Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 07.06.2023, Az.: 3 A 3611/21
Abschiebungsverbot; Palästinensische Gebiete; UNRWA; Westjordanland; Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG für eine Familie aus dem Westjordanland
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 07.06.2023
- Aktenzeichen
- 3 A 3611/21
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2023, 22248
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2023:0607.3A3611.21.00
Rechtsgrundlagen
- AufenthG § 60 Abs. 5
Amtlicher Leitsatz
Aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen und humanitären Situation im Westjordanland sind angesichts der gravierenden Verschlechterung der Sicherheitslage in der Region um Nablus, der unzulänglichen Gesundheitsversorgung sowie der schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Westjordanland für die Kläger als Rückkehrer aus dem westlichen Ausland die hohen Anforderungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllt, zumal für sie keine besonderen begünstigenden Umstände vorliegen.
Tenor:
Soweit die Kläger die Klage zurückgenommen haben, wird das Verfahren eingestellt.
Die Beklagte wird verpflichtet, für die Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf die Palästinensischen Autonomiegebiete (Westjordanland) festzustellen. Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 28. Oktober 2021 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.
Die Kläger tragen die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu 2/3 und die Beklagte zu 1/3; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
Der Kläger sind Palästinenser aus dem Gazastreifen mit arabischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit. Sie reisten am 24. August 2019 über die Tschechische Republik in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 3. Oktober 2019 Asylanträge. Mit Bescheid vom 13. Dezember 2019 wurde die Abschiebung der Kläger in die Tschechische Republik angeordnet. Mit Schreiben vom 4. Dezember 2020 teilte die Beklagte die Beendigung des Dublin-Verfahrens mit.
Im Rahmen ihrer persönlichen Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) am 30. August 2021 trugen die Kläger im Wesentlichen vor, aufgrund politisch motivierter Unruhen und einer allgemein unsicheren Lage ihr Heimatland verlassen zu haben. Während ihres Studiums sei die Situation sehr schwierig gewesen. Sie hätten auf dem Weg von ihrem Dorf zur Universität zwei Kontrollpunkte der israelischen Armee passieren müssen und es habe an diesen Checkpoints regelmäßig Anschläge gegeben und man habe darum immer ein schlechtes Gefühl gehabt. Im Oktober 2018 habe ein Freund von ihm - dem Kläger zu 1. - ein Attentat auf einen Angehörigen der israelischen Armee verübt. Im Zuge dieser Tat habe die israelische Armee Hausdurchsuchungen durchgeführt. Im Weiteren sei der Attentäter schließlich gefasst und inhaftiert worden und befinde sich noch heute im Gefängnis. Er selbst sei von seinen Freunden und Bekannten dazu aufgefordert worden, ebenfalls Attentate zu verüben. Er sei von solchen Aktivitäten jedoch nicht überzeugt gewesen und habe sich darum an keiner Gewalttat beteiligt. Konkreten Verfolgungen und Bedrohungen sei er aber nicht ausgesetzt gewesen. Seine ganze Familie habe unter dem Konflikt mit Israel gelitten. Sein Vater sei vor seiner Geburt verhaftet und sein Onkel getötet worden, als er fünf Jahre alt gewesen sei. Im Falle einer Rückkehr habe er Angst davor, erneut Aufforderungen von seinen Landsleuten zu bekommen, Attentate zu verüben. Die Klägerin zu 2. ergänzte, dass sie seit ihrer Kindheit nur Gewalt und Krieg erlebt habe. Ihr Vater sei in der Vergangenheit von der israelischen Armee immer wieder für jeweils sechs Monate ohne Urteil verhaftet worden. Es sei immer wieder zu Auseinandersetzungen mit der israelischen Armee gekommen. Ihr Bruder sei im Zuge dessen mit 17 Jahren getötet worden. Es sei auch immer sehr schwierig und gefährlich gewesen, sowohl ihr Dorf als auch die Universität zu erreichen. Es habe Israelis gegeben, die im Gebiet der Palästinenser gelebt und die Autos der Palästinenser beschossen hätten. Dieses Verhalten sei seitens der israelischen Armee geduldet und unterstützt worden. Im Westjordanland habe es immer wieder Probleme mit den israelischen Siedlern gegeben und im Falle einer Rückkehr hätte sie große Angst um ihre Kinder. Zudem gebe es dort keine Freiheit.
