Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 11.09.2019, Az.: 7 B 2431/19
Altenpfleger; Interimsgefahr; Unzuverlässigkeit; Widerruf
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 11.09.2019
- Aktenzeichen
- 7 B 2431/19
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2019, 69988
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Fundstelle
- ZAP EN-Nr. 602/2019
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die rechtskräftige Verurteilung eines Altenpflegers wegen in Berufsausübung begangener unterlassener Hilfeleistung rechtfertigt den Widerruf der Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung "Altenpfleger" wegen Unzuverlässigkeit.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung ist aus den Gründen der Interimsgefahr gerechtfertigt.
Fortführung Beschluss vom 12. Juli 2016 - 7 B 3175/16 - juris.
Tenor:
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der im Jahre 1972 geborene Antragsteller ist Altenpfleger.
Der Antragsgegner erhielt Kenntnis vom Strafbefehl des Strafrichters im Amtsgericht … zum Geschäftszeichen … vom 16. April 2019, rechtskräftig seit dem 15. Mai 2019. Damit wurde der Antragsteller zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen wegen des Vergehens der gemeinschaftlich mit einem Kollegen begangenen unterlassenen Hilfeleistung gemäß §§ 323c Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB verurteilt.
Danach hat der Antragsteller am 27. Juli 2018 in M. gemeinschaftlich mit einem Pflegeassistenten bei einem Unglücksfall nicht Hilfe geleistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten, zuzumuten war. Wörtlich heißt es dort (Blatt 64/65 Beiakte):
„Ihnen wird zur Last gelegt:
In der Nacht vom 26. auf den 27.07.2018 versahen Sie gemeinsam mit dem gesondert verfolgten A. E. die Nachtschicht im Pflege- und Wohnparkhaus am … im …weg … in … . Gegen halb fünf Uhr morgens fanden Sie den an Demenz erkrankten R. auf dem Fußboden vor seiner Zimmertür. Augenscheinlich war dieser gestürzt. Er hatte sich eine blutende Wunde am Ellenbogen zugezogen und klagte über Schmerzen. Sie verbrachten Herrn R. gemeinsam mit Ihrem gesonderten verfolgten Kollegen zurück ins Bett ohne ein Sturzprotokoll zu fertigen oder einen Arzt hinzuziehen. Im Tagesbericht vermerkten Sie um 04.59 Uhr, dass der Pflegepatient stöhnende Laute von sich gegeben und auf Nachfrage aber keine Beschwerden angegeben habe. Zu Ihrem Kollegen sagten Sie: ‚Das bleibt unter uns, ich habe keinen Bock ein Sturzprotokoll zu schreiben‘.
Erst als Herr R. gegenüber einer Pflegekraft der Tagschicht über Schmerzen klagte, wurde dieser mit einem Rettungswagen in das Klinikum L. verbracht, wo eine Oberschenkelhalsfraktur diagnostiziert wurde.
Ihnen war bewusst, dass der Pflegepatient gestürzt war, er Verletzungen davongetragen hatte und er aufgrund seines Geisteszustands nicht in der Lage war, etwaige Verletzungen und Schmerzen klar zu beschreiben, er jedoch stöhnte. Es wäre angezeigt und Ihnen auch möglich gewesen, etwaige Sturzfolgen ärztlich abklären zu lassen.“
Mit Schreiben vom 27. Juni 2019 hörte der Antragsgegner den Antragsteller unter Darstellung des Tatvorwurfs und des rechtskräftigen Strafbefehls zu seiner Absicht an, nach §§ 2, 1 des Gesetzes über die Berufe in der Altenpflege (AltPflG) die ihm erteilte Erlaubnis zum Führen der Berufsbezeichnung „Altenpfleger“ zu widerrufen und räumte Gelegenheit zur Stellungnahme ein (Blatt 87/88 Beiakte), die der Antragsteller mit Schreiben vom 18. Juli 2019 nebst Anlage (Blatt 91 bis 94) wahrnahm. Dort heißt es u.a., der Strafbefehl habe für ein Verwaltungsverfahren keine Bindungswirkung und wenn der Antragsteller gegen den Strafbefehl keinen Einspruch eingelegt habe, sei dies allein aus Kostengründen nicht geschehen. Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung gemäß § 2 Abs. 1 AltPflG sei von einem fahrlässigen Fehlverhalten auszugehen und ein Anhaltspunkt dafür nicht ersichtlich, dass künftig weitere Verstöße gegen die Berufspflichten folgten.
