Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 08.07.2014, Az.: 1 Ws 170/14
Fortdauer der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung; Anhörung durch beauftragten Richter
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 08.07.2014
- Aktenzeichen
- 1 Ws 170/14
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2014, 20463
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2014:0708.1WS170.14.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Göttingen - 02.05.2014
Rechtsgrundlagen
- StPO § 454 Abs. 1 S. 3
- StPO § 463 Abs. 3 S. 1
- StGB § 67d Abs. 2
Amtlicher Leitsatz
Die mündliche Anhörung durch einen beauftragten Richter begegnet keinen rechtlichen Bedenken, wenn dem persönlichen Eindruck des Gerichts nach Lage des Falles nur geringe Bedeutung zukommt und dieser den übrigen Kammermitgliedern durch den beauftragten Richter vermittelt werden kann.
Tenor:
Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen vom 2. Mai 2014 wird verworfen.
Der Untergebrachte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
I.
Der Beschwerdeführer wurde am 25. September 1997 vom Landgericht Landshut wegen Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Außerdem ordnete die erkennende Kammer die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an. Wegen der Urteilsgründe wird auf VH I Bl. 1 ff. verwiesen.
Nachdem der Bundesgerichtshof den Strafausspruch hinsichtlich des Vorwurfs der schweren räuberischen Erpressung und zudem den Gesamtstrafenausspruch durch Urteil vom 1. Juli 1998 (VH I 92 ff.) aufgehoben hatte, erkannte das Landgericht Landshut durch Urteil vom 26. Oktober 1998 auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Jahren und 3 Monaten (VH I Bl. 97 ff.). Der Beschwerdeführer verbüßte die Strafe aus dem letztgenannten Urteil bis zum 26. Juni 2003 vollständig. Seit dem 27. Juni 2003 wird die Maßregel vollstreckt.
Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem 21. November 2013 (VH IV Bl. 1282) in der für sicherungsverwahrte Straftäter neu errichteten Abteilung der JVA Rosdorf (Niedersächsisches Zentrum für Sicherungsverwahrung). Weil die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung mehrfach wegen weiterer Straftaten (jeweils Beleidigungsdelikte) unterbrochen wurde, werden 10 Jahre der Maßregel erst am 18. Juni 2015 vollzogen sein (vgl. VH IV Bl. 1286).
Die große Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Göttingen hat durch den angefochtenen Beschluss angeordnet, dass die Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung fortdauert. Diese Entscheidung greift der Untergebrachte mit der sofortigen Beschwerde an.
Zur Begründung seines Rechtsmittels macht er geltend, dass in der JVA Rosdorf das sogenannte Abstandsgebot nicht gewahrt sei, weil sich die Unterbringung der Sicherungsverwahrten in der JVA Rosdorf nicht hinreichend von der Unterbringung von Straftätern unterscheide. Außerdem genüge es nicht den gesetzlichen Vorgaben, dass die Strafvollstreckungskammer Göttingen die mündliche Anhörung durch den Vorsitzenden als beauftragten Richter durchgeführt habe. Die große Strafvollstreckungskammer sei mit 3 Richtern zu besetzen. Er habe die Teilnahme an der Anhörung verweigert, weil die Strafvollstreckungskammer nicht in voller Besetzung angereist sei. Des Weiteren handele es sich bei ihm um einen Altfall im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Er sei deshalb zwingend nach 10 Jahren zu entlassen, so dass Entlassungsvorbereitungen zu treffen seien. Schließlich sei die Fortdauer der Sicherungsverwahrung auch deshalb rechtswidrig, weil er die Straftaten, die dem Urteil des Landgericht Landshut vom 25. September 1997 zugrunde liegen, nicht begangen habe. Ihm sei deshalb Wiedereinsetzung zu gewähren. Wegen der weiteren Einzelheiten der Beschwerdebegründung wird auf die Schriftsätze vom 5. Juni 2014 (VH IV Bl. 1403 ff) und vom 21. Juni 2014 (VH IV Bl. 1476 ff.) Bezug genommen.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Die gem. § 463 Abs. 3 i. V. m. § 454 Abs. 3 S. 1 StPO statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte (§§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO) sofortige Beschwerde ist zulässig, hat in der Sache allerdings keinen Erfolg. Die Strafvollstreckungskammer hat zu Recht die Fortdauer der Maßregel angeordnet.
