Arbeitsgericht Oldenburg
Urt. v. 24.05.2007, Az.: 4 Ca 9/07
Bibliographie
- Gericht
- ArbG Oldenburg
- Datum
- 24.05.2007
- Aktenzeichen
- 4 Ca 9/07
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2007, 63151
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGOLDBG:2007:0524.4CA9.07.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- LAG Niedersachsen - 11.12.2007 - AZ: 5 Sa 914/07
- BAG - 18.03.2009 - AZ: 4 AZR 64/08
In dem Rechtsstreit
...
hat die 4. Kammer des Arbeitsgerichts Oldenburg auf die mündliche Verhandlung vom 24. Mai 2007 durch
den Direktor des Arbeitsgerichts Graefe als Vorsitzenden,
die ehrenamtliche Richterin Frau ...
den ehrenamtlichen Richter Herrn ... als Beisitzer
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 535,00 € (i.W.: Fünfhundertfünfunddreißig 00/100 Euro) brutto nebst Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.08.2006 zu zahlen.
- 2.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
- 3.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Parteien je zur Hälfte.
- 4.
Der Streitwert wird auf 1 070,00 € festgesetzt.
- 5.
Die Berufung gegen diese Entscheidung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über einen Anspruch auf Sonderzahlung in Höhe von 535,00 € brutto sowie um einen Schadensersatz- bzw. Entschädigungsanspruch in gleicher Höhe.
Die Klägerin ist seit dem 01.06.1999 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin als Pflegekraft auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 18.06.1999 beschäftigt (Blatt 6 f. der Akte). Die Arbeitsvergütung richtet sich nach dem einschlägigen Tarifvertrag für die .... BMT-AW II Gruppe IV. Fallgruppe 5. Weiter heißt es in § VII des Arbeitsvertrages:
...
Im übrigen gelten die Bestimmungen des anzuwendenden Tarifvertrages in seiner jeweils gültigen Fassung. Ein Exemplar dieses Tarifvertrages liegt in der Einrichtung zur Einsichtnahme aus.
...
Unter dem 11.09.2006 haben die Beklagte und die Gewerkschaft ver.di einen Tarifvertrag zum Ausgleich des strukturellen Defizits der Unternehmensgruppe des ehemaligen ... Bezirksverbandes Weser-Ems (TV AstD) abgeschlossen. § 3 Abs. 1 dieses Tarifvertrages lautet wie folgt:
...
(1)
Als Ersatzleistung wegen des Verzichts auf die Sonderzahlungen gemäß § 19 des Haustarifvertrages der ...-Gruppe erhalten die ver.di-Mitglieder der ...-Gruppe in jedem Geschäftsjahr zum 31. Juli eine Ausgleichszahlung in Höhe von 535 € brutto je Vollzeitkraft gemäß tariflicher Wochenarbeitszeit.
...
Die Klägerin ist nicht Mitglied der Gewerkschaft ver.di und hat eine entsprechende Zahlung nicht erhalten.
Mit der vorliegenden am 10.01.2007 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage begehrt die Klägerin die Sonderzahlung in Höhe von 535,00 €. Sie hält die Differenzierungsklausel in dem Tarifvertrag für unwirksam und ist der Auffassung, dass sie nicht schlechter behandelt werden dürfe als die bei ver.di organisierten Arbeitnehmer. Im Rahmen der Gesamtargumentation dürfe nicht übersehen werden, dass sie - die Klägerin - aufgrund des TV AstD ihren Anspruch auf eine jährliche Sonderzahlung verloren habe, und zwar in Höhe eines Betrages, der den hier geltend gemachten Betrag übersteige. Wenn nur Gewerkschaftsmitglieder dafür eine "Ersatzleistung" erhielten, sei dies nicht hinnehmbar.
Schließlich hätten auf die Sonderzahlungen in der ursprünglichen Höhe nicht nur Mitglieder von ver.di verzichten müssen, sondern auch die nicht organisierten Arbeitnehmer.
