Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 23.11.2005, Az.: 2 A 455/04
Abstand; Baugenehmigung; Bestandsschutz; Betreiber; Emissionen; Gebot der Verhältnismäßigkeit; Geruchsgutachten; Geruchsimmissionsprognose; GIRL; Gutachten; Gutachterkosten; konkrete Anhaltspunkte; Nachbarbeschwerden; Schweine; Schweinemast; Schweinemastbetrieb; schädliche Umwelteinwirkungen; Tierhaltung; Tierhaltungsanlage; VDI Richtlinie; Verdacht; Vertrauensschutz
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 23.11.2005
- Aktenzeichen
- 2 A 455/04
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2005, 51095
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- nachfolgend
- OVG - 03.08.2007 - AZ: 12 LA 60/07
Rechtsgrundlagen
- § 24 BImSchG
- § 26 BImSchG
- § 3 Abs 1 BImSchG
- Art 14 GG
- § 242 BGB
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Verfahrenskosten; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des gegen ihn festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen eine immissionsschutzrechtliche Anordnung des Beklagten.
r Kläger ist Landwirt in E.. Er betreibt gemeinsam mit seinem Sohn einen landwirtschaftlichen Betrieb im Haupterwerb. Zu dem Hof gehören ca. 120 ha Land. Der Schwerpunkt des Betriebs liegt in der Sauenhaltung und der Schweinemast. Die Tierhaltung wird auf überwiegend eigener Futtergrundlage vorgenommen (vgl. im Einzelnen Stellungnahme der Landwirtschaftskammer Hannover - LWK - Bezirksstelle Braunschweig v. 14.07.2003, Bl. 95 BA A). Unter dem 03.04.1981 erhielt der Kläger die Genehmigung für den Neubau eines Mastschweinestalls mit 300 Mastplätzen (43 Großvieheinheiten (GV)). Die Baugenehmigung enthält die Auflage, ein Sauglüftungsverfahren mit einer Mindestluftrate von 3,500 cbm/h und einer maximalen Luftrate von 30,000 cbm/h vorzusehen. Der Auswurf muss 1,50 m über First, ohne Abdeckhaube, erfolgen. Der ebenfalls genehmigte Güllebehälter ist als geschlossener Flüssigmistbehälter auszuführen. Auf der Hofstelle befinden sich schon seit langer Zeit zwei weitere Stallgebäude, für die es offenbar keine Baugenehmigung gibt und in denen heute Sauen und Ferkel untergebracht werden. Die Mastschweine werden auf Teilspaltenböden in 30 Buchten gehalten. Der Sauenstall ist als Anbindebestand ausgestaltet. Der Ferkelstall verfügt über drei Abteile in einer Scheune. Jauche und Gülle von Sauen und Schweinen wird unterirdisch in den Güllesilo verbracht. Festmist wird kurzfristig auf einer befestigten Platte mit Jauchgrube gelagert. Der Schweinestall wird über fünf Ventilatoren mit Schornsteinen von 1,50 m Höhe über First entlüftet. Der Sauenstall verfügt über einen Seitenwandentlüfter und einen Ventilator über First; der Ferkelstall je Abteil über einen Ventilator über First. Hinsichtlich der vorgenannten und weiterer Angaben wird auf das Protokoll der Ortsbesichtigung vom 18.06.2003, Bl. 83 BA A, verwiesen.
Der Hof des Klägers liegt innerhalb der Ortslage von E.. Ein Bebauungsplan existiert für diesen Bereich nicht. Der Flächennutzungsplan enthält für das Hofgrundstück die Darstellung Dorfgebiet.
In den Jahren 1987 bis 1989 sowie im Jahr 1999 beschwerten sich verschiedene Anwohner über intensive Gerüche ausgehend von dem Mastschweinestall des Klägers. Der Beklagte ging den Beschwerden durch verschiedene Ortstermine nach, stellte jedoch entweder keine Gerüche oder lediglich Gerüche fest, die er als ortstypisch einordnete.