Mit Bescheid vom 28. Oktober 2021 hob das Bundesamt den Bescheid vom 13. Dezember 2019 auf, lehnte die Anträge der Kläger auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigte ab, erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) nicht vorlägen. Die Kläger wurden unter Erlass einer Abschiebungsandrohung zur Ausreise nach Palästina aufgefordert. Zur Begründung führte das Bundesamt aus, die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft und die Anerkennung als Asylberechtigte lägen nicht vor. Soweit die Kläger einzelne Vorfälle, Sachverhalte und Gegebenheiten in ihrem Heimatland schilderten, könnten sie keine Kausalität zwischen möglichen Verfolgungshandlungen und entsprechenden Anknüpfungsmerkmalen im Sinne von § 3 AsylG ausreichend substantiieren. Sie würden sich lediglich auf die allgemein schwierige Lage in ihrem Heimatland berufen, so dass sie weder aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse, Religion, Nationalität, einer bestimmten sozialen Gruppe noch aufgrund ihrer politischen Überzeugung verfolgt würden. Soweit sie im Rahmen ihres Sachvortrags im Wesentlichen verschiedene gewaltsame Übergriffe und Handlungen vortrügen, die sich im Einzelnen sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart gegen Personen aus ihrem näherem Umfeld gerichtet hätten und sie sich auf die im Allgemeinen vorherrschende schwierige Situation in ihrem Heimatland bezögen, liege keine persönliche Betroffenheit vor, so dass weder die Zuerkennung von Asyl noch von Flüchtlingsschutz in Betracht komme. Auch die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus lägen nicht vor. Den Klägern drohe in ihrem Herkunftsland nicht die Vollstreckung oder Verhängung der Todesstrafe. Für eine Schutzfeststellung im Sinne von § 4 Abs. 1 Nr. 2 AsylG bestehe ebenfalls kein Raum, da den Klägern weder Folter, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung drohe. Die Kläger müssten auch keine ernsthafte individuelle Gefahr oder Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit befürchten, weil sie als Zivilpersonen nicht von willkürlicher Gewalt im Rahmen eines in ihrem Herkunftsland bestehenden innerstaatlichen bewaffneten Konflikts betroffen seien. Abschiebungsverbote lägen ebenfalls nicht vor. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Palästina führten nicht zu der Annahme, dass bei einer Abschiebung der Kläger eine Verletzung des Art. 3 EMRK vorliege. Die hierfür vom EGMR geforderten hohen Anforderungen an den Gefahrenmaßstab seien nicht erfüllt. Auch unter Berücksichtigung der individuellen Umstände der Kläger sei die Wahrscheinlichkeit einer Verletzung des Art. 3 EMRK durch die Abschiebung nicht beachtlich. Sie seien erwerbsfähig und verfügten über ein überdurchschnittliches Bildungsniveau. Zudem hätten sie Kontakt zu den Mitgliedern ihrer Großfamilie. Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthG seien weder vorgetragen noch ersichtlich.
Die Kläger haben am 23. November 2021 Klage erhoben. Sie tragen vor: Sie könnten bereits die deklaratorische Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG beanspruchen. Der Umstand, dass sie die Palästinensischen Gebiete und damit den Schutzbereich des UNRWA freiwillig verlassen hätten, führe nicht unmittelbar zum Wegfall des Beistandes des UNRWA. Denn dies sei anders zu bewerten, wenn die Entscheidung, das Land zu verlassen, durch Zwänge begründet sei, die vom Willen der Betroffenen unabhängig seien. Davon sei dann auszugehen, wenn der Flüchtling sich in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befunden habe und es der Organisation unmöglich gewesen sei, ihm in diesem Gebiet Lebensverhältnisse zu gewähren, die mit der ihr übertragenen Aufgabe im Einklang stünden. Maßgeblich für die Frage des Wegfalls der Schutzgewähr sei aber die Situation zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung gemäß § 77 Abs. 1 AsylG. Es komme also nicht darauf an, ob für sie zum Zeitpunkt der Ausreise äußere Zwänge bestanden hätten, sondern allein darauf, ob solche zum Zeitpunkt der gerichtlichen Prüfung des Asylantrages einer Rückkehr entgegenstünden. Bei einer Rückkehr würden sie angesichts der dortigen wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in der Lage sein, ihr Existenzminimum zu sichern, weil ihnen die Verelendung und extreme Not drohten. Die Lebensverhältnisse hätten sich deutlich verschlechtert und zu menschenrechtswidrigen Zuständen geführt. Sie hätten auch Anspruch auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes. Bei einer Rückkehr in das Westjordanland drohe ihnen eine ernsthafte individuelle Bedrohung ihres Lebens oder ihrer Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Gefahrerhöhend sei zu berücksichtigen, dass sich durch die Pandemie die Gesundheitsversorgung im Westjordanland, die bereits zuvor aufgrund der israelischen Besatzung schwierig gewesen sei, gravierend verschlechtert habe. Weiterhin sei ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG festzustellen. Ihnen werde es bei einer Rückkehr nicht gelingen, eine ausreichende Existenzgrundlage sicherzustellen. Ihre Verwandten seien nicht in der Lage, sie zu unterstützen.
