Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 20.09.2012, Az.: 5 K 393/10
Einordnung eines Nahrungsergänzungsmittels als dem ermäßigten Umsatzsteuersatz unterliegende "Lebensmittelzubereitung" oder als dem Regelsteuersatz der Umsatzsteuer unterliegendes "pharmazeutisches Erzeugnis"
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 20.09.2012
- Aktenzeichen
- 5 K 393/10
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2012, 29825
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2012:0920.5K393.10.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - AZ: V R 29/12
Rechtsgrundlagen
- § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG
- Anlage 2 Nr. 33 zu § 12 Abs. 2 Nr. 1, 2 UStG
- VO 727/2012/EU vom 06.08.2012
Fundstelle
- UStB 2013, 41-42
Amtlicher Leitsatz
In Kapselform vertriebenes probiotisches Lebensmittel unterliegt als Nahrungsergänzungsmittel dem ermäßigten Steuersatz.
Tatbestand
Streitig ist, ob ein Produkt als "Lebensmittelzubereitung" dem ermäßigten Umsatzsteuersatz oder als "pharmazeutisches Erzeugnis" dem Regelsteuersatz der Umsatzsteuer unterliegt.
Die Klägerin entwickelt und vertreibt seit über 15 Jahren Vitalstoffpräparate, überwiegend Nahrungsergänzungsmittel und diätische Lebensmittel.
Unter anderem vertreibt sie das Produkt "P-Plus". Hierbei handelt es sich nach der Packungsbeilage um ein "Nahrungsergänzungsmittel zur Unterstützung der natürlichen Darmflora". Das Produkt enthält neun probiotische Kulturen (z.B. verschiedene Milchsäurebakterien) in einer Gesamtzahl von mindestens 2 x 10 hoch 9 Koloniebildende Einheiten (KBE) je Kapsel. Dies entspricht einer Keimzahl von 5,6 x 10 hoch 9 KBE pro Gramm.
Die Klägerin versteuerte die Umsätze aus dem Produkt nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. Anlage 2 lfd. Nr. 33 zum UStG mit dem ermäßigten Steuersatz. Umsatzsteuerlich sind danach Gegenstände begünstigt, die zolltechnisch als "Lebensmittelzubereitungen, anderweitig weder genannt noch inbegriffen" in die Position 2106 des Kapitels 21 Anhang I KN (Kombinierte Nomenklatura) einzugruppieren sind.
In der Umsatzsteuer-Voranmeldung für das 4. Vierteljahr 2009 erklärte sie steuerpflichtige Einnahmen zum Steuersatz von 19 v. H. in Höhe von 19.348,-- EUR sowie steuerpflichtige Umsätze zum Steuersatz von 7 v. H. in Höhe von 700.312,-- EUR.
Im Rahmen einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung unterwarf der Beklagte die mit dem Produkt "P-Plus" erzielten Umsätze dem Regelsteuersatz. Er berief sich dabei auf die unverbindliche Zolltarifauskunft (uZTA) des Bildungs- und Wissenschaftszentrums der Bundesfinanzverwaltung vom 17.03.2010 (-ZT 0270 B-5757/2010/WK3-). Diese hatte eine Einreihung des Produkts als pharmazeutisches Erzeugnis in die nicht begünstigte Position 3002 des Kapitels 30 Anhang I KN vorgenommen. Die Einreihung wurde aufgrund einer Warenbeschreibung und vorgelegter Muster/Proben erteilt und damit begründet, dass es sich zolltariflich um ein Erzeugnis auf der Grundlage von "Kulturen von Mikroorganismen" handele. Mit der Einreihung in die Position 3002 sei die Einreihung der Ware als "Lebensmittelzubereitung, anderweitig weder genannt noch inbegriffen" (Position 2106) nach der Systematik des Zolltarifs ausgeschlossen.
Dementsprechend änderte der Beklagte den Bescheid über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für das 4. Vierteljahr 2009. In dem Bescheid wurden die steuerpflichtigen Umsätze zu 19 v. H. auf 29.027,-- EUR und die steuerpflichtigen Umsätze zu 7 v. H. auf 691.310,-- EUR festgesetzt. Nach der Festsetzung ergab sich ein Nachzahlungsbetrag für das 4. Vierteljahr 2009 in Höhe von 906,50 EUR.
Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Einspruch die Klage. Die Klägerin trägt vor, eine Einreihung in die Position 3002 des Kapitels 30 Anhang I KN sei nach den einschlägigen Rechtsvorschriften ausgeschlossen. Dies ergebe sich bereits aus der Anmerkung Nr. 1 a zu Kapitel 30 Anhang I KN. Dort heiße es:
1. Zu Kapitel 30 gehören nicht:
a) Nahrungsmittel oder Getränke (wie diätische, diabetische oder angereicherte Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel, tonische Getränke und Mineralwasser), andere nicht intravenös zu verabreichende Nährstoffzubereitung;
Diese Anmerkung beziehe sich ihrem Wortlaut nach auf alle Positionen des Kapitels 30 Anhang I KN. Ansonsten hätte der Verordnungsgeber keine allgemeine auf das gesamte Kapitel bezogene Anmerkung formuliert, sondern eine positionsbezogene. Insbesondere sei vom Verordnungsgeber keine Beschränkung auf Erzeugnisse der Position 3004 (Arzneiwaren) gewollt.
Die Richtigkeit dieser Auffassung werde durch die Verordnung EG Nr. 1264/98 vom 17.06.1998 zur Einreihung bestimmter Waren in die KN belegt. Gemäß Nr. 5 des Anhangs dieser Verordnung werde ein
Ergänzungslebensmittel in Gelatinekapseln, Maltodextrin (70%), Magnesiumstearat (3%) und Ascorbinsäure (0,5%) enthaltend, mit Zusatz von Milchsäurebakterien (Bifidobacterium breve und B. Longum, Lactobacillus acidophilus und L. rhamnosus, ca. 1 Milliarde/Gramm), aufgemacht in Gelatinekapseln,
in die Position 2106 des Kapitel 21 Anhang I KN eingereiht. Der Begriff "Ergänzungslebensmittel" sei eine veraltete Bezeichnung für Nahrungsergänzungsmittel. Das Produkt der Klägerin enthalte ebenfalls Milchsäurebakterien und sei in Kapselform aufgemacht. Es sei daher vergleichbar mit dem in Nr. 5 des Anhangs zu dieser Verordnung genannten Nahrungsergänzungsmittel.
Es bestehe auch kein Anhaltspunkt dafür, das Produkt in die Position 3002 des Kapitels 30 Anhang I KN einzureihen. Nach den Erläuterungen zum Harmonisierten System des Zolltarifs (HS) gehörten zur Position 3002 "Kulturen von Mikroorganismen"
... Fermente wie Milchsäurebakterien zum Herstellen von Milcherzeugnissen (Kefir, Joghurt, Milchsäure), Essigsäurebakterien zur Essiggewinnung und Schimmelpilze zur Herstellung von Penicillin und anderer Antibiotika sowie Kulturen von Mikroorganismen zu technischen Zwecken (z.B. zur Förderung des Pflanzenwachstums).
Das Produkt "P-Plus" sei ein Nahrungsergänzungsmittel zur Unterstützung der natürlichen Darmflora. Es sei kein Ferment zur Herstellung von Milcherzeugnissen und diene weder pharmazeutischen noch technischen Zwecken. Im Übrigen deute der Wortlaut dieser Erläuterungen darauf hin, dass die Position 3002 "Kulturen von Mikroorganismen" lediglich als Roh- bzw. Ausgangsstoffe für pharmazeutische Erzeugnisse oder Milcherzeugnisse erfasse. "P-Plus" sei aber kein Roh- oder Ausgangsstoff sondern ein Nahrungsergänzungsmittel.
Nach Auffassung des EuGH (Urteile vom 17.12.2009, verb. Rs. C-410/08 bis C-412/08 - Swiss Caps, HFR 2010, 312) sei insbesondere die Kapselhülle ein Merkmal für die Bestimmung und die Eigenart der Ware als Nahrungsergänzungsmittel. Dies ergebe sich auch § 1 Abs. 1 Nr. 3 der Nahrungsergänzungsmittelverordnung (NemV, basierend auf Art. 2 Buchst. a) Richtlinie 2002/46/EG). Hiernach sei ein Nahrungsergänzungsmittel "ein Lebensmittel, das ... in dosierter Form, insbesondere in Form von Kapseln ..., in den Verkehr gebracht wird". Die Kapselform sei somit gerade typisch für ein Nahrungsergänzungsmittel.
Soweit der Beklagte darauf verweise, dass die Verkapselung auch bei pharmazeutischen Erzeugnissen grundsätzlich ein typisches Merkmal sei, sei dies unzutreffend. Richtig sei, dass bei bestimmten pharmazeutischen Erzeugnissen, nämlich den Arzneiwaren der Positionen 3003 und 3004 des Kapitels 30 Anhang I KN eine Verkapselung nicht unüblich sei. Für die Erzeugnisse der Position 3001, 3002, 3005 und 3006 sei eine Verkapselung dagegen untypisch und zum Teil sogar unmöglich.