Mit Schreiben vom 26.05.2003 wies die Eigentümerin des östlich der Hofstelle gelegenen Grundstücks F. auf eine erhebliche Geruchsbelästigung durch den Betrieb des Klägers hin. Mehrere Anwohner fühlten sich bereits jahrelang durch einen häufig auftretenden, ekelerregenden „Schweinegestank“ beeinträchtigt. Dem Schreiben war eine Liste mit 42 Unterschriften von Anwohnern beigefügt. Frau G. wies auf zwei Geruchsgutachten des TÜV Nord vom 28.03.2003 und 15.05.2003 hin.
Die gutachterliche Stellungnahme zu Geruchseinwirkungen im Bereich eines Einzelbauvorhabens vom 15.05.2003 wurde von dem TÜV Nord in Hannover im Auftrag eines Bauherrn, des Herrn H. erstellt. Das Gutachten gelangte zu dem Ergebnis, dass die Abstandsermittlung nach der VDI-Richtlinie 3471 (Emissionsminderung Tierhaltung - Schweine) einen ausreichenden Abstand des Bauvorhabens von Herrn I. auf dem Grundstück J. mit der Flurstücksbezeichnung K. zu dem Schweinestall des Klägers ergebe. Eine Ausbreitungsrechnung nach der Geruchsimmissions-Richtlinie (GIRL) ergebe jedoch einen Geruchszeitanteil von 36 Prozent auf dem Baugrundstück. Der für eine gewerbliche Nutzung in der GIRL vorgesehene Wert von 15 Prozent der Jahresstunden werde damit erheblich überschritten. Das Baugrundstück befindet sich ca. 150 m von dem Schweinestall entfernt. Zu dem Ferkelstall wird eine geringere Entfernung eingehalten. Zwischen Hofgrundstück und Bauplatz liegen weitere Gebäude, zu denen auch Wohngebäude und eine andere Hofstelle gehören.
Der Beklagte führte am 18.06.2003 einen weiteren Ortstermin durch, bei dem er u. a. feststellte, dass der Güllesilo über keine Abdeckung verfügte. Mit Schreiben vom 01.07.2003 wurde der Kläger aufgefordert, die entsprechenden Nebenbestimmungen der Baugenehmigung von 1981 einzuhalten.
In einer Stellungnahme vom 14.07.2003 gelangte die Landwirtschaftskammer (LWK) Hannover zu dem Ergebnis, es bestehe aufgrund der Betriebsführung keine Notwendigkeit immissionsschutzrechtlich einzugreifen. Die LWK bewertete die Tierhaltung nach dem Punktesystem der VDI-Richtlinie mit 100 Punkten. Sie überprüfte auch die Lüftungsanlage des Maststalls. In der Stellungnahme vom 11.09.2003 wird diese als funktionsfähig und dem Stand der Technik entsprechend beschrieben.
Mit Schreiben vom 01.09.2003 wies Frau L. auf anhaltende, intensive Gerüche hin. Der Kläger verwies hingegen in seiner Stellungnahme vom 13.09.2003 auf die tägliche Reinigung der Liegeflächen für die Schweine mit einem Gummischieber, die Fütterung mit selbst erzeugtem Getreide, Sojaschrot und Mineralstoffen, auf das QS-Qualitätssicherungssystems und auf die Tatsache, dass er in Zukunft einen Bestand von 300 Schweinen nicht überschreiten werde. Mit Schreiben vom 29.09.2003 stellte der Beklagte fest, dass die Güllebehälterabdeckung nunmehr (trotz einer verbliebenen Öffnung von 2 qm) der baurechtlichen Auflage entspreche.
Etwa zu derselben Zeit verständigte sich der Beklagte mit der Bezirksregierung Braunschweig auf die Erteilung der Baugenehmigung für ein Wohngebäude auf dem Grundstück J. für die Eheleute I.. Ausweislich eines Vermerks vom 29.10.2003 vertrat die Bezirksregierung die Auffassung, dem Kläger stehe trotz der nach dem Gutachten des TÜV Nord zu erwartenden Immissionen ein Abwehrrecht nicht zu. Insofern wurde auf fünf andere Wohnhäuser in der näheren Umgebung verwiesen. Gesunde Wohnverhältnisse würden nicht beeinträchtigt. Dem Kläger wurde die Baugenehmigung im Oktober 2003 zugestellt. Er erhob keinen Widerspruch.
