Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 20.07.2021, Az.: 12 K 226/20

Aufhebung der Festsetzung von Kindergeld für ein volljähriges Kind mit einer Schwerbehinderung wegen Unterhaltsleistungen des verheirateten Ehegatten

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
20.07.2021
Aktenzeichen
12 K 226/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2021, 68897
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand

Streitig ist die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für den Monat November 2020.

Die Tochter des Klägers ist 1997 geboren. Sie ist ausweislich des unbefristeten Schwerbehindertenausweises zu 50% schwerbehindert.

Ausweislich der ärztlichen Bescheinigung zum möglichen Umfang der Erwerbstätigkeit ist die Tochter nicht in der Lage, ab 2018 bis "noch unklar" eine arbeitslosenversicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes auszuüben.

Im Rahmen eines Einspruchsverfahrens setzte die Beklagte mit Änderungsbescheid Kindergeld ab XX.XX.2018 fest und führte in den Erläuterungen aus, dass das Kind aufgrund der Behinderung außerstande sei, sich selbst zu unterhalten.

Ausweislich der ärztlichen Bescheinigung zum möglichen Umfang der Erwerbstätigkeit vom XX.XX.2020 ist das Kind in der Lage, ab dem XX.XX.2018 bis "noch unklar" eine arbeitslosenversicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes auszuüben.

Am X. Januar 2020 erklärte die Tochter, dass sie ihren Lebensunterhalt von ihren Eltern bekomme.

Im XX.2020 heiratete die Tochter.

In der Erklärung zum verfügbaren Nettoeinkommen eines volljährigen Kindes mit Behinderung vom XX. September 2020 erklärte die Tochter, dass sie seit drei Jahren krankgeschrieben sei und seit einem Jahr kein Krankengeld oder sonstige Leistungen beziehe. Frühberentung sei bei der Rentenversicherung LVA beantragt worden. In der Erklärung zum verfügbaren Nettoeinkommen gab die Tochter an, dass ihr Ehemann einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 39.600 € jährlich erhalte sowie Betriebseinnahmen in Höhe von ca. 1.200 € und Betriebsausgaben in Höhe von ca. 300 € erziele. Ausweislich seiner Lohnabrechnung lautet seine Wohnanschrift xxx und die Adresse seines Arbeitgebers yyy. Der Ehemann erhielt danach ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von 3.300 € bzw. einen Nettoverdienst in Höhe von 2.385,71 €.

Mit Bescheid vom 14. Oktober 2020 hob die Beklagte die Kindergeldfestsetzung vom 4. Januar 2019 für die Tochter ab November 2020 auf. In der Begründung verwies sie auf § 63 in Verbindung mit § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG und führte aus, dass das Kind durch eigene verfügbare finanzielle Mittel (Unterhalt des Ehegatten) in der Lage sei, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten.

Dagegen legte der Kläger Einspruch ein und begründete diesen damit, dass der Bundesfinanzhof - Az. III R 22/13 vom 17. Oktober 2013 - entschieden habe, dass die Heirat des Kindes den Anspruch auf Kindergeld oder die steuerlichen Freibeträge nicht hindere. Auf das Einkommen des Ehepartners oder auf das Ausbildungsgehalt des Kindes komme es nicht an. Es sei nicht erforderlich, dass eine "typische Unterhaltssituation" vorliege, ein Mangelfall müsse auch nicht mehr vorliegen. Nach neuer Rechtslage ab 2012 sei Kindergeld unabhängig von der Höhe der Einkünfte und Bezüge des Kindes zu gewähren.

