Arbeitsgericht Oldenburg
Urt. v. 11.12.2007, Az.: 5 Ca 210/07

Bibliographie

Gericht
ArbG Oldenburg
Datum
11.12.2007
Aktenzeichen
5 Ca 210/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 63149
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOLDBG:2007:1211.5CA210.07.0A

In dem Rechtsstreit

...

hat die 5. Kammer des Arbeitsgerichts Oldenburg auf die mündliche Verhandlung vom 11. Dezember 2007 durch

die Richterin am Arbeitsgericht Schunke als Vorsitzende,

die ehrenamtliche Richterin Frau Eickhorst,

die ehrenamtliche Richterin Frau Silberbach als Beisitzer

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger für die Zeit ab 01.08.2006 als Oberarzt nach Vergütungsgruppe E III TV-Ärzte/VKA zu vergüten, sowie die Einkünfte des Klägers ab 01.8.2006 unter Berücksichtigung der Vergütungsgruppe E III TV-Ärzte/VKA neu abzurechnen unter Anrechnung der bisher nach Vergütungsgruppe E II abgerechneten Vergütung und die sich zusätzlich ergebenden Nettobeträge nebst Zinsen von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz ab dem 1. Werktag des Folgemonats auszuzahlen.

  2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

  3. Der Streitwert wird auf 18 000,- EUR festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die tarifgerechte Eingruppierung des Klägers.

2

Der Kläger war zunächst in der Zeit ab 01.09.1995 als Assistenzarzt zur Weiterbildung und zum Erwerb einer Zusatzbezeichnung, eines Fachkundenachweises oder einer Bescheinigung über eine fakultative Weiterbildung "spezielle anästhesiologische Intensivmedizin" in mehreren befristeten Verträgen beschäftigt. Mit Vertrag vom 20.01.2003 (Blatt 11 der Akte) wurde der Kläger ab 01.02.2003 auf unbestimmte Zeit weiter beschäftigt. Mit Schreiben vom 18.01.2005 (Blatt 12 der Akte) wurde der Kläger von der Beklagten mit Wirkung vom 01.01.2005 zum Oberarzt der Klinik für Anästhesie und Intensivmedizin (im Folgenden: AINS) bestellt.

3

Im Internetauftritt der Beklagten ist der Kläger als Oberarzt genannt. Dort ist ausgeführt, dass der Klinikdirektor zusammen mit seinen Oberärztinnen/-Ärzten die Klinik für Anästhesie- und Intensivmedizin leite.

4

Die Operationssäle in der Klinik der Beklagten sind dezentral und räumlich voneinander getrennt untergebracht. Es gibt einen operativen Bereich mit Operationssäle für Chirurgie, einen weiteren Bereich mit Operationssälen für Gynäkologie und Urologie und einen dritten Bereich mit Operationssälen für MKG (Mund-Kiefer-Gesicht) und HNO-Krankheiten. Zu dem letzten Bereich gehören vier Operationssäle. Diese sind separat im Keller der Klinik untergebracht.

5

Diesen Bereich betreute der Kläger. Die Aufgabe wurde ihm vom Chefarzt übertragen. Der Kläger zeichnet jedes Narkoseprotokoll gegen, welches in den Operationssälen angefertigt werden muss, für die er die Verantwortung übertragen erhalten hat, sowie für sämtliche Narkosen innerhalb des Bereitschaftsdienstes. Er ist zuständig für das Atemwegsmanagement. Daneben teilt er die Anästhesisten ein und bildet Assistenzärzte aus. Er übt in dem ihm zugewiesenen OP-Bereich die fachliche Aufsicht über die Assistenz- und Fachärzte aus. Auch diese Aufgabe wurde ihm vom Chefarzt übertragen.

6

Er ist stellvertretender OP-Koordinator aller OP-Bereiche. Er ist als ernannter Stellvertreter verantwortlich für die Koordination aller OP-Abläufe und die Vergabe der OP-Kapazität. In dieser Funktion ist er allein der Geschäftsführung unterstellt.

