Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 28.11.2019, Az.: 6 K 69/17

Berücksichtigung von Verlusten einer Betriebsstätte im Ausland bei der Besteuerung einer GmbH

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
28.11.2019
Aktenzeichen
6 K 69/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 69196
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Berücksichtigung von Verlusten einer Betriebsstätte, die die Klägerin in den Jahren 2005 - 2009 in Polen unterhielt.

Die Klägerin betreibt in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) ein Unternehmen, dessen Gegenstand Dienstleistung in der Transportlogistik und Baustoffhandel ist. Nach eigenen Angaben der Klägerin bedient sie sich bei Ausführungen der betrieblichen Leistungen mangels ausreichender eigener Transporteinheiten fast ausschließlich fremder Subunternehmer. Die Gesellschaft wurde durch Gesellschaftsvertrag vom xx.xx. 2003 gegründet. Alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer ist A.. Die Klägerin ermittelt ihren Gewinn durch Bestandsvergleich gem. § 4 Abs. 1, § 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) i.V.m. § 8 Abs. 1 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) unter Zugrundlegung eines Wirtschaftsjahres, welches dem Kalenderjahr entspricht.

Die Klägerin gründete im Oktober 2004 eine Zweigniederlassung in B. (Polen), welche im Jahr 2005 ihren Geschäftsbetrieb aufnahm. Die Eintragung im staatlichen Gerichtsregister in Polen erfolgte als Zweigniederlassung der Klägerin unter dem Datum xx.xx. 2004, zum xx.xx. 2010 wurde die Zweigniederlassung im staatlichen Gerichtsregister gelöscht.

Der Beklagte veranlagte die Klägerin zunächst entsprechend der eingereichten Steuererklärungen durch Bescheide vom 20. Juli 2009 (für 2007), vom 15. Februar 2010 (für 2008) und vom 9. Mai 2011 (für 2009). Die Bescheide für 2009 ergingen unter Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO).

In der Zeit vom 14. November 2011 bis 27. März 2012 führte der Beklagte bei der Klägerin eine Außenprüfung durch, die die Jahre 2007 - 2009 umfasste. Im Rahmen dieser Außenprüfung stellte der mit der Prüfung beauftragte Betriebsprüfer unter anderem fest, dass die Klägerin im Jahresabschluss zum 31. Dezember 2007 Forderungen gegenüber der Zweigniederlassung in Polen i.H.v. 78.252 € gewinnmindernd wertberichtigt hatte. Nach den Feststellungen der Betriebsprüfung hatte die Klägerin für das inländische Stammhaus und für die ausländische Betriebsstätte zwei getrennte Gewinnermittlungen erstellt und die polnische Betriebsstätte dabei wie ein eigenständiges Unternehmen behandelt. Im Inland hatte die Klägerin lediglich das Betriebsstättenergebnis des inländischen Stammhauses berücksichtigt.

Aus den Gewinnermittlungen der polnischen Betriebsstätte ergeben sich Verluste i.H.v. 175.963,68 Zloty (PLN, bis 31. Dezember 2006), von 96.547,23 PLN (für 2007), ein Gewinn i.H.v. 5.703,26 PLN (für 2008) sowie ein Verlust i.H.v. 48.752,21 PLN (für die Zeit vom 1. Januar 2009 bis 31. März 2009). Wegen der Einzelheiten wird auf die zu der Betriebsprüfungsakte gelangten Unterlagen Bezug genommen.

Der Betriebsprüfer kam zu der Ansicht, dass die Klägerin keine echten Forderungen gegenüber der ausländischen Betriebsstätte ausweisen könne, es handele sich insoweit vielmehr um eine Bilanzierungshilfe. Durch die ergebniswirksame Auflösung des Forderungspostens würden Aufwendungen, welche steuerlich der ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen seien, steuermindernd in das Inland transferiert und erfasst, obwohl sie im Inland nicht der Besteuerung unterlägen. Die Klägerin habe einen Verlust der polnischen Betriebsstätte bei der inländischen steuerlichen Bemessungsgrundlage steuermindernd berücksichtigt. Dies widerspreche den Regelungen im Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (DBA Polen vom 14. Mai 2003, BStBl I 2005, 349). Die Verluste seien auch nicht aus Gründen des Unionsrechts als "finale" ausländische Betriebsstättenverluste zu berücksichtigen.