In der Zeit vom 26.08.2003 bis zum 15.09.2003 führte der Beklagte insgesamt 15 Geruchsmessungen mit einem oder zwei Probanden, den Mitarbeitern M. und N., in der Umgebung des Mastschweinestalls durch. Als Ergebnis wurde in dem Vermerk vom 03.12.2003 festgehalten, dass in fast der Hälfte der Messzeit von 115 Minuten eine Geruchseinwirkung festgestellt wurde. Man habe jedoch keine starken bis extrem starken Gerüche festgestellt. Die Intensität der Gerüche ginge nicht über das Maß „deutlich“ hinaus. Überwiegend seien sehr schwache bis schwache Gerüche wahrgenommen worden, die in einem landwirtschaftlich geprägten Ort wie E. als ortstypisch anzusehen seien. Die hedonische Wirkung sei bestmöglich bestimmt worden. Sie habe bei beiden Probanden im Bereich zwischen angenehm und unangenehm gelegen.
Mit Schreiben vom 28.10.2003 teilte der Beklagte dem Kläger das Ergebnis der Geruchsmessungen mit. Darin wurde ausgeführt, Geruchsimmissionen seien festgestellt, jedoch nicht als erheblich eingestuft worden. Des Weiteren wies der Beklagte auf verschiedene betriebliche Maßnahmen hin. Diese seien unbedingt einzuhalten, um die Geruchsemissionen so gering wie möglich zu halten. Zu den Maßnahmen gehörten die Belegung des Schweinemaststalles mit maximal 287 Tieren, wenn die Mastform der letzten drei Jahre beibehalten werde, der ständige Betrieb der Lüftungsanlage und deren regelmäßige Wartung und die Beachtung einer größtmöglichen Sauberkeit und Trockenheit im Stall. Die Futtermittel seien so zu bemessen, dass möglichst wenig Futterreste übrig blieben. Gülle sei unter Vermeidung immissionsfördernder Wetterlagen mit ausreichend großem Fassvolumen auszubringen. Es werde empfohlen, Buch zu führen über die Befüllung und Entnahme des Güllebehälters, den Zeitpunkt des Rührens sowie der Gülleausbringung, jeweils unter Angabe der Wetterverhältnisse.
Mit Bescheid vom 28.10.2003 lehnte der Beklagte gegenüber Frau G. ein Einschreiten unter Hinweis auf die eingehaltenen Abstände nach der VDI-Richtlinie 3471 ab. Im Widerspruchsverfahren gab die Bezirksregierung Braunschweig mit Schreiben vom 30.03.2004 den Vorgang an den Beklagten mit der Bitte um erneute Abhilfeprüfung zurück. Die Bezirksregierung führte u. a. aus, es handele sich um einen Stall, der insgesamt nur mit 80 Punkten zu bewerten sei. Die Geruchsbegehungen des Beklagten im August und September 2003 seien nicht nach den Vorgaben der VDI-Richtlinie 3940 erfolgt, wonach fünf Probanden einzusetzen seien. Aus den Messungen des Beklagten ergebe sich allerdings, dass bei 14 auswertbaren Begehungen mit zumindest schwachen Gerüchen in acht Fällen in einem Entfernungsbereich bis 150 m zählbare Geruchsstunden festzustellen seien, was 60 Prozent der Beobachtungszeit entspreche. Nach den vom TÜV Nord angenommenen Windverhältnissen ergebe sich daraus eine Belastung von etwa 30 Prozent der Jahresstunden mit Gerüchen in zumindest schwacher Intensität. Es sei somit nicht auszuschließen, dass Geruchswahrnehmungshäufigkeiten von über 20 Prozent der Jahresstunden für den östlichen Bereich längs der J. vorlägen. Da auch das TÜV-Gutachten vom 15.05.2003 zu einer Geruchshäufigkeit von 36 Prozent der Jahresstunden gelange, sei zu befürchten, dass durch die Anlage schädliche Umwelteinwirkungen hervorgerufen würden.