In der mündlichen Verhandlung haben die Kläger die Klage auf die Zuerkennung von Abschiebungsverboten beschränkt.
Die Kläger beantragen nunmehr,
die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG in Bezug auf die Palästinensischen Autonomiegebiete (Westjordanland) vorliegen und den Bescheid vom 28. Oktober 2021 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes verwiesen.
Entscheidungsgründe
Soweit die Kläger die Klage zurückgenommen haben, ist das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Im Übrigen ist die zulässige Klage, über die nach Anhörung der Beteiligten ohne weitere mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO) entschieden werden konnte, begründet, weil die Beklagte verpflichtet ist, für die Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK in Bezug auf die Palästinensischen Gebiete (Westjordanland) festzustellen. Der Bescheid vom 28. Oktober 2021 ist rechtswidrig und aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.
Die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG sind gegeben.
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit eine Abschiebung nach den Bestimmungen der EMRK unzulässig ist. Einschlägig ist hier Art. 3 EMRK, wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden darf. Der Verweis auf die EMRK erfasst lediglich Abschiebungshindernisse, die in Gefahren begründet liegen, die dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen ("zielstaatsbezogene" Abschiebungshindernisse).
Nach der Rechtsprechung des Eufach0000000007s ist für die Kriterien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i. S. d. § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. August 2018 - 1 B 25.18 - juris Rn. 8). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entnimmt Art. 3 EMRK die Verpflichtung, den Betroffenen nicht in ein bestimmtes Land abzuschieben, wenn es ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür gibt, dass er im Fall seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, im Aufnahmeland einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu werden (vgl. EGMR, Urteile vom 13. Dezember 2016 - 41738/10 [Paposhvili v. Belgium] - HUDOC Rn. 173 und vom 23. August 2016 - 59166/12 [J. K. and others v. Sweden] - HUDOC Rn. 79). Insoweit sind die vorhersehbaren Folgen einer Rückkehr unter Berücksichtigung sowohl der allgemeinen Lage im Abschiebungszielstaat als auch der persönlichen Umstände des Ausländers zu prüfen (vgl. Nds. OVG, Urteil vom 29. Januar 2019 - 9 LB 93/18 - juris Rn. 40ff.). Auch schlechte humanitäre Verhältnisse im Abschiebungszielstaat können in ganz besonderen Ausnahmefällen ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK begründen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. August 2018 - 1 B 25.18 - juris Rn. 9). Für das Vorliegen eines Abschiebungsverbots aus § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK aufgrund der allgemeinen Lebensverhältnisse im Zielstaat ist keine Extremgefahr wie im Rahmen der verfassungskonformen Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erforderlich. Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen vielmehr ein gewisses "Mindestmaß an Schwere" erreichen. Diese Voraussetzung kann erfüllt sein, wenn der Ausländer nach Würdigung aller Umstände des Einzelfalls im Zielstaat der Abschiebung seinen existentiellen Lebensunterhalt nicht sichern, kein Obdach finden oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhalten kann. Die Unmöglichkeit der Sicherung des Lebensunterhalts kann auf der Verhinderung eines Zugangs zum Arbeitsmarkt oder auf dem Fehlen staatlicher Unterstützungsleistungen beruhen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. August 2018 - 1 B 42.18 - juris Rn. 11). Bei "nichtstaatlichen" Gefahren für Leib und Leben ist ein sehr hohes Schädigungsniveau erforderlich, da nur dann ein außergewöhnlicher Fall vorliegt, in dem etwa die humanitären Gründe entsprechend den Anforderungen des Art. 3 EMRK "zwingend" sind. So hat das Bundesverwaltungsgericht in der Vergangenheit, als es die allgemeine Lage in einem Herkunftsstaat (dort: Afghanistan) als nicht ausreichend ernst für die Feststellung einer Verletzung des Art. 3 EMRK eingestuft hat, die Notwendigkeit einer besonderen Ausnahmesituation betont (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 - juris LS 3; BayVGH, Urteil vom 8. November 2018 - 13a B 17.31918 - juris Rn. 20; vgl. zum Ganzen erneut Nds. OVG, Urteil vom 29. Januar 2019 - 9 LB 93/18 - juris Rn. 40ff.).