Inzwischen habe die Klägerin eine Rezepturänderung zum Anlass genommen, eine neue uZTA einzuholen. Die Rezeptur von "P-Plus" sei um den Mineralstoff Calcium und die Vitamine A, D3 und E ergänzt worden. Die Menge der verwendeten Kulturen von Mikroorganismen (2 x 10 hoch 9 KBE pro Kapsel) sei nicht verändert worden. Das Bildungs- und Wissenschaftszentrum des Bundesfinanzverwaltung habe das Erzeugnis in der neuen Rezeptur in die Position 2106 des Kapitels 21 Anhang I KN eingereiht (uZTA vom 27.04.2011). Vor diesem Hintergrund sei nicht nachzuvollziehen, warum das hier streitige Produkt mit derselben Konzentration an lebenden Mikroorganismen pro Kapsel nicht als Nahrungsergänzungsmittel anzuerkennen sein.
Die Klägerin beantragt,
den Umsatzsteuerbescheid 2009 in der Fassung der Änderung laut Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20.09.2012 in der Weise zu ändern, dass die Umsatzsteuer um 907,53 EUR herabgesetzt wird und den Einspruchsbescheid vom 30.09.2010 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er nimmt im wesentlichen Bezug auf die unverbindliche Zolltarifauskunft (uZTA) des Bildungs- und Wissenschaftszentrums der Bundesfinanzverwaltung vom 17.03.2010 und deren ergänzender Stellungnahme vom 14.05.2012. Darin wird ausgeführt, dass die o. g. EuGH-Urteile nicht geeignet seien, verkapselte Nahrungsergänzungsmittel der Position 2106 von pharmazeutischen Erzeugnissen des Kapitels 30 abzugrenzen. Die Verkapselung sei vielmehr auch bei pharmazeutischen Erzeugnissen ein typisches Merkmal mit der Funktion, das Erzeugnis zu dosieren und die Art und Weise der Aufnahme zu bestimmen. Entscheidend sei vielmehr, dass das Erzeugnis "P-Plus" Kulturen von Mikroorganismen in einer Menge enthalte, die den Charakter des Erzeugnisses bestimmten.
Während des Klageverfahrens hat der Beklagte der am 30.11.2010 eingegangenen Umsatzsteuererklärung für 2009 zugestimmt. In der Umsatzsteuererklärung für 2009 waren die streitigen Umsätze für das Produkt "P-Plus" mit dem ermäßigten Steuersatz von 7 v. H. erklärt worden. Die Mitteilung für 2009 über Umsatzsteuer vom 20.01.2011 steht einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich. In der mündlichen Verhandlung vom 20.09.2012 hat der Beklagte die Umsatzsteuerfestsetzung dahingehend geändert, dass die streitigen Umsätze - entsprechend der Festsetzung in der Umsatzsteuervoranmeldung IV/2009 - wieder dem Regelsteuersatz unterworfen werde. Daraus ergab sich ein Nachzahlungsbetrag von 907,53 EUR.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung von Frau Dr. A. R. als Zeugin. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
I. Die Klägerin ist nach § 40 Abs. 2 FGO klagebefugt.
Zwar ist die Klägerin mit der nach § 68 Abs. 1 FGO zum Gegenstand des Verfahrens gewordenen Mitteilung für 2009 über Umsatzsteuer klaglos gestellt worden. Der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangene Jahressteuerbescheid für 2009 vom 20.01.2011 ersetzt insoweit den vorangegangenen Umsatzsteuer-Vorauszahlungsbescheid für das 4. Vierteljahr 2009 (st. Rspr. vgl. BFH-Beschlüsse vom 18.02.2008 V B 35/06, BFH/NV 2008, 1001, vom 31.03.2006 V B 13/04, BFH/NV 2006, 1492 und vom 4. Juni 2007 V B 76/06, BFH/NV 2007, 2151).