Mit Bescheid vom 09.07.2004 ordnete der Beklagte nach § 24 BImSchG u. a. an, die Geruchsimmissionen der auf dem Grundstück des Klägers vorhandenen Tierhaltungsanlagen (Ferkel-, Sauen- und Schweinemaststall sowie Güllebehälter) unter Berücksichtigung der tatsächlichen Emissionen der vorhandenen Anlagenteile sowie der Vorbelastung durch sämtliche relevanten Tierhaltungen im Einwirkungsbereich der Anlage nach § 26 BImSchG durch eine anerkannte Messstelle zu ermitteln. Bei der Ermittlung sei die in Niedersachsen mit Erlass vom 13.07.1999 eingeführte Geruchsimmissions-Richtlinie (GIRL) zu berücksichtigen. Die rechnerische Ermittlung der Geruchshäufigkeiten soll nach dem Bescheid durch ein anerkanntes Ausbreitungsmodell erfolgen, welches in der Lage ist, Gebäudeeinflüsse im Nahbereich der Anlage zu berücksichtigen. Ferner forderte der Beklagte emissionsmindernde technische und organisatorische Maßnahmen beispielhaft (prognostisch) darzustellen. Das Gutachten soll auch Aussagen zum Stand der Technik der Anlagenteile enthalten.
Den Widerspruch des Klägers wies die Bezirksregierung Braunschweig mit Widerspruchsbescheid vom 21.10.2004 zurück. Die Bezirksregierung führte aus, die Anordnung vom 09.07.2004 sei wegen des Fehlens jeglicher Begründung zur Ermessensausübung unter Verletzung der Formvorschrift des § 39 VwVfG ergangen, im Ergebnis jedoch rechtmäßig. Die Anordnung sei nämlich ermessensgerecht. Die Voraussetzungen des § 26 Satz 1 BImSchG lägen vor. Zur Begründung bezieht sich die Bezirksregierung im Wesentlichen auf die Argumentation ihres Schreibens an den Beklagten vom 30.03.2004. Der Kläger könne sich auch nicht auf einen Vertrauensschutz berufen. Bestandsschutz genieße der Betrieb nur hinsichtlich der gültigen Baugenehmigung. Im Übrigen wirke sich die Kostenregelung des § 30 Satz 2 BImSchG zu seinen Gunsten aus.
Am 17.11.2004 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor, es bestünden keine konkreten Anhaltspunkte, die ein „Befürchten“ i. S. des § 26 Satz 1 BImSchG gerechtfertigten. Von Januar 2000 bis Mai 2003 sowie seit Herbst 2004 habe es keine Anwohnerbeschwerden gegeben. Der Beklagte habe die Wirkungen der von ihm ergriffenen Maßnahmen, zu denen auch eine Gülleaufbringung in Kooperation mit den Nachbarn gehöre, abwarten müssen. Insoweit erweise sich der Bescheid als unverhältnismäßig. Das TÜV-Gutachten vom 15.05.2003 lasse den Schluss auf schädliche Umwelteinwirkungen nicht zu. Die Abstände nach der VDI-Richtlinie 3471 würden danach eingehalten. Das Gutachten sei anzuzweifeln, weil zu erwartende Immissionen nur errechnet, nicht aber aufgrund einer Fahnenbegehung ermittelt worden seien. Es enthalte keine Aussagen zu Intensität und Hedonik der Gerüche. Im Übrigen entstünden die Gerüche hauptsächlich durch die Gülleaufbringung, die nach der GIRL nicht zu berücksichtigen sei. Der Kläger bezieht sich insbesondere auf das Schreiben des Beklagten vom 28.10.2003, weshalb die Anordnung unverhältnismäßig sei und Grundsätze des Vertrauensschutzes verletze. Er habe sich darauf verlassen, dass er seinen Betrieb technisch und rechtlich einwandfrei führe. Deswegen habe er auch keinen Widerspruch gegen die Baugenehmigung der Eheleute I. eingelegt. Diese sei trotz des TÜV-Gutachtens erteilt worden, was für die Unbedenklichkeit seiner Anlage spreche. Der Beklagte verhalte sich insofern widersprüchlich. Die Tierhaltung genieße Bestandsschutz. Die Anlagen entsprächen dem Stand der Technik. Sein Betrieb liege in einem faktischen Dorfgebiet, weshalb höhere Anforderungen an das Vorliegen von schädlichen Umwelteinwirkungen gestellt werden müssten.
