Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 30.10.2000, Az.: 2 W 237/00

Pflicht des Vormundes, mit Beteiligung an Erwerbsgeschäft verbundenes Risilo fernzuhalten

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
30.10.2000
Aktenzeichen
2 W 237/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2000, 22077
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2000:1030.2W237.00.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Braunschweig - 08.09.2000 - AZ: 8 T 803/00

In der Vormundschaftssache
hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig
am 30. Oktober 2000
durch
die Richter am Oberlandesgericht ... und ... und
die Richterin am Landgericht
beschlossen:

Tenor:

Auf die weitere Beschwerde der betroffenen Kinder wird der Beschluß der 8, Zivilkammer des Landgerichts Braunschweig vom 8. September 2000 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen, das auch über die Kosten der weiteren Beschwerde zu befinden hat.

Gründe

1

I.

Der Vater der betroffenen Kinder ist Mitgesellschafter der ... mit Sitz in ... deren Zweck die gemeinsame Bewirtschaftung von bisher getrennt bewirtschafteten landwirtschaftlichen Einzelunternehmen ist. Als Gesellschaftsvermögen benennt nachstehender Pachtvertrag totes Inventar einschl. Gebäuden im Zeitwert von DM 1,1 Mio. sowie Pachtland, von dem der Vater ca. 280 ha nebst Rübenquote eingebracht hat. Durch notarielle Urkunde vom 29.12.1998 übertrug dieser seinen Anteil an der Gesellschaft im Wege vorweggenommener Erbfolge unentgeltlich an die Kinder, die daneben noch ein Grundstück unentgeltlich übertragen erhielten. Die Kinder verpachteten in notarieller Urkunde vom gleichen Tage den übertragenen Gesellschaftsanteil gegen einen Pachtzins von TDM 120 p.a. bis zum 30.06.2008 an ihre Großmutter ... die ebenfalls zum Kreis der Gesellschafter zählt.

2

Die für die Anteilsübertragung und den Pachtvertrag beantragte vormundschaftliche Genehmigung hat das Amtsgericht versagt, weil die unternehmerische Einbindung von Kindern in eine GbR angesichts der damit verbundenen unbegrenzten Haftung zu untragbaren Haftungsrisiken führe, die auch nicht entscheidend durch die mittlerweile bestehenden Vorschriften zur Haftungsbegrenzung von Minderjährigen oder die mit der Verpachtung einher gehende Verlusttragung der Pächterin im Innenverhältnis gemindert würden. Die hiergegen eingelegte Beschwerde der Kinder hat das Landgericht zurückgewiesen, wobei es zu einer Haftungsbegrenzung nach § 1629 a BGB zusätzlich gemeint hat, daß das Risiko nicht auf das vorliegend übertragene Vermögen beschränkt sei, sondern daß alles weitere Vermögen von einer evtl. Haftung erfaßt sei, welches die Kindern bis zum Eintritt der Volljährigkeit ggf. zusätzlich noch erlangen würden.

3

II.

Die weitere Beschwerde der betroffenen Kinder (§§ 20, 27 ff. FGG) führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, weil dieser auf einer Verletzung des Gesetzes beruht. Beide Verträge sind nach §§ 1909 Abs. 1, 1915 Abs. 1, 1822 Nrn. 3 und 5 BGB genehmigungsbedürftig, wobei offenbleiben kann, ob für den Pachtvertrag nicht auch zusätzlich noch das in § 1822 Nr. 4 BGB geregelte Genehmigungserfordernis eingreift. Soweit es den Anteilserwerb an der GbR anbelangt, ist das Entgeltlichkeitserfordernis nicht auf den Abschluß von Gesellschaftsverträgen bezogen und kann hierauf angesichts einer formal zu handhabenden, eng am Gesetzeswortlaut orientierten Auslegung auch nicht bezogen werden (vgl. BGH 20.02.1989 MDR 1989, 610, 611) [BGH 20.02.1989 - II ZR 148/88], so daß es letztlich einhelliger Auffassung in der Rechtsprechung entspricht, daß jedweder Vertrag, der auf den Eintritt eines Minderjährigen in eine mit unbeschränkter persönlicher Haftung für ein Erwerbsgeschäft verbundene Gesellschafterstellung gerichtet ist, als ein nach § 1822 Nr. 3 BGB genehmigungspflichtiger Gesellschaftsvertragsschluß anzusprechen ist (Palandt/Diederichsen, BGB 59, § 1822 Rz. 14 m.w.N.; Erman/Holzhauer, BGB 10, Bd. 11, § 17, 19).