7

Der Chefarzt der Klinik für Anästhesiologie, Intensivmedizin, Notfallmedizin, Schmerztherapie im Klinikum Oldenburg (AINS) Professor Dr. ... bestätigte dem Kläger per E-Mail am 02.04.2007 (Anlage K 8, Blatt 16 der Akte), dass er die oberärztliche Leitung der Anästhesie in der HNO-Heilkunde, MKG-Chirurgie und Intensivtransportdienst inne habe. Dies beinhaltet die Teilnahme am Oberarzt-Rufdienst, Chefarzt-Vertretung für Wahlleistungspatienten, Teilnahme am LNA-Rufdienst, Urlaubsplanung der Assistenzärzte, Dienstplanung der Assistenzärzte, Dienstplanung Intensivstations-Schichtdienst, Stellvertretung OP-Organisation, Weiterbildungsermächtigung Rettungsmedizin, Leiter Notarzt-Standort ... (NEF III), Verantwortung Internet-Auftritt für die Anästhesiologie.

8

Darüber hinaus teilte der Chefarzt dem Kläger mit, dass er die Beschreibung des medizinischen Verantwortungsbereiches des Klägers als Oberarzt dem Personalleiter des Klinikums, Herrn ...., ebenfalls gesendet habe.

9

Auf dem Vordruck "Anlage zum Behandlungsvertrag für Selbstzahler" (Anlage K 9, Blatt 17 der Akte) ist der Kläger als ständiger ärztlicher Vertreter des Wahlarztes namentlich aufgeführt. Dort sind sämtliche leitenden Oberärzte und Oberärzte, die auch im Internetauftritt der Beklagten als solche bezeichnet werden, genannt. Der Kläger betreut ständig Privatpatienten als Vertreter des Chefarztes.

10

Nach Geltung des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände (TV-Ärzte/VKA) vom 17.08.2006 wurde der Kläger von der Beklagten seit 01.08.2006 in Entgeltgruppe II eingeordnet. In dieser Vergütungsgruppe sind Fachärztinnen/Fachärzte mit entsprechender Tätigkeit eingruppiert.

11

Mit Schreiben vom 17.01.2007 beantragte der Kläger, ihn in die Entgeltgruppe III einzugruppieren und die Abrechnungen dementsprechend anzugleichen. Dieses Verlangen lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 14.03.2007 ab.

12

Der Kläger ist der Auffassung, dass er die medizinische-Verantwortung über einen selbstständigen Teil- oder Funktionsbereich der Klinik trage, die ihm übertragen worden sei. Diese Tätigkeit führe er seit seiner Ernennung zum Oberarzt aus. Die oben geschilderten Tätigkeiten führe er nicht nur gelegentlich sondern ständig aus. Der Kläger beantragt,

  1. 1.

    die Beklagte zu verurteilen, den Kläger für die Zeit ab 01.08.2006 als Oberarzt nach Vergütungsgruppe E III TV-Ärzte/VKA einzugruppieren,

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, die Einkünfte des Klägers ab 01.8.2006 unter Berücksichtigung der Vergütungsgruppe E III TV-Ärzte/VKA neu abzurechnen unter Anrechnung der bisher nach Vergütungsgruppe E II abgerechneten Vergütung und die sich zusätzlich ergebenden Nettobeträge nebst Zinsen von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz ab dem 1. Werktag des Folgemonats auszuzahlen.

13

Die Beklagte beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

14

Die Beklagte ist der Auffassung, dass der Kläger in Vergütungsgruppe II tarifgerecht eingruppiert sei. Die medizinische Gesamtverantwortung obliege dem dem Kläger vorgesetzten Chefarzt, deshalb könne der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit auch keine Verantwortung für einen verselbstständigten Teilbereich oder Funktionsbereich wahrnehmen. Allein die Tatsache, dass die Operationssäle voneinander räumlich getrennt seien, führe nicht dazu, dass dies ein gesonderter Teil- oder Funktionsbereich sei. Die herausgehobene klinische Kompetenz rechtfertige ebenso wenig die Eingruppierung in Entgeltgruppe III wie die von ihm angegebenen Verantwortungsbereiche und die Betreuung von Privatpatienten.