Der Kläger beantragt,
den Anordnungsbescheid des Beklagten vom 09.07.2004 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 21.10.2004 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er tritt dem Vorbringen des Klägers im Einzelnen entgegen. Wie die inzwischen aufgelöste Bezirksregierung Braunschweig sei er selbst mittlerweile der Auffassung, etwaige schädliche Umwelteinwirkungen i. S. des § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG müssten durch ein Gutachten festgestellt werden. Das Gutachten sei ergebnisoffen und könne für den Kläger auch eine Sicherheit darstellen, wenn es zu seinen Gunsten ausfalle. Das TÜV-Gutachten vom 15.05.2003 stelle insofern keinen Beweis, sondern lediglich einen konkreten Anhaltspunkt dar. Das ergebe sich gerade daraus, dass es sich um eine rechnerische Prognose handele, die auf Abschätzungen beruhe. Als untere Immissionsschutzbehörde müsse er Gewissheit nicht nur über die Situation auf einem Grundstück, sondern insgesamt über Art und Ausmaß der von der Anlage ausgehenden Immissionen bzw. über deren Einwirkung im Bereich der bestehenden Wohnbebauung erhalten. Über weitere Maßnahmen könne erst auf der Grundlage einer gesicherten Datenbasis entschieden werden. Die unterschiedliche Häufigkeit der nachbarlichen Beschwerden könne auch auf sein Tätigwerden zurückzuführen sein.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die dem Gericht bei der Entscheidung vorgelegen haben, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die immissionsschutzrechtliche Anordnung des Beklagten vom 09.07.2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Braunschweig vom 21.10.2004 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage der Anordnung ist § 24 BImSchG i. V. m. § 26 BImSchG. Nach § 24 Satz 1 BImSchG kann die zuständige Behörde im Einzelfall die zur Durchführung des § 22 erforderlichen Anordnungen treffen. Der mit Baugenehmigung vom 03.04.1981 genehmigte Schweinemaststall des Klägers ist - zusammen mit den Stallungen für Sauen und Ferkel - eine nicht genehmigungsbedürftige Anlage i. S. des § 22 BImSchG. Diese Anlage ist so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind (§ 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG). Nach § 26 Satz 1 BImSchG kann die zuständige Behörde anordnen, dass der Betreiber einer nicht genehmigungsbedürftigen Anlage Art und Ausmaß der von der Anlage ausgehenden Emissionen sowie die Immissionen im Einwirkungsbereich der Anlage durch eine der von der nach Landesrecht zuständigen Behörde bekannt gegebenen Stelle ermitteln lässt, wenn zu befürchten ist, dass durch die Anlage schädliche Umwelteinwirkungen hervorgerufen werden. Vorliegend ist zu befürchten, dass durch die Anlagen zur Tierhaltung auf der Hofstelle des Klägers, O., schädliche Umwelteinwirkungen i. S. des § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG i. V. m. § 3 Abs. 1 BImSchG hervorgerufen werden. Der Beklagte hat ermessensfehlerfrei angeordnet, Emissionen und Immissionen der Anlage durch eine anerkannte Messstelle nach § 26 BImSchG unter Berücksichtigung der Geruchsimmissions-Richtlinie ermitteln zu lassen. Auch die weiteren Anordnungen zum Inhalt des beizubringenden Gutachtens sind rechtmäßig (vgl. die einzelnen Anordnungen zu 1. bis 6. im Bescheid vom 09.07.2004).
Schädliche Umwelteinwirkungen sind i. S. des § 26 Satz 1 BImSchG zu „befürchten“, wenn der Verdacht besteht, dass durch die Anlage Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft (§ 3 Abs. 1 BImSchG) verursacht oder jedenfalls mit verursacht werden. Die Anordnungsbefugnis des § 26 BImSchG setzt nicht erst ein, wenn die Gefahr eines Schadens, eines erheblichen Nachteils oder einer erheblichen Belästigung besteht. Für den Verdacht müssen allerdings konkrete Anhaltspunkte vorliegen. Diese können sich aus Beschwerden von Nachbarn, aus eigenen Feststellungen der Behörde oder aus Mitteilungen anderer Behörden ergeben (Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, Band 1, Teil II, § 26 BImSchG, Anm. 6; Landmann/Rohmer/Hansmann, Umweltrecht, Stand: 1.4.2005, § 26 BImSchG Rn. 9; Jarras, BImSchG, Komm., 5. Aufl., § 26 Rn. 12). Die Ermittlungen der Immissionsschutzbehörde sollen Zweifel klären. Es genügt, wenn sich schädliche Umwelteinwirkungen aufgrund von (auch punktuellen) Indizien nicht von vornherein ausschließen lassen, etwa wenn eigene Messungen der Behörde zu Werten dicht am fraglichen Grenzwert führen (Jarras, a.a.O., Rn. 12). Nach diesen Grundsätzen liegen konkrete Anhaltspunkte für schädliche Umwelteinwirkungen, die von den Tierhaltungsanlagen des Klägers hervorgerufen werden, vor.