Der Betriebsprüfer erhöhte das Einkommen der Klägerin für 2007 dementsprechend um ausländische Einkünfte i.H.v. 78.252 €. Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf Tz. 13 und Anlage 7 des Berichts über die Außenprüfung vom 30. März 2012.

Der Beklagte folgte den Feststellungen der Außenprüfung und erließ gegenüber der Klägerin jeweils am 12. April 2012 Bescheide für 2007 - 2009 über Körperschaftsteuer und den Gewerbesteuermessbetrag sowie über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 2007 bis 31. Dezember 2009 und über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31. Dezember 2007 bis 31. Dezember 2009. Die Bescheidänderungen stützte der Beklagte auf § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO bzw. § 35b Abs. 1 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) für 2007, auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 AO, § 10d Abs. 4 Sätze 4 und 5 EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG, § 35b Abs. 1 GewStG für 2008 und auf § 164 Abs. 2 AO für 2009. Außerdem erließ der Beklagte am 24. Mai 2012 gegenüber der Klägerin erstmalig Bescheide für 2010 über Körperschaftsteuer und über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer zum 31. Dezember 2010, jeweils unter Vorbehalt der Nachprüfung gem. § 164 Abs. 1 AO.

Die Klägerin legte gegen die benannten Bescheide für 2007 - 2009 am 14. Mai 2012 sowie gegen diejenigen für 2010 am 20. Juni 2011 Einsprüche ein. Zur Begründung trug sie vor, durch den plötzlichen Tod des für die Geschäfte der Zweigniederlassung in Polen zuständigen Mitarbeiters Mitte 2006 sei die Geschäftsgrundlage für eine wirtschaftliche Betätigung in Polen im Rahmen dieser Niederlassung weggefallen, da mit dem Ableben des besagten Mitarbeiters auch die von diesem höchstpersönlich unterhaltenen Geschäftskontakte mit den polnischen Geschäftspartnern erloschen seien. Nach Beendigung der noch von dem Mitarbeiter vor seinem Ableben initiierten Geschäfte in 2005/2006 seien ab 2007 anhaltende erhebliche betriebliche Verluste der Niederlassung zu verzeichnen gewesen, welche auch nach den geschilderten Umständen nicht mehr durch neue Geschäfte hätten aufgefangen werden können. Aufgrund der sich abzeichnenden schlechten Geschäftsentwicklung der Betriebsstätte sei in 2007 beschlossen worden, die Niederlassung in Polen aufzugeben und abzuwickeln. Die bis 2007 aufgelaufenen Verluste seien als finale Betriebsstättenverluste bei der Ermittlung des inländischen Einkommens abzugsfähig. Wenngleich eine Verlustverrechnung nach polnischem Steuerrecht noch möglich gewesen wäre, seien aufgrund der wirtschaftlichen Prognosen in 2007 die bis 2007 aufgelaufenen Verluste final geworden und hätten aufgrund fehlender zukünftiger Gewinnerwartungen auch tatsächlich nicht mehr in Polen ausgenutzt werden können. Rechtlich habe zwar weiterhin die Möglichkeit einer Verlustnutzung bestanden, diese sei jedoch aus tatsächlichen Gründen nicht mehr durchführbar gewesen. Die Klägerin begehrte, aufgelaufene Betriebsstättenverluste i.H.v. 78.252,98 € für 2007 und i.H.v. 27.000 € für 2009 zu berücksichtigen. Letzterer Betrag ergebe sich aus weiteren Auslandsverlusten der polnischen Betriebsstätte ab 2008 im Rahmen der Abwicklung.

Die Einsprüche hatten keinen Erfolg; der Beklagte wies diese durch Einspruchsbescheid vom 31. Januar 2017 als unbegründet zurück. Unter Bezugnahme auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 17. Dezember 2015 (C-388/14, ABl EU 2016, Nr C 68, 14, ECLI:EU:C:2015:829_1 "Timac Agro Deutschland GmbH") vertrat der Beklagte die Ansicht, der Abzug finaler ausländischer Betriebsstättenverluste sei ausgeschlossen.

Hiergegen hat die Klägerin am 2. März 2017 Klage erhoben, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt. Unter Hinweis auf Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs und des EuGH vertritt die Klägerin die Auffassung, Verluste der polnischen Betriebsstätte seien im Inland i.H.v. 78.252 € für 2007 und i.H.v. 29.000 € (wohl 27.000 €) in 2009 zu berücksichtigen.

