Arbeitsgericht Verden
Urt. v. 26.08.1980, Az.: 1 Ca 210/80

Abwerbung einer langjährigen Angestellten als wichtiger Grund und eine ausserordentliche Kündigung rechtfertigender Grund

Bibliographie

Gericht
ArbG Verden
Datum
26.08.1980
Aktenzeichen
1 Ca 210/80
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1980, 12465
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:ARBGVER:1980:0826.1CA210.80.0A

In dem Rechtsstreit
hat das Arbeitsgericht in Verden/Aller
auf die mündliche Verhandlung vom 26. August 1980
durch
den Richter Hannes als Vorsitzenden und
die ehrenamtlichen Richter Nienaber und Oetzel als Beisitzer
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1)

    Es wird festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die von der Beklagten am 13. März 1980 ausgesprochene fristlose Kündigung nicht aufgelöst worden ist.

  2. 2)

    Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte

  3. 3)

    Der Streitwert wird auf 8.200,00 DM festgesetzt

Tatbestand

1

Der Kläger war aufgrund, eines Arbeitsvertrages vom 17. August 1979 mit Wirkung ab 21. August 1979 "bei der Beklagten als Bautechniker (Bauleiter) ... beschäftigt.

2

Mit der Klage wendet sich der Kläger gegen eine fristlose Kündigung seines Arbeitsverhältnisses vom 13. März 1980.

3

Wegen der Einzelheiten des Arbeitsvertrages wird auf diesen (Bl. 5 d. A.) verwiesen.

4

Der Kläger hatte die Betreuung von Bauvorhaben in Nordrhein-Westfalen von der Zweigstelle der Beklagten in Wülfrath aus vorzunehmen.

5

Am 13. März 1980 fand zwischen dem Kläger und dem Geschäftsführer Kläner der Beklagten ein Gespräch in Wülfrath statt. Während dieses Gespräches ist das Arbeitsverhältnis des Klägers fristlos gekündigt worden.

6

Die fristlose Kündigung wurde sodann mit Schreiben vom 16. März 1980 wiederholt.

7

Der Kläger ist der Ansicht, daß ein Grund zur außerordentlichen Kündigung nicht gegeben ist.

8

Er beantragt,

festzustellen, daß die von der Beklagten am 13. März 1980 ausgesprochene fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers unwirksam und das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die ausgesprochene Kündigung nicht aufgelöst ist.

9

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

10

Die Beklagte trägt zur Begründung der Kündigung vor, der Kläger habe die im Büro Wülfrath tätige Sekretärin und Sachbearbeiterin ... abwerben wollen, um mit dem Kläger und zwei ehemaligen Verkäufern der Beklagten gemeinsam zu einer anderen Firma zu gehen.

11

Am Montag, dem 11. März 1980 sei ... in das Büro in Wülfrath gekommen und habe zu ... gesagt:

"Hanna, die Sache ist 90% klar, wenn Du mitmachen willst, ist es jetzt Zeit für Dich, Du mußt Dich nun entscheiden."

12

Hiermit sei gemeint gewesen, daß der Kläger die Beklagte verlassen und bei einer anderen Firma anfangen wollte.

13

Hiervon habe der Geschäftsführer am 13. März 1980 erfahren. Das am 13. März 1980 geführte Gespräch habe im Hinblick auf zahlreiche Verstöße gegen Arbeitsvertrag, Firmenrichtlinien und Dienstanweisungen geführt werden sollen, nachdem etliche Abmahnungen mündlicher und schriftlicher Art bereits vorausgegangen gewesen seien.

14

Im übrigen habe der Kläger in keiner Weise seine ihm obliegenden Pflichten erfüllt. Er habe auch trotz wiederholter mündlicher und schriftlicher Abmahnungen immer wieder gegen Richtlinien verstoßen. So habe er sein Fahrtenbuch nicht geführt, Baustellenberichte seien entweder überhaupt nicht oder nur selten geführt worden, Zahlungsanweisungen für Unternehmer seien ohne Kenntnis der Bautenstände ausgeschrieben worden zu Zeitpunkten, als die Arbeiten noch nicht erledigt gewesen seien. Ferner sei ... mehrmals betrunken, angetrunken oder überhaupt nicht zum Dienst erschienen. Er habe sich ferner in ungehöriger Art und Weise über Mitarbeiter und Firmenleitung ausgelassen. Ferner habe der Kläger ... dazu verleiten wollen, Firmenleitung, Kunden und Vertragsunternehmen dann die Unwahrheit zu sagen, wenn er wegen Trunkenheit nicht erschienen sei.