Ein derartiger Ausnahmefall ist zur Überzeugung des Gerichts hier gegeben.
Dabei sind die Verhältnisse im ganzen Land in den Blick zu nehmen und zunächst die Verhältnisse am Zielort der Abschiebung zu prüfen (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 - juris Rn. 38, zu § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK und § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, und Nds. OVG, Urteil vom 28. Juli 2014 - 9 LB 2/13 - juris Rn. 26, zu § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK).
Das Gericht hat in Ergänzung zu den übrigen in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln zur Einschätzung der aktuellen wirtschaftlichen und humanitären Situation im Westjordanland Beweis erhoben durch die Einholung von Auskünften des Auswärtigen Amtes und des Österreichischen Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BfA).
Auf die Fragen des Gerichts, ob es für die Kläger als Familie mit zwei kleinen Kindern grundsätzlich möglich sei, sich bei einer Rückkehr ins Westjordanland aus eigener Kraft eine Existenzgrundlage zu schaffen und eine Unterkunft zu suchen oder ggf. Hilfe des UNRWA in Anspruch zu nehmen, hat das Auswärtige Amt am 3. März 2023 mitgeteilt, es sei möglich, im Westjordanland berufstätig zu sein und eine Familie zu versorgen. Es gebe Arbeitsmöglichkeiten im Dienstleistungssektor, Schulen oder in Industriegebieten. Viele Arbeitnehmer erhielten auch eine Genehmigung, in Israel zu arbeiten. Es gebe Miet- und Eigentumswohnungen, häufig befänden sich auch Grundstücke im Familieneigentum der Großfamilie, auf denen Wohneinheiten zur Verfügung stünden. Da die Kläger bereits beim UNRWA registriert gewesen seien, könnten über dieses medizinische Versorgung sowie finanzielle oder wirtschaftliche Hilfen erfolgen. Beschränkungen bei der Rückkehr aus dem Ausland seien nicht bekannt.
Das BfA hat in einer äußerst ausführlichen Anfragebeantwortung vom 17. April 2023 zunächst hinsichtlich der sicherheitsrelevanten Lage ausgeführt, dass die israelischen Streitkräfte die volle exekutive, legislative und judikative Gewalt über die drei Millionen Palästinenser im Westjordanland hätten. Die Stadt L. - der Herkunftsort der Kläger - gelte als Hochburg militanter Palästinenser. Zu Jahresbeginn sei es zu gewalttätigen Ausschreitungen zwischen Palästinensern und israelischen Siedlern in der Region um L. gekommen. Auf dem Gelände der M. -Moschee sei es in der ersten Aprilwoche ebenfalls zu gewaltsamen Auseinandersetzungen gekommen. Militante palästinensische Gruppen aus dem Gazastreifen hätten Raketen auf israelische Städte abgefeuert. Die israelischen Streitkräfte hätten Razzien im Westjordanland durchgeführt, dabei einige Palästinenser festgenommen und hätten zudem eine Blockade rund um L. errichtet (Seite 4, 8). Zu der Frage des Gerichts, welche aktuellen Schutzmöglichkeiten im Westjordanland durch das UNRWA verfügbar seien und welche Leistungen bezogen werden könnten, hat das BfA ausgeführt, dass die Auswertung verschiedener Quellen ergeben habe, dass das Fehlen einer angemessenen, nachhaltigen und vorhersehbaren Finanzierung das UNRWA in eine ausweglose Lage gebracht habe. Angesichts des wachsenden humanitären Bedarfs leiste das UNRWA weiterhin vor allem akute Nothilfe (im Westjordanland in erster Linie in Form von Bargeld und Nahrungsmitteln) in den Bereichen Gesundheit, Bildung, psychische Gesundheit und psychosoziale Unterstützung. Das Budget und die Programme des UNRWA seien aufgrund der schweren finanziellen Krise des Hilfswerks gekürzt worden (S. 12).