Die Klägerin trägt ergänzend vor, anlässlich einer Gesellschafterversammlung vom 6. April 2009 sei die Liquidation der Zweigniederlassung in Polen zum 1. April 2009 beschlossen worden. Dieser Beschluss sei am 2. Juli 2009 beim zuständigen Register in Polen eingegangen und am 16. Oktober 2009 eingetragen worden. Zum 1. April 2009 sei eine Liquidationseröffnungsbilanz aufgestellt worden. Der Liquidationszeitraum habe sich vom 1. April bis 31. Dezember 2009 erstreckt.

Mit Verfügungen vom 19. Dezember 2018 und 29. August 2019 hat der Berichterstatter die Klägerin aufgefordert, Nachweise für die in Rede stehenden Verluste zu erbringen. Die Klägerin legt daraufhin mit Schreiben vom 10. April 2019 den Auszug des staatlichen Gerichtsregisters mit Stand 25. März 2019 vor.

Außerdem hat der Berichterstatter die Klägerin mit Verfügung vom 29. August 2019 und unter Setzung einer Frist gemäß § 79 b Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) bis 26. September 2019 aufgefordert, Steuererklärungen und -bescheide der Zweigstelle vorzulegen. Die Klägerin legt Gewinnermittlungen in polnischer Sprache vor, aus denen sich Ergebnisse der polnischen Betriebsstätte wie folgt ergeben:

ZeitraumPLN
1.1.-31.12.2005./. 95.775,83
1.1.-31.12.2006./. 80.187,85
1.1.-31.12.2007./. 96.547,23
1.1.-31.12.2008+ 5.703,26
1.1.-31.3.2009./. 48.725,21
Summe./. 315.532,86

Außerdem legt die Klägerin Steuererklärungen für 2007 und 2008 vor, in denen ein Verlust i.H.v. 93.654,12 PLN und ein Gewinn i.H.v. 4.240,19 PLN erklärt werden.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin nach einem Hinweis des Berichterstatters zur Frage des Zeitpunkts eines möglichen Abzugs finaler Verluste ihren schriftsätzlich gestellten Antrag umgestellt. Das Verfahren wegen Körperschaftsteuer 2007, 2008 und 2010, wegen Gewerbesteuermessbetrag 2007 und 2008, wegen gesonderter Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes zum 31. Dezember 2007 und 31. Dezember 2008 und wegen gesonderter Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zum 31. Dezember 2007, 31. Dezember 2008 und 31. Dezember 2010 ist abgetrennt und nach § 72 FGO eingestellt worden, da die Klage insoweit zurückgenommen worden ist.

Die Klägerin beantragt,

die Bescheide für 2009 über Körperschaftsteuer und den Gewerbesteuermessbetrag, über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes zum 31. Dezember 2009 und über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zum 31. Dezember 2009, jeweils vom 12. April 2012 und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31. Januar 2017 mit der Maßgabe zu ändern, dass Verluste der Zweigniederlassung in Polen in Höhe von 105.252 € bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens der Klägerin im Inland berücksichtigt werden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält an seiner dem Einspruchsbescheid zugrunde liegenden Rechtsauffassung fest. Ergänzend nimmt der Beklagte Bezug auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22. Februar 2017 (I R 2/15, BFHE 257, 120, BStBl II 2017, 709) und äußert die Ansicht, die Verluste seien nicht hinreichend nachgewiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet; im Übrigen ist sie unbegründet.

1. Die angefochtenen Bescheide für 2009 über Körperschaftsteuer und den Gewerbesteuermessbetrag, über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes zum 31. Dezember 2009 und über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zum 31. Dezember 2009, jeweils vom 12. April 2012 und in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 31. Januar 2017 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO), soweit der Beklagte Verluste der polnischen Betriebsstätte im Umfang von 74.486,32 € nicht berücksichtigt hat. Denn zur Vermeidung eines Verstoßes gegen die unionsrechtlich verbürgte Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) ist es geboten, die abkommensrechtlich (Art. 7 Abs. 1, 24 Abs. 1 Buchstabe a DBA Polen) zunächst im Einklang mit dem Unionsrecht nicht abzugsfähig gewesenen Verluste der Zweigniederlassung im Streitjahr als sogenannte "finale" Verluste von dem zu versteuernden Einkommen und dem Gewerbeertrag abzuziehen.