15

Wegen der mangelhaften Bauleitung, des vorzeitigen Abzeichnens von Zahlungsabforderungen und des Alkoholgenusses sei der Kläger öfter mündlich abgemahnt worden, zuletzt mit Schreiben vom 4. März 1980.

16

Der Kläger bestreitet den Vortrag der Beklagten. Er trägt vor, ... habe ihn mehrfach gebeten, ihr bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz behilflich zu sein. Keinesfalls habe der Kläger die Zeugin ... abwerben wollen.

17

Die Forderung nach Führung eines Fahrtenbuches sei von der Beklagten erstmals nach Zurverfügungstellung eines neuen Pkw erhoben worden. Von diesem Zeitpunkt an habe der Kläger das Fahrtenbuch ordnungsgemäß geführt.

18

Bei Eintritt des Klägers seien keinerlei Baustellenberichte geführt worden. Erst auf Initiative des Klägers sei dies eingeführt worden. Zahlungsanweisungen für Unternehmer seien vom Kläger erst nach sorgfältiger Prüfung insbesondere der Überprüfung des jeweiligen Baubestandes erteilt worden. Nicht richtig sei ferner, daß der Kläger mehrfach betrunken zum Dienst erschienen sei. Vielmehr sei er in zwei Fällen nicht zum Dienst erschienen, weil er am Vortage im Interesse der Beklagten an einem ausgedehnten Richtfest teilzunehmen gehabt habe und am nächsten Morgen seinen Dienst noch mit Restalkohol hätte beginnen müssen. In diesen Fällen habe der Kläger die Beklagte ordnungsgemäß von seinem Zustand unterrichtet und um Dienstbefreiung gebeten, womit die Beklagte einverstanden gewesen sei. Der Kläger habe jeweils einen entsprechenden Zettel bei Frau ... hinterlassen, wo er telefonisch zu erreichen sei.

19

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf den Inhalt der zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Gründe

20

Die Klage ist zulässig und begründet.

21

Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 13. März 1980 fristlos aufgelöst worden. Die Kündigung ist gemäß § 626 Abs. 1 BGB unwirksam.

22

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Dienstverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Gemäß § 626 Abs. 2 BGB kann die Kündigung nur innerhalb von 2 Wochen erfolgen, nachdem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgeblichen Tatsachen Kenntnis erlangt hat.

23

Die von der Beklagten am 13. März 1980 ausgesprochene Kündigung erscheint bei verständiger Würdigung der gesamten Umstände und Abwägung der Interessen des Klägers und der Beklagten sowie des Betriebes nicht angemessen.

24

Dem Kläger wird insbesondere vorgeworfen, er habe versucht, eine langjährige Angestellte bei der Beklagten abzuwerben.

25

Den von der Beklagten vorgetragenen Sachverhalt als richtig unterstellt, vermag die Kammer jedoch bei dem vorliegenden Sachverhalt keinen derartig groben Verstoß gegen die Treuepflicht des Klägers gegenüber seinem Arbeitgeber sehen, daß eine fristlose Kündigung gerechtfertigt erscheint.

26

Wirbt ein Arbeitnehmer sittenwidrig Mitarbeiter noch während der Zugehörigkeit zum alten Betrieb ab, so verstößt er damit zweifellos in grober Weise gegen seine Treuepflicht. Hierbei muß jedoch der Grundsatz gelten, daß ein unerlaubtes Verhalten dann vorliegt, wenn entweder die bei der Abwerbungshandlung angewandten Mittel oder der damit verfolgte Zweck sittenwidrig ist.

27

Dies dürfte insbesondere in den Fällen vorliegen, in denen der Kläger beabsichtigt, einen eigenen Betrieb aufzumachen und zu diesem Zweck beginnt, Arbeitnehmer seines bisherigen Arbeitgebers abzuwerben, um sie in seinem neuen Betrieb einzusetzen. In diesen Fällen liegt ein Verhalten des Arbeitnehmers vor, das unter Zurückstellung der Interessen des Arbeitgebers das eigene wirtschaftliche Interesse des Arbeitnehmers erkennen läßt und der Arbeitnehmer dieses Interesse über das seines Arbeitgebers stellt (vgl. LAG Saarbrücken vom 20. Jan. 1965 in Betriebsberater 1965, S. 457, LAG Baden-Württemberg vom 30. Sept. 1979 in Betriebsberater 1980, S. 1538 sowie LAG Düsseldorf in Betriebsberater 1969, S. 1434).