1. Dass die Anhörung des Untergebrachten durch den Vorsitzenden als beauftragten Richter und nicht durch die gemäß § 78b Abs. 1 Nr. 1 GVG besetzte Kammer erfolgen sollte, begründet keinen Verfahrensfehler. Zum einen genügt die Vorgehensweise den Vorgaben der §§ 463 Abs. 3 S. 1, 454 Abs. 1 S. 3 StPO. Die mündliche Anhörung durch einen beauftragten Richter begegnet keinen rechtlichen Bedenken, wenn dem persönlichen Eindruck des Gerichts nach Lage des Falles nur geringe Bedeutung zukommt und dieser den übrigen Kammermitgliedern durch den beauftragten Richter vermittelt werden kann (BGH, Beschluss vom 13.09.1978, StB 187/78, juris, Rn. 2 ff.; OLG Frankfurt, Beschluss vom 03.11.2009, 3 Ws 868/09, juris, Rn. 3; Graalmann-Scheerer, StPO, 26. Aufl., § 454 Rn. 30 f.). Diese Rechtsprechung ist verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG NJW 1992, 2947, 2954 [BVerfG 03.06.1992 - 2 BvR 1041/88]) und hier einschlägig, weil der Beschwerdeführer - wie sich aus der Stellungnahme der JVA Rosdorf (VH IV Bl. 1292) ergibt - trotz regelmäßiger Ansprache für Behandlungsangebote schlechterdings nicht zu motivieren ist und erhebliche neue Erkenntnisse durch die Anhörung somit nicht zu erwarten waren. Zum anderen liegt auch deshalb kein Verfahrensfehler vor, weil der Beschwerdeführer seine Teilnahme an der mündlichen Anhörung verweigert hat (vgl. hierzu: Graalmann-Scheerer, StPO, 26. Aufl., § 454 Rn. 46). Ob er die Teilnahme tatsächlich wegen der - aus seiner Sicht rechtfehlerhaften - Kammerbesetzung abgelehnt hat, kann offen bleiben, weil dieser innere Vorbehalt für die Kammer jedenfalls nicht erkennbar war.
2. Die Maßregel ist nicht gemäß § 67d Abs. 2 Satz 1 StPO i. V. m. Art 316 e Abs. 1 S. 2, 316 f Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1 EGStGB zur Bewährung auszusetzen, weil weiterhin die Gefahr besteht, dass der Beschwerdeführer in Freiheit rechtswidrige Taten begehen wird. Es kommt bei der gebotenen Prognoseentscheidung maßgeblich darauf an, ob neue Umstände vorliegen, die eine Korrektur der ursprünglichen Unterbringungsanordnung bedingen (BVerfG NJW 1976, 1736, 1737 [BVerfG 09.03.1976 - 2 BvR 618/75]; OLG Braunschweig, 1 Ws 279/13, juris, Rn. 25; OLG Düsseldorf, NJW 1993, 1087 [OLG Düsseldorf 28.07.1992 - 3 Ws 303/92]; Münchner Kommentar/Veh, StGB, § 67d Rn. 20). Die Kammer hat mit Recht solche Umstände nicht erkennen können. Dem nachvollziehbaren Gutachten des psychologischen Psychotherapeuten K über die Behandlungsuntersuchung (vgl.§ 66 c Abs. 1 Nr. 1 StGB) vom 27. August 2013 ist zu entnehmen, dass weiterhin mit einer Wahrscheinlichkeit 40 % bis 60 % mit Delikten zu rechnen ist, die den Anlasstaten entsprechen (vgl. VH IV Bl. 1300 ff, insbes. Bl. 1352 [S. 53 des Behandlungsgutachtens]).
Soweit der Beschwerdeführer bestreitet, dass er die Straftaten, die dem Urteil des Landgericht Landshut vom 25. September 1997 zugrunde liegen, begangen habe, kann er damit im Vollstreckungsverfahren nicht gehört werden. Die Vollstreckungsgerichte haben davon auszugehen, dass ein Verurteilter die in dem rechtskräftigen Urteil festgestellte Tat begangen hat; sie müssen auf dieser Grundlage ihre Prognose treffen (KG, Beschluss vom 02.08.2013, 2 Ws 385/13, juris, Rn. 9; OLG Braunschweig, Beschluss vom 11.03.1983, Ws 75/83, juris). Wenn ein Verurteilter die Straftat dennoch im Vollstreckungsverfahren leugnet, steht ihm dies zwar frei und hindert auch nicht zwangsläufig eine positive Prognose. Denn behandlungsorientierte Gespräche sind auch ohne Schuldeingeständnis möglich (KG, Beschluss vom 02.08.2013, 2 Ws 385/13, juris, Rn.7). Etwaige Zweifel, die sich daraus ergeben, dass der Beschwerdeführer solche behandlungsorientierten Gespräche ebenso wie die Exploration durch den Sachverständigen K (vgl. VH IV Bl. 1303) abgelehnt hat, gehen aber zu seien Lasten (vgl. KG, Beschluss vom 02.08.2013, 2 Ws 385/13, juris, Rn.8).