Mit Bescheid vom 8. August 2019 widerrief der Antragsgegner unter Anordnung der sofortigen Vollziehung die dem Antragsteller am 1. August 2017 erteilte Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung Altenpfleger. In den Gründen bezieht sich der Antragsgegner auf den rechtskräftigen Strafbefehl, insbesondere den dortigen Tatvorwurf und die daraus folgende Unzuverlässigkeit des Antragstellers in der Person, nach welcher dieser aufgrund seines bisherigen Verhaltens nicht mehr die Gewähr dafür biete, dass er in Zukunft seinen Beruf als Altenpfleger ordnungsgemäß ausführen werde. Soweit der Antragsteller zum Tatablauf noch andere Hinweise bzw. abweichende Darstellungen gegeben habe, seien diese mit den tatsächlichen Feststellungen, die zum rechtskräftigen Strafbefehl geführt hätten, nicht in Einklang zu bringen. Die dort enthaltenen tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen würden zur Grundlage der Entscheidung gemacht. Damit sei eine schuldhaft begangene, schwere Verfehlung gegeben, welche für die Zukunft die Gefahr weiterer Verfehlungen beinhalte und für eine zukünftige ordnungsgemäße Berufsausübung keine hinreichende Gewähr mehr biete. Daher sei die Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung Altenpfleger gemäß § 2 Abs. 2 AltPflG zu widerrufen.
Der Antragsteller hat am 23. August 2019 Klage im Hauptsacheverfahren 7 A 2429/19 erhoben und zugleich vorliegenden Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt, dem der Antragsgegner entgegentritt.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten nimmt das Gericht auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Antragsgegners (Beiakte) Bezug.
II.
Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bleibt ohne Erfolg, weil sich die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage gegen den Widerruf aller Voraussicht nach als unbegründet erweisen dürfte, § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO - dazu 1. -, und weil zudem, wie in Fällen vorliegender Art gesondert erforderlich, die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Widerrufs rechtmäßig ist, weil sie insbesondere den verfassungsrechtlichen Anforderungen entspricht - dazu 2. -.
1.
Der mit der Klage angegriffene Bescheid des Antragsgegners vom 8. August 2019 erweist sich als rechtmäßig; die Klage des Antragstellers dürfte voraussichtlich unbegründet sein, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Daher kommt insoweit eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage nicht in Betracht.
Der angegriffene Bescheid ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden; insbesondere hat der Antragsgegner den Antragsteller vor seinem Erlass zunächst angehört, § 28 VwVfG.
Auch in materieller Hinsicht ist dieser Bescheid voraussichtlich rechtsfehlerfrei.
Gemäß § 1 Satz 1 des Gesetzes über die Berufe in der Altenpflege (Altenpflegegesetz – AltPflG –) dürfen die Berufsbezeichnung „Altenpfleger“ nur Personen führen, denen die Erlaubnis dazu erteilt worden ist.
Gemäß § 2 Abs. 1 AltPflG ist die Erlaubnis nach § 1 auf Antrag zu erteilen, wenn die antragstellende Person u.a. (Nr. 2)
sich nicht eines Verhaltens schuldig gemacht hat, aus dem sich die Unzuverlässigkeit zur Ausübung des Berufs ergibt.
Gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 AltPflG ist die Erlaubnis zu widerrufen, wenn nachträglich die Voraussetzung nach Abs. 1 Nr. 2 weggefallen ist. Dies ist hier der Fall. Zu Recht hat der Antragsgegner den Widerruf verfügt. Denn der Antragsteller ist unzuverlässig im Sinne des Gesetzes.
Unzuverlässigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 AltPflG liegt vor, wenn der Berufsausübende aufgrund bestimmter Tatsachen für eine zukünftige ordnungsgemäße Berufsausübung keine hinreichende Gewähr bietet (vgl. unter anderem BVerwG, Beschluss vom 10. Dezember 1993 - Az.: 3 B 38/93 - juris m.w.N.; Nds. OVG, Beschluss vom 23. Dezember 2004 - Az.: 8 ME 169/04 - zum Widerruf einer Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung Altenpfleger, juris). Dies setzt ein Verhalten voraus, das nach Art, Schwere und Zahl von Verstößen gegen Berufspflichten die zu begründende Prognose rechtfertigt, der Betroffene biete aufgrund der begangenen Verfehlungen nicht die Gewähr, in Zukunft die berufsspezifischen Vorschriften und Pflichten zu beachten. Ausschlaggebend für die Prognose der Zuverlässigkeit ist die Würdigung der gesamten Persönlichkeit und der Lebensumstände, wobei nicht ausschließlich das bisherige Fehlverhalten zugrunde zu legen ist (VG Mainz, Urteil vom 24. Januar 2005 – Az.: 6 K 727/04 –, Berufsbezeichnung Rettungsassistent, juris; BVerwG, Urteil vom 16. September 1997 – 3 C 12/95 –, zum Widerruf einer Approbation nach § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Bundesärzteordnung, juris). Die anzustellende Prognose ist nicht darauf beschränkt, ob die nach Art, Zahl und Schwere beachtlichen Verstöße gegen Berufspflichten in der Vergangenheit erwarten lassen, der Betreffende werde gleiche (oder zumindest ähnliche) Berufspflichten in der Zukunft schwerwiegend verletzen; vielmehr kann aus dem durch die Art, Schwere und Zahl der Verstöße gegen Berufspflichten manifest gewordenen Charakter des Betreffenden auch die Befürchtung abzuleiten sein, es seien andere, aber ähnlich schwerwiegende Verstöße gegen Berufspflichten ernsthaft zu besorgen (BVerwG, Urteil vom 26. September 2002 – Az.: 3 C 37/01 – zum Widerruf der Apotheker-Approbation unter anderem wegen Abrechnungsbetruges, juris).
Dabei ist zum Prüfungsmaßstab festzuhalten, dass das Merkmal der Unzuverlässigkeit ein unbestimmter Rechtsbegriff ist, der der Behörde weder einen Beurteilungs- noch einen Ermessensspielraum eröffnet. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist daher die Frage, ob die im Rechtsstreit für den maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung festgestellten Tatsachen die rechtlichen Kriterien der Unzuverlässigkeit erfüllen; dabei ist das Gericht nicht an die von der Behörde festgestellten Tatsachen gebunden (BVerwG, Urteil vom 26. September 2002 – 3 C 37/01 –, juris).
Schließlich kann auch hier im Bereich des AltPflG auf die zum Begriff der Unzuverlässigkeit im Sinne des KrkPflG entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden. Insoweit hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht wörtlich festgehalten (Beschluss vom 9. September 2016 – 8 ME 110/16 –):
„Dies ist dann der Fall, wenn die aufgrund der Art, Schwere und Zahl von Verstößen gegen Berufspflichten zu erwarten ist, dass der Berufsausübende nicht mehr die Gewähr bietet, in Zukunft die berufsspezifischen Vorschriften und Pflichten zu beachten. Dabei ist die gesamte Persönlichkeit des Betroffenen und seiner Lebensumstände im Zeitpunkt der Abschlusses des Verwaltungsverfahrens zu würdigen (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.9.2002 - BVerwG 3 C 37.01 -, juris Rn. 21 m.w.N.; Urt. v. 10.12.1993 - BVerwG 3 B 38.93 -, juris Rn. 3). Selbst ein einmaliger schwerwiegender Verstoß gegen Berufspflichten kann den Widerruf zum Führen einer Berufsbezeichnung rechtfertigen (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.12.1993, a.a.O.). Eine konkrete Gefährdung für das Leben und die Gesundheit von Pflegebedürftigen als wichtigem Gemeinschaftsgut ist nicht hinnehmbar. Dabei ist zu berücksichtigten, dass es zentrale Berufspflicht von Krankenschwestern bzw. Gesundheits- und Krankenpflegern als Angehörigen eines staatlichen anerkannten Pflegeberufs ist, die Pflege auf eine Verbesserung, Erhaltung und Förderung der physischen und psychischen Gesundheit der zu pflegenden und zu betreuenden Menschen auszurichten. Dabei sind die Würde und das Selbstbestimmungsrecht der zu pflegenden Menschen zu