Darüber hinaus macht die Klägerin gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch bzw. Entschädigungsanspruch ebenfalls in Höhe von 535,00 € nach § 15 AGG geltend. Sie ist der Auffassung, dass die Privilegierung der Gewerkschaftsangehörigen bei der tariflichen Sonderzahlung eine Benachteiligung gemäß § 1 AGG darstelle. Es sei eine Frage der Weltanschauung, ob ein Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert sein wolle oder nicht. Die Benachteiligung der Klägerin ziehe einen Schadensersatz bzw. Entschädigungsanspruch auf der Grundlage von § 15 AGG nach sich, der der Höhe der tariflichen Sonderzahlung zu entsprechen habe.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen an sie
- 1.
eine Ausgleichszahlung in Höhe von 535,00 € brutto nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.08.2006;
- 2.
eine Entschädigung in Höhe von ebenfalls 535,00 € nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten seit dem 15.01.2007
zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass die in Frage stehende tarifliche Regelung auf der Grundlage von § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG unbedenklich sei. Es sei diese gesetzliche Bestimmung gerade immanent, dass die ausgehandelten Tarifvertragsbedingungen grundsätzlich nur für tarifgebundene Parteien gelten. Selbst wenn dadurch ein gewisser "Beitrittsdruck" entstehe, sei dieser im Hinblick auf die gewährte Ausgleichszahlung nicht derart stark, dass ein bisher nicht organisierter Arbeitnehmer allein, um in den Genuss der Ausgleichszahlung kommen zu können, an einen Gewerkschaftsbeitritt denken würde.
Schließlich sei auch von Bedeutung, dass sie - die Beklagte - einem erheblichen Verhandlungsdruck ausgesetzt gewesen sei. Dieser habe letztlich dazu geführt, dass die von der Gewerkschaft erhobene Forderung der Aufnahme einer entsprechenden Ausgleichszahlung für Gewerkschaftsmitglieder nicht habe abgelehnt werden können, ohne den Verhandlungserfolg insgesamt zu gefährden.
Selbst wenn man zu dem Ergebnis käme, dass die Regelung des § 3 des Tarifvertrages unwirksam sein sollte, ergebe sich daraus keineswegs zwangsläufig die Begründetheit des geltend gemachten Anspruchs. Die Unwirksamkeit der Tarifnorm als solche würde allenfalls zu dem Ergebnis führen, dass sich niemand, d.h. sowohl tarifgebundene als auch nicht tarifgebundene Arbeitnehmer, auf diese Vorschrift berufen könnten.
Der Klägerin stehe auch kein Schadensersatzanspruch zu. Dies bereits deswegen nicht, weil die von der Klägerin behauptete Ungleichbehandlung keinem der in § 1 aufgezählten Diskriminierungsmerkmalen zuzuordnen sei. Bei der Frage der Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft handele es sich ersichtlich nicht um eine Frage der "Weltanschauung" im Rechtssinne.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die insgesamt zulässige Klage ist aus dem im Tenor ersichtlichen Umfang begründet, im Übrigen unbegründet und daher abzuweisen.
I.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf eine Ausgleichszahlung gemäß § 3 des Tarifvertrages zum Ausgleich des strukturellen Defizits der Unternehmensgruppe des ehemaligen ... Bezirksverbandes Weser-Ems (TV AstD) in Höhe von 535,00 €. Die Beschränkung dieser Ausgleichszahlung auf Mitglieder der Gewerkschaft ver.di ist aus Rechtsgründen nicht haltbar.
Gemäß § VII des Arbeitsvertrages finden grundsätzlich alle tarifvertraglichen Regelungen auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Die Verweisungsklausel im Arbeitsvertrag ist damit eine typische Gleichstellungsabrede (vgl. dazu auch BAG vom 14.12.2005 - 10 AZR 296/05 ). Das bedeutet, dass bei der Anwendung sämtlicher Tarifnorm die nicht tarifgebundenen mit den tarifgebundenen Arbeitnehmern gleichzustellen sind, d.h. eine Differenzierung - auch hinsichtlich etwaiger Sonderleistungen - unzulässig ist. Mit der arbeitsvertraglichen Verweisung soll eine fehlende Tarifbindung umfassend substituiert werden.