Dass der Beschwerdeführer entlassungsvorbereitende Maßnahmen anmahnt, hat auf die aktuell zu treffende Fortdauerentscheidung keinen Einfluss. Wenn solche Maßnahmen bisher nicht getroffen wurden, beruht das nachvollziehbar auf dem Umstand, dass der Beschwerdeführer das hierfür erforderliche "Mindestmaß an Kooperationsbereitschaft" (vgl. S. 56 des Behandlungsgutachtens, VH IV Bl. 1355) nicht aufbringt.
3. Auch die vom Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfG, Urteil vom 05.02.2004 [BVerfGE 109, 133, 166 [BVerfG 05.02.2004 - 2 BvR 2029/01]] sowie Urteil vom 04.05.2011, 2 BvR 2333/08; juris) aufgestellten Grundsätze zum Abstandsgebot (vgl. hierzu das Gesetz zur bundesrechtlichen Umsetzung des Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsverwahrung vom 5.12.2012, BGBl. 2012 I. S. 2425 ff - jetzt § 66c StGB) sind in genügender Weise umgesetzt worden. Um in Erfahrung zu bringen, ob und ggf. durch welche baulichen und organisatorischen Maßnahmen dem Abstandsgebot Rechnung getragen wurde und welche (sozial-) therapeutischen Angebote es dort schon gibt oder perspektivisch geben wird, hat der Senat die JVA Rosdorf - Niedersächsisches Zentrum für Sicherungsverwahrung - am 21. November 2013 besichtigt. Wie der Senat bereits in dem von der Generalstaatsanwaltschaft zitierten Beschluss vom 17. Dezember 2013 (1 Ws 279/13, juris, Rn. 44 ff.) dargelegt hat, steht den Untergebrachten jeweils ein eigenes, ca. 23 m2 großes Appartement zur Verfügung, das aus einem Wohn- und Schlafteil sowie einer eigenen mit Dusche, WC und Waschbecken ausgestatteten Nasszelle besteht. In jedem Appartement gibt es außerdem Fernsehen und Telefon sowie einen eigenen Kühlschrank. Daneben verfügt jede Wohngruppe über eine geräumige und modern eingerichtete Gemeinschaftsküche (Herd, Küchengeräte, großer Gefrierschrank, großer Kühlschrank) sowie eine Sitzgruppe mit großem Flachbildschirm. Alle Appartements sind mit durchaus geschmackvoll und wohnlich wirkenden Möbeln ausgestattet. Den Sicherungsverwahrten ist es auch erlaubt, eigene Möbel oder Wohntextilien einzubringen.
Das für den Vollzug der Sicherungsverwahrung innerhalb der Justizvollzugsanstalt Rosdorf neu errichtete Gebäude hat als weitere Gemeinschaftsräume einen mit modernen Geräten eingerichteten Fitnessbereich, einen Außenbereich mit Garten - die Sicherungsverwahrten haben sich dort als Gemeinschaftsprojekt einen Grillplatz sowie einen Küchengarten eingerichtet - sowie eine Bastelwerkstatt. Die Sicherungsverwahrten - mit Ausnahme derjenigen, die in den besonders gesicherten Wohngruppen leben - können sich zwischen 06:00 Uhr bis 22:00 Uhr innerhalb und außerhalb ihres Gebäudes frei bewegen und dazu die Türen mittels Chipkarte entsperren.
Danach unterscheidet sich die Wohnsituation der in der Justizvollzugsanstalt Rosdorf sicherungsverwahrten Personen in ganz entscheidender Weise von Gefangenen, die sich im Strafvollzug befinden. Der Vorschrift des § 66c Abs. 1 Nrn. 1, 2 StGB ist nach Auffassung des Senats daher in jeder Hinsicht Rechnung getragen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.
IV.
Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass die Fortdauer der Sicherungsverwahrung über die bis 30. Januar 1998 zwingend geltende Vollstreckungshöchstfrist von 10 Jahren (§ 67 d Abs. 1 S. 1 StGB a. F., geändert durch Art 1 Nr. 4 und Art 8 des Gesetzes zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26.01.1998) nur unter den Voraussetzungen des Art 316 f Abs. 2 S. 2 EGStGB zulässig ist (hierzu: OLG Frankfurt, Beschluss vom 04.07.2013, 3 Ws 136/13, juris, Rn. 10).