Das Leben der Palästinaflüchtlinge werde im Westjordanland einschließlich Ostjerusalem durch die sozioökonomischen und schutzbezogenen Auswirkungen der Besatzung beeinträchtigt, einschließlich des eingeschränkten Zugangs zu Land, Dienstleistungen, Eigentum, Märkten und Beschäftigungsmöglichkeiten. In einem Dringlichkeitsappell aus dem Jahr 2023 habe UNRWA berichtet, dass es seine Nothilfeprogramme in der Westbank darauf ausgerichtet habe, auf die zunehmenden Sicherheits- und Schutzprobleme zu reagieren. Zu diesem Zweck werde mehr Gewicht daraufgelegt, dass der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen wie Gesundheit und Bildung auch in Krisenzeiten gewährleistet sei. Auf die Frage des Gerichts, wie sich die sozioökonomische Lage in Bezug auf Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten im Westjordanland und konkreter in der Region L. darstelle, hat das BfA zusammenfassend dargestellt, dass die israelische Besatzung mit politischen Maßnahmen und Praktiken verbunden sei, die darauf abzielten, die palästinensische Wirtschaft zu untergraben und ihre Abhängigkeit von Israel in Bezug auf Handel, Beschäftigung und die Bereitstellung von Infrastrukturdienstleistungen zu verstärken. Das schwache Wirtschaftswachstum in den besetzten palästinensischen Gebieten, das stagnierende Pro-Kopf-Einkommen, die erodierten Produktionskapazitäten, die anhaltenden Haushalts- und Handelsdefizite, der drastische Rückgang der Auslandshilfe, die steigende Staatsverschuldung und die hohen Armuts- und Arbeitslosenquoten zeigten, dass die palästinensische Wirtschaft weder lebensfähig noch fiskalpolitisch nachhaltig sei. Die höchsten Arbeitslosenquoten in Palästina seien unter Hochschulabsolventen zu finden (S. 21). Die Arbeitslosenquote unter jungen Menschen (19-29 Jahre) mit einem Hochschulabschluss oder höher liege bei 48,3 % (S. 20).
Am 12. Oktober 2022 habe die israelische Besatzung die Stadt L. mit hohen Zementblöcken, großen Sandsäcken und Sandbarrikaden umzingelt und eine strenge 21-tägige Blockade über die Stadt verhängt. Bei der Prüfung der Möglichkeiten, in L. eine Unterkunft zu finden, seien während der Recherche keine konkreten Informationen verfügbar gewesen. Israelische Behörden hätten in den letzten Jahren palästinensische Gebäude im gesamten Westjordanland abgerissen oder beschlagnahmt. Die Bewohner würden gewaltsam vertrieben, lebenswichtige Infrastrukturen würden routinemäßig abgerissen. Die Beherrschung und Kontrolle der palästinensischen Bevölkerung durch die israelischen Behörden, unter anderem durch eine diskriminierende Land-, Planungs- und Wohnungspolitik sei gut dokumentiert und betreffe Palästinenser überall dort, wo Israel die Kontrolle über ihre Rechte ausübe. Ein restriktives und diskriminierendes Planungsregime mache es den Palästinensern praktisch unmöglich, eine Baugenehmigung zu erhalten. Öffentliches Land werde fast ausschließlich für israelische Siedlungen oder für militärische Ausbildungszwecke genutzt, während die meisten privaten palästinensischen Grundstücke für landwirtschaftliche Flächen ausgewiesen seien, auf denen die Bebauung stark eingeschränkt sei. Die europäische Kommission habe festgestellt, dass es im Westjordanland im Jahr 2022 zu einer alarmierenden Zunahme von Gewalt, Abriss, Vertreibungen und Bewegungseinschränkungen gekommen sei. In Bezug auf die Gesundheitsversorgung in Westjordanland sei festzustellen, dass Menschenrechtsverletzungen in den besetzten palästinensischen Gebieten zu erheblichen Defiziten in der Qualität der Gesundheitsversorgung beigetragen hätten. Probleme beträfen das palästinensische Gesundheitssystem, die Bereitstellung und die Qualität der Dienstleistungen, Infrastrukturprobleme und die Nichtverfügbarkeit von Medikamenten. Der größte Teil der palästinensischen Bevölkerung sei auf die medizinische Versorgung durch öffentliche Krankenhäuser angewiesen, die vom palästinensischen Gesundheitsministerium im Rahmen eines allgemeinen Krankenversicherungsprogramms betrieben würden. Schätzungsweise 1,5 Millionen Menschen (66 % im Gazastreifen und 33 % im Westjordanland), darunter 700.000 Kinder, hätten nach wie vor nur begrenzten Zugang zur medizinischen Grundversorgung. Im Februar 2023 hätten die Angriffe auf die Gesundheitsversorgung im Westjordanland deutlich zugenommen und seien vor