Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 12.12.2000, Az.: 7 A 2744/00
Ermessen; Insolvenz; Kündigung; Nebenbestimmung; Zustimmung
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 12.12.2000
- Aktenzeichen
- 7 A 2744/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 41263
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 18 BErzGG
Tatbestand:
Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der K- GmbH. Der Kläger wendet sich gegen die von dem Beklagten ausgesprochenen Maßgaben in der Zustimmung zur Kündigung der Beigeladenen.
Die Beigeladene ist als Angestellte bei der K- GmbH beschäftigt und befindet sich zur Zeit im Erziehungsurlaub. Ihr Erziehungsurlaub endet zum 05.07.2002.
Nach unbestrittenen Angaben des Klägers beschloss der Gläubigerausschuss nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die K- GmbH die Stilllegung des Betriebes. Mit der Insolvenzeröffnung wurde die wirtschaftliche Tätigkeit der GmbH eingestellt.
Am 18.06.1999 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Zustimmung zur Kündigung der Beigeladenen. Mit Bescheid vom 02.08.1999 entsprach der Beklagte zwar dem Antrag des Klägers, versah seine Zustimmung jedoch mit folgenden Maßgaben:
"Von der Kündigungszulassung darf nur Gebrauch gemacht werden, wenn sichergestellt ist, dass
der Betrieb der Firma K-Gesellschaft mit beschränkter Haftung, (Anschrift), vertreten durch Geschäftsführer T., auf Dauer geschlossen wird sowie die gesamten diesbezüglichen Geschäftsaktivitäten eingestellt und somit juristisch und faktisch nicht mehr existent ist, bzw. das Insolvenzverfahren durch Abwicklung beendet ist,
die durch den Insolvenzverwalter der K. auszusprechende Kündigung erst nach Beendigung des Erziehungsurlaubes rechtswirksam wird."
Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass vorliegend ein besonderer Fall gegeben sei, der ausnahmsweise die Zulassung der Kündigung rechtfertige, die zu diesem Bescheid erlassenen "Bedingungen" jedoch dazu dienen sollten, die durch die Kündigungszulassung betroffene Person vor finanziellen Belastungen zu schützen, die finanzielle Belastung ihrer Familie zu mindern bzw. vor Nachteilen zu bewahren und ein notwendiges Beschäftigungsverhältnis für die Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung und die damit verbundene Beitragsfreiheit (zumindest für den Bezugszeitraum des Erziehungsgeldes) zu erhalten.
Der Kläger erhob gegen diesen Bescheid Widerspruch, den die Bezirksregierung H. mit Widerspruchsbescheid vom 03.05.2000 zurückwies. Zur Begründung führte die Bezirksregierung unter anderem aus, dass die Bedingung zu Ziff. 1 durch den Beschluss des Gläubigerausschusses über die sofortige Betriebsstilllegung sichergestellt sei und deshalb gar keine Belastung darstelle. Die Bedingung zu Nr. 2 sei deshalb ausgesprochen worden, weil bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Ablauf des Erziehungsurlaubes die Beigeladene selbst bei ihrer Krankenkasse in Zahlungsverpflichtungen geraten würde.
Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 08.05.2000 zugestellt.
Der Kläger hat am 08.06.2000 Klage erhoben.