Mit Einspruchsentscheidung vom 24. November 2020 wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Der Gesamtbedarf des Kindes im Zeitraum Juli 2020 bis Dezember 2020 sei mit 4.989 € zu beziffern. Ihr stünden Einnahmen aufgrund des hälftigen verfügbaren Nettoeinkommens des Ehegatten in Höhe von 7.096,50 € zu. Damit reichten die dem Kind zuzurechnenden Mittel ab Juli 2020 aus, den lebensnotwendigen Bedarf abzudecken. Die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG lägen nicht vor. Die zur Einspruchsbegründung herangezogene Entscheidung des Bundesfinanzhofes wirke sich im Falle eines Kindes mit Behinderung nicht aus, da dieses nur dann kindergeldrechtlich berücksichtigt werde, wenn es außerstande sei, sich selbst zu unterhalten. Bei einem Kind mit Behinderung sei die Festsetzung von Kindergeld also in jedem Fall von der Höhe der Einkünfte und Bezüge des Kindes abhängig.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Klage. Zur Klagebegründung führt der Prozessbevollmächtigte A für den Kläger aus, dass die eigenen Mittel des Kindes nicht ausreichten, seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten. Der verfügbare Nettolohn des Ehegatten betrage monatlich 2.385,71 €, davon seien Hauskosten einschließlich Darlehensraten in Höhe von xx €, monatliche Versicherungskosten von xx € und Fahrzeugversicherungskosten von xx € abzuziehen. Sein täglicher Arbeitsweg betrage 35 km Entfernung und koste bei 0,42 €/km also insgesamt 29,40 €. Dies mache bei 22 durchschnittlichen Arbeitstagen monatlich 646,80 € aus. Nach alledem verblieben dem Ehemann nur 702,60 €. Daraus folge, dass die Tochter keinen Anspruch auf Ehegattenunterhalt besitze, weil der Selbstbehalt nach der Düsseldorfer Tabelle 1.160 € betrage.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Aufhebungsbescheid vom 14. Oktober 2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. November 2020 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Klage betreffe ausschließlich den Monat November 2020, da in diesem Monat die Einspruchsentscheidung bekanntgegeben worden sei. Die Ursächlichkeit der Behinderung sei im Hinblick auf die ärztliche Bescheinigung vom XX.XX.2020 nicht nachgewiesen. Überdies sei das Kind aufgrund verfügbarer Mittel in der Lage, sich selbst zu unterhalten. Eine erneute Berechnung unter Berücksichtigung der mit Klageerhebung vorgetragenen Umstände könne erst zu einer abweichenden Entscheidung führen, wenn ein Nachweis über die Ursächlichkeit der Behinderung erbracht werde und die vorgetragenen Kosten nachgewiesen wären, wobei Kosten nur insoweit anzusetzen seien, wie sie steuerrechtlich als Werbungskosten berücksichtigt werden könnten.

Nachdem trotz Aufforderung keine Stellungnahme des Klägers erfolgte, wurde ihm am XX.XX.2021 eine Frist gemäß § 79b Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) gesetzt, die vom Beklagten angeforderten Nachweise bis zum XX.XX.2021 beizubringen. Er wurde über die Konsequenzen des Fristablaufs belehrt. Das elektronische Empfangsbekenntnis wurde durch das Büro des Prozessbevollmächtigten nach Erinnerung am XX.XX.XXXX zurückgesendet.

Mit Schriftsatz vom XX.XX.XX übersendete Rechtsanwalt B aus dem Büro des Prozessbevollmächtigten A für den Kläger klarstellende Unterlagen des Arztes, wonach dieser versehentlich die Bescheinigung vom XX.XX.2020 fehlerhaft ausgestellt habe und er tatsächlich eine Nicht-Erwerbsfähigkeit habe bescheinigen wollen. Zudem führte er aus, dass eine erneute Berechnung unter Berücksichtigung der mit Klageerhebung vorgetragenen Umstände vorzunehmen sei. Nachweise hinsichtlich der geltend gemachten Kosten des Ehemannes der Tochter sind nicht eingereicht worden.