Der Beklagte hat den Jahressteuerbescheid für 2009 vom 20.01.2011 aber in der mündlichen Verhandlung dahingehend geändert, dass die Umsatzsteuer für 2009 von minus 163.198,79 EUR auf minus 162.291,26 EUR festgesetzt gesetzt wird. Der mündlich zu Protokoll des Gerichts erklärte Änderungsbescheid ist wirksam und gemäß § 68 Abs. 1 FGO Gegenstand des Verfahrens geworden. Entsprechend § 157 Abs. 1 Satz 1 AO sind Steuerbescheide zwar grundsätzlich schriftlich zu erteilen. Die Schriftform ist wegen der besonderen Bedeutung der Steuerbescheide vorgeschrieben worden und soll den Steuerpflichtigen zuverlässig über den Regelungsinhalt des Steuerverwaltungsakts unterrichten. Indessen erfüllt diese Funktion auch die mündliche Bekanntgabe eines Bescheids zu Protokoll des Gerichts in der mündlichen Verhandlung (so ausdrücklich BFH-Urteil vom 25.11.1997 VIII R 4/94, BStBl II 1998, 461).
II. Die Klage ist begründet.
Die Umsätze der Klägerin aus dem Verkauf von "P-Plus" in Kapselform unterliegen als Lebensmittelzubereitungen nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. der lfd. Nr. 33 der Anlage 2 dem ermäßigten Steuersatz.
Nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG i.V.m. der lfd. Nr. 33 der Anlage 2 unterfallen Lieferungen verschiedener Lebensmittelzubereitungen dem ermäßigten Steuersatz. Bei dem von der Klägerin vertriebenen Produkt "P-Plus" in Kapselform handelt es sich um Lebensmittelzubereitungen im Sinne der Position 2106 des Kapitels 30 Anhang I KN auf der Grundlage von Kulturen von Mikroorganismen, die als Nahrungsergänzungsmittel dienen, da durch die Verkapselung eine zum menschlichen Verzehr geeignete Zubereitung der Ware entstanden ist.
Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH (vgl. insbesondere Urteil vom 18. Juni 2009 C-173/08 - Kloosterboer Services BV -, HFR 2009, Rdnr. 24 m.w.N.) ist das entscheidende Kriterium für die zollrechtliche Tarifierung von Waren im Interesse der Rechtssicherheit und der leichten Nachprüfbarkeit allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen der KN und der Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln festgelegt sind. Die von der Kommission zur KN und von der Weltzollorganisation zum Harmonisierten System (HS) ausgearbeiteten Erläuterungen sind ein wichtiges, wenn auch nicht rechtsverbindliches Hilfsmittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen. Außerdem kann der Verwendungszweck der Ware ein objektives Tarifierungskriterium sein, sofern er der Ware innewohnt, was sich nach den objektiven Merkmalen und Eigenschaften der Ware bemisst (vgl. EuGH, Urteil vom 17.12.2009 C-410/08 bis 412/98 - Swiss Caps -, HFR 2010, 312).
1. Nach den Rechtsausführungen des EuGH (C-410/08 bis C-412/98, a.a.O.) erfasst die Position 2106 der KN nach ihrem Wortlaut anderweit weder genannte noch inbegriffene Lebensmittelzubereitungen. In den Erläuterungen zum HS (Nr. 29.0) für diese Position heißt es, dass dazu als "Nahrungsergänzungsmittel" bezeichnete Zubereitungen gehören, auf deren Verpackungen häufig angegeben ist, dass sie allgemein der Erhaltung der Gesundheit oder des Wohlbefindens dienen.
Bei den verkauften "P-Plus" in Kapselform handelt es sich um Lebensmittelzubereitungen zur Nahrungsergänzung (Unterstützung der natürlichen Darmflora), die Kulturen von Mikroorganismen enthalten und bestimmte Zusatzstoffe (Trennungsmittel etc.). Die Zubereitungen befinden sich in einer Hülle, die hauptsächlich aus Gelatine besteht und werden in Form von Kapseln dargereicht.
Nach Auffassung des EuGH (C-410/08 bis C-412/98, a.a.O.) stellt die Kapselhülle zum Einschluss von Ölen (z.B. Lachsöl) keine "Verpackung" im Sinne der Allgemeinen Vorschrift 5 Buchstabe b KN dar. Diese Form der Darreichung der Öle in Gelatinekapseln sei ein maßgebliches Merkmal, das auf ihre Funktion als Nahrungsergänzungsmittel hinweise, da es die Dosierung der Lebensmittelzubereitungen, die Art und Weise ihrer Aufnahme und den Ort, an dem sie wirken sollen, bestimme. Somit sei die Kapselhülle ein Merkmal, das für die Bestimmung und die Eigenart der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Erzeugnisse - zusammen mit ihrem Inhalt - maßgeblich sei. Da die Darreichung der Lebensmittelzubereitung in Kapselform und ihr Inhalt die objektiven Merkmale und Eigenschaften bestimmten, sei die Position 2106 im Kontext der Lebensmittelzubereitungen genauer als die Positionen 1504, 1515 und 1517, die sich auf Allzweckfette und -öle beziehen und gehe diesen daher vor. Insofern sei auch der Verwendungszweck der Ware als ein objektives Tarifierungskriterium zu berücksichtigen.