a) Aus dem Urteil des EuGH vom 12. Juni 2018 (C-650/16, ABl EU 2018, Nr C 276, 3 "Bevola und Jens W. Trock Aps") ergibt sich für den erkennenden Senat mit hinreichender Klarheit, dass es die Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gebietet, dass von einem unbeschränkten Steuerpflichtigen in einem anderen Mitgliedstaat erzielte Verluste abgezogen werden können, wenn auf Grund der Einstellung der Tätigkeit in dem anderen Mitgliedstaat dort dauerhaft kein Abzug der Verluste mehr möglich sein wird. Soweit der BFH im Urteil vom 22. Februar 2017 (I R 2/15, BFHE 257, 120, BStBl II 2017, 709) aus der EuGH-Entscheidung vom 17. Dezember 2015 (C-388/14, ABl EU 2016, Nr C 68, 14, ECLI:EU:C:2015:829_1 "Timac Agro Deutschland GmbH") einen anderen Schluss gezogen hat, ist dies jedenfalls durch die benannte Entscheidung des EuGH vom 12. Juni 2018 in der Sache "Bevola und Jens W. Trock Aps" überholt. Denn dort hat der EuGH im Ergebnis ausgeführt, dass sich eine inländische und ausländische Betriebsstätte, die Verluste erzielt, hinsichtlich der Abzugsfähigkeit der Verluste von (anderen) Gewinnen des Steuerpflichtigen im Grundsatz in der gleichen Situation befindet, so dass es eine im Grundsatz durch die Niederlassungsfreiheit verbotene Ungleichbehandlung darstellt, wenn nur die Verluste der inländischen Betriebsstätte von (anderen) im Inland steuerpflichtigen Gewinnen abgezogen werden können. Während des Bestehens der ausländischen Betriebsstätte ist diese Ungleichbehandlung zwar dadurch gerechtfertigt, dass der Abzug der ausländischen Verluste (auch) von den inländischen Gewinnen das Risiko einer doppelten Verlustnutzung beinhaltet, wenn und weil die ausländischen Verluste auch von zukünftigen ausländischen Gewinnen abgezogen werden können. Die Versagung des Abzugs ausländischer Verluste von inländischen Gewinnen wird aber nach der EuGH-Entscheidung "Bevola und Jens W. Trock Aps" unverhältnismäßig, wenn die ausländische Betriebsstätte die Möglichkeit des Abzugs der ausländischen Verlusten von (zukünftigen) ausländischen Gewinne dadurch verliert, dass die über die Zweigniederlassung ausgeübte Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat eingestellt und deshalb mangels zukünftiger Einnahmen aus dem anderen Mitgliedstaat eine Verlustverrechnung im anderen Mitgliedsstaat ausscheidet. Die Unverhältnismäßigkeit beruht darauf, dass sich ohne Berücksichtigung im Inland die durch die Verluste der ausländischen Betriebsstätte geminderte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit in keinem Mitgliedstaat auswirken würde (Urteil des Hessischen FG vom 4. September 2018 4 K 385/17, EFG 2019, 1876).

Dies gilt ebenso für Zwecke der Gewerbesteuer (BFH-Beschluss vom 9. Juni 2010 I R 107/09, BFHE 230, 35, BFH/NV 2010, 1744). Denn bei einer Kapitalgesellschaft gelten alle inländischen Betriebsstätten als ein einheitlicher Gewerbebetrieb (§ 2 Abs. 2 Satz 1 GewStG). Dies bedeutet, dass die Verluste einer inländischen Betriebsstätte stets nicht nur mit zukünftigen Gewinne derselben Betriebsstätte, sondern auch mit den (gleichzeitigen oder zukünftigen) Gewinnen anderer inländischer Betriebsstätten ausgleichsfähig sind, wodurch eine ausländische Verlustbetriebsstätte im Vergleich zu einer inländischen Verlustbetriebsstätte benachteiligt wird. Auch diese Benachteiligung ist zwar für die Dauer des Bestehens der ausländischen Betriebsstätte gerechtfertigt, um auch insoweit eine doppelte Verlustnutzung im In- und Ausland zu verhindern. Mit der Schließung der Betriebsstätte fällt aber die Gefahr der doppelten Verlustnutzung weg und die Ungleichbehandlung durch die gewerbesteuerrechtlich bereits unilateral bestehende Freistellungsmethode kommt im gleichen Maßen wie die körperschaftsteuerrechtlich sich "nur" aus dem Abkommensrecht ergebende Freistellungsmethode dauerhaft zum Tragen.

b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat der erkennende Senat die Überzeugung erlangt, dass vorliegend im Streitjahr die polnischen Betriebsstättenverluste der Klägerin "final" geworden sind.