15

Schließlich fehle es an der vom Arbeitgeber ausdrücklich übertragenen medizinischen Verantwortung. Dass dem Kläger bestimmte Verantwortungen im Bereich der vier Operationssäle im Bereich HNO/MKG vom Chefarzt übertragen worden seien, sei der Beklagten nicht bekannt und würde im Übrigen auch die Höhergruppierung nicht rechtfertigen. Für den Internetauftritt sei nicht die Geschäftsleitung sondern die Klinik für AINS selbst zuständig.

16

Aus der Tatsache, dass der Kläger von der Beklagten zum Oberarzt ernannt worden sei, folge nicht zwangsläufig, dass der Kläger nach dem TV-Ärzte/VKA auch als Oberarzt in Entgeltgruppe III eingruppiert sein müsse. Die Beklagte beruft sich insoweit auf die Niederschrift zu § 6 Absatz 2 des Tarifvertrages, nach denen Ärzte, die die Bezeichnung Oberarzt führten, ohne die Voraussetzungen für eine Eingruppierung als Oberarzt zu erfüllen, die Berechtigung zur Führung der bisherigen Bezeichnung nicht verlieren.

17

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze na nebst Anlagen verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe

18

Die Klage ist begründet.

19

Die Beklagte ist verpflichtet den Kläger ab 01.08.2006 als Oberarzt nach der Entgeltgruppe III des TV-Ärzte/VKA zu vergüten, denn der Kläger ist tarifgerecht in diese Vergütungsgruppe eingruppiert.

20

Auf das Arbeitsverhältnis fanden ursprünglich die Bestimmungen des BAT Anwendung. Nunmehr gilt seit dem 01.08.2006 der TV-Ärzte/VKA.

21

Die tarifvertraglichen Voraussetzungen gemäß § 16c TV-Ärzte VKA liegen vor, da dem Kläger als Arzt die medizinische Verantwortung für einen selbstständigen Teil- oder Funktionsbereich der Klinik beziehungsweise Abteilung vom Arbeitgeber ausdrücklich übertragen worden ist.

22

Völlig unstreitig zwischen den Parteien ist, dass der Kläger die erste Voraussetzung erfüllt, nämlich über die erforderliche Approbation verfügt und damit als Arzt einzustufen ist.

23

Der Kläger trägt darüber hinaus auch die medizinische Verantwortung für ein selbstständigen Teil- oder Funktionsbereich der Klinik.

24

Funktionsbereiche sind anerkannte Spezialgebiete innerhalb eines ärztlichen Fachgebietes. Dieser Begriff wird unter der Geltung des TV-Ärzte/VKA wie auch bereits unter der Geltung des BAT entsprechend der ärztlichen Weiterbildungsordnung verstanden.

25

Im Unterschied dazu wird mit dem Teilbereich nach einer Ansicht bewusst von der ärztlichen Weiterbildungsordnung abgewichen und ärztliche Tätigkeiten ohne jeden Bezug zur ärztlichen Weiterbildungsordnung erfasst (vergleiche Bruns, Arztrecht 2007, 60 ff; Hillmann-Stadtfeld, Ärzteblatt 2006, 23. Ausgabe, Seite A-1625, B-1437, C-1377). Eine weitere Ansicht interpretiert den Begriff des Teilbereich als jede vorgenommene und organisatorische Abgrenzung innerhalb einer Fachabteilung, was einzelne Stationen ebenso sein können wie organisatorische Teilbereiche (vergleiche Schreiben des Marburger Bundes vom 22.03.2007).

26

Ein selbstständiger Funktionsbereich liegt in dem Bereich, in dem der Kläger tätig ist (OP Bereich HNO/MKG) nicht vor. Insoweit besteht zur Überzeugung der Kammer neben dem Spezialgebiet der Anästhesie kein anerkanntes Spezialgebiet für diesen Bereich unter Zugrundelegung der Weiterbildungsordnung für Ärzte. Zumindest hat der Kläger nicht vorgetragen, dass es im Rahmen der Weiterbildungsordnung ein Spezialgebiet für Anästhesisten gibt, die ausschließlich für den Bereich der HNO beziehungsweise MKG ausgebildet werden. Der Kläger ist dort als Anästhesist tätig. Auch in anderen Bereichen der Klinik werden Anästhesien vorgenommen von Fachärzten für Anästhesie die keine andere Schwerpunktausbildung als die eines Anästhesisten im Sinne der Weiterbildungsordnung durchlaufen haben. Die Anästhesien im Bereich der HNO/MKG erweisen sich im Vergleich zu den Anästhesien in der Urologie, Gynäkologie und Chirurgie nicht als derartiges Spezialgebiet, dessen Praktizierung nur im Bereich, in dem der Kläger tätig ist, vorgenommen werden.