Die Differenzierungsklausel in § 3 des Tarifvertrages bei der Gewährung von Sonderzahlungen stellt sich unter mehreren Gesichtspunkten als rechtswidrig dar. Mit derartigen Differenzierungsklauseln verfolgen die Gewerkschaften das Ziel, ihren Mitgliedern Vorteile zu verschaffen oder diese zu erhalten. Über die Zulässigkeit derartiger Differenzierungsklauseln besteht seit je her Streit. Der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts hat in seinem grundlegenden Beschluss vom 29.11.1967 (AP Nr. 13 zu Artikel 9 GG) entschieden dass in Tarifverträgen zwischen den bei der vertragsschließenden Gewerkschaft organisierten und anders oder nicht organisierten Arbeitnehmern grundsätzlich nicht differenziert werden dürfe. In der Begründung wird maßgeblich darauf abgestellt, dass die allgemeine Differenzierungsklausel die negative Koalitionsfreiheit nach Artikel 9 Abs. 3 Satz 2 GG rechtswidrig einschränke, und dass sie außerdem durch die Tarifmacht der Koalitionen nicht gedeckt seien. Soweit ersichtlich, ist dieser Entscheidung in der Rechtsprechung nur das LAG in einem Urteil vom 11.01.1994 - 11 Sa 979/93 - (LAGE § 4 TVG Nr 4) entgegengetreten. Das LAG Hamm nimmt dabei Bezug auf den Wortlaut des § 4 Abs. 2 TVG. Schon daraus folge, dass Arbeitsverhältnisse der sog. Außenseiter nicht erfasst würden, so dass die Tarifvertragsparteien tarifliche Leistungen auch auf tarifgebundene Mitarbeiter beschränken könnten. Nicht organisierte Arbeitnehmer müssten es deshalb hinnehmen, dass Ansprüche aus nichtallgemeinverbindlichen Tarifverträgen nur tarifgebundenen Arbeitnehmer zustünden Auch über Artikel 3 GG könnten nicht organisierte Arbeitnehmer nicht die Gleichstellung mit tarifgebundenen verlangen Anderenfalls wären die Koalitionen in ihren durch Artikel 9 Abs. 3 GG geschützten Bestand gefährdet, weil für die meisten Arbeitnehmer kein vernünftiger Grund mehr bestünde, einer Koalition beizutreten oder ihr weiter anzugehören (in diesem Sinne aus neuerer Zeit auch namentlich Däubler BB 2002, Seite 1643 ff. sowie Gamillscheg, NZA 2005, Seite 146 ff; so auch schon Zachert DB 1995, Seite 322 ff., dagegen etwa Bauer/Arnold NZA 2005, Seite 1209 f. mit weiteren Nachweisen; differenzierend Dieterich in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 6. Auflage. Artikel 9 GG Rdnr. 33a, 34).