Er trägt vor: Der Zweck des Bundeserziehungsgeldgesetzes, die Erhaltung des Arbeitsplatzes zu sichern, ließe sich nicht mehr erreichen. Deshalb sei das Ermessen des Beklagten auf Null reduziert. Er habe die Kündigung ohne Einschränkungen zuzulassen. Auch habe er nachgewiesen, dass nur noch Abwicklungsarbeiten durchgeführt würden. Die wirtschaftliche Tätigkeit der K- GmbH sei mit dem Tage der Insolvenzeröffnung eingestellt. Daher sei die Nebenbestimmung zu Nr. 1 nicht mehr auszusprechen gewesen und sie sei im Übrigen auch nicht schlüssig. Wenn das Insolvenzverfahren abgeschlossen sei, könne er keine Kündigung mehr aussprechen. Er sei als Insolvenzverwalter an den Tarifvertrag gebunden und könne eine Kündigung jeweils nur zum Monatsende aussprechen und nicht zum Zeitpunkt der Beendigung des Erziehungsurlaubes. Dies habe zur Folge, dass in der Zwischenzeit das Gehalt weitergezahlt werden müsste, obwohl das Unternehmen seinen Betrieb eingestellt habe und keine Arbeitsleistung mehr erbracht werden könnte.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, unter Abänderung des Zustimmungsbescheides vom 02.08.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung H. vom 03.05.2000 die Kündigung des Arbeitsverhältnisses ohne einschränkenden Zusatz für zulässig zu erklären,
hilfsweise, den Beklagten zu verpflichten, den Zustimmungsbescheid abzuändern mit der Maßgabe, dass die Zustimmung zur Kündigung erst zum Zeitpunkt des Endes des Erziehungsurlaubes rechtswirksam wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er nimmt zur Begründung Bezug auf die Gründe des Bescheides und des Widerspruchsbescheides. Er ist der Auffassung, die Bedingungen seien rechtmäßig. Damit trüge er dem Schutzgedanken des Bundeserziehungsgeldgesetzes Rechnung. Hinsichtlich der Nebenbestimmung Nr. 1 führt er aus, wenn der Betrieb der K-GmbH auf Dauer eingestellt sei, sei auch die Bedingung Nr. 1 erfüllt.
In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte erklärt, er halte an der Nebenbestimmung zu Nr. 1 nicht mehr fest.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Rechtsposition des Arbeitgebers der Beigeladenen ist gemäß § 80 Abs. 1 Insolvenzordnung (InsO) auf den Kläger übergegangen, der damit, wie sich aus § 113 InsO ergibt, auch das Recht zur Kündigung eines Arbeitsvertrages erworben hat und damit zur Klage befugt ist.
Die Klage hat sich nicht dadurch - teilweise - erledigt - weil der Beklagte nicht mehr an der Bedingung zu Nummer 1 festhält. Denn es handelt sich insoweit nicht um einen abtrennbaren Teil des hier umstrittenen Bescheides vom 02.08.1999. Dies wäre nur dann der Fall, wenn es sich dabei um eine selbstständig anfechtbare Auflage handeln würde. Bei der unter Nummer 1 genannten Bedingung handelt es sich aber jedenfalls nicht um eine Bestimmung, in der dem Kläger ein bestimmtes Tun, Dulden oder Unterlassen aufgegeben wurde. Es handelt sich vielmehr tatsächlich um eine Bedingung im Sinn des § 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG. Klageziel - wie es in dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag des Klägers zum Ausdruck kommt - ist eine Zustimmung zur Kündigung ohne Einschränkung. Dieses Ziel ist auch nachdem der Beklagte sich hinsichtlich der Nebenbestimmung zu 1.) erklärt hat, noch nicht erreicht.
Die vom Kläger schließlich gewählte Verpflichtungsklage ist auch im Hinblick auf die "Bedingung" zu Nummer 2, an der der Beklagte nach wie vor festhält, die zulässige Klageart. Die vom Beklagten als Bedingung bezeichnete Maßgabe zu Nummer 2 stellt nach Ansicht des Gerichts keine Auflage im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG dar (so jedoch ohne weitere Begründung in einem vergleichbaren Fall vom VG Koblenz im Urt. v. 31.08.2000 - 5 K 642/00.KO - angenommen), sondern ist vielmehr als eine sogenannte modifizierende Auflage zu qualifizieren, die - wie im Übrigen eine Bedingung auch - nicht selbstständig anfechtbar ist, sondern mit den sonstigen Regelungen des Verwaltungsaktes eine untrennbare Einheit bildet. Eine modifizierende Auflage ist eine Regelung, die den Inhalt des Verwaltungsakts selbst betrifft, indem sie diesen beschränkt und die insbesondere dann anerkannt wird, wenn sie eine dem jeweiligen Verwaltungsakt typische Rechtsfolge modifiziert (Kopp, VwVfG, 7. Aufl. 2000, Rdnr. 35). Dementsprechend lässt sich feststellen, dass der Beklagte mit dem Zusatz in seinem Bescheid die Rechtsfolge seiner Zulässigkeitserklärung insoweit verändert - mit anderen Worten "modifiziert" - hat, als dass - nicht wie beantragt - eine Kündigung zum nächstmöglichen Termin, sondern erst zu einem Termin, der frühestens am Tag nach Ablauf des Erziehungsurlaubes liegen darf, für zulässig erklärt wird. Letztendlich bedarf es hier aber auch keiner eindeutigen Abgrenzung zwischen einer Bedingung, einer eventuell denkbaren Befristung und einer modifizierenden Auflage, weil daraus sich keine unterschiedlichen Rechtsfolgen ergeben.