Die Beteiligten sind in der Ladung zur mündlichen Verhandlung am 20. Juli 2021 um 12.45 Uhr, die der Prozessbevollmächtigte des Klägers ausweislich seines Empfangsbekenntnisse am XX erhalten hat, darauf hingewiesen worden, dass gemäß § 91 Abs. 2 FGO bei Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.

Im Richterbrief vom XX.XX.XX ist - in Ergänzung zur Ladung - zudem ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass bisher keinerlei Unterlagen/Nachweise hinsichtlich etwaiger die Einkünfte und Bezüge des Kindes mindernder Umstände vorgelegt worden seien und insoweit eine Fristsetzung nach § 79b Abs. 2 FGO erfolgt sei.

Am Tag der mündlichen Verhandlung ist um 8.45 Uhr durch das Büro des Prozessbevollmächtigten dem Vorsitzenden Richter am Finanzgericht C telefonisch mitgeteilt worden, dass der für die Klagesache zuständige Rechtsanwalt B erkrankt sei. Deshalb werde um Terminverlegung gebeten. Der Vorsitzende hat darauf hingewiesen, dass im Falle einer noch nachzuweisenden krankheitsbedingten Verhinderung der Termin durch andere Berufsträger wahrgenommen werden könne, es sei denn, dass auch deren Verhinderung gegenüber dem Gericht schriftlich nachgewiesen werden würde. Daraufhin stellte Rechtsanwalt B über das Anwaltspostfach um 9.12 Uhr einen Terminverlegungsantrag und führte aus, dass er als alleiniger Sachbearbeiter aufgrund Erkrankung nicht verhandlungsfähig sei. Auch eine Vertretung durch einen nicht sachbearbeitenden Kanzleikollegen sei aufgrund Terminkollision ausgeschlossen. Beigefügt war eine ärztliche Bescheinigung vom 20. Juli 2021 für B, wonach "bei o. g. Person [...] Verhandlungs- und Reiseunfähigkeit vom 20.07.2021 - 23.07.2021" bestehe. Etwaige Nachweise zur behaupteten Terminkollision sind nicht beigefügt gewesen.

Der Vorsitzende Richter am Finanzgericht C hat sodann den Antrag auf Terminverlegung im Hinblick darauf abgelehnt, dass der reise- und verhandlungsunfähige Rechtsanwalt B den Terminverlegungsantrag selber verfasst habe, die ärztliche Bescheinigung in D ausgestellt sei, hingegen sämtliche Schriftsätze auch im Zusammenhang mit der Terminverlegung als Kanzleisitz ausschließlich E auswiesen und überdies die Terminkollision der übrigen in der Kanzlei tätigen Berufsträger lediglich behauptet worden sei; überdies hat er darauf hingewiesen, dass die Streitsache keine übermäßigen Schwierigkeiten tatsächlicher und rechtlicher Art aufweise. Über seine Entscheidung informierte er das Büro des Prozessbevollmächtigten umgehend telefonisch. Auf das Ablehnungsschreiben, das um 11.17 Uhr an das Büro des Prozessbevollmächtigten per Fax übermittelt worden ist, wird ausdrücklich Bezug genommen.

Ebenfalls wird auf die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung vom 20. Juli 2021, in der zunächst das Gesuch des Rechtsanwaltes B, das um 12.26 Uhr bei Gericht einging, auf Ablehnung des Vorsitzenden Richters am Finanzgericht C wegen der Besorgnis der Befangenheit durch Beschluss abgelehnt worden ist ebenso wie auf die schriftliche Abfassung des benannten Beschlusses ausdrücklich Bezug genommen.

Zur Entscheidung lag die Kindergeldakte vor.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I) Das Gericht konnte in Abwesenheit des Klägers und seines Prozessbevollmächtigten entscheiden, da die Beteiligten in der Ladung auf die Regelung des § 91 Abs. 2 FGO hingewiesen worden sind.