Insofern ist zunächst auf die Beschwerden von Anwohnern über einen intensiven Gestank zu verweisen. Nachbarbeschwerden sind bereits für die Jahre 1987 bis 1989 sowie für das Jahr 1999 aktenkundig (BA A). Im Mai 2003 haben sich über das Schreiben von Frau G. insgesamt 42 überwiegend in der Nachbarschaft wohnende Personen über einen übelriechenden Gestank aufgrund der Tierhaltung des Klägers beschwert.
Wenn in letzter Zeit Beschwerden ausblieben, mag dies darauf zurückzuführen sein, dass der Beklagte aufgrund des Eingreifens der Bezirksregierung Braunschweig im Widerspruchsverfahren G. seine Haltung zu einer weiteren Untersuchung der Sachlage geändert und sich die Angelegenheit demnach im Sinne der Anwohner entwickelt hat. Ein Grund hierfür kann aber auch in den verstärkten Bemühungen des Klägers um eine Emissionsminderung, insbesondere beim Umgang mit der Gülle, liegen.
Ein weiterer konkreter Anhaltspunkt für schädliche Umwelteinwirkungen ist das Gutachten des TÜV Nord vom 15.05.2003. Die darin vorgenommene Geruchsimmissionsprognose hat unter Zugrundelegung des Ausbreitungsmodells der GIRL einen Geruchszeitanteil von 36 Prozent ergeben. Damit liegt eine deutliche Überschreitung des Immissionswertes von 15 Prozent, der hier wegen des dörflichen Charakters der näheren Umgebung des klägerischen Grundstücks anzunehmen ist, vor (Tabelle 1 zu Ziff. 3.1 GIRL s. a. Begründung u. Auslegungshinweise zur GIRL, Gem. RdErl. d. MU u. d. MW. v. 14.11.2000, NdsMBl. 2001, 224). Nach dem Gutachten ist zu vermuten, dass insbesondere die östlich des Hofes gelegenen Grundstücke einer erheblichen, auch in einem Dorfgebiet nicht mehr hinnehmbaren Geruchsbelästigung ausgesetzt werden. Das untersuchte Grundstück lag nämlich an der J.. Dort befinden sich verschiedene Wohngebäude. Von Emissionen sind aber möglicherweise auch weiter nördlich und südlich gelegene Grundstücke betroffen (P.).
Ein dritter konkreter Anhaltspunkt sind die von dem Beklagten im August und September 2003 durchgeführten Geruchsmessungen, die ungeachtet der VDI-Richtlinie 3940 eine den Richtwert von 0,15 der Tabelle 1 zu Ziff. 3.1 GIRL überschreitende Immissionsbelastung ergeben haben.
Die Anordnung eines GIRL-Gutachtens ist verhältnismäßig. Die GIRL ist in Niedersachsen ergänzend anzuwenden. Für die Landwirtschaft ist zunächst die VDI-Richtlinie 3471 für die Bestimmung der Zumutbarkeitsgrenze im Hinblick auf die Anforderungen des § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG heranzuziehen (RdErl.; a.a.O., Nds. OVG, Urt. v. 25.07.2002 - 1 LB 980/01 -, Beschl. v. 21.10.2004 - 1 LA 287/03 -).
