Entscheidung auf Absehen der Vollstreckung nach § 465 a StPO in der Regel nicht vor Verbüßung von 15 Jahren in Betracht komme und die vorgetragenen Gründe für ein Abweichen von dieser Regel nicht ausreichten. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Antragstellers wies die Generalstaatsanwaltschaft mit dem angefochtenen Bescheid vom 20.11.2012 zurück. Nach der Allgemeinverfügung des niedersächsischen Justizministeriums vom 16.12.2009 komme bei lebenslanger Freiheitsstrafe ein Absehen von weiterer Vollstreckung in der Regel nicht vor Verbüßung von 15 Jahren in Betracht, wodurch die Ermessensausübung der Staatsanwaltschaft gebunden sei. Die geltend gemachten besonderen persönlichen Härten der Strafvollstreckung für den Antragsteller seien im Wesentlichen dadurch begründet, dass dieser nach wiederholter Abschiebung unerlaubt zur Begehung der Straftat in das Bundesgebiet eingereist sei und dementsprechend die Strafvollstreckung auch hier erfolge. Die Berufung des Antragstellers auf die vorige Fassung der Allgemeinverfügung des Justizministeriums zu § 456 a StPO gehe fehl, denn hierdurch sei kein schutzwürdiges Vertrauen des Antragstellers entstanden.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Antrag des Betroffenen vom 04.12.2012 auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG. Zur Begründung wiederholt und vertieft er im Wesentlichen sein bisheriges Vorbringen; darüber hinaus weist er darauf hin, dass das Prognosezentrum der JVA H. sein Rückfallrisiko für ein erneutes Tötungsdelikt als "günstig/moderat", dasjenige für Eigentumsdelikte oder weniger schwer wiegende Gewaltdelikte als "moderat/ungünstig" bewertet habe. Der Antragsteller rügt, seine vorgebrachten Belange seien bei der Ermessensentscheidung der Vollstreckungsbehörde nicht ausreichend berücksichtigt worden, insbesondere hätte auch der Umstand, dass er seine Tatbeteiligung eingeräumt und Angaben zu Mitangeklagten gemacht hätte, positiv bei der Ermessensentscheidung berücksichtigt werden müssen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hält den Antrag auf gerichtliche Entscheidung mangels ausreichender Darstellung der dem asyl- und ausländerrechtlichen Status des Antragstellers zugrunde liegenden Vorgängen für unzulässig und hat beantragt,

diesen zu verwerfen.

II.

Der zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 23 ff. EGGVG bleibt in der Sache ohne Erfolg.

1.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig. Er genügt den Anforderungen des § 24 Abs. 1 EGGVG. Nach dieser Vorschrift muss der Antragsteller geltend machen, durch die angefochtene Maßnahme oder ihre Ablehnung in seinen Rechten verletzt zu sein. Die bloße Behauptung einer Rechtsverletzung genügt nicht. Erforderlich ist vielmehr eine - wenn auch zunächst in groben Zügen - die Schlüssigkeitsprüfung ermöglichende Sachdarstellung, also der Vortrag von Tatsachen, die im Falle ihres Zutreffens ergeben, dass dem Verurteilten zumindest unter einem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt die beanspruchten Rechte zustehen und die Behörde diese verletzt (vgl. ständige Rechtsprechung des Senats, Beschlüsse vom 22.05.2009 - 2 VAs 6/09 -, vom 13.01.2009 - 2 VAs 21/08 -, vom 09.12.2008 - 2 VAs 20/08 - und vom 21.07.2008 - 2 VAs 12/08 -).