2. Die Grundsätze des EuGH zur Darreichung von Lebensmittelzubereitungen als Nahrungsergänzungsmittel in Kapselform sind auch auf den Streitfall anzuwenden:
Nach den Erläuterungen zum HS (Nr. 15.0) gehören zur Position 3002 "Kulturen von Milcherzeugnissen" Fermente zur Herstellung von Milcherzeugnissen, Essigsäurebakterien zur Essiggewinnung und Schimmelpilze zur Herstellung von Penicillin und anderer Antibiotika sowie Kulturen von Mikroorganismen zu technischen Zwecken.
Das Produkt "P-Plus" dient weder der Herstellung von Milcherzeugnissen noch pharmazeutischen oder technischen Zwecken. Die Klägerin verwendet die "Kulturen von Mikroorganismen" auch nicht in der in den Erläuterungen beschrieben Weise als Roh- bzw. Ausgangsstoff für Milcherzeugnisse, pharmazeutische Erzeugnisse oder zu technischen Zwecken. Die "Kulturen von Mikroorganismen" werden von ihr vielmehr als Nahrungsergänzungsmittel in Kapselform zur Förderung der natürlichen Darmflora angeboten. Insofern ist der Verwendungszweck der Ware als objektives Tarifierungskriterium zu berücksichtigen. Im Kontext der Lebensmittelzubereitung ist die Position 2106 genauer als die Position 3002.
In diesem Zusammenhang ist auch die Anmerkung Nr. 1 a zu Kapitel 30 Anhang I KN zu berücksichtigten. Danach können Nahrungsergänzungsmittel nicht als pharmazeutische Erzeugnisse des Kapitel 30 Anhang I KN eingereiht werden. Die Anmerkung Nr. 1 a bezieht sich ihrem Wortlaut nach auf alle Positionen des Kapitels 30 Anhang I KN. Sie beschränkt sich nicht auf Erzeugnisse der Position 3004 (Arzneiwaren).
Bestätigt wird die hier vertretene Auffassung durch die Durchführungsverordnung EU Nr. 727/2012 vom 06.08.2012. Gemäß dem Anhang dieser Verordnung erfolgt die Einreihung des Nahrungsergänzungsmittels auf Basis von Kulturen von Mikroorganismen u.a. gemäß der Anmerkung Nr. 1 a zu Kapitel 30 Anhang I KN und der EuGH-Urteile C-410/08 bis C 412/08.
Auf die Höhe der Konzentration an lebenden Mikroorganismen kommt es nicht an. Die Aussage der Zeugin, dass nur bis zu einer Konzentration von Mikroorganismen in Höhe von ca. 1 Milliarde KBE pro Gramm noch von einem Nahrungsergänzungsmittel auszugehen sei, findet im Wortlaut der Position 2106 der KN und den hierzu ergangenen Anmerkungen bzw. Erläuterungen zur HS keine Grundlage. Zwar ist in dem Anhang zur EG-Verordnung Nr. 1264/98 vom 17.06.1998 unter Nr. 5 angeführt, dass "Ergänzungslebensmittel in Gelatinekapseln, Maltodextrin (70%), Magnesiumstearat (3%) und Ascorbinsäure (0,5%) enthaltend, mit Zusatz von Milchsäurebakterien (Bifidobacterium breve und B. Longum, Lactobacillus acidophilus und L. rhamnosus ca. 1 Milliarde/Gramm) aufgemacht in Gelatinekapseln" in die Position 2106 einzureihen sind. Dieser Verordnung ist indes nicht zu entnehmen, dass eine höhere Konzentration von Mikroorganismen als 1 Milliarde/Gramm der Eingruppierung einer in Kapselform angebotenen Ware als Nahrungsergänzungsmittel entgegensteht. Außerdem erfolgt die Einreihung des Nahrungsergänzungsmittels auf Basis von Kulturen von Mikroorganismen nach dem Anhang der oben angeführten Durchführungsverordnung EU Nr. 727/2012 vom 06.08.2012 gerade nicht in Abhängigkeit von der Konzentration der Mikroorganismen.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 1 und 3, 155 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
Die Revision war gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.