Ein Verlustabzug kommt aus Gründen des Gemeinschaftsrechts nur ausnahmsweise in Betracht, sofern und soweit der Steuerpflichtige nachweist, dass die Verluste im Quellenstaat steuerlich unter keinen Umständen anderweitig verwertbar sind (EuGH-Urteil vom 15. Mai 2008 C-414/06, ABl EU 2008, Nr C 171, 6 "Lidl Belgium", BStBl II 2009, 692 [BVerfG 12.05.2009 - 2 BvL 1/00]). An einer derartigen "Finalität" fehlt es zwar, wenn der Betriebsstättenstaat nur einen zeitlich begrenzten Vortrag von Verlusten zulässt; daran fehlt es jedoch nicht, wenn der Betriebsstättenverlust aus tatsächlichen Gründen nicht mehr berücksichtigt werden kann, z.B. bei Umwandlung der Auslandsbetriebsstätte in eine Kapitalgesellschaft, ihrer entgeltlichen oder unentgeltlichen Übertragung oder ihrer "endgültigen" Aufgabe (BFH-Urteil vom 9. Juni 2010 I R 107/09, BFHE 230, 35, BFH/NV 2010, 1744).

aa) Im Streitfall hat die Klägerin die Aufgabe und Liquidation der polnischen Niederlassung durch Vorlage des Auszugs aus dem staatlichen Gerichtsregister hinreichend nachgewiesen. Das polnische Recht lässt einen Verlustvortrag über einen Zeitraum von fünf Jahren zu (Bericht der Facharbeitsgruppe "Verlustverrechnung und Gruppenbesteuerung" des BMF vom 15. September 2011, S. 19; Kudert, PIStB 2010, 275), der für die Verluste der Jahre 2005 bis 2009 im Streitjahr noch nicht abgeschlossen gewesen war, so dass die Verluste aus tatsächlichen Gründen aufgrund der Aufgabe der Betriebsstätte nicht mehr in Polen berücksichtigt werden können.

Zwar ließen sich die streitgegenständlichen Betriebstättenverluste womöglich bei einem neuerlichen Engagement der Klägerin in Polen in irgendeiner Weise - beispielsweise durch Wiedereröffnung einer Betriebstätte - steuerlich zukünftig effektuieren. Doch ist de facto nichts dafür dargetan oder ersichtlich, und das ist angesichts des Streitjahres und der vergangenen Zeit auch eher unwahrscheinlich. Sollte sich eine derartige Verlustnutzung dennoch ergeben haben oder noch ergeben, böte jedenfalls das deutsche allgemeine Abgabenrecht vermittels § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO die verfahrensrechtliche Handhabe, dem rückwirkend Rechnung zu tragen. Allein die nach ausländischem Steuerrecht rechtlich bestehende abstrakte Möglichkeit einer künftigen Verlustnutzung genügt nicht, um eine "Finalität" der Verluste im unionsrechtlichen Sinne auszuschließen, wenn eine solche Möglichkeit nur "auf dem Papier steht" und keinen Bezug zu den tatsächlichen Gegebenheiten aufweist und deswegen aus tatsächlichen Gründen so gut wie ausgeschlossen ist (BFH-Urteil vom 5. Februar 2014 I R 48/11, BFHE 244, 371, BFH/NV 2014, 963).

Ebensowenig bietet der festgestellte Sachverhalt Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin sich vermittels der Liquidation ihrer Betriebstätte "willkürlich" oder "freiwillig" in die ihr unter den gegebenen Umständen steuerlich günstige Situation "finaler" Verluste begeben hätte. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Aufgabe der Betriebstätte aufgrund der geschilderte Umstände zum Tod eines für den Erfolg des Engagements in Polen wichtigen Mitarbeiters im Rahmen der unternehmerischen Gestaltungsfreiheit aus betriebswirtschaftlicher Notwendigkeit erfolgt ist.

bb) Der Verlust ist im Streitjahr zu berücksichtigen.