Der Beklagte hätte hier indessen nicht vorrangig ein Gutachten über die Einhaltung der Abstände nach der VDI-Richtlinie 3471 anordnen müssen. Der Betrieb des Klägers dürfte die notwendigen Abstände nach Bild 21 der VDI-Richtlinie 3471 zumindest hinsichtlich des Schweinemaststalles und des Ferkelstalles nicht einhalten, selbst wenn ein 100-Punkte-Stall nach Tabelle 4 zu Ziffer 3.2.1 VDI 3471 zugrunde gelegt wird. Bei einem halben Abstand (vgl. Ziff. 3.2.3.2) ist für 43 GV ein Abstand von ca. 85 m zur Wohnbebauung einzuhalten. Die Anlage 4.2 des TÜV-Gutachtens vom 15.05.2003 zeigt, dass unter Annahme dieses Abstandes Wohngebäude an der Ecke Q. im Abstandsbereich des Maststalles liegen. Knapp außerhalb davon liegt das Wohngebäude auf dem östlich gelegenen Hofgrundstück (Zufahrt von R.). Dieses Gebäude liegt zudem innerhalb des Abstandsbereichs des Ferkelstalls, wenn hier wie im TÜV-Gutachten 72 m angenommen werden. Nach Ziffer 3.2.3.2 VDI 3471 ist die Verringerung der Mindestabstände nach Bild 21 auf die Hälfte nicht zwingend. Bei einem etwas größeren Abstand liegen zahlreiche Wohngebäude an der J. im Abstandsbereich von Mast- und Ferkelstall. Außerdem dürfte derzeit die nicht vollständig geschlossene Abdeckung des Güllebehälters zu einem Abzug von 20 Punkten nach Tabelle 4 VDI 3471 zu Ziff. A 3 Flüssigmistlagerung führen (Behälter mit einfacher Abdeckung nur 30 Punkte). Schließlich ist insoweit drauf hinzuweisen, dass der Gem. RdErl. vom 14.11.2000 zur Einführung der GIRL fordert, konkreten Anhaltspunkten für schädliche Umwelteinwirkungen auch bei Einhaltung der Abstände nach der VDI-Richtlinie 3471 nachzugehen und hier ggf. die GIRL anzuwenden (vgl. Begründung und Auslegungshinweise zu Nr. 1 der GIRL). Wie ausgeführt ergeben sich insgesamt drei konkrete Anhaltspunkte für schädliche Umwelteinwirkungen, die hier ein GIRL-Gutachten erforderlich machen.
Angesichts der zuvor dargestellten deutlichen Hinweise auf schädliche Umwelteinwirkungen war der Beklagte nicht gehalten, zunächst abzuwarten, ob die nunmehr vorhandene Abdeckung des Güllebehälters und andere Maßnahmen bei der Gülleentsorgung zu einer Lösung des Konflikts führen. Dem Kläger ist zuzugeben, dass der Güllebehälter und die Gülleverwendung eine zentrale Ursache der Immissionen sein könnten. Da er in der mündlichen Verhandlung den Umgang mit der Gülle - das Rühren und Abfahren - in überzeugender Weise so dargestellt, dass es nicht häufig zu intensiven Geruchsbelästigungen in der Nachbarschaft kommen dürfte, ist zu klären, ob die nachhaltigen Beschwerden der Anwohner und die Messungen des TÜV Nord und des Beklagten nicht zu den aufgezeigten negativen Ergebnissen geführt haben, weil die Immissionen von den Stallungen selbst herrühren. Die Bewertung von Güllegerüchen ist im Übrigen nach dem RdErl. vom 14.11.2000 nur im Rahmen der Beurteilung im Einzelfall nach Nr. 5 GIRL möglich. Ihre Verminderung und Behandlung ist ansonsten nicht Gegenstand der GIRL (Begründung und Auslegungshinweise zu Nr. 1 GIRL). Deshalb ist ein GIRL-Gutachten geeignet, Immissionen von den Stallungen als Ursache auszuschließen. Der Güllebehälter ist nach dem angefochtenen Bescheid gesondert oder nach Nr. 5 GIRL zu berücksichtigen.
