Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 14.12.2000, Az.: 6 A 3015/99
Abgabe; Beweis; Darlegung; Fristversäumnis; Hochschulprüfung; Nachsicht; Nichtbestehen; Prüfung; Rücktritt; unverzügliche Erklärung; Unverzüglichkeit; Verfahrensfrist; Wiedereinsetzung; Willenserklärung; Zugang
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 14.12.2000
- Aktenzeichen
- 6 A 3015/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 41922
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- Art 12 Abs 1 GG
- § 130 BGB
- § 31 Abs 7 VwVfG
- § 32 VwVfG
- § 7 Abs 1 S 1 MaschBDiplPrO ND
- § 7 Abs 2 MaschBDiplPrO ND
- § 13 Abs 1 MaschBDiplPrO ND
- § 8 Abs 2 MaschBDiplPrO ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Die Erklärung des Prüfungsrücktritts ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, der erst in dem Zeitpunkt wirksam wird, in dem sie der Erklärungsempfängerin zugeht.
2. Besteht Streit darüber, ob die Rücktrittserklärung abgegeben worden ist, muss der Prüfungskandidat nicht nur die Abgabe der Erklärung, sondern auch deren Zugang bei der Empfängerin darlegen und erforderlichenfalls unter Beweis stellen.
Tatbestand:
Der Kläger nahm im Januar 1999 an mehreren schriftlichen Fachprüfungen zur Diplomvorprüfung und Diplomvorprüfung im Studiengang Maschinenbau nicht teil, unter anderem nicht an den zweiten Wiederholungen der Prüfungen in den Fächern Chemie, Technische Mechanik III und Steuerungs- und Regelungstechnik I. Mit Bescheid der Beklagten vom 11. Februar 1999 wurde ihm aus diesem Anlass mitgeteilt, dass er die Diplomvorprüfung endgültig nicht bestanden habe.
Der Kläger erhob mit einem am 18. Februar 1999 bei der Beklagten eingegangenen Schreiben Widerspruch mit der Begründung, er sei vom Arzt für die Zeit vom 8. Januar 1999 bis einschließlich 23. Januar 1999 prüfungsunfähig krankgeschrieben worden. Die Bescheinigung darüber habe er zwischen dem 8. und 11. Januar 1999 beim Postamt 1 in Hannover als Brief an die Fachhochschule in den Briefkasten eingeworfen. Der Einwurf des Briefes könne durch Zeugen bestätigt werden. Am 15. Februar 1999 habe er deswegen einen Nachforschungsantrag bei der Post gestellt.
Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte auf Beschluss des Fachbereichsrats mit Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 1999 als unbegründet zurück. In den Gründen des Widerspruchsbescheides wurde ausgeführt, dass die Krankmeldung des Klägers in der Fachhochschule erst mit dem Widerspruchsschreiben am 18. Februar 1999 eingegangen sei; der Rücktrittsgrund sei daher nicht unverzüglich mitgeteilt worden.
Der Kläger hat am 8. Juli 1999 Klage erhoben. Er vertritt die Auffassung, die Prüfungen nicht ohne triftigen Grund versäumt und das Versäumnis rechtzeitig angezeigt zu haben. Unter Vorlage der Fotokopie einer eidesstattlichen Versicherung des Zeugen X. vom 2. Juni 1999 trägt der Kläger dazu vor, der Zeuge X. habe ihn am 8. Januar 1999 um 18. 00 Uhr mit dem PKW zum Hauptpostamt 1 gefahren und gesehen, dass er dort den an die Fachhochschule adressierten Brief mit der Krankmeldung in den Briefkasten der Deutschen Post eingeworfen habe. Der Kläger meint, dass er mit dem Einwurf des Briefes in den Briefkasten alles getan habe, um die für die Anzeige des Prüfungsversäumnisses laufende Verfahrensfrist einzuhalten; diese habe er daher, sollte der Brief seine Empfängerin nicht erreicht haben, unverschuldet versäumt. Da die Verfahrenshandlung von ihm jedenfalls unverzüglich nach Wegfall seiner Unkenntnis vom Verlust des Briefes nachgeholt worden sei, müsse ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 11. Februar 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 31. Mai 1999 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn erneut zu den Wiederholungsprüfungen in den Fächern Chemie, Technische Mechanik III und Steuerungs- und Regelungstechnik I zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
....
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nicht begründet.
