Landgericht Aurich
Beschl. v. 22.09.2009, Az.: 1 T 268/09

Bibliographie

Gericht
LG Aurich
Datum
22.09.2009
Aktenzeichen
1 T 268/09
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 42404
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGAURIC:2009:0922.1T268.09.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Leer - 05.06.2009 - AZ: 2a XIV 302B

In der Abschiebehaftsache

...

hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Aurich am 22.09.2009 durch den Richter am Landgericht Heinemeier, die Richterin am Landgericht Dr. Schiller und den Richter am Landgericht Klus beschlossen:

Tenor:

  1. Auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Leer vom 05.06.2009 wird festgestellt, dass die Sicherungshaft des Betroffenen in der Zeit vom 23.04.2009 bis 22.06.2009 rechtwidrig war.

  2. Dem Betroffenen wird für das Verfahren vor dem Amtsgericht und für das Beschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Fahlbusch aus Hannover bewilligt.

  3. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde auf seine Kosten zurückgewiesen.

  4. Von den Kosten des Verfahrens werden dem Betroffenen 1/3 und der Bundesrepublik Deutschland 2/3 auferlegt.

Gründe

1

I.

Der Betroffene, gambischer Staatsangehöriger, wurde am 25.03.2009 gegen 12.30 Uhr im Rahmen der Überwachung der EU-Binnengrenze aus den Niederlanden kommend in der grenzüberschreitenden Regionalbahn angetroffen. Anlässlich der Kontrolle konnte er keine Passpapiere vorlegen. Er gab an, keine Passpapiere zu besitzen und auf dem Weg nach Norwegen zu sein. Fahndungsmäßig und erkennungsdienstlich bestanden in Deutschland keine Erkenntnisse. Der Betroffene wurde zuvor im Jahr 2007 in Griechenland und im Jahr 2008 in den Niederlanden erkennungsdienstlich behandelt.

2

Am 25.03.2009 genehmigte das Amtsgericht Leer fernmündlich die Ingewahrsamnahme des Betroffenen bis zum  26.03.2009, 12.00 Uhr. Am gleichen Tage beantragte die Beteiligte beim Amtsgericht Leer die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung gemäß §§ 71 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. §§ 15, 57, 62 AufenthG. Wegen der Begründung wird auf den Haftantrag (Bl. 9 d.A.) Bezug genommen. Der Betroffene wurde am 26.03.2009 vom zuständigen Richter des Amtsgerichts Leer angehört. Dort gab er an, von Griechenland in die Niederlande gereist zu sein und dort für die Dauer von 5 Monaten inhaftiert worden zu sein. Das Amtsgericht ordnete am 26.03.2009 die Sicherungshaft zum Zwecke der Zurückschiebung für die Dauer von 3 Monaten und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung an. Hinsichtlich der Begründung wird auf den Beschluss des Amtsgerichts Leer vom 26.03.2009 (Bl. 14 ff. d.A.) Bezug genommen. Die Vollstreckung der Sicherungshaft erfolgte durch die JVA Hannover-Langenhagen. Am 30.03.2009 ersuchte das BAMF Griechenland um Wiederaufnahme des Betroffenen. Eine Antwort auf dieses Ersuchen ist nicht erfolgt. Die Beteiligte beraumte die Zurückschiebung auf den 27.04.2009 an.

3

Der nunmehr anwaltlich vertretene Betroffene beantragte am 20.04.2009 beim Amtsgericht Leer die Aufhebung des Beschlusses, die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Inhaftierung sowie Akteneinsicht. Das Amtsgericht übersandte die Akten an das Landgericht zur Entscheidung über die sofortige Beschwerde. Am 22.04.2009 zeigte die Beteiligte der JVA Hannover-Langenhagen an, dass die für den 27.04.2009 geplante Zurückschiebung "von Griechenland" storniert wurde (Bl. 69 d.A.). Mit Fax vom 05.05.2009 beantragte der Bevollmächtigte des Betroffenen, "über die sofortige Beschwerde nicht vor dem 08.05.2009" zu entscheiden (Bl. 27 d.A.). Am 10.05.2009 rügte der Betroffene dem Landgericht gegenüber die Einhaltung des Beschleunigungsgebotes (Bl. 29 d.A.). Unter dem 11.05.2009 beantragte der Betroffene über seine Bevollmächtigten beim Amtsgericht Leer festzustellen, dass die Ingewahrsamnahme des Betroffenen in der Zeit vom 25.03. bis zum Zeitpunkt des Erlasses der Anordnung der Sicherungshaft am 26.03.2009 rechtwidrig war (Bl. 32 d.A.). Die Ingewahrsamnahme habe gegen Art. 104 Abs. 2 Satz 1, 2 GG verstoßen. Über diesen Antrag ist bislang nicht entschieden. Mit Schriftsatz vom 18.05.2009 stellte der Betroffene klar, dass er am 20.04.2009 einen Haftaufhebungsantrag beim Amtsgericht gestellt und keine sofortige Beschwerde gegen die Entscheidung vom 26.03.2009 eingelegt habe (Bl. 34 d.A.). Daraufhin übersandte das Landgericht am 19.05.2009 die Akten an das Amtsgericht Leer. Nach Akteneinsicht kündigten die Bevollmächtigten des Betroffenen eine Begründung des Haftaufhebungsantrages bis zum 05.06.2009 an. Auf die Begründung des Haftaufhebungsantrages vom 04.06.2009 wird Bezug genommen (Bl. 42 d.A.).