dem Hintergrund größerer Übergriffe israelischer Streitkräfte auf palästinensische Städte und Flüchtlingslager sowie einer Zunahme der Gewalt durch israelische Siedlergruppen erfolgt. Die WHO habe in den ersten beiden Monaten des Jahres 2023 47 Angriffe auf das Gesundheitswesen festgestellt. Kinder in den besetzten palästinensischen Gebieten seien mit einem neuen Ausmaß an Depressionen und Angstzuständen konfrontiert (S. 29f.). Etwa 300.000 Palästinenser, die in kleinen, verstreuten Gemeinden im Westjordanland lebten, hätten nur schwer Zugang zur Gesundheitsversorgung. Mehr als ein Drittel der Menschen, die in den als Gebiet C ausgewiesenen Zonen lebten, seien auf mobile Kliniken angewiesen, um Zugang zu grundlegenden Gesundheitsdiensten zu erhalten. Patienten aus dem Westjordanland, die in Israel behandelt werden müssten, benötigten eine Überweisung des Gesundheitsministeriums und eine Reisegenehmigung (S. 35f.). Informationen über Beschränkungen bei der Einreise aus dem westlichen Ausland lägen nicht vor. Palästinenser, die nach 1994 ausgereist seien, könnten jederzeit in die Gebiete zurückkehren und ihren ständigen Wohnsitz beantragen. Ein palästinensischer Personalausweis sei gleichbedeutend mit einer Aufenthaltsgenehmigung im Westjordanland und im Gazastreifen. Palästinenser, die nicht in das palästinensische Bevölkerungsregister eingetragen seien, dürften nicht in das Westjordanland und den Gazastreifen einreisen. Alle Einreisepunkte in das Westjordanland würden von Israel kontrolliert. Ein Kind von mindestens einem registrierten Elternteil aus dem Westjordanland oder dem Gazastreifen, das im Ausland geboren worden sei, könne sich registrieren lassen, bevor es 16 Jahre alt werde, auch wenn das Kind seine Eltern verloren habe. Im Ausland geborene Kinder, die zwischen fünf und 16 Jahren alt seien, würden mit einer Besuchserlaubnis registriert (S. 40). Die israelischen Behörden entschieden schlussendlich, ob eine Person zurückkehren und in den palästinensischen Gebieten leben könne. Israel habe die Kontrolle über das Bevölkerungsregister des Westjordanlandes. Es sei nicht klar, auf welcher Grundlage die israelischen Behörden entschieden, ob sich eine Person nach ihrer Rückkehr aus dem Ausland in den Palästinensischen Gebieten niederlassen dürfe oder nicht (S. 41). Nachdem die israelische Regierung angekündigt gehabt habe, große Teile des Westjordanlands formal zu annektieren, habe die Palästinensische Autonomiebehörde 2020 aus Protest die Koordinierung der Registrierung zwischen ihr und Israel eingestellt und habe die israelische Seite nicht mehr offiziell über die Ausstellung neuer Pässe und Identitätsnummern unterrichtet, einschließlich der Geburten von Kindern, obwohl die Daten dieser Kinder in den palästinensischen Personalausweisen der Mütter eingetragen gewesen seien. Infolgedessen hätten Tausende von palästinensischen Neugeborenen für Israel nicht existiert, da sie nach israelischer Auffassung nicht offiziell registriert gewesen seien. Sie und ihre Eltern hätten sich nicht frei in den besetzten palästinensischen Gebieten bewegen oder reisen können, was die Befürchtung aufkommen lasse, dass dieses Versäumnis dazu führen werde, dass eine beträchtliche Anzahl von Palästinensern auch in den kommenden Jahren nicht registriert und nicht dokumentiert sein werde, was die Familien in eine prekäre Lage bringen werde (S. 41f.).
Ausgehend von den dargestellten Verhältnissen im Westjordanland insgesamt sowie insbesondere in der Stadt L. als End- bzw. Ankunftsort einer Abschiebung ist das Gericht aufgrund der aktuellen Erkenntnisse zu der Überzeugung gelangt, dass derzeit angesichts der gravierenden Verschlechterung der Sicherheitslage in L., der unzulänglichen Gesundheitsversorgung sowie der schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Westjordanland für die Kläger als Rückkehrer aus dem westlichen Ausland die hohen Anforderungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK erfüllt sind, zumal in ihrer Person keine besonderen begünstigenden Umstände vorliegen. Sie können nicht auf ein hinreichend tragfähiges und erreichbares familiäres oder soziales Netzwerk zurückgreifen und werden aller Voraussicht nach weder nachhaltige finanzielle oder materielle Unterstützung durch Dritte erfahren, noch verfügen sie über ausreichendes Vermögen.