achten. Ferner müssen Pflegekräfte Ärzte hinzuziehen, wenn die eigene Kompetenz zur Lösung der Aufgabe nicht ausreicht. Hier machte sich die Antragstellerin aber eines Verhaltens schuldig, das unmittelbar die Gesundheit der Pflegebedürftigen gefährdete. Entgegen ihrem Vorbringen beschränkte sich ihr Fehlverhalten auch nicht auf ein einmaliges Augenblicksversehen einer verbotenen Verabreichung eines ärztlich nicht verordneten Medikaments. Schon die Beschaffung und die spätere Mitnahme des Arzneimittels Lorazepam zum Pflegedienst bei der Pflegebedürftigen ist mit den beruflichen Verpflichtungen einer Krankenschwester nicht zu vereinbaren. Außerdem verletzte die Antragstellerin auch nach der Verabreichung des Medikaments weitere wichtige Berufspflichten als Krankenschwester. So tat sie nach der unzulässigen Medikamentenabgabe nichts dafür, die damit einhergehende gesundheitliche Gefährdung der Pflegebedürftigen dadurch zu bannen, dass unverzüglich eine ärztliche Überwachung veranlasst wurde oder zumindest die Sorgeberechtigten der Pflegebedürftigen über den Vorfall informiert wurden. Deshalb hat das Verwaltungsgericht zu Recht unter Verweis auf die Nähe der Pflegeleistungen und der relativen Hilflosigkeit der Pflegebedürftigen einen äußerst gravierenden Bruch des Vertrauensverhältnisses festgestellt, das für ein fortdauerndes Pflegeverhältnis aber unabdingbar ist. Erschwerend kommt hinzu, dass die Antragstellerin sodann versuchte, ihr Fehlverhalten zu verdecken. Diese Verdeckungsabsicht belegt, dass die Antragstellerin nach der unzulässigen Medikamentenabgabe gerade nicht die Gewähr bot, auch nach einem vorangegangenen Fehlverfahren nunmehr ihren beruflichen Pflichten nachkommen zu wollen. Dies rechtfertigt die Annahme, dass es auch künftig zu erneutem Fehlverhalten kommen wird. Dass die Antragstellerin nach dem Aufdecken ihres Fehlverhaltens unter dem Druck des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens und des anschließenden behördlichen Verfahrens ihren Beruf nach ihrem Vorbringen beanstandungsfrei ausgeübt hat, kommt regelmäßig kein besonderer Wert, sondern ein geringeres Gewicht zu (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschl. v. 29.7.2015 - 8 ME 33/15 -, juris Rn. 25; Urt. v. 11.5.2015, a.a.O., Rn. 56; vgl. auch OVG Saarland, Urt. v. 29.11.2005 - 1 R 12/05 -, juris Rn. 166; Bayerischer VGH, Beschl. v. 15.6.1993 - 21 B 92.226 -, juris Rn. 34).“
So liegt der Fall hier. Nach den im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung feststehenden Tatsachen ist der Antragsteller als unzuverlässig im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 AltPflG anzusehen. Zu berücksichtigen ist dabei maßgeblich der rechtskräftige Strafbefehl gegen den Antragsteller. Die Gesamtumstände führen zur Annahme der Unzuverlässigkeit des Antragstellers in berufsrechtlicher Hinsicht. Dabei legt die Kammer die tatsächlichen Feststellungen sowie die rechtliche Würdigung des rechtskräftigen Strafbefehls bei der Prognoseentscheidung zugrunde. Im Kern geht es bei einer solchen Prognose darum, dass eine Sorg- oder gar Bedenkenlosigkeit, die zwingend aus Verstößen in der Vergangenheit abzuleiten ist, auch künftig zu erwarten ist, ob m.a.W. im Hinblick auf die Berufspflichten eines Altenpflegers der Betreffende auch künftig ähnlich sorg- bzw. bedenkenlos mit seinen Berufspflichten umgehen werde (vgl. VG Braunschweig, Urt. v. 11. Februar 2015 – 1 A 159/14 –, juris). So liegt es nahe, dass die Erlaubnis nach § 2 Abs. 2 Satz 2 AltPflG am ehesten zu widerrufen ist, wenn der Betroffene – wie hier der Antragsteller – die Grundpflichten seines Berufs vernachlässigt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 26. September 2002 – 3 C 37/01 –, Beschluss vom 6. März 2003 – 3 B 10/03 – juris) können die in einem rechtskräftigen Strafbefehl enthaltenen tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen regelmäßig zur Grundlage einer behördlichen oder gerichtlichen Beurteilung der betroffenen Persönlichkeit gemacht werden, soweit sich nicht gewichtige Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Feststellungen ergeben. Diese Rechtsprechung gilt auch für den Widerruf der Erlaubnis gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 KrPflG ebenso wie nach § 2 AltPflG (so die vorzitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts für die Zusammenhänge von Approbations-Widerrufen). Davon geht auch das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht aus, soweit es festgehalten hat (Beschluss vom 9. September 2016 – 8 ME 110/16 –):
