Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 12.07.2012, Az.: 2 VAs 12/12
Möglichkeit der Übertragung der im Klageerzwingungsverfahren geltenden, erhöhten Darlegungsanforderungen auf das Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 12.07.2012
- Aktenzeichen
- 2 VAs 12/12
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 35826
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2012:0712.2VAS12.12.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- GenStA Celle - AZ: 21 VAs 10/12
Rechtsgrundlagen
- §§ 23 ff. EGGVG
- § 24 Abs. 1 EGGVG
Fundstelle
- NStZ-RR 2013, 187
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die im Klageerzwingungsverfahren geltenden, erhöhten Darlegungsanforderungen, wonach zur Darstellung des Sachverhalts weder auf Anlagen zu dem Klageerzwingungsantrag noch auf die Akten, frühere Eingaben oder andere Schriftstücke Bezug genommen werden darf, können nicht auf das Verfahren nach § 23 ff. EGGVG übertragen werden.
- 2.
Ein Antrag im Verfahren nach § 23 ff. EGGVG muss gleichwohl diejenigen Tatsachen, aus denen sich die Möglichkeit einer Verletzung eines Rechtes des Antragstellers ergeben soll, so vollständig und nachvollziehbar - sei es in der Antragschrift selbst, durch beigefügte Anlagen oder Verweisung auf Schriftstücke - darlegen, dass dem Senat die Prüfung der Schlüssigkeit des Antrages möglich ist.
- 3.
Auch im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG ist es nicht Aufgabe des Senates, sich unter Beschaffung und Auswertung von Akten oder sonstigen Unterlagen Kenntnis des dem Verfahren zugrundeliegenden Sachverhaltes zu verschaffen und sich auf diesem Weg selbst die Grundlagen für die erforderliche Schlüssigkeitsprüfung herauszusuchen.
In dem Justizverwaltungsstreitverfahren
des P. R.,
geboren am xxxxxx 1973,
zurzeit in der Justizvollzugsanstalt C.,
- Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt G., Z. -
wegen Ablehnung des Antrages auf Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf den Antrag des Verurteilten auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwaltes und auf den Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff. EGGVG gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft Hildesheim vom 11. April 2012 und des Generalstaatsanwalts in Celle vom 25. Mai 2012 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxx, den Richter am Oberlandesgericht xxxxxx und den Richter am Landgericht xxxxxx am 12. Juli 2012
beschlossen:
Tenor:
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird auf Kosten des Antragstellers als unzulässig verworfen.
Der Geschäftswert wird auf 500 € festgesetzt.
Gründe
I.
In dem Verfahren 21 Js 7588/01 wurde gegen den Antragsteller mit Urteil vom 6. Dezember 2001 eine Freiheitsstrafe verhängt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB angeordnet. Es wurde festgestellt, dass die der Verurteilung zugrundeliegende Tat aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen wurde. Die Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt wurde später für erledigt erklärt. In dem Verfahren 6 Js 8207/09 wurde der Antragsteller durch Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 26. Januar 2010 wegen Hehlerei zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Die Höhe der verhängten Strafen und den Stand ihrer Vollstreckung teilt das Antragsvorbringen nicht mit. Der Verurteilte beantragte am 2. März 2012 bei der Staatsanwaltschaft Hildesheim die weitere Vollstreckung der Strafen in den Verfahren 21 Js 7588/01 und 6 Js 8207/09 gemäß § 35 BtMG zurückzustellen.
Die Staatsanwaltschaft Hildesheim lehnte mit Bescheid vom 11. April 2012 die beantragte Zurückstellung der Strafvollstreckung in beiden Verfahren mit der Begründung ab, dass ein Zurückstellungshindernis bestehe, weil in dem Verfahren 6 Js 8207/09 nicht festgestellt werden könne, dass die der dortigen Verurteilung zugrundeliegende Tat aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit des Verurteilten begangen worden ist. Die hiergegen gerichtete Beschwerde nach § 24 EGGVG wies die Generalstaatsanwaltschaft Celle mit Bescheid vom 25. Mai 2012 zurück. Hiergegen richtet sich der Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 ff. EGGVG, verbunden mit dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des ihn vertretenden Rechtsanwaltes.
II.
1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unzulässig. Er genügt nicht den Anforderungen des § 24 Abs. 1 EGGVG. Nach dieser Vorschrift muss der Antragsteller geltend machen, durch die angefochtene Maßnahme oder ihre Ablehnung in seinen Rechten verletzt zu sein. Die bloße Behauptung einer Rechtsverletzung genügt nicht. Erforderlich ist vielmehr eine - wenn auch zunächst in groben Zügen - die Schlüssigkeitsprüfung ermöglichende Sachdarstellung, also der Vortrag von Tatsachen, die im Falle ihres Zutreffens ergeben, dass dem Verurteilten zumindest unter einem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt die beanspruchten Rechte zustehen und die Behörde diese verletzt (vgl. ständige Rechtsprechung des Senats, Beschlüsse vom 22. Mai 2009 - 2 VAs 6/09 - vom 13. Januar 2009 - 2 VAs 21/08 - vom 9. Dezember 2008 - 2 VAs 20/08 - und vom 21. Juli 2008 - 2 VAs 12/08 -).