27

Allerdings liegt mit dem räumlich abgrenzbaren OP-Bereich für HNO-Krankheiten und MKG-Chirurgie ein selbstständiger Teilbereich vor. Dieser Bereich weist eine organisatorische Eigenständigkeit durch separate Räumlichkeiten in einem anderen Trakt der Klinik auf, in dem nur ganz spezielle Eingriffe im Kopfbereich durchgeführt werden. Daraus folgt auch, dass es sich bei diesem Bereich um einen selbstständigen Bereich handelt, weil dort nur eine bestimmte Art von Operationen durchgeführt wird. Weder werden dort allgemeine chirurgische Eingriffe noch Eingriffe im Bereich der Gynäkologie und Urologie durchgeführt. Nach Auflassung der Kammer bedeutet das Adjektiv "selbstständig" im Zusammenhang mit Teil- oder Funktionsbereich nicht, dass der Kläger medizinisch oder organisatorisch weisungsfrei sein muss. Es bezieht sich vielmehr auf den Bereich, der gegenüber anderen Bereichen abgrenzbar sein muss, mithin selbstständig. Dies ist bei dem OP-Bereich, für den der Kläger verantwortlich ist, im Bereich HNO/MKG gerade der Fall.

28

Für diesen genannten Teilbereich trägt der Kläger die medizinische Verantwortung im Sinne des Tarifvertrages. Jeder Arzt übernimmt für die von ihm ausgeführte Tätigkeit die medizinische Verantwortung, das heißt, dass er seine Tätigkeit sachgerecht nach den Regeln der medizinischen Kunst aus übt. Die Besonderheit der medizinischen Verantwortung im Sinne von § 16c TV-Ärzte VKA besteht darin, dass sie nicht nur für die eigene Tätigkeit sondern darüber hinaus für die in dem Bereich tätigen Personen, die medizinische Handlung an den Patienten vornehmen, übernommen wird.

29

Die Auslegung dieses Begriffes ist in der Literatur und Rechtsprechung umstritten. Das Arbeitsgericht in Düsseldorf (Urteil vom 12.07.2007, 14 Ca 669/07) vertritt die Auffassung, dass das Erfordernis erfüllt sei, wenn dem Betroffenen Aufsichtsfunktion über ärztliches und nichtärztliches Personal übertragen wurde. Das Arbeitsgericht Darmstadt (Urteil vom 26.07.2007, 12 Ca 142/07) führt aus, dass die Weisungsbefugnis gegenüber Assistenzärzten und medizinischem Pflegepersonal allein noch nicht rechtfertigen, von der Übertragung medizinischer Verantwortung auszugehen, da bereits Fachärzte den Ärzten in der Weiterbildung und den Pflegekräften gegenüber weisungsbefugt seien. Schließlich wird auch die Auffassung vertreten, dass eine Übernahme von Aufsichts- und Weisungsfunktionen entbehrlich sei. Ein Teil- oder Funktionsbereich im Sinne des TV-Ärzte/VKA könne auch nur aus einem Oberarzt allein bestehen (vergleiche Bruns, Arztrecht 2007, Seite 67). Auch wenn man eine Weisungs- und Aufsichtsbefugnis über Ärzte der jeweils niedrigeren Entgeltgruppe voraussetzt, obwohl dies nicht ausdrücklich im Tarifvertrag erwähnt ist, ist diese beim Kläger gegeben. Der Kläger hat dargelegt, dass ihm in Bezug auf die übertragenen Aufgaben auch Aufsichtsfunktionen über ärztliches und nichtärztliches Personal übertragen worden sei. Er habe sämtliche Narkosenprotokolle in seinem Bereich und für sämtliche Narkosen innerhalb des Bereitschaftsdienstes abzuzeichnen. Ihm sei die Aufsicht über in die in seinem Bereich tätigen Assistenz- und Fachärzte übertragen worden. Schließlich sei er für das Atemwegsmanagement zuständig. Dem Kläger kam somit Vorgesetztenfunktion zu. Die medizinische Verantwortung des Klägers wird auch nicht durch die Letztverantwortung des Chefarztes der Klinik verdrängt. Die bestehende Aufsichts- und Weisungsbefugnis des Klägers und damit auch für andere Personen als sich selbst schließt die Letztverantwortung des Abteilungsleiters (Chefarztes) nicht aus. Davon sind auch die Tarifvertragsparteien nicht ausgegangen. Da bekanntermaßen der Klinikchef immer den leitenden Oberärzten und Oberärzten und dem sonstigen ärztlichen und nicht ärztlichen Personal gegenüber weisungsbefugt ist, käme das Merkmal "medizinische Verantwortung" niemals zum Tragen, wenn die medizinische Verantwortung nur dann vorläge, wenn in dieser Klinik ausnahmsweise keinen Chefarzt gäbe.

