Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 07.12.2009, Az.: 1 Ws 670/09

Voraussetzungen für die Pflichtverteidigerbestellung bei einem der deutschen Sprache nicht mächtigen Ausländer im Strafvollstreckungsverfahren

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
07.12.2009
Aktenzeichen
1 Ws 670/09
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 36738
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2009:1207.1WS670.09.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Osnabrück - 28.10.2009 - AZ: 13 StVK 713/09

Fundstelle

  • StraFo 2010, 115

Redaktioneller Leitsatz

1. Für eine Pflichtverteidigerbestellung im Strafvollstreckungsverfahren ist es entscheidend, ob diese erforderlich ist, um ein faires Verfahren sicherzustellen. Es kommt deshalb darauf an, inwieweit ein Verurteilter in der Lage ist, seine Rechte im Strafvollstreckungsverfahren selbst ausreichend zu wahren. Dabei ist auf seine Person, auf die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage und auf alle sonst bedeutsamen Umstände des Falles abzustellen.

2. a) Zwar reicht allein die Tatsache, dass ein Verurteilter der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig ist, für sich genommen nicht aus, um die Notwendigkeit einer Pflichtverteidigung zu begründen. Einer solchen bedarf es nicht, wenn seine Behinderung in der Verteidigung allein auf sprachlichen Defiziten beruht und diese durch die Beiordnung eines Dolmetschers vollständig ausgeglichen werden kann.

b) Muss sich der Verurteilte der schwerwiegenden ausländer- und strafvollstreckungsrechtlichen Konsequenzen seines Antrags nach § 456a StPO bewusst sein, kann dies bei dem psychisch nicht stabilen Verurteilten nicht allein durch die Inanspruchnahme der Schreibhilfe eines Ausländerbeauftragen, dessen Sprach- und Rechtskenntnisse und Verfügbarkeit ungewiss sind, sichergestellt werden.

Tenor:

Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Osnabrück gegen den Beschluss des Landgerichts Osnabrück, Strafvollstreckungskammer beim Amtsgericht Lingen, vom 28. Oktober 2009, durch den dem Verurteilten für das Verfahren auf Absehen von der weiteren Vollstreckung nach § 456 a StPO Rechtsanwältin Dr. M... als Pflichtverteidigerin beigeordnet worden ist, wird als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich insoweit entstandener notwendiger Auslagen des Verurteilten werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe

1

Mit Urteil des Amtsgerichts Nordhorn vom 11.12.2008 ist der Verurteilte nach Maßgabe des Urteils des Landgerichts Osnabrück vom 18.06.2009 wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge tateinheitlich mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt wurden.

2

Am 20.05.2009 hat der Verurteilte, der polnischer Staatsbürger und der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig ist, mit Unterstützung der Schreibhilfe eines Ausländerbeauftragte der Caritas in der Justizvollzugesanstalt Lingen einen Antrag auf Absehen von der Vollstreckung bei Ausweisung gemäß § 456a Abs. 1 StPO bei der Staatsanwaltschaft Osnabrück gestellt.

3

Mit Beschluss des Landgerichts Osnabrück, Strafvollstreckungskammer beim Amtsgericht Lingen, vom 28.10.2009 ist dem Verurteilten auf seinen Antrag vom 05.10.2009 Rechtsanwältin Dr. Matthies, Frankfurt/Oder, für das Verfahren als Pflichtverteidigerin beigeordnet worden.

4

Gegen die Entscheidung hat die Staatsanwaltschaft Osnabrück am 13.11.2009 Beschwerde erhoben. Das Landgericht hat dieser nicht abgeholfen. Die Generalstaatsanwaltschaft sieht keine Bedenken gegen die Verteidigerbestellung.

5

Die Beschwerde ist zulässig aber unbegründet.

6

Dem Verurteilten ist auch im Verfahren gemäß § 456a StPO, das Teil des Vollstreckungsverfahrens ist, in entsprechender Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO bei Vorliegen der Voraussetzungen ein Pflichtverteidiger beizuordnen, vgl. OLG Nürnberg, NStZ-RR 2009, 125.

7

Für eine Pflichtverteidigerbestellung im Strafvollstreckungsverfahren ist es entscheidend, ob diese erforderlich ist, um ein faires Verfahren sicherzustellen. Es kommt deshalb darauf an, inwieweit ein Verurteilter in der Lage ist, seine Rechte im Strafvollstreckungsverfahren selbst ausreichend zu wahren. Dabei ist auf seine Person, auf die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage und auf alle sonst bedeutsamen Umstände des Falles abzustellen, vgl. Senatsentscheidung vom 19.07.2005 (1 Ws 361/05), NdsRpfl 2005, 348.

8

Die Beiordnung eines Pflichtverteidigers erscheint hier insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Unfähigkeit zur Selbstverteidigung erforderlich. Zwar reicht allein die Tatsache, dass ein Verurteilter der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig ist, für sich genommen nicht aus, um die Notwendigkeit einer Pflichtverteidigung zu begründen. Einer solchen bedarf es nicht, wenn seine Behinderung in der Verteidigung allein auf sprachlichen Defiziten beruht und diese durch die Beiordnung eines Dolmetschers vollständig ausgeglichen werden kann, vgl. OLG Hamm, NStZ-RR 1999, 319, 320 [OLG Hamm 27.04.1999 - 1 Ws 111/99] m. w. N.

9

Wie die Verteidigung jedoch zutreffend ausführt, muss sich der Verurteilte der schwerwiegenden ausländer- und strafvollstreckungsrechtlichen Konsequenzen seines Antrags nach § 456a StPO bewusst sein, was bei dem psychisch nicht stabilen Verurteilten, nicht allein durch die Inanspruchnahme der Schreibhilfe eines Ausländerbeauftragen, dessen Sprach- und Rechtskenntnisse und Verfügbarkeit ungewiss sind, sichergestellt werden kann. Hieran ändert auch nicht der Umstand, dass der Verurteilte den knapp formulieren Antrag bereits mit Hilfe des Ausländerbeauftragten der Caritas zu stellen vermochte.

10

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 StPO.