a) An die von dem Antragsteller darzustellende Möglichkeit der Rechtsverletzung sind jedoch keine überzogenen Anforderungen zu stellen, insbesondere können die im Klageerzwingungsverfahren geltenden, erhöhten Darlegungsanforderungen, wonach zur Darstellung des Sachverhalts weder auf Anlagen zu dem Antrag noch auf die Akten, frühere Eingaben oder andere Schriftstücke Bezug genommen werden darf, nicht ohne weiteres auf das Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG übertragen werden (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 05.04.2012 - 2 BvR 211/12 -; Senat, Beschluss vom 12.07.2012 - 2 VAs 12/12 -). Dies folgt aus der unterschiedlichen Rechtsposition des Antragstellers im Klageerzwingungsverfahren einerseits und dem Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG andererseits. Im Verfahren nach § 172 StPO hat der Verletzte einer Straftat kein subjektives Recht auf Erhebung der öffentlichen Klage gegen den Beschuldigten (vgl. BVerfGE 51, 176 ff.). Gegenstand des Verfahrens nach §§ 23 ff. EGGVG ist hingegen eine unmittelbare Verletzung eines subjektiven Rechts des Antragstellers durch eine staatliche Maßnahme oder ihre Ablehnung bzw. Unterlassung. Da durch die Ablehnung des Absehens von der weiteren Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe dem Antragsteller die Wiedererlangung der persönlichen Freiheit verwehrt wird, steht eine mögliche Verletzung seiner Grundrechte in Rede. Diese Grundrechtsrelevanz führt dazu, dass Art. 19 Abs. 4 GG besondere Bedeutung gewinnt und an den Zugang zu gerichtlichem Rechtsschutz nicht dieselben strengen Anforderungen wie im Klageerzwingungsverfahren gestellt werden könnte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 05.04.2012 - 2 BvR 211/12 -). Gleichwohl muss auch ein Antrag im Verfahren nach § 23 ff. EGGVG diejenigen Tatsachen, aus denen sich die Möglichkeit einer Rechtsverletzung des Antragstellers ergeben soll, so vollständig und nachvollziehbar - sei es in der Antragsschrift selbst, durch beigefügte Anlagen oder Verweisung auf Schriftstücke - darlegen, dass dem Senat die Prüfung der Schlüssigkeit des Antrages möglich ist (vgl. Senat a. a. O.).

b) Gemessen an diesen Anforderungen erweist sich der Antrag auf gerichtliche Entscheidung als zulässig. Zwar teilt der Antrag nicht mit, wann der Antragsteller erstmals in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, er unter Alias-Personalien einen weiteren Asylantrag stellte und er nach zwei weiteren illegalen Wiedereinreisen jeweils wieder abgeschoben wurde. Dies führt jedoch nicht zur Unzulässigkeit des Antrages. Da nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 05.04.2012 der der Prüfung zugrunde liegende Sachverhalt nicht nur durch Ausführungen im Antrag selbst, sondern auch durch Beifügung und Inbezugnahme entsprechender Schriftstücke dargelegt werden kann, ist die aufgezeigte Auslassung in der Antragsschrift selbst unschädlich. Der Senat vermag die Einreise- und Abschiebungsdaten ohne weiteres der in Bezug genommenen und dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung als Anlage beigefügte Ausweisungsverfügung der Stadt C. vom 04.10.2000 zu entnehmen.

2.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung erweist sich jedoch als nicht begründet.

a)

Die angefochtenen Entscheidungen unterliegen nicht uneingeschränkt der gerichtlichen Nachprüfung. Die Vollstreckungsbehörde hat über einen Antrag auf Absehen von der weiteren Vollstreckung nach § 456 a StPO nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden. Der Senat hat deshalb gemäß § 28 Abs. 3 EGGVG nur zu überprüfen, ob die Vollstreckungsbehörde von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist und ob sie die Grenzen des Ermessens eingehalten hat. Hierzu gehört die Überprüfung, ob überhaupt ein Ermessen ausgeübt worden ist (Ermessenausfall), die Grenzen des Ermessens eingehalten worden sind oder eine etwaige Ermessensreduzierung auf Null übersehen wurde. Die Überprüfung erstreckt sich somit darauf, ob die Vollstreckungsbehörde Gesichtspunkte zum Nachteil des Antragstellers berücksichtigt hat, die nach Sinn und Zweck des Gesetzes keine Rollen spielen dürfen, oder ob sie maßgebliche Gesichtspunkte, die bei der Ermessensentscheidung von Belang sein können, falsch bewertet oder außer Acht gelassen hat (vgl. KG Berlin, StraFo 2012, 337 f.).

b)

Bei Anlegung dieser Maßstäbe zeigt die Überprüfung der angegriffenen Entscheidungen keine Rechtsfehler zum Nachteil des Antragstellers auf.