Im vorliegenden Fall kann letztlich dahinstehen, welcher Auffassung der Vorzug zu geben und wie die Grenzziehung zwischen noch zulässiger Bevorzugung von Gewerkschaftsmitgliedern und damit einhergehender Benachteiligung nicht tarifgebundener Arbeitnehmer generell zu ziehen ist. Die Unzulässigkeit der Benachteiligung ergibt sich hier bereits daraus, dass - worauf die Klägerin zurecht hinweist - ursprünglich alle Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine tarifliche Sonderzahlung aufgrund allgemeiner Tarifanwendung hatten. Wenn nunmehr im Rahmen des Restrukturierungstarifvertrages diese Sonderzahlung gänzlich nur für nicht tarifgebundene Arbeitnehmer entfällt, Mitglieder der Gewerkschaft ver.di aber eine Ersatzleistung in Höhe von 535.00 € brutto monatlich erhalten haben, überschreitet eine derartige Regelung die verfassungsrechtlichen Grenzen des Artikel 9 Abs. 3 GG. Ein Tarifvertrag, der wie vorliegend die seit je her eine im Betrieb der Beklagten praktizierte Gleichbehandlung von organisierten, nicht organisierten und anders organisierten Arbeitnehmern unterläuft, verstößt darüber hinaus insbesondere gegen Artikel 3 Abs. 1 GG. Den nicht organisierten Arbeitnehmern wird durch die Privilegierung der Gewerkschaftsmitglieder eine Zusatzleistung ersatzlos genommen, die zuvor unterschiedslos allen Arbeitnehmern, den organisierten wie den nicht organisierten, gewährt worden ist (in diesem Sinne in einem ähnlich gelagerten Fall auch LAG Köln vom 08.12.2005 - 10 Sa 235/05 -; im Ergebnis bestätigt durch BAG vom 09.05.2007 - 4 AZR 275/06 - lt. Pressemitteilung Nr. 31/07).
II.
Unbegründet ist indes der von der Klägerin geltend gemachte Schadensersatz- bzw. Entschädigungsanspruch.
Ein Schadensersatzanspruch gemäß § 15 Abs. 1 AGG scheitert ersichtlich bereits daran, dass die Klägerin keinen Schaden dargelegt hat.
Desweiteren hat die Klägerin aber auch keinen Entschädigungsanspruch gemäß § 15 Abs. 2 AGG. Zu Unrecht leitet die Klägerin diesen Anspruch für sich aus einem Verstoß gemäß § 7 i.V.m. § 1 AGG her. Bei der Regelung in § 3 des Haustarifvertrages handelt es sich nicht um eine Benachteiligung wegen der Weltanschauung. Religion und Weltanschauung sind durch die Gewissheit über Aussagen zum Weltganzen sowie zur Herkunft und zum Ziel menschlichen Lebens gekennzeichnet (vgl. nur Däubler/Bertzbach, AGG, § 1 Rdnr. 59). Erfasst werden damit nur gedankliche Systeme, die das Weltgeschehen im großen Zusammenhang werten, d.h. es muss um zentrale menschliche Fragen gehen. Nicht unter den Begriff der Weltanschauung fallen politische Einstellungen oder sonstige Überzeugungen.
Aus dieser Begriffsbestimmung ergibt sich, dass sich eine Gewerkschaftszugehörigkeit nicht unter dem Begriff Weltanschauung subsumieren lässt. Zwar mag bei vielen Gewerkschaftsmitgliedern die Motivation für einen Gewerkschaftsbeitritt weit über eine bloße Interessenvertretung hinausgehen und Ausdruck einer spezifischen gesellschaftlichen sozialen und politischen Sicht- und Denkweise sein. Diese Sichtweise ist indes weit entfernt von einer "Aussage zum Weltganzen", sondern betrifft nur einen begrenzten Ausschnitt einer weltanschaulichen Betrachtungsweise. Die Differenzierungsklausel in dem fraglichen Tarifvertrag stellt daher keine Diskriminierung im Sinne der §§ 1, 7 AGG unter dem Aspekt Weltanschauung dar. Unabhängig von den übrigen Anspruchsvoraussetzungen entfällt bereits aus diesem Grunde ein Anspruch der Klägerin auf eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 61 Abs. 1, 46 Abs. 2 ArbGG i.V.m. §§ 3 ff. ZPO.
Die Zulassung der Berufung folgt aus § 64 Abs. 3 Nr 1 ArbGG. Im Hinblick darauf, dass die Frage der Differenzierungsklausel nach wie vor aktuell ist und ihre Bedeutung weit über den hier entschiedenen Fall hinausgeht, hielt die Kammer die Zulassung der Berufung für geboten.