Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 04.07.2017, Az.: 18 AR 7/17

Bestimmung des gemeinsam örtlich zuständigen Gericht für eine Schadensersatzklage wegen kartellrechtswidriger Absprachen

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
04.07.2017
Aktenzeichen
18 AR 7/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 51464
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Redaktioneller Leitsatz

1. Eine Zuständigkeitsbestimmung gem. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO ist auch nach Klageerhebung möglich.

2. Der Grundsatz der Prozessökonomie gebietet, in entsprechender Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO durch eine deklaratorische Zuständigkeitsbestimmung Klarheit zu schaffen, wenn mehrere Beklagte, die bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand haben, ein gemeinsamer Gerichtsstand sich aber als gemeinsamer Tatort einer unerlaubten Handlung nicht zuverlässig feststellen lässt.

Tenor:

Als zuständiges Gericht wird das Landgericht H. bestimmt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über kartellrechtliche Schadensersatzansprüche, auf die die Klägerin aus abgetretenem Recht die Beklagten als Gesamtschuldner in Anspruch nimmt.

Die Beklagten sind drei große deutsche Zuckerhersteller, gegen die das Bundeskartellamt wegen wettbewerbsbeschränkender Gebiets-, Quoten- und Preisabsprachen mit bestandskräftigen Bescheiden vom 18. Februar 2014 Bußgelder verhängt hat. Die festgestellten Verstöße bezogen sich unter anderem auf Zucker für die weiterverarbeitende Industrie (Verarbeitungszucker). Die Beklagte zu 1) hat ihren Geschäftssitz in B.; die Beklagte zu 2) ist in K. und die Beklagte zu 3) in M. geschäftsansässig.

Mit im Februar 2017 zur Kammer für Kartellsachen des Landgerichts H. erhobener Klage begehrt die Klägerin Feststellung, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin den Schaden zu ersetzen, der den Zedentinnen der Klägerin aufgrund verbotener Kartellabsprachen entstanden sei. Ihren Anspruch stützt die Klägerin - unter Bezugnahme auf die Bußgeldbescheide des Bundeskartellamtes und dessen Pressemitteilung vom 18. Februar 2014 - auf den Vorwurf, die Beklagten hätten sich über viele Jahre darüber abgesprochen, sich beim Vertrieb von Zucker in Deutschland im Wesentlichen auf ihr angestammtes Gebiet zu beschränken und Absprachen getroffen, um möglichst hohe Zuckerpreise zu erzielen.

Die Klägerin hat gegen die Beklagten Klage ausdrücklich im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung (§ 32 ZPO) erhoben.

Die Klägerin hat die Bestimmung eines gemeinsamen Gerichtsstandes nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO beantragt und angeregt, das Landgericht H. als das für alle Streitgenossen zuständige Gericht zu bestimmen, weil ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand für den vorliegenden Rechtsstreit nicht zuverlässig bzw. klar und eindeutig zu bestimmen sei, und verweist darauf, dass die für den Rechtsstreit zuständige Kammer des Landgerichts H. in einem ähnlich gelagerten Rechtsstreit Zweifel an der örtlichen Zuständigkeit des Landgerichts hinsichtlich aller Beklagten geäußert hat.

Die Beklagten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

II.

1. Der Senat ist gemäß § 36 Abs. 2 ZPO für die Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zuständig, weil das zuerst mit der Sache befasste Landgericht H. zum Bezirk des Oberlandesgerichts Celle gehört.

Der Zulässigkeit des Antrags auf Bestimmung des zuständigen Gerichts steht dabei nicht entgegen, dass die Klage bereits rechtshängig ist, weil § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO nach allgemeiner Auffassung auch nach Klageerhebung angewendet werden kann. Entscheidend hierfür ist, dass die Bestimmung des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO auf Zweckmäßigkeitserwägungen beruht und es im Interesse der Parteien liegen kann, bei einer von vornherein gegen mehrere Beklagte (mit verschiedenen allgemeinen Gerichtsständen) gerichteten Klage auch noch nach Klageerhebung ein für alle Beklagten zuständiges Gericht zu bestimmen, um die Entscheidung des Rechtsstreits durch ein einziges Gericht herbeizuführen (vgl. BGH, Beschluss vom 07. Oktober 1977 - I ARZ 513/77 -, Rn. 1, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 20. September 2005 - 4 SmA 36/05 -, Rn. 8, juris; Zöller/Vollkommer, ZPO, 30. Aufl., § 36 Rn. 16 m.w.N.).