1) Der Vorsitzende Richter am Finanzgericht C hat sowohl den telefonisch als auch den schriftlich gestellten Antrag des Rechtsanwaltes B auf Verlegung des Termins vor Beginn der mündlichen Verhandlung abgelehnt. Damit fand der Termin zur mündlichen Verhandlung statt.

Nach § 155 FGO i. V. m. § 227 ZPO kann ein gerichtlicher Termin aus erheblichen Gründen aufgehoben oder verlegt werden. Nach § 227 Abs. 4 ZPO entscheidet der Vorsitzende über die Verlegung eines Termins ohne mündliche Verhandlung. Die Entscheidung ist kurz zu begründen. Sie ist unanfechtbar.

Der Vorsitzende Richter am Finanzgericht C war für die Entscheidung über den Antrag auf Terminverlegung vom 20. Juli 2021 zuständig. Er hat diesen unter Berücksichtigung der maßgeblichen Umstände des Streitfalls abgelehnt und seine Entscheidung begründet. Das Büro des Prozessbevollmächtigten wurde über die Ablehnung des Terminverlegungsantrags unverzüglich telefonisch und per Fax um 11:17 Uhr und damit vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung um 12:45 Uhr informiert.

2) Der Vorsitzende Richter am Finanzgericht C durfte nach der Zurückweisung des gegen ihn gerichteten Befangenheitsgesuchs mit Beschluss vom 20. Juli 2021, der in der mündlichen Verhandlung ausführlich begründet worden ist und auf dessen schriftliche Ausfertigung verwiesen wird, an der Entscheidung mitwirken.

II) Der angegriffene Aufhebungsbescheid vom 14. Oktober 2020 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 24. November 2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.

1) Die Klage betrifft die Kindergeldfestsetzung für den Monat November 2020.

Legt der Kindergeldberechtigte Einspruch gegen einen Aufhebungsbescheid ein und weist die Familienkasse diesen Rechtsbehelf als unbegründet zurück, verlängert sich die Bindungswirkung der in dem Bescheid über den Kindergeldanspruch getroffenen Regelung regelmäßig bis zum Ende des Monats der Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung (vgl. BFH-Urteil vom 4. August 2011 - III R 71/10, BFHE 235, 203, BStBl II 2013, 380). Der Aufhebungsbescheid vom 14. Oktober 2020 regelte die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung ab November 2020. Die Einspruchsentscheidung des Beklagten datiert vom Dienstag, den 24. November 2020 und gilt als am Freitag, den 27. November 2020 bekannt gegeben. Damit betrifft die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für die Tochter ausschließlich den Monat November 2020.

2) Die Kindergeldfestsetzung für das Kind ist zu Recht ab November 2020 gemäß § 70 Abs. 2 EStG aufgehoben worden.

Nach § 70 Abs. 2 Satz 1 EStG ist die Festsetzung von Kindergeld aufzuheben, soweit in den Verhältnissen, die für den Anspruch auf Kindergeld erheblich sind, Änderungen eingetreten sind. Für November 2020 sind die Voraussetzungen für eine Kindergeldfestsetzung gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Sätze 1 und 2 in Verbindung mit § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 und 3 EStG für die Tochter, die im Streitmonat 23 Jahre alt geworden ist, nicht nachgewiesen worden, so dass die Festsetzung aufzuheben war.

a) Die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG liegen im November 2020 nicht vor. Danach wird ein Kind berücksichtigt, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten; Voraussetzung ist, dass die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten ist.

aa) Die Tochter war im November 2020 behindert im Sinne des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG.