An einem solchen aus sich heraus verständlichen Sachvortrag, aus dem sich ergibt, dass der Antragsteller in seinen Rechten verletzt sein könnte, fehlt es hier.
a) Gegenstand des Verfahrens nach § 23 ff. EGGVG ist eine unmittelbare Verletzung eines subjektiven Rechts des Antragstellers durch eine staatliche Maßnahme oder ihre Ablehnung bzw. Unterlassung. Da durch die Ablehnung der Zurückstellung der weiteren Strafvollstreckung dem Antragsteller die Wiedererlangung der persönlichen Freiheit verwehrt wird, steht eine mögliche Verletzung seiner Grundrechte in Rede. Diese Grundrechtrelevanz führt dazu, dass Art. 19 Abs. 4 GG besondere Bedeutung gewinnt und an den Zugang zu gerichtlichem Rechtsschutz nicht dieselben strengen Anforderungen wie im Klageerzwingungsverfahren gestellt werden können (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 5. April 2012 - 2 BvR 211/12 -). Die im Klageerzwingungsverfahren geltenden, erhöhten Darlegungsanforderungen, wonach zur Darstellung des Sachverhalts weder auf Anlagen zu dem Klageerzwingungsantrag noch auf die Akten, frühere Eingaben oder andere Schriftstücke Bezug genommen werden darf, können nicht auf das Verfahren nach § 23 ff. EGGVG übertragen werden (vgl. BVerfG a. a. O.).
An die von dem Antragsteller darzustellende Möglichkeit der Rechtsverletzung sind keine überzogenen Anforderungen zu stellen, da zunächst nur über die Zulässigkeit des Antrages und noch nicht über seine tatsächliche Begründetheit zu entscheiden ist (vgl. Hagemeier in Radtke/Hohmann, StPO, 1. Aufl., § 24 EGGVG Rdnr. 2). Gleichwohl muss auch ein Antrag im Verfahren nach § 23 ff. EGGVG diejenigen Tatsachen, aus denen sich die Möglichkeit einer Verletzung eines Rechtes des Antragstellers ergeben soll, so vollständig und nachvollziehbar - sei es in der Antragschrift selbst, durch beigefügte Anlagen oder Verweisung auf Schriftstücke - darlegen, dass dem Senat die Prüfung der Schlüssigkeit des Antrages möglich ist. Auch im Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG ist es nicht Aufgabe des Senates, sich unter Beschaffung und Auswertung von Akten oder sonstigen Unterlagen Kenntnis des dem Verfahren zugrundeliegenden Sachverhaltes zu verschaffen und sich auf diesem Weg selbst die Grundlagen für die erforderliche Schlüssigkeitsprüfung herauszusuchen (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 1. Februar 2012 - 4 VAs 6/12 -; OLG Frankfurt, NStZ-RR 2005, 376).
b) Diesen Anforderungen wird der vorliegende Antrag nicht gerecht. Der Antrag lässt bereits nicht erkennen, wie der Stand der Vollstreckung der - in ihrer Höhe nicht mitgeteilten - Strafen ist, sodass dem Senat bereits aus diesem Grunde die Prüfung der formellen Voraussetzungen des § 35 BtMG nicht möglich ist. Da der Antragsteller rügt, die Staatsanwaltschaft habe verkannt, dass die in dem Verfahren 6 Js 8207/09 abgeurteilte Tat aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit des Antragstellers begangen worden ist, hätte es jedenfalls einer kurzen Darstellung des dieser Verurteilung zugrundeliegenden Sachverhaltes oder der Beifügung des Urteiles bedurft, weil der Senat ohne Kenntnis der Urteilsgründe diese Beanstandung nicht nachprüfen kann.
Hieran fehlt es ebenso wie an der in Bezug genommenen, jedoch nicht beigefügten Stellungnahme des Drogenberaters und der Therapeutin des Verurteilten. Zwar vermag der Senat einer der Anlagen zu dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu entnehmen, dass ein Therapieplatz bereitsteht und die Kostenübernahme gewährleistet ist, jedoch wird weder die Therapieeinrichtung noch der vorgesehene Aufnahmetermin mitgeteilt oder dieses und die Kostenübernahme nachgewiesen. Zudem fehlen Ausführungen dazu, weshalb die mit Urteil vom 6. Dezember 2001 angeordnete Maßregel für erledigt erklärt werden musste.
Die aus dem Antrag nach §§ 23 ff. EGGVG und den beigefügten Anlagen zu entnehmenden Tatsachen genügen hiernach nicht für die vom Senat vorzunehmende Prüfung der Schlüssigkeit des Antrages.
2. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwaltes war hiernach ebenfalls zurückzuweisen. Zudem hat der Antragsteller keine Erklärung zu seinen wirtschaftlichen Verhältnissen abgegeben.
III.
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 30 Abs. 1 und 2 EGGVG i. V. m. § 130 KostO. Die Festsetzung des Geschäftswertes beruht auf § 30 Abs. 3 EGGVG i. V. m. § 30 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 KostO.