Der Überprüfung durch den Senat unterliegt allerdings nicht der Bescheid der Staatsanwaltschaft, sondern die Entscheidung der Generalstaatsanwaltschaft, welche auf die Vorschaltbeschwerde des Antragstellers hin eine eigene abschließende Sachentscheidung (vgl. hierzu KG Berlin a.a.O. und NStZ 2009, 527) und somit eine eigene Ermessensentscheidung getroffen hat. Diese weist keine Ermessenfehler auf.

aa) Die Gründe einer ablehnenden Entscheidung der Vollstreckungsbehörde müssen die in die Ausübung ihres Ermessens eingestellten wesentlichen Gesichtspunkte mitteilen und eine Abwägung der für und gegen ein Absehen von der weiteren Vollstreckung sprechenden Umstände erkennen lassen (vgl. OLG Hamm, NStZ 1993, 524; KG Berlin StV 1989, 27; OLG Hamburg, StV 1996, 328). Das bedeutet indes nicht, dass die Darlegungen zur Ermessensausübung jeden erdenklichen Gesichtspunkt vollständig zu erfassen haben (vgl. BVerwGE 22, 215 f.; Eyermann/Fröhler-Rennert, VwGO, 13. Aufl., § 114 Rdnr. 24) und sämtliche von dem Antrag vorgebrachten Umstände gleichsam "abgearbeitet" werden müssen. Die Gründe, die für die Entscheidung maßgebend waren, müssen nicht in allen Einzelheiten, aber doch jedenfalls in den Grundzügen benannt werden (vgl. BVerwG NVwZ 1993, 677; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 13. Aufl., § 39 Rdnr. 25).

Bei der Bestimmung der Anforderungen, die an die Darlegung der Ermessensentscheidung zu stellen sind, ist zudem zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit, bei ausländischen Straftätern von der Strafvollstreckung abzusehen, nicht im Interesse dieses Täterkreises, sondern ausschließlich aus fiskalischen Erwägungen im Interesse der Bundesrepublik geschaffen hat, um diese in vertretbarem Rahmen von der Last der Strafvollstreckung zu befreien (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 22.10.2004 - 1 VAs 48/04 - und vom 25.03.2004 - 1 VAs 1/04 -). Dies bedeutet, dass zwar die persönlichen Verhältnisse und Belange eines Verurteilten bei der zu treffenden Entscheidung angemessen zu berücksichtigen sind, aber nicht im Vordergrund stehen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 13.10.2011 - 1 VAs 58/11 -).

bb) Die Generalstaatsanwaltschaft hat bei ihrer Ermessensentscheidung in dem Bescheid vom 20.11.2012 die besonderen persönlichen Härten berücksichtigt, die für den Antragsteller mit der Vollstreckung seiner Strafe in Deutschland verbunden sind. Der Senat lässt dahinstehen, ob die von der Generalstaatsanwaltschaft in ihrem Bescheid vorgenommene Darlegung ihrer Ermessensausübung für sich genommen bereits den oben aufgestellten Anforderungen entspricht. Der Senat hatte nämlich in seiner Entscheidung auch diejenigen Gründe für die von der Generalstaatsanwaltschaft getroffene Ermessensentscheidung zu berücksichtigen, die von der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 13.12.2012 gegenüber dem Senat ergänzend mitgeteilt worden sind.

Bei Ermessensentscheidungen ist eine spätere Ergänzung einer Ermessensbegründung des Justizverwaltungsaktes auch im gerichtlichen Verfahren grundsätzlich möglich (vgl. OLG Karlsruhe, Justiz 1980, 450 f.). Dies ist auch dann zulässig, wenn angestellte Überlegungen zur Ausübung des Ermessens in der Begründung des Justizverwaltungsaktes nur unvollständig zum Ausdruck gekommen sind (vgl. Schoreit in KK-StPO, 6. Aufl., § 28 EGGVG Rdnr. 8). Dies gilt jedenfalls dann, wenn die nachträglich von der Vollstreckungsbehörde angegebenen Gründe schon bei Erlass des Justizverwaltungsaktes vorlagen, der Justizverwaltungsakt durch sie in seinem Wesen nicht geändert und der hiervon Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird (vgl. Eyermann/Fröhler-Rennert, § 114 Rdnr. 87 m. w. N.). Das ist hier bei den ergänzend mitgeteilten Erwägungen der Generalstaatsanwaltschaft der Fall.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat ergänzend dargelegt, dass die Verletzung, die sich der Antragsteller infolge der Gegenwehr des Opfers P. zugezogen hatte, nicht in besonderer Weise zugunsten des Antragstellers zu berücksichtigen sei, weil diese nicht schwerwiegend war und folgenlos verheilt sei. Die von dem Antragsteller geltend gemachten Härten des Strafvollzuges träfen ausländische Strafgefangene regelmäßig. Der Umstand, dass der Antragsteller eine Tatbeteiligung eingeräumt und Angaben zu einem Mitangeklagten gemacht habe, sei nicht zu dessen Gunsten zu berücksichtigen, weil der Antragsteller nach dem Urteilsinhalt seine Beteiligung an dem zum Tode des Opfers führenden Gewalthandlung bestritten und versucht habe, zur eigenen Entlastung einer anderen Person die Hauptverantwortung zuzuschieben. Überdies sei auch zu berücksichtigen, dass der Antragsteller selbst mit massiver Gewalt auf das Opfer eingewirkt habe.