Die angegriffenen Bescheide sind rechtmäßig. Die Entscheidung, dass der Kläger die Diplomvorprüfung endgültig nicht bestanden hat, stützt sich auf § 13 Abs. 1 der auf den Kläger insoweit noch anzuwendenden Diplomprüfungsordnung für den Studiengang Maschinebau vom 19. Juli 1982 (Nds. MBl. S. 1482) - DPO 1982 -, wonach die als Bestandteil der Diplomvorprüfung abzulegenden Fachprüfungen nur jeweils zweimal wiederholt werden können. Die nach Anlage 2 zu § 8 Abs. 2 der Diplomprüfungsordnung für den Studiengang Maschinebau vom 18. Dezember 1991 (Nds. MBl. S. 531) - DPO 1991 - vorgeschriebenen Wiederholungsprüfungen in den Fächern Chemie und Technische Mechanik geltend gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 DPO 1982 als nicht bestanden, weil der Kläger diese versäumt hat und die Voraussetzungen eines entschuldigten Versäumnisses oder Rücktritts nicht vorliegen. Der Kläger hat weder das Versäumnis bzw. den Rücktritt von den in der Zeit vom 9. bis 23. Januar 1999 durchgeführten Fachprüfungen der Diplomvorprüfung unverzüglich mitgeteilt noch die Versäumnis- bzw. Rücktrittsgründe gemäß § 7 Abs. 2 der anzuwendenden Diplomprüfungsordnung dem Prüfungsausschuss unverzüglich angezeigt und glaubhaft gemacht.
Die Beklagte trägt unwiderlegbar vor, dass sie eine Fotokopie der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 8. Januar 1999 erst mit dem Widerspruchsschreiben vom 19. Februar 1999 und somit nicht vom Kläger unverzüglich erhalten hat. Der Kläger hält dem zwar entgegen, dass er die Bescheinigung schon am 8. Januar 1999 an die Beklagte durch Einwurf in einem Briefkasten der Deutschen Post AG abgesandt habe. Der Beweis, dass diese Postsendung ihre Empfängerin - wenn auch verspätet - tatsächlich erreicht hat, lässt sich nach den bisher bekannten Tatsachen nicht führen. Soweit in den von der Beklagten vorgelegten EDV-Auflistungen auch Prüfungen in Thermodynamik I und Messtechnik, -datenverarbeitung jeweils unter einem Datum des Januar 1999 zunächst mit der Bemerkung "genehmigter Rücktritt" versehen waren, ist dieses kein Indiz dafür, dass die Postsendung mit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 8. Januar 1999 doch bei der Beklagten eingegangen, aber nicht für alle in Rede stehenden Prüfungen verwertet worden wäre. Die Beklagte hat hierzu nachvollziehbar dargelegt, dass sich der später korrigierte Vermerk bei Thermodynamik I auf eine Prüfungsleistung des Klägers im Sommersemester 1998 bezog und dass er sein Versäumen der Prüfung in Messtechnik, -daten-verarbeitung mit einer gesondert übersandten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 18. Januar 1999 entschuldigt hatte. Ob die von dem Kläger dazu in der mündlichen Verhandlung abgegebene Erläuterung angesichts der Tatsache, dass er sich seinem übrigen Vortrag zufolge für diesen Tag (18.1.1999) bereits mit der Bescheinigung des Allergologen vom 8. Januar 1999 entschuldigt hatte, nachvollziehbar ist, kann dahingestellt bleiben.
Der fehlenden Nachweis des Zugangs der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wirkt sich entscheidend zu Ungunsten des Klägers aus. Der vor oder nach der Prüfung erklärte Rücktritt des Klägers eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die erst in dem Zeitpunkt wirksam wird, in welchem sie der Erklärungsempfängerin zugeht, § 130 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 BGB. Besteht wie im vorliegenden Fall Streit darüber, ob die Rücktrittserklärung abgegeben worden ist, muss der Prüfungskandidat nicht nur die Abgabe der Erklärung, sondern auch deren Zugang beim Empfänger darlegen und erforderlichenfalls unter Beweis stellen (Beschluss der Kammer vom 23.1.1999 - 6 B 254/99 -; bestätigt durch OVG Lüneburg, Beschuss vom 23.4.1999 - 10 M 1330/99 -). Insoweit befindet sich ein Prüfungskandidat in der typischerweise ungünstigen Beweissituation desjenigen, der sich auf den Zugang einer als einfacher Brief auf dem Postwege übermittelten Willenserklärung verlässt. Die Frage, ob das bloße Übersenden der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 8. Januar 1999 den Formanforderungen des § 7 Abs. 2 Diplomprüfungsordnung an die Anzeige und Glaubhaftmachung des Rücktrittsgrundes erfüllt, stellt sich daher mangels ihres Zugang bei der Fachhochschule nicht. Angemerkt sei allerdings, dass - entsprechend der von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vertretenen Rechtsansicht - insoweit der ständigen Prüfungspraxis des zuständigen Prüfungsausschusses entscheidende Bedeutung zukommt. Akzeptiert der Prüfungsausschuss wie im vorliegenden Studiengang Maschinebau ständig die Vorlage ärztlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen als Anzeige und Glaubhaftmachung von Versäumnis- und Rücktrittsgründen, prägt er mit dieser Verfahrensweise die Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG, der das Prüfungsverfahrensrecht beherrscht. Der Grundsatz der Chancengleichheit verlangt nicht nur, dass der Prüfungsausschuss die von ihm gesetzten Meldefristen für alle Prüfungskandidaten einheitlich bemisst und allen Betroffenen dieselben Möglichkeiten zur Einhaltung der gesetzten Fristen einräumt, sondern dass auch bei der Behandlung von Fristversäumnissen, also der Rechtsanwendung der Versäumnis- und Rücktrittsregelungen, allen Betroffenen dieselben Chancen eingeräumt werden.