Der Nachweis wird in der Regel durch Vorlage eines Schwerbehindertenausweises oder einer entsprechenden Bescheinigung geführt (Vgl. Loschelder in Schmidt, EStG, § 32 Rn. 47). Das ist im Streitfall geschehen.

bb) Die Tochter war jedoch behinderungsbedingt nicht außerstande, sich selbst zu unterhalten.

aaa) Das Tatbestandsmerkmal "außerstande ist, sich selbst zu unterhalten" ist im Gesetz nicht näher umschrieben. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist ein behindertes Kind dann außerstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es seinen Lebensunterhalt nicht selbst bestreiten kann. Ein Kind ist dann imstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es über eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verfügt, die zur Bestreitung seines gesamten notwendigen Lebensunterhalts ausreicht (vgl. BFH-Urteil vom 19. November 2008 - III R 105/07, BFHE 223, 365, BStBl II 2010, 1057 m. w. N.).

Ob ein behindertes Kind außerstande ist, sich selbst zu unterhalten, ist anhand eines Vergleichs zweier Bezugsgrößen zu prüfen, nämlich der dem Kind zur Verfügung stehenden eigenen finanziellen Mittel einerseits und seinem existenziellen Lebensbedarf andererseits (BFH-Urteil vom 12. Dezember 2012 - VI R 101/10, BFHE 240, 50, BStBl II 2015, 651).

Der gesamte existenzielle Lebensbedarf des behinderten Kindes setzt sich dabei typischerweise aus dem allgemeinen Lebensbedarf (Grundbedarf) und dem individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf zusammen (vgl. BFH-Urteil vom 19. November 2008 - III R 105/07, BFHE 223, 365, BStBl II 2010, 1057). Erbringt der Steuerpflichtige keinen Einzelnachweis für den behinderungsbedingten Mehrbedarf, kann der jeweils maßgebliche Behinderten-Pauschbetrag (§ 33b Abs. 1 bis 3 EStG) als Anhalt für den betreffenden Mehrbedarf dienen (vgl. BFH-Urteil vom 19. November 2008 - III R 105/07, BFHE 223, 365, BStBl II 2010, 1057).

Zu den dem behinderten Kind zur Verfügung stehenden eigenen finanziellen Mitteln gehören nicht nur dessen Einkünfte und Bezüge als verfügbares Einkommen, sondern auch Leistungen Dritter; auf die Herkunft der Mittel und ihre Zweckbestimmung kommt es in diesem Zusammenhang nicht an, soweit diese zur Bestreitung des Lebensunterhalts bestimmt und geeignet sind (vgl. BFH-Urteile vom 9. Februar 2012 - III R 53/10, BFHE 236, 417, BStBl II 2014, 391; vom 13. April 2016 - III R 28/15, BFHE 253, 249, BStBl II 2016, 648). Sofern sich aus den zur Verfügung stehenden Mitteln eine ausreichende Leistungsfähigkeit des Kindes ergibt, kann davon ausgegangen werden, dass den Eltern kein zusätzlicher Aufwand erwächst, der ihre steuerliche Leistungsfähigkeit mindert (vgl. BFH-Urteil vom 8. August 2013 - III R 30/12, BFH/NV 2014, 498). Dann ist es auch gerechtfertigt, für behinderte Kinder kein Kindergeld oder keinen Kinderfreibetrag zu gewähren (vgl. BFH-Urteil vom 4. November 2003 - VIII R 43/02, BFHE 204, 120, BStBl II 2010, 1046; BFH-Beschluss vom 15. Februar 2017 - III B 93/16, BFH/NV 2017, 738).

Unter den Begriff der Bezüge fallen auch Unterhaltsleistungen des verheirateten Ehegatten, wobei es der Lebenserfahrung entspricht, dass dem nicht verdienenden Ehepartner in etwa die Hälfte des Nettoeinkommens in Form von Geld- und Sachleistungen als Unterhalt zufließt, sofern dem unterhaltsverpflichteten Ehepartner ein verfügbares Einkommen in Höhe des steuerlichen Existenzminimums verbleibt. Nach dem Wegfall der Einkünfte- und Bezügegrenze mit Wirkung ab 1. Januar 2012 für volljährige nichtbehinderte Kinder ist diese Rechtsprechung mangels sachlicher Änderung des § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG weiterhin für die Frage von Bedeutung, ob das behinderte Kind imstande ist, sich selbst zu unterhalten (vgl. BFH-Beschluss vom 15. Februar 2017 - III B 93/16, BFH/NV 2017, 738). Demzufolge entfällt der Kindergeldanspruch, wenn die Einkünfte des Ehepartners für den vollständigen Unterhalt des behinderten Kindes ausreichen und kein weiterer Berücksichtigungstatbestand gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 EStG vorliegt.