Dies wird - insgesamt - den Darlegungsanforderungen hinsichtlich der Ermessensausübung der Vollstreckungsbehörde bei einer Entscheidung nach § 456 a Abs. 1 StPO gerecht. Soweit der Antragsteller rügt, die Generalstaatsanwaltschaft habe sich mit einigen der von ihm vorgebrachten Umständen nicht befasst, greift dies aus den vorstehend unter II. 2. b) aa) dargelegten Gründen nicht durch. Zudem musste die Generalstaatsanwaltschaft entgegen der Auffassung des Antragstellers die Behauptung, seine 75-jährige Mutter sei schwer erkrankt, nicht als wesentlichen Umstand in ihre Ermessensentscheidung einstellen. Die bloße Behauptung einer solchen Tatsache, die weder in geeigneter Weise (z. B. durch ärztliches Attest) belegt ist noch mangels sonstiger weiterer konkreter Angaben für die Vollstreckungsbehörde nachprüfbar ist, kommt nicht der Charakter eines erörterungspflichtigen Umstandes zu.

Soweit die Generalstaatsanwaltschaft lediglich bei der Bewertung der Zulässigkeit des Antrages auf gerichtliche Entscheidung, ersichtlich aber nicht im Rahmen der Prüfung ihrer Ermessensausübung berücksichtigt hat, dass der Antragsteller trotz mehrfacher Abschiebungen in sein Heimatland immer wieder nach Deutschland eingereist ist, begründet dies keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Antragstellers, denn diese Tatsache hätte sich nur zu seinen Lasten auswirken können.

c) Die Generalstaatsanwaltschaft ist zudem zutreffend davon ausgegangen, dass der Antragsteller hinsichtlich der in der alten Fassung der AV des niedersächsischen Justizministeriums zum Absehen von der Strafverfolgung und von der Strafvollstreckung bei Nichtdeutschen vorgesehenen Mindestverbüßungsfrist von 10 Jahren kein schützenswertes Vertrauen geltend machen kann.

Die AV des niedersächsischen Justizministeriums zum Absehen von der Strafverfolgung und von der Strafvollstreckung bei Nichtdeutschen (§§ 154 b, 456 a StPO) vom 16.12.2009 (Nds.MBl. Nr. 1/2010 S. 41) wie auch die Vorgänger-AV vom 30.06.2005 (Nds.MBl. S. 625) sind Verwaltungsvorschriften, die die Ermessensausübung der Verwaltung für zahlreiche gleich oder ähnlich gelagerte Fälle vereinheitlichend steuern sollen. Sie bewirken für den Regelfall eine rechtliche Bindung des Ermessens (Eyermann/Fröhler-Rennert § 114 Rdnr. 28), ihnen kommt jedoch nicht der Charakter einer Rechtsnorm zu (vgl. BVerwGE 58, 45 ff.; BVerwGE 100, 262 ff.; Eyermann/Fröhler-Rennert a. a. O.). Eine solche Verwaltungsvorschrift kann aus sachlichen Gründen jederzeit geändert werden (vgl. BVerwGE 126, 33 ff. m. w. N.).

III.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 30 Abs. 1 und 2 EGGVG i. V. m. § 130 KostO. Die Festsetzung des Geschäftswertes beruht auf § 30 Abs. 3 EGGVG i. V. m. § 30 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 KostO.