Landgericht Aurich
Beschl. v. 11.05.2009, Az.: 1 S 66/09

Bibliographie

Gericht
LG Aurich
Datum
11.05.2009
Aktenzeichen
1 S 66/09
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 42403
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGAURIC:2009:0511.1S66.09.0A

Fundstelle

  • KuR 2009, 286

In dem Rechtsstreit

...

hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Aurich am 11.05.2009 durch den Präsidenten des Landgerichts Bartels, den Richter Bernau und die Richterin am Landgericht Dr. Schiller beschlossen:

Tenor:

  1. Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass die Kammer beabsichtigt, die Berufung durch einstimmigen, nicht anfechtbaren Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

  2. Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu binnen zweier Wochen.

Gründe

1

Durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27.07.2001 hat der Gesetzgeber den Gerichten zwingend aufgegeben, über nicht aussichtsreiche Berufungen im Weg dieser vereinfachten Erledigungsmöglichkeit zu entscheiden (vgl. Gesetzesbegründung, BT-Drucksache 14/4722, S. 56, 60, 97), sofern - was vorliegend nicht der Fall ist - nicht die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Rechtsfortbildung bzw. die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung erfordern. Dabei hat der Gesetzgeber dem Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 GG dadurch Rechnung getragen, dass die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung hinzuweisen sind, wobei im Einzelfall auch ein knapper Hinweis, gegebenenfalls durch Bezugnahme auf die vom Berufungsgericht für zutreffend erachteten Feststellungen und Gründe der angefochtenen Entscheidung genügen kann (vgl. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucksache 14/6036, S. 123).

2

Die Klägerin ist türkische Staatsangehörige und muslimischen Glaubens. Sie ist Studentin an der Fachhochschule ... in .... Der Beklagte ist Gastdozent an der Fachhochschule. Bei einem Zusammentreffen der Parteien in einem Seminarraum der Hochschule machte der Beklagte eine - im Einzelnen zwischen den Parteien streitige - Bemerkung über das Kopftuch, welches die Klägerin trug. Die Klägerin verlangt Schmerzensgeld, da sie sich durch die Äußerung des Beklagten und die Art und Weise, wie diese getätigt wurde, sowie durch das Vorhandensein einer größeren "Zuhörerschaft" herabgewürdigt, beleidigt und diskriminiert fühle. Die Klägerin stellt die Bemerkung des Beklagten in ihren schriftsätzlichen Ausführungen wie folgt dar: "Man, man, man - wir sind doch hier in Europa, nimm doch mal das Kopftuch ab." In ihrer mündlichen Anhörung durch das Amtsgericht hat die Klägerin den Beklagten wie folgt zitiert: "Man, man, man, wir sind doch hier in Europa. Nehmen Sie doch das Tuch ab." Der Beklagte hingegen behauptet, sinngemäß gesagt zu haben: "Wir sind doch in Europa. Muss das Kopftuch wirklich sein?"

3

Das Amtsgericht hat die Klage nach Anhörung der Klägerin abgewiesen mit folgender Begründung:

4

Ein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechtes der Klägerin als sog. absolutes Recht sei nicht gegeben, da das Persönlichkeitsrecht hier nicht verletzt sei. Angesichts der öffentlichen Diskussion um das Tragen von Kopftüchern seitens muslimischer Frauen müsse die Klägerin kritische Äußerungen anderer diesbezüglich akzeptieren. Darüber hinaus habe die Klägerin in ihrer mündlichen Anhörung durch das Amtsgericht eingeräumt, dass der Beklagte sie nicht - wie von ihr schriftsätzlich vorgetragen worden war - geduzt, sondern gesiezt habe.

5

Auch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 185 StGB ergäbe sich kein Schmerzensgeldanspruch, da keine Beleidigung in diesem Sinne vorläge. Allein aus dem zunächst behaupteten Duzen ergäbe sich schon deshalb kein Anspruch, weil die Klägerin diesen Vortrag durch ihre Klarstellung in der mündlichen Verhandlung revidiert habe. Im Übrigen stelle die Äußerung des Beklagten - wie genau sie im Einzelnen nun auch gelautet haben mag - eine politische bzw. kulturell-religiöse Meinungsäußerung dar, die vom Grundrecht der Meinungsfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG gedeckt sei.

6

Darüber hinaus ergäbe sich auch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 2 AGG kein Anspruch der Klägerin, da sich aus der Äußerung des Beklagten für die Klägerin zumindest keinerlei Benachteiligung i.S.d. Vorschrift ergeben habe.

7

Die Berufung ist zulässig, hat in der Sache jedoch keine Aussicht auf Erfolg.

8

Die Entscheidung des Amtsgerichts begegnet weder in verfahrensrechtlicher noch in materiell-rechtlicher Hinsicht durchgreifenden Bedenken. Es sind weder konkrete Anhaltspunkte ersichtlich, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung geböten, noch liegen im Berufungsrechtszug zu berücksichtigende neue Tatsachen vor. Das angefochtene Urteil beruht auch nicht auf einer falschen Rechtsanwendung.

9

Der Einwand der Klägerin, das amtsgerichtliche Urteil beschäftige sich nicht mit der möglichen Anspruchsgrundlage des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz, insbesondere i.V.m. dem AGG, ist im Hinblick auf die Ausführungen auf S. 4 und 5 des angefochtenen Urteils nicht verständlich.

10

Hinsichtlich des Eingreifens der §§ 2, 3, 7 AGG hat das Amtsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass eine Benachteiligung der Klägerin i.S.d. § 3 Abs. 1, 2 AGG nicht dargetan oder sonst ersichtlich ist.