Der ausnahmsweise Abzug der Betriebsstättenverluste ist nicht im Veranlagungszeitraum des Entstehens der Verluste, sondern in jenem Veranlagungszeitraum vorzunehmen, in welchem sie "final" geworden sind (BFH-Urteil vom 9. Juni 2010 I R 107/09, BFHE 230, 35, BFH/NV 2010, 1744).

Die Verluste einer gebietsfremden Betriebsstätte werden endgültig, wenn die Gesellschaft, der sie gehört, zum einen alle Möglichkeiten zum Abzug dieser Verluste ausgeschöpft hat, die ihr das Recht des Mitgliedstaats bietet, in dem diese Betriebsstätte belegen ist, und zum anderen über diese Betriebsstätte keine Einnahmen mehr erzielt, so dass keine Möglichkeit mehr besteht, dass die Verluste in diesem Mitgliedstaat berücksichtigt werden (EuGH-Urteil vom 12. Juni 2018 C-650/16, ABl EU 2018, Nr C 276, 3 "Bevola und Jens W. Trock Aps").

Im Streitfall hatte die Klägerin über ihre polnische Betriebsstätte im Jahr 2008 Einnahmen und einen Gewinn erzielt. Demgegenüber hatte die Klägerin im Jahr 2009 keine Einnahmen mehr erzielt, am 6. April 2009 die Liquidation der Betriebsstätte beschlossen und die Liquidation in 2009 durchgeführt. Damit ist der Verlust in 2009 endgültig bzw. "final" geworden.

cc) Der Verlust ist i.H.v. 74.486,32 € im Wege der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen zu berücksichtigen.

Die Klägerin erzielt als GmbH körperschaftsteuerpflichtige Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 8 Abs. 2 KStG. Als Kapitalgesellschaft i.S. des § 2 Abs. 2 GewStG gilt ihre Tätigkeit in vollem Umfang als gewerbesteuerpflichtiger Gewerbebetrieb. Gemäß § 8 Abs. 1 KStG i. V. m. § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG (und § 7 GewStG) hat die buchführende Klägerin in ihrer Bilanz das Betriebsvermögen anzusetzen, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist.

Soweit die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln oder berechnen kann, hat sie sie nach § 162 Abs. 1 AO zu schätzen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Gem. § 162 Abs. 2 Satz 1 AO ist insbesondere dann zu schätzen, wenn der Steuerpflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder weitere Auskunft oder eine Versicherung an Eides statt verweigert oder seine Mitwirkungspflicht nach § 90 Abs. 2 verletzt. Das Gleiche gilt nach § 162 Abs. 2 Satz 2 AO u.a., wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, nicht vorlegen kann, wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 zugrunde gelegt werden oder wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der vom Steuerpflichtigen gemachten Angaben zu steuerpflichtigen Einnahmen oder Betriebsvermögensmehrungen bestehen. Das Gericht ist zudem nicht an die vom Finanzamt vorgenommene Schätzung gebunden, vielmehr steht ihm gem. § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO i.V.m. § 162 AO eine eigene selbstständige Schätzungsbefugnis zu (vgl. BFH-Urteil vom 23. April 2015 V R 32/14, BFH/NV 2015, 1106, m.w.N.). Bei der Schätzung sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Das Schätzungsergebnis muss schlüssig, wirtschaftlich möglich und vernünftig sein.

Im Streitfall ist die Höhe des finalen Verlustes im Wege der Schätzung der Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln, da die in polnischer Sprache und Währung und nach polnischem Recht aufgestellten Gewinnermittlungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO zugrunde gelegt werden können. Verfügt ein inländisches Unternehmen über eine ausländische Betriebsstätte, so finden zwei Gewinnermittlungen nebeneinander statt; im Inland wird der Gewinn für das gesamte Unternehmen nach inländischem Gewinnermittlungsrecht auf der Basis der inländischen Währung ermittelt und anschließend auf Stammhaus und Betriebsstätte aufgeteilt, im Ausland wird der Betriebsstättengewinn nach ausländischem Recht auf der Basis der ausländischen Währung ermittelt (Wassermeyer in Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten Handbuch, 2. Auflage 2018, Rz 8.1). Gemäß § 244 HGB i.V.m. § 5 Abs. 1 EStG war die Klägerin verpflichtet, den Jahresabschluss in deutscher Sprache und in Euro aufzustellen. Dem ist sie bis zur mündlichen Verhandlung nicht nachgekommen. Von einer Vertagung hat der Senat aufgrund der Regelung in § 79 b Abs. 2 und 3 FGO und des Umfangs der absehbaren Verzögerung zur aufwendigen Nacherstellung der Gewinnermittlungen abgesehen.