30

Es ist davon auszugehen, dass der Kläger entsprechend § 15 Absatz 2 TV- ÄrzteA/KA zum überwiegenden Teil seiner Tätigkeit oberärztliche Aufgaben wahrnimmt. Der Kläger hat die Einzelheiten seiner Tätigkeit und die Tatsachen vorgetragen, die Schlüsse auf die zu erbringenden Arbeitsvorgänge zugelassen. Er hat dargelegt, dass die Tätigkeitsmerkmale, die zur Eingruppierung in Entgeltgruppe III führen, der gesamten und nicht nur vorübergehend auszuübenden Tätigkeit des Klägers entspricht. Denn zeitlich zumindest zur Hälfte fallen Arbeitsvorgänge an, die die Anforderungen an die Tätigkeitsmerkmale der Entgeltgruppe III erfüllen. Dabei ist von dem durch das BAG in ständiger Rechtsprechung entwickelten Begriff des Arbeitsvorgangs auszugehen, nämlich eine unter Hinzurechnung der Zusammenhangstätigkeiten und bei Berücksichtigung einer sinnvollen vernünftigen Verwaltungsübung nach tatsächlichen Gesichtspunkten abgrenzbare und rechtlich selbstständig zu bewertende Arbeitseinheit der zu einem bestimmten Arbeitsergebnis führenden Tätigkeit des Angestellten. Nach Auffassung der Kammer ist die Tätigkeit des Klägers als einziger umfassender Arbeitsvorgang im Tarifsinne zu werten. Nach der ständigen obergerichtlichen Rechtsprechung wird die Tätigkeit als Arzt als ein einziger Arbeitsvorgang aufgefasst. Bei den tariflichen Tätigkeitsmerkmalen werden alle ärztlichen Tätigkeiten insgesamt einheitlich bewertet. Schon unter der Geltung des BAT fassten die Tarifvertragsparteien den Arztbegriff als Funktionsmerkmal auf, der ohne Rücksicht auf die Einzelaufgaben eine tarifrechtlich einheitliche Bewertung erfordert. An diesen Bewertungen durch die Tarifvertragsparteien sind die Gerichte gebunden. Die Tätigkeit des Klägers dient einem einheitlichen Zweck, nämlich der Krankenversorgung. Eine Aufteilung in verschiedene Arbeitsvorgänge ist nicht sachgerecht. Das einheitliche Ziel der Tätigkeit des Klägers ist die Rettung von Leben und Wiederherstellung der Patienten Gesundheit. Die ihm übertragene Verantwortung, die prägend ist für die Eingruppierung in Entgeltgruppe III, trägt er ständig und nicht nur zu bestimmten Zeiten. Nach dem Vortrag des Klägers ist dieser ständig oder weit überwiegend in dem ihm zugewiesenen OP-Bereich HNO/MKG tätig und ist nicht als Anästhesist zu mehr als 50 % seiner Tätigkeit in anderen Bereichen tätig, für die er keine weitere Verantwortung trägt als die für seine eigene Tätigkeit. Die in einem zeitlich untergeordneten Umfang anfallenden administrativen Tätigkeiten, wie die Dokumentation, Abzeichnung von Protokollen, Planung von Arbeitsvorgängen, Unterweisung von Assistenzärzten dienen als Zusammenhangstätigkeit dem übergeordneten Zweck der Patientenversorgung.