4

Das Amtsgericht wies am 05.06.2009 den Antrag auf Aufhebung der Sicherungshaft zurück. Wegen der Begründung wird auf den Beschluss vom 05.06.2009 (Bl. 50/51 d.A.) Bezug genommen.

5

Am 10.06.2009 legte der Betroffene gegen die Entscheidung des Amtsgerichts sofortige Beschwerde ein (Bl. 77 d.A.) ein.

6

Am 11.06.2009 beantragte die Beteiligte beim Amtsgericht Leer, das Verfahren an das Amtsgericht Hannover abzugeben, da dieses für die Entscheidung über die Fortdauer der Sicherungshaft zuständig sei.

7

Im Hinblick auf den bevorstehenden Ablauf der Frist für die Sicherungshaft übersandte das Amtsgericht die Akten am 22.06.2009 an das Amtsgericht Hannover. Am 23.06.2009 wies das Amtsgericht Hannover den Antrag auf Verlängerung der Sicherungshaft zurück und ordnete die sofortige Freilassung des Betroffenen an.

8

II.

Die gemäß § 7 FEVG statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Betroffenen ist überwiegend begründet und teilweise unbegründet.

9

Das Amtsgericht Leer hatte zunächst zu Recht auf Antrag der Beteiligten die Sicherungshaft zum Zwecke der Zurückschiebung des Betroffenen angeordnet.

10

Die Voraussetzungen der Haftanordnung lagen am 26.03.2009 vor. Die Anordnung von Sicherungshaft gemäß § 57 Abs. 3 i.V.m. § 62 Abs. 2 AufenthG setzt voraus, dass der Ausländer ausreisepflichtig ist und dass ein Haftgrund vorliegt.

11

Der Betroffene hat wegen einer unerlaubten Einreise in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland den Haftgrund des § 62 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG verwirklicht. Eine unerlaubte Einreise liegt gemäß § 14 AufenthG vor, wenn der Ausländer einen erforderlichen Pass oder Passersatz nach § 3 AufenthG und einen nach § 4 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel nicht besitzt. Nach § 4 AufenthG benötigen Ausländer für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet einen Aufenthaltstitel, sofern nicht durch das Recht der Europäischen Union oder durch Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt ist. Der Betroffene unterfällt keiner dieser Sonderregelungen und reiste ohne gültige Passpapiere von den Niederlanden in das Gebiet der Bundesrepublik ein. Der Betroffene ist daher vollziehbar ausreisepflichtig. Ohne Passpapiere war es dem Betroffenen auch nicht möglich, seine Ausreise selbst zu vollziehen. Angesichts des von ihm angegebenen Reiseziels Norwegen und des geringen Barvermögens von weniger als 200,00 € war auch nicht zu erwarten, dass der Betroffene selbst die Rückreise nach Griechenland durchführen würde.

12

Die Haftanordnung war jedoch ab dem 23.04.2009 nicht mehr mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbar. Am 22.04.2009 teilte die Beteiligte der JVA Hannover-Langenhagen mit, dass die für den 27.04.2009 beabsichtigte Rückführung "von Griechenland" storniert sei. Ab diesem Zeitpunkt ist eine auf erneute Durchführung der Zurückschiebung gerichtete Tätigkeit der Beteiligten weder aus den vorliegenden Akten ersichtlich noch seitens der Beteiligten in ihrer Stellungnahme vom 10.09.2009 dargetan. Soweit die Beteiligte ausführt, Griechenland habe trotz Nachfrage keinen neuen Überstellungstermin mitgeteilt, kann dies mangels konkreter Dokumentation bzw. Darlegung nach Zeitpunkt, Inhalt und Umfang der Tätigkeit der Beteiligten nicht zu Lasten des Betroffenen berücksichtigt werden. Ein für die Abschiebung vorgesehener Ausländer kann nicht aufgrund schlichter Untätigkeit der ausländischen Behörden bis auf weiteres in der Bundesrepublik inhaftiert bleiben, ohne dass deutliche Bestrebungen der Beteiligten, die Zurückschiebung zeitnah herbeizuführen, erkennbar sind. In solchen Fällen überwiegt der Freiheitsanspruch des Betroffenen gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer Sicherstellung der rechtlich gebotenen Zurückschiebung.

13

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 430, 80, 81, 82, 83 Abs. 2, 84 FamFG.

Heinemeier
Dr. Schiller
Klus