Der Kläger hat im weiteren auch einen Anspruch darauf, dass der Beklagte die Kündigung der Beigeladenen ohne einen einschränkenden Zusatz für zulässig erklärt.
Nach § 18 Abs. 1 Satz 2 BErzGG kann der Beklagte "in besonderen Fällen" ausnahmsweise eine Kündigung eines sich im Erziehungsurlaub befindlichen Arbeitnehmers für zulässig erklären. Zu Recht ist der Beklagte - ebenso wie der Kläger - hier von einem "besonderen Fall" ausgegangen. Über die K-GmbH wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und die Gesellschaft hat ihren Geschäftsbetrieb endgültig eingestellt. Eine wesens- und sinngerechte Fortsetzung der Rechtsbeziehungen zwischen der K-GmbH und der Beigeladenen ist dadurch unmöglich geworden (so in einem vergleichbaren Fall schon VG Koblenz, a.a.O., S. 10 des Urteilsabdrucks; s.a. BVerwG, Urt. v. 18.08.1977 - VC 8.77 -, BVerwGE 54, 276, 281 zur insoweit vergleichbaren Regelung des § 9 MuSchG).
Das Gesetz stellt allerdings selbst bei Vorliegen eines besonderes Falles diese Zustimmung zur Kündigung noch in das Ermessen der zuständige Behörde, hier des Beklagten.
Der Beklagte hat hier die Ermessensentscheidung getroffen, die Zustimmung zur Kündigung nur - nachdem er an der Bedingung zu Nummer 1 nicht mehr festhält - mit Maßgabe der sogenannten "Bedingung" zu Nr. 2 auszusprechen. Dies ist jedoch ermessensfehlerhaft.
Nach dem ausdrücklichen Vortrag des Beklagten soll diese als Bedingung bezeichnete Einschränkung die Wirksamkeit der Kündigung bis zum Ende des Erziehungsurlaubs der Beigeladenen hinausschieben. Für einen derartigen Aufschub der zivilrechtlichen Wirkungen einer ausgesprochenen Kündigung durch den Beklagten gibt es jedoch keinerlei Rechtsgrundlage.
Die vom Beklagten verfügte Einschränkung kann allerdings auch objektiv so verstanden werden, dass sie zwar den Ausspruch einer Kündigung der Beigeladenen noch im Laufe des Erziehungsurlaubes zulässt, jedoch nur zu einem Termin, der frühestens mit dem Ende des Erziehungsurlaubs zusammenfällt. Auch nur diese Möglichkeit einer derartigen Einschränkung dürfte im Übrigen in § 6 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Kündigungsschutz bei Erziehungsurlaub vom 02.01.1986 (die für das Gericht nicht binden sind und im Übrigen zwar die hier umstrittene Einschränkung als Beispiel einer "Bedingung" nennen, aber auch den Beklagten nicht soweit binden, als dass er in jedem Fall diese Einschränkung auch aussprechen muss) gemeint gewesen sein.
Im vorliegenden Fall ist aber selbst eine derart verstandene Einschränkung ermessensfehlerhaft. Denn sie soll sozialversicherungsrechtliche Ansprüche unter den Schutz des § 18 BErzGG stellen. Der Beklagte hat sich nach der Begründung des Bescheides vom 02.08.1999 von der Frage des kostenlosen Krankenversicherungsschutzes leiten lassen. Auch der Widerspruchsbescheid vom 03.05.2000 bekräftigt diese Ermessenserwägung. Andere Gründe, die zu der angefochtenen Ermessensentscheidung geführt haben könnten, werden weder im Bescheid selbst noch im Widerspruchsbescheid genannt. Auch im Laufe des Klageverfahrens hat der Beklagte keine anderen, konkreten Gründe vorgetragen, auf die er seine Ermessensentscheidung gestützt hat. Es ist indes nicht Zweck des Bundeserziehungsgeldgesetzes, Ansprüche auf kostenlose Mitgliedschaft bei Krankenkassen, die letztendlich der Versorgung der Arbeitnehmer dienen, zu sichern.