Das für das Grundstück der Eheleute S. vorliegende Gutachten des TÜV Nord vom 15.05.2003 ist nicht ausreichend, um die Emissionen und Immissionen i. S. des § 26 Satz 1 BImSchG festzustellen. Abgesehen davon, dass es sich auf ein bestimmtes Grundstück an der Badenbütteler Straße bezieht, ist zu bemängeln, dass der TÜV Nord lediglich eine Ausbreitungsberechnung vorgenommen hat, die nach der Tabelle zu Ziff. 4.1 der GIRL vorrangig für Prognosen, also zu erwartende Zusatzbelastungen nach Ziff. 4.5 der GIRL anzuwenden ist. Für vorhandene Belastungen i. S. von Ziff. 4.4 der GIRL ist eine Rasterbegehung mit einer olfaktorischen Ermittlung der Geruchsimmissionen durch Probanden und Bestimmung der Häufigkeitsverteilung vorgesehen (vgl. wiederum Tabelle 2 zu 4.1 GIRL). Die Probandenmessung durch den Beklagten in der Zeit vom 26.08. bis zum 15.09.2003 war keine Rasterbegehung nach der GIRL, genügte aber auch nicht den Anforderungen der VDI-Richtlinie 3940.
Das Gutachten ist auch nicht deshalb zwecklos, weil weitergehende Maßnahmen zur Immissionsminderung nicht mehr möglich sind. Sowohl im Bereich der Entlüftung als auch bei der Lagerung und Aufbringung der Gülle sind nach der Erörterung in der mündlichen Verhandlung zusätzliche immissionsmindernde Maßnahmen durchführbar.
Das mit dem Bescheid vom 09.07.2004 geforderte Gutachten berührt nicht den Bestandsschutz der klägerischen Tierhaltungsanlagen. Selbst wenn er infolge der Ergebnisse eines Geruchsgutachtens zu weitergehenden Maßnahmen des Immissionsschutzes verpflichtet werden sollte, so würde sich dieses als Konkretisierung der Sozialbindung des Eigentums nach Art. 14 GG darstellen. Die in § 22 Abs. 1 BImSchG enthaltene Verpflichtung zum Betrieb von Anlagen unter Vermeidung schädlicher Umwelteinwirkungen schützt nicht vor nachträglichen Anordnungen nach § 24 BImSchG. Das gilt auch dann, wenn die baulichen Anlagen einen baurechtlichen Bestandsschutz genießen, was hier für die genehmigten und nach Angaben des Beklagten auch für die nicht genehmigten Anlagen der Fall ist. Der Betreiber einer nicht genehmigungsbedürftigen Anlage wird durch die Beachtung des Gebots der Verhältnismäßigkeit behördlicher Maßnahmen hinreichend geschützt (vgl. Jarras, BImSchG, a.a.O., § 22 Rn. 38).
Der Anordnung vom 09.07.2004 steht der Grundsatz von Treu und Glauben nach § 242 BGB nicht entgegen. Der Kläger kann sich nicht auf einen Vertrauensschutz berufen. Zwar konnte der Kläger nach dem Schreiben vom 28.10.2o03 davon ausgehen, einstweilen nur die aufgeführten Maßnahmen befolgen zu müssen. Er durfte jedoch nicht annehmen, dass der Beklagte die Sachlage nicht später doch noch anders einschätzt, was nach einem halben Jahr dann ja auch geschehen ist. Ein schützenswertes Vertrauen, das sich gegen eine Anordnung nach §§ 24, 26 BImSchG zur Einholung eines Gutachtens durchgreifend richten könnte, hat der Kläger nicht gebildet. Maßnahmen, die seinen Betrieb einschränken, werden nämlich noch nicht angeordnet. Es wird lediglich die Immissionsbelastung weiter ermittelt. Der Kläger hat sich auch nicht darauf eingerichtet, weitere Gutachten nicht bezahlen zu müssen.
Im Übrigen steht nicht fest, dass der Kläger die zu erwartenden Gutachterkosten in Höhe von mindestens 10.000,00 Euro wird bezahlen müssen. Denn § 30 Satz 2 BImSchG sieht vor, dass der Betreiber bei nichtgenehmigungsbedürftigen Anlagen die Kosten für Ermittlungen nach § 26 BImSchG nur trägt, wenn die Ermittlungen ergeben, dass Auflagen oder Anordnungen nach dem BImSchG oder der danach ergangenen Rechtsverordnungen nicht erfüllt worden sind oder Anordnungen oder Auflagen geboten sind. Angesichts der von dem Kläger aufgezeigten, für eine bereits eingetretene Besserung der Immissionslage sprechenden Umstände ist hier nicht von einer großen Wahrscheinlichkeit der Kostentragung durch den Kläger auszugehen, was ebenfalls für die Verhältnismäßigkeit der Anordnung spricht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.