31

Die medizinische Verantwortung ist dem Kläger auch durch den Arbeitgeber übertragen worden. Grundsätzlich muss die Übertragung durch den Krankenhausträger erfolgen. Dieser kann jedoch die Befugnis auch auf den Chefarzt ausdrücklich oder konkludent delegieren. Mit dem Kriterium der Übertragung durch den Arbeitgeber kann nicht allein gemeint sein, dass ein förmlicher Bestellungsakt durchzuführen ist, sondern dass es auf die tatsächliche Übertragung der entsprechenden Aufgaben ankommt. Besondere Formvorschriften für die Übertragung sieht der Tarifvertrag nicht vor.

32

Der Kläger war bereits mit Schreiben vom 18.01.2005 vom Personalleiter der Beklagten zum Oberarzt ernannt worden. Zwar ist in diesem Schreiben zum Ausdruck gebracht worden, dass sich eine Änderung der Vergütung hieraus nicht ergeben werde. Dies ist jedoch allein vor dem Hintergrund der damaligen Geltung des BAT und seiner insoweit zum jetzigen TV-Ärzte/VKA anders lautenden Vorschriften und Voraussetzungen zur Eingruppierung zu verstehen. Insbesondere können aus dieser Einschränkung keine Schlüsse dahingehend gezogen werden, dass die Beklagte den Kläger lediglich als Oberarzt bezeichnen wollte, er in Wirklichkeit die Funktion als Oberarzt aber nicht einnehmen sollte (sogen. Titularoberarzt).

33

Die Beklagte hat zwar bestritten, dass dem Kläger die Leitung des OP-Bereiches HNO/MKG vom Klinikdirektor ausdrücklich übertragen worden ist, zumindest hat die Beklagte vorgetragen, dass sie davon nichts wisse. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Chefarzt Professor Dr sowohl dem Kläger per E-Mail am 02.04.2007 als auch dem Personalleiter .... mitgeteilt habe, dass er dem Kläger die ärztliche Leitung der Anästhesie in der HNO-Heilkunde und der MKG-Chirurgie und im Intensivtransportdienst übertragen habe. Diese Aufgabenzuweisung ist durch den zur Organisation seiner Klinik ermächtigten Chefarzt erfolgt. Die Beklagte muss sich das Handeln des Klinikchef zurechnen lassen.

34

Nach Ansicht der Kammer ist hier zumindest von einer Duldungsvollmacht auszugehen. Eine Zurechnung ist nach diesem Rechtsinstitut dann vorzunehmen, wenn die Übertragung zwar ohne ausdrückliche Vollmacht aber mit Kenntnis der Klinikleitung stattfindet und der betroffene Arzt diese Tätigkeit klar erkennbar über einen erheblichen Zeitraum ausübt. Zwar hatte die Beklagte erklärt, dass sie von der Übertragung der Aufgaben keine Kenntnis hatte. Dies steht allerdings im Widerspruch zu der dem Kläger erteilten Mitteilung vom 02.04.2007, dass auch der Personalleiter ... über die Zuweisung des Aufgabenbereiches an den Kläger in Kenntnis gesetzt worden sei. Die Beklagte hat nicht bestritten, dass diese Mitteilung an die Personalabteilung erfolgt sei. Darüber hinaus hat die Klinikleitung die organisatorischen Angelegenheiten der Klinik für AINS dem Chefarzt überlassen. Im Internet war der Kläger als Oberarzt, der zusammen mit den anderen Oberärzten und dem Chefarzt die Klinik leitet, aufgeführt. Wenn die Beklagte vorträgt, dass sie für diesen Internetauftritt nicht verantwortlich sei, kann dies die Kammer nicht überzeugen. Zum einen ist der Zugriff auf die Seite des Ärzteteams der Klinik für AINS nur in Verbindung mit der offiziellen Webseite der Beklagten möglich. Zudem erscheint die Beklagte durch die Angabe ... als Verfasser dieser Seite. Davon auszugehen, dass die Beklagte die Seite und ihren Inhalt kennt und geduldet. Bisher ist sie nicht gegen den Inhalt eingeschritten.