Dem Kläger war wegen des Versäumnisses einer unverzüglichen Mitteilung seiner krankheitsbedingten Prüfungsunfähigkeit auch nicht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Entgegen der von ihm vertretenen Auffassung kennzeichnet der Rechtbegriff der Unverzüglichkeit in § 7 Abs. 2 Satz 1 DPO keine Verfahrensfrist im Sinne von § 32 VwVfG, bei deren Versäumen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder Nachsicht (§ 31 Abs. 7 VwVfG) gewährt werden könnte. Aus der Systematik der Regelungen des § 7 Abs. 1 und 2 DPO folgt, dass das Versäumen eines unverzüglichen Prüfungsrücktritts und der Mitteilung der dafür vorliegenden Gründe materiell-rechtliche Wirkung entfaltet (Nichtbestehen der Prüfungsleistung). Bei dem Eingreifen derartiger Präklusionsvorschriften kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand grundsätzlich nicht in Betracht, weil des Ergebnis des Fristversäumnisses vom Normgeber gewollt ist und auch dann in Kauf genommen wird, wenn das Versäumen der notwendigen Verfahrenshandlung (z.B. Antrag, Rechtsbehelf, Rücktritt) entschuldigt werden kann. Materiellrechtliche Ausschlussregelungen sind danach für Behörden und Beteiligte gleichermaßen verbindlich. Sie stehen nicht zur Disposition der Verwaltung oder der Gerichte. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kommt im Öffentlichen Recht nur in Betracht, wenn diese gesetzlich besonders vorgesehen ist oder ein Fall des Rechtsverlusts durch höhere Gewalt vorliegt (vgl. BVerwG, 421.2 Hochschulrecht Nr. 133). Unter höherer Gewalt im Sinne der Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nach der Rechtsprechung der Zivilgerichte und des Bundesverwaltungsgerichts seit jeher ein Ereignis zu verstehen, das unter den gegebenen Umständen auch durch die größte, nach den Umständen des konkreten Falles vernünftigerweise von dem Betroffenen unter Anlegung subjektiver Maßstäbe - namentlich unter Berücksichtigung seiner Lage, Bildung und Erfahrung - zu erwartende und zumutbare Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte (vgl. BVerwG, NJW 1997 S. 2966 [BVerwG 18.04.1997 - BVerwG 8 C 38.95] m.w.N.). Ein derartiger Fall liegt nicht vor, wenn ein Prüfungskandidat die Willenserklärung, die für die Wahrung seiner Prüfungschancen von existenzieller Bedeutung ist, dem Erklärungsgegner durch einfachen Brief mit der Post übersendet. Dass Briefsendungen - wenn auch selten - zuweilen verloren gehen, ist allgemein bekannt. Dieses als ein Fall höherer Gewalt anzusehen, scheitert schon daran, dass die Versendung der Mitteilung über die Erkrankung des Klägers als Standardbrief mit der Post angesichts seiner prüfungsrechtlichen Situation nicht zwingend war. Wenn sich der Kläger von dem Zeugen Eggers am 8. Januar 1999 zum Hauptbahnhof fahren ließ, hätte er sich auch zu seinem Fachbereich fahren lassen und dort die Krankmeldung entweder noch am 8. Januar 1999, zumindest aber am Morgen des 9. Januar 1999, der Beklagten persönlich überbringen können. Eine weitere Möglichkeit wäre das Überbringen durch einen zuverlässigen Boten oder die Versendung durch eine qualifizierte Übergabeform (Übergabeeinschreiben mit Rückschein) gewesen.