2. Der Antrag auf Zuständigkeitsbestimmung ist auch begründet.

a. Die Beklagten, die ihren allgemeinen Gerichtsstand in unterschiedlichen Landgerichtsbezirken haben, werden nach dem hier allein maßgeblichen Klagevorbringen als Streitgenossen in Anspruch genommen, weil sie aufgrund eines in Mittäterschaft begangenen Kartelldelikts Gesamtschuldner seien. Eine Prüfung dieses Vortrags auf Richtigkeit und Schlüssigkeit findet im Zuständigkeitsbestimmungsverfahren nicht statt (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 21. August 2014 - 11 SV 75/14 -, Rn. 3, juris).

b. Die Beklagten haben zwar bei verschiedenen Gerichten ihren allgemeinen Gerichtsstand, allerdings sollen sie ausdrücklich nicht in ihrem allgemeinen Gerichtsstand als Streitgenossen verklagt werden, sondern im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gemäß § 32 ZPO. Hat die Klägerin aber bereits von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht und die Beklagten als Gesamtschuldner in einem von deren allgemeinen Gerichtsstand abweichenden gemeinsamen besonderen Gerichtsstand klageweise in Anspruch genommen, kommt eine Gerichtsstandbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO grundsätzlich nicht mehr in Betracht (vgl. OLG Nürnberg, Beschluss vom 28. September 2009 - 3 AR 1588/09 -, Rn. 3, juris).

c. Von diesem Grundsatz sind allerdings in bestimmten Fällen Ausnahmen möglich. Sämtliche Tatbestände des § 36 ZPO dienen dazu, langwierigen Streitigkeiten der Gerichte über die Grenzen ihrer Zuständigkeiten ein schnelles Ende zu setzen und in dieser Frage unverzüglich für Klarheit zu sorgen (BGH, Beschluss vom 02. Mai 1955 - I ARZ 213/54 -, BGHZ 17, 168-172, Rn. 5). Dieser Normzweck rechtfertigt es, eine Zuständigkeitsbestimmung trotz eines bestehenden gemeinschaftlichen Gerichtsstandes vorzunehmen, wenn das mit der Sache befasste zuständige Gericht bereits Zweifel an seiner Zuständigkeit hat erkennen lassen. Da ein zurückweisender Beschluss anders als eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO keine Bindungswirkung entfaltet, wäre andernfalls zu befürchten, dass das betreffende Gericht weiterhin seine Zuständigkeit leugnete, was die Klägerin in eine missliche Situation brächte. In solchen Fällen gebietet es der Grundsatz der Prozessökonomie, in entsprechender Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO durch eine deklaratorische Zuständigkeitsbestimmung Klarheit zu schaffen, und nicht etwa die Klägerin darauf zu verweisen, die Rechtsauffassung des Ausgangsgerichts nach Erlass eines klageabweisenden Prozessurteils in einem Berufungsverfahren überprüfen zu lassen (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 14. Oktober 2004 - 28 AR 55/04 -, Rn. 2, juris; Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 31. Januar 2014 - 1 AR 30/13 -, Rn. 3, juris).

Gleiches gilt trotz eines gemeinsamen Gerichtsstands auch dann, wenn sich dieser als gemeinsamer Tatort einer unerlaubten Handlung (§ 32 ZPO) nicht zuverlässig feststellen lässt (KG Berlin, Beschluss vom 05. Januar 2006 - 28 AR 116/05 -, Rn. 4, juris).

So liegt der Fall hier. Die Prozessökonomie gebietet es, die Zuständigkeitsbestimmung - entgegen dem Wortlaut des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO - vorzunehmen. Das mit dem Rechtsstreit derzeit befasste Gericht hat in einem parallel geführten Rechtsstreit bei gleichgelagerter Problematik Zweifel an seiner örtlich Zuständigkeit geäußert. Die hieraus resultierende Unsicherheit genügt. Zudem ist der gemeinsame Tatort der unerlaubten Handlung nicht zuverlässig feststellbar.

aa. Die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich vorliegend zutreffend nach § 32 ZPO, weil die Klägerin ihre Klage auf eine unerlaubte Handlung stützt, indem sie einen Anspruch aus § 33 Abs. 1, 3 GWB i.V.m. Art. 101 AEUV und § 1 GWB bzw. aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art 81 EWGVtr bzw. Art. 85 EWGVtr und § 1 GWB geltend macht.

(1) In Anwendung des § 32 ZPO ist der Begriff der unerlaubten Handlung in einem weiteren Sinne zu verstehen als im bürgerlichen Recht, zumal weil die Zivilprozessordnung älter ist als das Bürgerliche Gesetzbuch und der Zweck des § 32 ZPO, wonach das Gericht der Sachnähe zuständig sein soll, bei der Auslegung leitend ist (vgl. Stein/Jonas-Schumann, ZPO, 21. Aufl., § 32 Rdnr. 1, 18 f.).