Der erkennende Senat hält es für sachgerecht, den "finalen" Verlust auf der Grundlage der vorliegenden polnischen Gewinnermittlungen unter Ansatz eines Sicherheitszuschlags i.H.v. 10 v.H. zu ermitteln. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass zwar die Posten der Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen durch einzelne Übersetzungen nachvollzogen werden können, allerdings eine Überprüfung der Gewinnermittlung auf die Anwendung inländischen Rechts nicht möglich ist. Zudem sind auch aus den vorliegenden polnischen Steuererklärungen Abweichungen zwischen den ermittelten und erklärten Gewinnen/Verlusten der Jahre 2008 und 2008 ersichtlich. Zudem legt der Senat das Stichtagsverfahren zur Umrechnung der Werte zugrunde.

Nach der Rechtsprechung des BFH regeln weder die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung noch das Steuerrecht, nach welchem Verfahren die Werte aus einem ausländischen Jahresabschluss für Zwecke einer nach deutschem Steuerrecht aufzustellenden Bilanz (Steuerbilanz) umzurechnen sind. Daraus folgt, dass jedes Umrechnungsverfahren zulässig ist, soweit es nicht im Einzelfall mit den materiellen Grundsätzen ordnungsmäßiger Bilanzierung kollidiert; insoweit hat der BFH insbesondere die Anwendung des Zeitbezugsverfahrens, des Stichtagskursverfahrens, des Fristigkeitsverfahrens oder des Nominal-Sachwertverfahrens als in Betracht zu ziehende Umrechnungsverfahren bezeichnet (BFH-Beschlüsse vom 9. August 1989 I B 118/88, BFHE 158, 40, BStBl II 1990, 175; vom 16. Dezember 2008 I B 44/08, BFH/NV 2009, 940; BFH-Urteile vom 16. Februar 1996 I R 43/95, BFHE 180, 286, BStBl II 1997, 128; vom 13. September 1989 I R 117/87, BFHE 158, 340, BStBl II 1990, 57). Da das aufwendige Zeitbezugsverfahren die Umrechnung jedes einzelnen Geschäftsvorfalls bedingt, kann auch auf das Stichtagskursverfahren zurückgegriffen werden, wenn - wie im Streitfall - keine erheblichen Schwankungen zwischen den Währungen gegeben sind, die sich kurzfristig nicht ausgleichen (BFH-Urteil vom 16. Februar 1996 I R 43/95, BFHE 180, 286, BStBl II 1997, 128).

Damit ergibt sich ein im Streitjahr zu berücksichtigender "finaler" Verlust i.H.v.:

ZeitraumPLNmit Sicherheitszuschlag
1.1.-31.12.2005./. 95.775,83./. 86.198,25./. 22.397,88 Kurs 30.12.05: 3,8485
1.1.-31.12.2006./. 80.187,85./. 72.169,07./. 18.830,32 Kurs 29.12.06: 3,8326
1.1.-31.12.2007./. 96.547,23./. 86.892,51./. 24.146,87 Kurs 31.12.07: 3,5985
1.1.-31.12.2008+ 5.703,26+ 6.273,59+ 1.501,69 30.12.08: 4,1777
1.1.-31.3.2009./. 48.725,21./. 43.852,69./. 10.612,94 30.12.09: 4,1320
Summe./. 74.486,32

2.Die Befugnis, dem Beklagten die Ermittlung der festzusetzenden und festzustellen Beträge aufzuerlegen, ergibt sich aus § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO. Das Verhältnis der Teilung entspricht dem Verhältnis des Obsiegens und Unterliegens der Beteiligten. Die übrigen Nebenentscheidungen beruhen auf § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO und auf § 151 Abs. 1, 3 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.