11

Offenbleiben kann im Ergebnis, ob die (im Range einfachen Bundesrechts stehende) EMRK, und vorliegend speziell Art. 14 EMRK ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB darstellt. Eine Diskriminierung in diesem Sinne ist nicht festzustellen. Zu Recht hat das Amtsgericht eine Abwägung mit dem Grundrecht des Beklagten aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG vorgenommen, welchem letztlich nicht nur das Diskriminierungsverbot aus Art. 14 EMRK, sondern über die mittelbare Drittwirkung der (deutschen) Grundrechte auch das Grundrecht der Klägerin aus Art. 3 Abs. 3 GG entgegensteht. Zu berücksichtigen ist vorliegend, dass keine Maßnahme zu Lasten der Klägerin mit Folgewirkungen vorlag, wie beispielsweise eine Nichtzulassung zu einem Studienseminar aufgrund ihres Kopftuches o.ä.. Dabei will die Kammer keineswegs die möglichen emotionalen Folgen, welche zwischen den Parteien streitig sind, welche aber zumindest die Klägerin behauptet, herabwerten. Zu einer (sonstigen) objektiv nachteiligen Folge kam es vorliegend indes nicht. Dem steht das Recht des Beklagten entgegen, bei dem Anblick eines erkennbar religiös motivierten Kopftuches seine gesellschaftlich-politische Meinung äußern zu dürfen. Die Klägerin hat insoweit rein auf das Kopftuch bezogene Äußerungen anderer hinzunehmen, solange diese nicht über den Grad einer noch vertretbaren Meinungsäußerung hinausgehen. Aus der Wortwahl des Beklagten - und dies gilt unabhängig davon, ob die von der Klägerin oder die vom Beklagten vorgetragene Äußerung gefallen ist - lässt sich nicht entnehmen, dass hier nicht mehr eine noch vertretbare Meinungsäußerung gegeben war. Dabei geht die Kammer jedoch mit dem Amtsgericht davon aus, dass der Beklagte die Klägerin nicht geduzt, sondern gesiezt hat. Prozessual gilt der letzte zweier einander widersprechender Vorträge einer Partei. Hier hat die Klägerin durch ihren Vortrag in der mündlichen Verhandlung, wonach der Beklagte sie gesiezt hat, ihr vorheriges Vorbringen abgeändert. Sie kann sich nun nicht darauf berufen, sie habe sich diesbezüglich in der mündlichen Verhandlung versehen. Die Klägerin wusste aus dem bis dato gegebenen Streitstand sehr genau, dass es auch auf diesen Aspekt der Formulierung besonders ankommt. Sie hat dies dennoch so geäußert und ihre Angabe auch auf das Diktat der vorsitzenden Richterin hin nicht korrigiert. Sie kann sich nicht darauf zurückziehen, die Richterin hätte diesbezüglich noch einmal nachfragen müssen. Zum einen wusste die Klägerin, wie gesagt, sehr genau, dass es darauf maßgeblich ankommt. Zum anderen war sie auch im Termin zur mündlichen Verhandlung anwaltlich vertreten, so dass auch die Prozessbevollmächtigte insoweit hätte Nachfrage halten können.

12

Auch die Art und Weise und die Situation, in welcher der Beklagte nach Darstellung der Klägerin diese Äußerung getätigt haben soll, führte - selbst wenn man diese unterstellt - nicht zu einem anderen Ergebnis im Rahmen der Abwägung. Dabei mag die gesamte Situation durchaus als unglücklich anzusehen sein, insbesondere dann, wenn eine derartige Äußerung von einer Lehrkraft gemacht worden sein soll. In derartigen Zusammenhängen sollte man von Lehrkräften durchaus mehr Fingerspitzengefühl im Umgang mit anderen Menschen, v.a. mit Menschen anderer Kulturkreise erwarten dürfen. Schmerzensgeld begründend war die fragliche Äußerung hingegen nicht.

13

Dabei kam es auch nicht auf eine Beweisaufnahme zu der Frage an, in welcher Art und Weise und mit welchen Auswirkungen auf die Klägerin die Äußerung gefallen ist. Selbstverständlich ist eine Meinungsäußerung stets auch von dem Tonfall geprägt. Zu einer - wie vorliegend - kritischen Meinungskundgabe gehört es regelmäßig, dass auch der Tonfall das Missfallen zum Ausdruck bringt. Dies gehört folglich mit zum grundrechtlich geschützten Bereich. Dass der Beklagte einen Tonfall gewählt hätte, der die Grenzen des noch Zulässigen überschritten hätte, ist nicht ersichtlich. Vielmehr ist selbst nach dem Vorbringen der Klägerin der Tonfall nur als die geäußerte Meinung unterstützend anzusehen, nicht aber als darüber hinaus gehend beleidigend.

14

Die Frage, wie die Klägerin die Äußerung empfunden hat, ist wiederum rein subjektiv und einer objektiven Beweisaufnahme nicht zugänglich.

15

Im Ergebnis ist daher weder das Diskriminierungsverbot aus Art. 14 EMRK bzw. Art. 3 Abs. 3 GG verletzt noch liegt eine Beleidigung i.S.d. § 185 StGB vor, so dass auch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. mit diesen Normen kein Schmerzensgeldanspruch abzuleiten ist.

16

Abschließend weist die Kammer vorsorglich darauf hin, dass mit einer Berufungsrücknahme nicht unerhebliche Kostenersparnisse verbunden sind.

Bartels
Bernau
Dr. Schiller