bbb) Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger für den Monat November 2020 keinen Anspruch auf Kindergeld für seine Tochter, da diese nicht dauernd außerstande ist, sich selbst zu unterhalten.

Der Gesamtbedarf des Kindes beläuft sich für den Zeitraum nach der Heirat am XX.XX. 2020, also von Juli 2020 bis Dezember 2020 auf 4.989 € bzw. monatlich auf 831,50 €.

Dieser Bedarf setzt sich aus dem allgemeinem Lebensbedarf (Grundbedarf) und dem individuellen behinderungsbedingten Mehraufwand zusammen. Als allgemeiner Lebensbedarf ist der Grundfreibetrag nach § 32 a Abs. 1 Satz 2 Nummer 1 EStG in Höhe von 9.408 € für das Jahr 2020 bzw. monatlich 784 € zu berücksichtigen. Wird der notwendige behinderungsbedingte Mehrbedarf - wie im Streitfall - nicht durch Einzelnachweise belegt, bemisst sich der behinderungsbedingte Mehrbedarf grundsätzlich an dem Pauschbetrag für behinderte Menschen gemäß § 33b Abs. 3 EStG, abhängig von dem Grad der Behinderung. Dieser beträgt bei einem Grad der Behinderung von 50 im Kalenderjahr 570 € bzw. 47,50 € monatlich. Damit errechnet sich der Gesamtbedarf des Kindes im Streitfall mit 784 € x 6 zuzüglich 47,50 € x 6 und beträgt insgesamt 4.989 € bzw. monatlich 831,50 €.

Zwar ist - was nunmehr auch zwischen den Beteiligten unstrittig ist - im Hinblick auf die Bescheinigung des behandelnden Arztes und seiner Klarstellung bezüglich der Bescheinigung vom XX.XX.2020 im Klageverfahren davon auszugehen, dass die Behinderung der Tochter ursächlich dafür ist, dass sie nicht in der Lage ist, sich selbst zu unterhalten.

Jedoch muss die Tochter sich das hälftige Nettoeinkommen ihres Ehegatten zurechnen lassen. Bereits der anteilige Netto-Arbeitslohn ihres Ehemannes genügt, um ihren Gesamtbedarf zu decken.

Zur Ermittlung des verfügbaren Nettoeinkommens ist pauschalierend die Summe aller Einnahmen im Sinne des § 2 EStG sowie der Bezüge zu bilden und durch Abzug gewisser Positionen zu korrigieren (vgl. BFH-Urteil vom 4. August 2011 - III R 48/08, BFHE 234, 310, BStBl II 2011, 975; Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 3. September 2020 - 1 K 129/17, juris).

Unstreitig erhält der Ehemann einen Betrag in Höhe von 2.385,71 € als Nettogehalt monatlich ausgezahlt.

Der Kläger hat zwar zusätzliche, das Nettoeinkommen des Ehegatten der Tochter mindernde Beträge behauptet, diese jedoch nicht nachgewiesen.

Zu seinen Gunsten könnten allenfalls erhöhte Werbungskosten für die Fahrten Wohnung-Arbeitsstätte des Ehegatten berücksichtigt werden. Allerdings ergebe sich selbst bei Berücksichtigung von erhöhten Werbungskosten des Ehemannes wegen Fahrten Wohnung-Arbeitsstätte in steuerlich zulässigem Umfang kein anderes Ergebnis hinsichtlich des Kindergeldanspruchs für die Tochter für November 2020.