28

In den Fällen, in denen ein Arbeitnehmer jedoch nicht einen eigenen Betrieb aufmacht, sondern nur aufgrund beruflicher Entwicklungschancen oder besserer Verdienstmöglichkeiten in anderen Betrieben einen Arbeitsplatzwechsel vorsieht und sich insoweit mit anderen Arbeitnehmern hierüber unterhält, ist ein Kündigungsgrund nicht gegeben. Einem Arbeitnehmer kann es nämlich nicht verwehrt sein, sich mit anderen Kollegen desselben Betriebes über Veränderungsabsichten au unterhalten. Diesen Arbeitnehmern muß untereinander auch gestattet werden, sich gegebenenfalls darüber einig zu werden, gemeinsam in die Dienste eines anderen Arbeitgebers zu treten (vgl. Arbeitsrechts-Blattei D Abwerbung von Arbeitskräften I Übersicht E II).

29

Den Vortrag der Beklagten deshalb als richtig unterstellt, der Kläger habe sich gegenüber ... so geäußert, wie dies vorgetragen ist, so ist das Gespräch mit ... über diese Angelegenheit keine unzulässige Abwerbung und damit kein Treuebruch gegenüber dem Arbeitgeber. Im übrigen sind die Worte des Klägers, sollten sie in der Weise gefallen sein, keine so intensive Beeinflussung auf den Willen der ... daß diese keine andere Möglichkeit der Entscheidung hatte. Auch ist ein Verstoß gegen die guten Sitten bei der Formulierung nicht erkennbar. Die Z. konnte sich nach wie vor entscheiden, dies war ihr ausdrücklich vom Kläger vorbehalten.

30

Ein Kündigungsgrund ist insoweit nicht vorhanden.

31

Dies auch nicht im Zusammenhang mit dem weiteren Vortrag der Beklagten.

32

Die Beklagte hat es unterlassen, insoweit einen genauen Sachverhalt dem Gericht gegenüber darzulegen. Sie hat trotz zweimaliger Aufforderung und des Setzens von Ausschlußfristen nicht vorgetragen, wann und in welcher Form sich die jeweiligen Vorfälle abgespielt haben sollen. Dem Kläger war es deshalb nicht möglich, substantiiert auf die Vorwürfe der Beklagten einzugehen. Das Gericht hatte ebenfalls keine eigene Überprüfungsmöglichkeit, da nur ein konkret vorgetragener Sachverhalt zu einer weiteren Überprüfung führen kann. Insoweit hat die Beklagte auch vorgetragen, daß sie den Kläger abgemahnt habe, ohne dies jedoch genauer zu bezeichnen. Es ist deshalb auch möglich, daß durch die erfolgten Abmahnungen, sollten sie tatsächlich erfolgt sein, die Kündigungsgründe verbraucht sind. Andererseits können evtl. Abmahnungen, da diese streitig sind, nicht weiter aufgeklärt werden, da die Beklagte insoweit auch einen konkreten Sachverhalt vermissen läßt, der einer Überprüfung standhalten könnte.

33

Soweit der Vortrag der Beklagten als eigener Kündigungsgrund zur Kündigung führen müßte, so hätte sie diesen zeitlich aufschlüsseln müssen, da ansonsten die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht überprüft werden kann.

34

Was die Dauertatbestände des Nichtführens des Fahrtenbuches und das Nicht führen der Baustellenberichte betrifft, so ist ebenfalls nicht erkennbar, wann insoweit die letzte Abmahnung erfolgt war und ein weiterer Vorfall nach der letzten Abmahnung auf getreten ist. Insoweit hat die Beklagte auch nicht vorgetragen, daß insoweit Abmahnungen erfolgt sind, da diese nur wegen mangelhafter Bauleitung und des vorzeitigen Abzeichnens von Zahlungsabforderungen und Alkoholgenuß erfolgt sein sollen.

35

Nach alledem mußte die Klage Erfolg haben.

36

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert wird auf 8.200,00 DM festgesetzt

Der Streitwert war im Urteil gemäß §§ 61 Abs. 1, 12 Abs. 7 ArbGG festzusetzen.