(2) Das vorausgeschickt, stellen Verstöße gegen § 33 GWB regelmäßig unerlaubte Handlungen im Sinne von § 32 ZPO dar, weil § 33 GWB den Schutzgesetzverletzungen gemäß § 823 Abs. 2 BGB nachgebildet ist (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 17. März 2000 - 28 AR 168/99 -, Rn. 6, juris m.w.N.).

Die nach Auffassung der Klägerin kartellrechtswidrigen Handlungen der Beklagten betreffen nicht nur den durch das GWB geschützten Markt als Gesamtheit, sondern die Rechtssphäre der Antragstellerin, deren individuelle Interessen kartellrechtlich in § 33 GWB i.V.m. mit der jeweiligen Kartellrechtsnorm vergleichbar einem absoluten Recht geschützt sind (vgl. BGH, Urteil vom 23. Oktober 1979 - KZR 21/78 -, Rn. 19, juris; KG Berlin, a.a.O., Rn. 5; Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 32 Rdnr. 11).

bb. Gleichwohl lässt sich ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand nicht einfach und zuverlässig feststellen.

Abzustellen ist auf die Handlungs- und Erfolgsorte, also den Ort, an dem der tatbestandsmäßige Erfolg eintritt (vgl. BGH MDR 1995, 282 [BGH 17.03.1994 - I ZR 304/91]; OLG Hamm NJW-RR 1987, 1337 [OLG Hamm 29.06.1987 - 11 W 90/86]; Zöller/Vollkommer a.a.O. § 32 Rdnr. 16). Die Orte, an denen weitere Schadensfolgen eintreten, sind für die Begründung des Gerichtsstandes unerheblich.

(1) Als Begehungsort kommt vorliegend nach dem Vortrag der Klägerin jedenfalls insoweit H. in Betracht, als dort Grundabsprachen bezüglich des Kartells zwischen Vertretern der Beklagten zu 1) und der Beklagten zu 2) stattgefunden haben sollen. Das Landgericht H. hat jedoch in anderer Sache Zweifel angemeldet, ob in einem solchen Fall eine mittäterschaftliche Zurechnung des wettbewerbswidrigen Verhaltens der an diesen Absprachen beteiligten Beklagten - hier: der Beklagten zu 1) und 2) - zu Lasten von weiteren Beklagten - hier der Beklagten zu 3) - erfolgen kann. Allein die hieraus resultierende Unsicherheit gebietet eine zumindest deklaratorische Zuständigkeitsbestimmung.

(2) Auch ein gemeinschaftlicher Gerichtsstand am Erfolgsort ist zumindest nicht zweifelsfrei feststellbar.

Grundsätzlich tritt bei dem hier einschlägigen Tatbestand der Diskriminierung (§§ 19, 20 GWB) der tatbestandsmäßige Erfolg am Sitz desjenigen ein, dessen Recht verletzt wird. Das ist in diesen Fällen der Wohn- bzw. Geschäftssitz der Geschädigten, weil sich dort der Mittelpunkt ihrer geschäftlichen Betätigung und der Sitz innerhalb des Marktes befindet, an dem sich die Wettbewerbsbeschränkung auswirkt (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 13. Oktober 1978 - 2 U (Kart) 77/78 -, juris; Wiedemann, Kartellrecht, § 59 Rn. 77). Da die Klägerin jedoch auch Ansprüche aus abgetretenem Recht verfolgt, kommen hinsichtlich dieser (Teil-) Ansprüche weitere Gerichtsstände am Ort des Sitzes der Zedentinnen in Betracht. Eine gerichtliche Geltendmachung der Klageforderung an unterschiedlichen Gerichten liefe jedoch dem Grundsatz der Prozessökonomie zuwider, nicht zuletzt, weil insoweit die Gefahr widerstreitender Entscheidungen bei im Ergebnis identischem Lebenssachverhalt bestünde.

3. Nach alledem war das Landgericht H. als das für den Rechtsstreit gegen alle drei Beklagten zuständige Gericht zu bestimmen.

Die Bestimmung hat nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten und unter Berücksichtigung der Prozesswirtschaftlichkeit zu erfolgen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Mai 2008 - X ARZ 98/08 -, Rn. 20, juris). Dabei war zu berücksichtigen, dass die Zuständigkeit des mit dem Rechtsstreit bereits befassten Landgerichts H. bezüglich der Beklagten zu 1) sich bereits aus § 7 Abs. 1 ZustVO-Justiz ergibt und nach dem bisherigen Verfahrensstand sich Anhaltspunkte für in H. getroffene kartellrechtswidrige Absprachen zwischen der der Beklagten zu 1) und der Beklagten zu 2) ergeben. Dass eine Rechtsverteidigung der Beklagten zu 2) und 3) vor dem Landgericht H. diesen unzumutbar wäre, ist nicht ersichtlich.

4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 37 Abs. 2 ZPO).