Die Entfernung zwischen der Wohnanschrift und Arbeitsstätte laut Lohnbescheinigung des Ehemannes beträgt für die kürzeste und schnellste Strecke laut Google-Maps 29,1 km. Pauschal werden 0,30 € pro vollem Entfernungskilometer gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 Satz 2 EStG zugrunde gelegt. Damit errechnet sich bei 29 km x 0,30 € X 22 Arbeitstage ein Werbungskostenabzug in Höhe von 191,40 € pro Monat, also 2.296,80 € jährlich. Insoweit kann der vom Kläger vorgenommenen Berechnung mit 35 km und 0,42 € pro Fahrkilometer mal durchschnittlich 22 Arbeitstagen pro Monat, also 35 km x 0,42 € x 2 x 22 mithin ein Betrag von 646,80 € pro Monat insbesondere, weil der Kläger seine Berechnungsgrundlagen trotz wiederholter Aufforderung nicht erklärt, nicht gefolgt werden.

Da der Werbungskostenpauschbetrag in Höhe von 1.000 € gemäß § 9a Satz 1 Nr. 1a EStG bereits automatisch bei der Lohnabrechnung berücksichtigt wird, kann nur noch die Differenz zwischen den berechneten 2.296,80 € und dem Werbungskostenpauschbetrag zusätzlich berücksichtigt werden. Damit könnte zugunsten des Klägers also ein weiterer Betrag einkünftemindernd für die relevante Zeit ab Juli 2020 und damit für 6 Monate in Höhe von 1/2 von 1.296,80 € berücksichtigt werden, aufgerundet 650 €. Wenn diese von dem laut Einspruchsentscheidung zur Verfügung stehenden hälftigen verfügbaren Nettoeinkommen in Höhe von 7.096,50 € abgezogen würden, verblieben noch für Juli 2020 bis Dezember 2020 ein Gesamtnettobetrag in Höhe von 6.446,50 € bzw. monatlich ca. 1.074 €, der dem Kind zuzurechnen ist. Damit ist das Kind im November 2020 in der Lage seinen Unterhalt aus eigenen Mitteln zu finanzieren.

Bei den anderen angeführten Kosten wie Hauskosten einschließlich Darlehensraten und Versicherungskosten ist weiterhin offen, ob diese Beträge überhaupt bei einer steuerlichen Einkünfteermittlung zu berücksichtigen wären; überdies ist auch die Höhe nicht nachgewiesen.

cc) Obwohl der insoweit feststellungsbelastete Kläger mehrfach aufgefordert worden war, entsprechende Nachweise hinsichtlich der behaupteten steuermindernden Beträge beizubringen und ihm insoweit auch eine Frist gemäß § 79b Abs. 2 FGO gesetzt worden ist, hat er die angegebenen Beträge weder erklärt noch nachgewiesen. Im Ergebnis kann das Gericht damit nicht feststellen, dass die Tochter behinderungsbedingt nicht in der Lage ist, sich selbst zu unterhalten.

b) Es ist zudem weder vorgetragen noch ersichtlich, dass dem Kläger für seine Tochter gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG ein Anspruch auf Kindergeld zusteht.

Die Tochter ist im November 2020 23 Jahre alt geworden und befindet sich weder in einer Berufsausbildung (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2a) EStG), einer Übergangszeit (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2b) EStG) noch kann sie ihre Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatz nicht beginnen oder fortsetzen (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2c) EStG) und absolviert auch kein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr (§ 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2d) EStG).

3) Die maßgeblichen Verhältnisse für die Kindergeldfestsetzung haben sich für November 2020 geändert, so dass die Festsetzung aufzuheben war. Da die Aufhebungsentscheidung eine gebundene Entscheidung ist, stand der Beklagten insoweit kein Ermessen zu.

III) Die Kostenfolge beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.