4

Die Frage, ob die beiden Verträge genehmigungsfähig sind, ist bislang von den Vorinstanzen nur unzureichend beantwortet worden. Das Amtsgericht hat seine Auffassung dahin umschrieben, daß die unbeschränkte persönliche Haftung mit dem verfassungsrechtlich gebotenen Minderjährigenschutz unvereinbar sei und allein schon dieses Haftungsrisiko zur Genehmigungsversagung führen müsse. Das Landgericht ist dem beigetreten. Gefolgt werden kann einer solchen Auffassung indessen nicht. Im Gegenteil läßt die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung unübersehbar erkennen, daß solche Risiken bei Vorschaltung einer entsprechenden vormundschaftsgerichtlichen Kontrolle, wie sie etwa in § 1822 BGB vorgesehen ist, ohne Verfassungsverstoß gehandhabt werden können (BVerfG 13.05.1986 MDR 1986, 728). Mit Recht wird deshalb zugleich angenommen, daß es nicht dem Sinn und Zweck der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung entspricht, vom Pflegling jedes mit der Beteiligung an einem Erwerbsgeschäft verbundene Risiko fernzuhalten. Dieses zu prüfen und zu begrenzen, ist vielmehr gerade der hinter den Genehmigungstatbeständen des § 1822 BGB stehende Regelungszweck. Der Umstand, daß der Minderjährige bei Beteiligung an einer GbR, gleich ob durch Teilnahme an der Gründung oder durch späteren Beitritt, im Außenverhältnis gegenüber den Gläubigern gem. §§ 718, 427 BGB als Gesamtschuldner mit seinem gesamten Vermögen haftet, rechtfertigt für sich allein die Versagung einer Genehmigung nicht. Es ist vielmehr anhand der im Vordergrund stehenden Interessen des Pfleglings nach den Umständen des Einzelfalls zu prüfen, ob die vertragliche Regelung im Endergebnis für ihn vorteilhaft ist, und die Genehmigung hierfür dann zu versagen, wenn die konkrete Gefahr besteht, daß er infolge seiner Beteiligung an der zu gründenden Gesellschaft mit erheblichen Schulden in die Volljährigkeit entlassen wird (BayObLG 06.07.1995 BayObLGR 1995, 76, 77). Dies setzt notwendig zugleich eine mit gewissen Ermessens- und Beurteilungsspielräumen durchsetzte Prognose voraus, in deren Rahmen die mit dem zu genehmigenden Geschäft verbundenen unternehmerischen und wirtschaftlichen Risiken zu bewerten sind, um auf diese Weise vermeidbare und/oder nicht (mehr) zumutbare Risiken vom Pflegling fernzuhalten (BayObLG 05.03.1997 NJW-RR 1997, 1163, 1164) [BayObLG 05.03.1997 - 1 Z BR 210/96].

5

Die dazu notwendige Aufklärung des Sachverhalts ist bislang nicht erfolgt. Hierfür hätte das Landgericht insbesondere Zusammensetzung und Werthaltigkeit des gesamten übertragenen Vermögens, die künftigen Gewinn- und Verlustrisiken der GbR, die hinter der Vermögensübertragung im einzelnen stehenden Erwägungen, die Risiken einer u.U. fehlenden rechtlichen Einflußnahmemöglichkeit der Pfleglinge auf die Geschäftsführung der GbR und die Werthaltigkeit der mit der Anteilspacht einhergehenden Haftungsfreistellung im Innenverhältnis ermitteln und bewerten müssen. Einzubeziehen wären z. B. ferner gewesen die über § 723 Abs. 1 S. 3 Nr. 2, Abs. 2 BGB vermittelten Kündigungsrechte und die (effektive) Möglichkeit ihrer Ausübung sowie die über § 1629 a BGB begründete Haftungsbegrenzung, die sich allerdings nicht ohne weiteres erstrecken würde auf etwaige steuer- und sozialversicherungsrechtliche Haftungstatbestände (§ 33 AO, vgl. Kühn/Hofmann, AO 17, § 33 Anm. 4 e; §§ 346 ff. SGB III, 173 ff. SGB VI, 28 ff. SGB IV, dazu v. Maydell/Ruland, Sozialrechtshandbuch 2, Kap. 16 Rz. 109). Genauso wäre zu prüfen gewesen, welches weitere gegenwärtige oder mit gewisser Aussicht sonst bis zur Volljährigkeit zu erwartende Vermögen der Pfleglinge in eine Haftung aus der zu genehmigenden Beteiligung ggf. einbezogen würde.

6

Diesen beispielhaft aufgezählten Gesichtspunkten wird das Landgericht im Rahmen der ihm vorbehaltenen Tatsachenermittlung und -bewertung noch nachzugehen haben, so daß der angefochtene Beschluß aufzuheben und zu diesem Zweck an die Vorinstanz zurückzuverweisen ist, der auch die Entscheidung über die Kosten der weiteren Beschwerde obliegt.