Nach Maßgabe dessen ist mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Kläger im Falle einer Abschiebung in das Westjordanland in eine ausweglose Situation geraten würden.
Aus den dargelegten Erkenntnissen geht hervor, dass gerade Akademiker Schwierigkeiten haben, eine Arbeitsstelle zu finden. Dies spiegelt sich in den Erfahrungen der Kläger zu 1. und 2. wider, welche beide Sport studiert haben, aber in ihrem Fachgebiet keine Stelle gefunden haben. Die Klägerin zu 2. ist lediglich ehrenamtlich tätig gewesen, der Kläger zu 1. hat in der Landwirtschaft gearbeitet, mithin also keine Tätigkeit ausgeübt, die seinen Qualifikationen entsprochen hätte. Davon, dass die Kläger zeitnah nach ihrer Rückkehr eine Arbeit finden könnten, durch welche sie sich und ihre Kinder finanzieren könnten, kann angesichts der ergiebigen Erkenntnisse des BfA nicht ausgegangen werden, zumal zugleich die Betreuung der beiden Kleinkinder gesichert werden müsste.
Die Kläger haben auch glaubhaft gemacht, dass sie nicht auf ein tragfähiges Familiennetzwerk im Westjordanland zurückgreifen können; insoweit wird auf ihre schriftsätzlichen Ausführungen im Klageverfahren Bezug genommen, die das Gericht als plausibel erachtet. Zwar leben die Eltern der Klägerin zu 2. noch im Westjordanland. Diese halten sich jedoch im Flüchtlingslager N. auf, haben mithin kein eigenes Haus, in welchem sie den Klägern Obdach gewähren könnten. Davon, dass die Eltern der Klägerin zu 2. als selbst hilfsbedürftige Flüchtlinge in der Lage sein könnten, die Kläger zumindest finanziell zu unterstützen, kann nicht ausgegangen werden. Ebenso dürfte es voraussichtlich für die Kläger ein nahezu unüberwindbares Hindernis sein, eine adäquate Unterkunft zu finden. Nach den obigen Ausführungen des BfA erscheint die Wohnsituation im Westjordanland äußerst angespannt. Vor ihrer Ausreise haben die Kläger zwar im Haus eines Onkels gelebt. Allerdings haben sie glaubhaft gemacht, dass dieser Wohnraum für sie nunmehr nicht mehr zur Verfügung steht, da einige Kinder des Onkels mittlerweile verheiratet seien und nunmehr noch mehr Menschen in diesem Haus lebten, so dass für sie als mittlerweile vierköpfige Familie dort kein Platz mehr sei.
Grundsätzlich erscheint es zwar nicht ausgeschlossen, dass die Kläger in einem Flüchtlingslager des UNRWA untergebracht werden könnten. Allerdings ist derzeit nicht hinreichend sicher, dass die Kläger in einem der Flüchtlingslager tatsächlich aufgenommen werden könnten und ob die dortigen Lebensumstände gerade für kleine Kinder den Anforderungen des Art. 3 EMRK noch entsprechen, da sich das UNRWA aktuell selbst in einer finanziellen Notlage befindet und vorrangig akute Nothilfe leistet. Ob die Kläger selbst in finanzieller Hinsicht eine hinreichende Unterstützung durch das UNRWA erhalten würden, ist ebenfalls fraglich. Bereits vor ihrer Ausreise waren die Kläger beim UNRWA registriert, haben aber keine Leistungen bezogen. Die prekäre Situation, die den Klägern bei einer Rückkehr drohen würde, wird noch dadurch verschärft, dass das in Deutschland nachgeborene Kind, der Kläger zu 4., bislang weder bei den palästinensischen Behörden noch beim UNRWA registriert ist und es wegen der Schwierigkeiten durch die israelische Einflussnahme nicht ansatzweise sicher ist, dass der Kläger zu 4. sich überhaupt in den Palästinensischen Gebieten niederlassen darf (S. 41 des BfA-Berichts).
Die Kläger wären mithin bei einer Rückkehr - sofern ihnen die Einreise überhaupt gewährt wird - auf sich gestellt und könnten nach ihren Angaben, an deren Glaubhaftigkeit das Gericht keinen Anlass zu Zweifeln hat, auch nicht auf ausreichende sonstige soziale Verbindungen im Westjordanland oder Vermögenswerte zurückgreifen.
Die den Klägern drohenden Gefahren weisen auch deshalb ein Mindestmaß an Schwere auf, weil es an einer tauglichen Gesundheitsversorgung fehlt und es gerade für eine Familie mit sehr kleinen Kindern unabdingbar ist, medizinische Hilfe zeitnah erlangen zu können.