Eigentliches Ziel des § 18 BErzGG ist es, dem in Erziehungsurlaub befindlichen Arbeitnehmer den Arbeitsplatz für die Zeit nach Ablauf des Erziehungsurlaubes zu erhalten. Dieses Ziel kann im vorliegenden Fall nicht mehr erreicht werden, weil der Betrieb der K.-GmbH endgültig eingestellt wurde. Das Bundesverwaltungsgericht hat in einem derartigen Fall zu der vergleichbaren Regelung des § 9 MuSchG unter anderem ausgeführt:
"Der mutterschutzrechtliche Kündigungsschutz dient nicht der Versorgung der Arbeitnehmerin (vgl. Bundesarbeitsgericht, Großer Senat, Beschl. v. 26. April 1956 [BAG 3, 66, 72]). Auf eine solche Versorgung liefe es aber praktisch hinaus, wenn der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet bliebe, trotz Stilllegung des Betriebes während der Schutzfrist und der wirtschaftlich sinnwidriger Aufrechterhaltung eines seines Wesens endgültig entkleidetes Arbeitsverhältnisses weiter Lohn (Gehalt) zu zahlen (Urt. v. 18.08.1977, a.a.O., 282)".
Diese Ausführungen lassen sich ohne weiteres auf den Kündigungsschutz nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz übertragen. Auch hier läuft es faktisch auf eine derartige Versorgung hinaus, wenn der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet bliebe, trotz Stilllegung des Betriebes während der Schutzfrist ein seines Wesens endgültig entkleidetes Arbeitsverhältnis sinnwidrig nur im Hinblick auf den Krankenversicherungsschutz aufrecht zu erhalten (so auch VG Koblenz, a.a.O., S. 15 und 16 des Urteilsabdrucks).
Aus alledem ergibt sich zur Überzeugung der Kammer, dass die vom Beklagten verfügte Einschränkung, die Kündigung der Beigeladenen erst zum Ende des Erziehungsurlaubes aussprechen zu dürfen, nur der Sicherung solcher Rechte der Beigeladenen dient, die von Sinn und Zweck des Bundeserziehungsgeldgesetzes nicht erfasst werden. In einem solchen Fall liegt jedoch, wenn im Rahmen einer Ermessensentscheidung entgegen dem Sinn und Zweck des Gesetzes Rechte oder Ansprüche durch Nebenbestimmungen gesichert werden, ein Ermessensfehlgebrauch vor, der zur Aufhebung des insoweit belastenden Bescheides führen muss.
Das Gericht war jedoch nicht gehalten, den Beklagten darüber hinaus lediglich zur Neubescheidung zu verpflichten. Der Klage war vielmehr insgesamt stattzugeben. In Fällen wie dem Vorliegenden, in denen mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass der Betrieb des Arbeitgebers nicht mehr aufgenommen wird und der Arbeitsplatz der Beigeladenen deshalb auf jeden Fall nicht wesentlich über den Erziehungsurlaub hinaus gesichert werden kann, tendiert das dem Beklagten in § 18 Abs. 1 BErzGG eingeräumte Ermessen nach Ansicht der Kammer gegen Null. Nur beim Vorliegen ganz besonderer Umstände wäre es denkbar, gleichwohl die Zulassung der Kündigung noch mit irgendwelchen Einschränkungen zu versehen. Derartige Umstände sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar, geschweige denn vorgetragen worden. Das Ermessen des Beklagten reduziert sich in diesem Fall auf die einzig verbleibende Möglichkeit, die Kündigung der Beigeladenen ohne Einschränkung für zulässig zu erklären.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Da die Beigeladene keinen Antrag gestellt und sich damit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es der Billigkeit, ihre außergerichtlichen Kosten nicht für erstattungsfähig zu erklären. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.