35

Jedenfalls ist die Übertragung der medizinischen Verantwortung durch den Chefarzt aber zumindest unter dem Gesichtspunkt der Anscheinsvollmacht anzunehmen. Von einer Anscheinsvollmacht ist dann auszugehen, wenn der Vertretene das Handeln des angeblichen Vertreters zwar nicht kennt, es aber hätte kennen und verhindern können und der Geschäftsgegner aus dem äußeren Geschehen auf eine Bevollmächtigung schließen konnte. Der Kläger, dem die oberärztliche Leitung der Anästhesie in der HNO-Heilkunde und MKG-Chirurgie durch den Chefarzt Professor Dr. ... übertragen worden ist, konnte zu Recht davon ausgehen, dass der Chefarzt befugt war, ihm die oberärztliche Leitung zu übertragen. Letztlich ist der Chefarzt in der Klinik die Person, die die volle medizinische Verantwortung für den gesamten Klinikbereich inne hat und diese in der Regel - so jedenfalls die Verkehrsanschauung - für Teilbereiche delegieren kann. Der Geschäftsführer bzw. die Personalabteilung haben die organisatorische und wirtschaftliche Verantwortung für das Klinikum nicht aber die medizinische Verantwortung. Da die Beklagte dem Chefarzt die gesamte medizinische aber auch organisatorische Verantwortung für die Klinik für AINS übertragen hat, hätte sie wissen und erkennen können, dass der Chefarzt den Personen, die als Oberärzte nach außen in Erscheinung treten, auch medizinische Verantwortung für Teilbereiche überträgt. Dies hätte die Geschäftsleitung auch dadurch erkennen können, dass auf den gebräuchlichen Formularen der Kläger als Vertreter des Chefsarztes aufgeführt ist und im Internet als Oberarzt bezeichnet worden ist, der mit den anderen Oberärzten zusammen und dem Chefarzt die Klinik leitet. Auch die langjährige Tätigkeit des Klägers als Oberarzt für den Bereich der Anästhesie bei HNO-Erkrankungen und MKG-Chirurgie hätte die Beklagte bei pflichtgemäßer Sorgfalt erkennen können. Hätte die Beklagte nicht gewollt, dass der Kläger für einen Teilbereich die medizinische Verantwortung trägt, hätte sie entsprechend einschreiten können und dies unterbinden können.

36

Schließlich ist im Zusammenhang mit der Übertragung der Oberarzttätigkeit das Verbot des widersprüchlichen Verhaltens gemäß § 162 BGB zu beachten. Ein Krankenhausträger, der die vom Chefarzt übertragene verantwortliche Tätigkeit des Klägers, die der Entgeltgruppe III entspricht entgegennimmt, sich dann aber weigert, eine ausdrückliche Übertragung vorzunehmen, um auf diese Weise die Höhergruppierung zu vereiteln, muss sich so behandeln lassen, als habe er die Übertragung tatsächlich vorgenommen.

37

Der Klage war daher stattzugeben.

38

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Absatz 1 ZPO; nach dieser Vorschrift hat die unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

39

Der Streitwert für dieses Urteil wurde gemäß den §§ 61 Absatz 1 ArbGG, 3 ZPO, 42 Absatz 4 GKG festgesetzt. Er entspricht dem 36-fachen Unterschiedsbetrag zwischen begehrter und gezahlter Vergütung. Die Kammer hat den Unterschiedsbetrag zwischen der begehrten und gezahlten Vergütung entsprechend der Erkenntnis aus Parallelverfahren auf  500 € geschätzt.

Schunke
Frau Eickhorst
Frau Silberbach