Zwar besteht die Möglichkeit, für die Palästinensischen Gebiete Rückkehrhilfen zu beantragen. Es ist aber nicht hinreichend sicher, dass diese geeignet wären, den Klägern das Bestreiten des Existenzminimums im Westjordanland über einen ausreichenden, eine Verletzung von Art. 3 EMRK ausschließenden Zeitraum zu ermöglichen, da lediglich eine einmalige finanzielle Starthilfe gewährt wird (vgl. Palästinensische Gebiete - Länderinformationen (returningfromgermany.de). Die Kläger können daher auch nicht auf die Rückkehrhilfen verwiesen werden, die das Eintreten des befürchteten Schadens lediglich herauszögern würden.
Das Gericht ist deshalb nach dem gesamten Vorbringen im gerichtlichen Verfahren und auf Grundlage der aktuell vorliegenden Erkenntnisse in Bezug auf die humanitäre und wirtschaftliche Situation im Westjordanland, gerade auch angesichts der aktuellen Vorkommnisse im Zusammenhang mit den heftigen Ausschreitungen in L., davon überzeugt, dass es den Klägern nicht gelingen wird, im Falle einer Abschiebung in L. ihre Existenz zu sichern.
Der Kläger können auch nicht darauf verwiesen werden, den für sie am Abschiebungszielort L. bestehenden existenziellen Gefahren dadurch auszuweichen, dass sie in einem anderen Teil der Palästinensischen Gebiete internen Schutz suchen.
Das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK ist nur dann zu bejahen, wenn die Verfolgungsgefahr im Abschiebungszielstaat landesweit besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 - juris). Ebenso wie beim Asylgrundrecht besteht für den betroffenen Ausländer auch im Rahmen des Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK dann eine inländische Fluchtalternative, wenn - erstens - der landesinterne Schutzort für ihn vom Abschiebungszielort aus tatsächlich erreichbar ist, - zweitens - die ihm am Abschiebungszielort drohende Verfolgungsgefahr am internen Fluchtort nicht besteht und er - drittens - am Fluchtort nicht sonstigen existenziellen Gefährdungen ausgesetzt ist; insbesondere muss er sein wirtschaftliches Existenzminimum am Fluchtort sichern können.
Bei Anwendung dieses Maßstabes kann für die Kläger jedenfalls deshalb kein interner Schutz in einem anderen Teil der Palästinensischen Gebiete angenommen werden, weil sie auch außerhalb von L. nach derzeitiger Einschätzung des Gerichts ihr wirtschaftliches Existenzminimum nicht sichern könnten. Auch im übrigen Westjordanland würden die Kläger auf dieselben Schwierigkeiten stoßen wie in L.. Ungeachtet der Frage, ob es ihnen praktisch möglich wäre, in den Gazastreifen einzureisen, stellt sich die humanitäre und wirtschaftliche Lage dort als noch schwieriger dar als im Westjordanland (vgl. zur eingeschränkten Bewegungsfreiheit der Einwohner des Westjordanland BfA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Palästinensische Gebiete/Westjordanland, 3. Juni 2022, S. 4; vgl. VG Oldenburg, Urteil vom 10. Oktober 2022 - 3 A 1989/20 - juris).
Es ist mithin bei der gebotenen grundsätzlich generalisierenden Betrachtungsweise auf Dauer zu erwarten, dass den Klägern auch in den übrigen Teilen der Palästinensischen Gebiete ein Leben drohen würde, welches als ein "Dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums" (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Juli 2002 - 1 B 128.02 -; Nds. OVG, Urteil vom 28. Juli 2014 - 9 LB 2/13 - beide juris) anzusehen wäre.
Nach alledem ist es beachtlich wahrscheinlich (zum Prognosemaßstab bei § 60 Abs. 5 i.V.m. Art. 3 EMRK siehe Nds. OVG, Urteil vom 28. Juli 2014 - 9 LB 2/13 -; BayVGH, Urteil vom 21. November 2014 - 13a B 14.30284 - beide juris), dass die Kläger bei einer Rückkehr in das Westjordanland einer Ausnahmesituation im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt wären. Die humanitäre Lage dort lässt für sie ein menschenwürdiges Dasein nicht zu. Aufgrund ihrer persönlichen Umstände ist mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sie im Großraum L. und auch in den übrigen Palästinensischen Gebieten in eine völlig aussichtslose Lage geraten würden.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO, 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 167 VwGO i.V.m. 708 Nr. 11 ZPO.