„Diese Einwände greifen nicht durch. Zwar ist der Antragstellerin zuzugeben, dass in einem Verfahren über den Widerruf einer Berufsbezeichnung die einer Anklageschrift zugrunde gelegten Ermittlungsergebnisse und ihre rechtliche Einordnung durch die Staatsanwaltschaft nicht den in einem rechtskräftigen Strafurteil oder auch Strafbefehl enthaltenen tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen gleichzustellen sind, mit der Folge, dass sie als erwiesen gelten können. Dementsprechend ist der Antragsgegner gehalten, den Sachverhalt von Amts wegen selbst zu ermitteln (§§ 1 Abs. 1 NVwVfG, 24 Abs. 1, 2 VwVfG); er kann nicht ungeprüft die Feststellungen in einer Anklageschrift übernehmen und als erwiesene Tatsache behandeln. Auch das Verwaltungsgericht hat im Hauptsacheverfahren den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und dabei die Beteiligten heranzuziehen (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO); lediglich im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ist mit Blick auf die Eilbedürftigkeit eine geringere Prüfungsdichte und somit eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage zulässig; dies betrifft sowohl die Pflicht des Gerichts zur Sachverhaltsermittlung als auch die Tiefe der rechtlichen Subsumtion und Durchdringung (vgl. Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 80 Rn. 81 m.w.N.). Gegenteiliges kann dem Senatsbeschluss vom 17. Februar 2016 - 8 ME 213/15 - nicht entnommen werden.“
Hier liegt insoweit weitergehend sogar ein rechtskräftiger Strafbefehl vor, an dessen Richtigkeit zu den tatsächlichen Feststellungen keine Zweifel anzubringen sind. Insbesondere hat sich der Antragsteller einmal eines Verhaltens schuldig gemacht, das unmittelbar die Gesundheit von Einzelnen existentiell gefährdet (hat) – der Heimbewohner R. ist schließlich jedenfalls mittelbar an den Folgen des Oberschenkelhalsbruches, den er sich bei besagtem Sturz zugezogen hatte, verstorben –, und damit Kernpflichten seiner Berufsausübung tiefgreifend verletzt. Es bedarf daher keiner vertieften Begründung, dass die Nutzer von Pflegedienstleistungen darauf vertrauen können müssen, dass ihre berechtigten Interessen gewahrt werden, wie sie dies zu Recht auch bei der Inanspruchnahme beispielsweise ärztlicher Leistungen erwarten können. Es stellt einen äußerst gravierenden Bruch des Vertrauensverhältnisses, das einer Pflegeleistung wie hier im Senioren- und Pflegeheim notwendig zugrunde liegt, dar, wenn die Nähe in der Situation der Pflege und die relative Hilflosigkeit eines Pfleglings zum eigenen Vorteil ausgenutzt werden, um statt der Erbringung der geschuldeten Pflegeleistung, die hier in sofortiger Erster Hilfe und anschließender weiterer Hilfe durch Dritte des weitgehend hilflosen R. bestanden hätte, sich durch Schweigen und Ausflüchte, die das Gericht nur als übel bezeichnen kann (laut Strafbefehl: „...ich habe keinen Bock ein Sturzprotokoll zu schreiben.“), anderweitig beschäftigen zu können und sich der geschilderten Pflicht zu entziehen. Dieser Sachverhalt rechtfertigt die Prognose des Antragsgegners, der Antragsteller werde auch in Zukunft seine Berufspflichten schwerwiegend verletzen, zumal diese Pflichtverletzung in der klassischen Pflegesituation aufgetreten ist, die auch in Zukunft so immer wieder auftreten könnte. Demgegenüber greift das gesamte Vorbringen des Antragstellers nicht durch.
Das Gericht verkennt die persönlichen Härten nicht, die mit dem Widerruf der Erlaubnis zur Führung der Berufsbezeichnung „Altenpfleger“ für den Antragsteller entstehen können. Diese müssen indes mit Blick auf den eindeutigen Wortlaut von § 2 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 2 AltPflG außer Betracht bleiben. Daneben verweist das Gericht auch auf andere, erlaubnisfreie Betätigungen in pflegerischen Hilfsberufen.
Mithin erweist sich der angegriffene Bescheid nach derzeitigem Sach- und Erkenntnisstand aller Voraussicht nach als rechtmäßig und dürfte die in der Hauptsache erhobene Klage daher höchstwahrscheinlich abzuweisen sein.
Eine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage kommt deshalb nicht schon in Betracht, weil die Klage etwa Erfolg haben müsste. Im Gegenteil ist nach Voranstehendem anzunehmen, dass sie erfolglos bleibt. Bei einer solchen Konstellation aber kommt regelmäßig die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht in Betracht, weil die insoweit gebotene Interessenabwägung zu Ungunsten des Betroffenen ausfällt, wenn sein im Hauptsacheverfahren erhobener Rechtsbehelf voraussichtlich unbegründet ist, weil es ihm insoweit zuzumuten ist, zunächst dem Bescheid Folge zu leisten, während dabei sein Interesse daran, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens vom Vollzug verschont zu bleiben, hinter dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung regelmäßig zurückstehen muss.
2.
Die Kammer kann auch nicht deshalb gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherstellen, weil die Anordnung der sofortigen Vollziehung im angegriffenen Bescheid selber rechtswidrig wäre. Denn sie ist rechtmäßig.
In Fällen des Widerrufs vorliegender Art muss die Anordnung der sofortigen Vollziehung besonderen Anforderungen, die über das Grundinteresse am Erlass des Verwaltungsaktes hinausgehen und nicht nur allgemeinen gefahrenabwehrrechtlichen Erwägungen Rechnung tragen, genügen, insbesondere verfassungsgemäß sein. Dem entspricht hier die Anordnung, indem sie zur Abwehr einer Interimsgefahr notwendig ist.
In formeller Hinsicht genügt die zu Recht auf § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO als Rechtsgrundlage gestützte Anordnung der sofortigen Vollziehung den Anforderungen aus § 80 Abs. 3 VwGO; insbesondere ist sie hinreichend schriftlich auf Seite 3 bis Seite 4 des angegriffenen Bescheides begründet.
Inhaltlich trägt auch diese im angegriffenen Bescheid niedergelegte Begründung hier im vorliegenden Einzelfall die Anordnung der sofortigen Vollziehung.
Die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Widerrufs hat ein selbständiges vorläufiges Verbot zur Ausübung des Berufes zum Inhalt, das in seinen Wirkungen über diejenigen des Widerrufs selber hinausgeht und damit schwerwiegend in das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG eingreift. Ein solcher Eingriff ist nur gerechtfertigt, wenn der Sofortvollzug schon vor Rechtskraft des Widerrufs selber als Präventivmaßnahme zur Abwehr konkreter Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter erforderlich ist und unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgt. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, hängt von einer Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalles und insbesondere davon ab, ob eine weitere Berufstätigkeit konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter befürchten lässt. (vgl. zum Ganzen unter Mitteilung der wesentlichen bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung: Nds. Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 10. Mai 2012 – 8 ME 59/12 –, juris, und ebenso Beschluss der Kammer vom 19. März 2013 – 7 B 2099/13 –, und vom 12. Juli 2016 – 7 B 3175/16 – Vnb.).
Gemessen daran ist die Anordnung der sofortigen Vollziehung des Widerrufs rechtmäßig. Die Kammer folgt insoweit für den vorliegenden Einzelfall der Annahme des Antragsgegners, es liege eine Gefahr für das Allgemeinwohl für den Zeitraum bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens über den Widerruf selber, mithin eine Interimsgefahr vor, die die privaten Belange des Antragstellers, insbesondere seine Berufsfreiheit, überwiegt (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 8. April 2010 – 1 BvR 2709/09 – juris). Dies gilt insbesondere, soweit der Antragsgegner im angegriffenen Bescheid feststellt, dass zur Abwehr konkreter Gefahren für Dritte, insbesondere der Pflegekunden (Heimbewohner), die sofortige Vollziehung erforderlich ist. Es besteht auch zur Überzeugung der Kammer jederzeit die konkrete Gefahr einer schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigung Dritter. Die überragenden öffentlichen Belange rechtfertigen es im vorliegenden Einzelfall, den Rechtsanspruch des Antragstellers einstweilen zurückzustellen; denn angesichts der Schutzpflicht für die Gesundheit des Einzelnen als überragendem Schutzgut, vgl. Art. 2 Abs. 2 GG, muss das Interesse des Antragstellers, auch soweit es aus Art. 12 GG abzuleiten ist, hier zurückstehen.