Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 06.06.2001, Az.: 2 W 56/01
Zulassung zum Verbraucherinsolvenzverfahren; Maßgeblichkeit der Verhältnisse im Zeitpunkt der Antragstellung; Bestehen objektiver Anhaltspunkte für eine rechtsmissbräuchliche Inanspruchnahme
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 06.06.2001
- Aktenzeichen
- 2 W 56/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 29303
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2001:0606.2W56.01.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Lingen - 29.03.2001 - AZ: IK 5/01
- LG Osnabrück - 27.04.2001 - AZ: T 357/01
Rechtsgrundlage
- § 304 Abs. 1 InsO
Fundstellen
- NZI 2001, 33
- ZInsO 2001, 560 (Volltext mit red. LS)
Verfahrensgegenstand
Zulassung zum Verbraucherinsolvenzverfahren
In dem Insolvenzverfahren
hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
am 6. Juni 2001
durch
die unterzeichneten Richter
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Die sofortige weitere Beschwerde des Schuldners gegen den Beschluss der 17. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 27. April 2001 wird zugelassen.
- 2.
Auf die sofortige weitere Beschwerde werden der oben genannte Beschluss des Landgerichts Osnabrück sowie der Beschluss des Amtsgerichts Lingen vom 29. März 2001 aufgehoben. Die Sache wird zur weiteren Bearbeitung an das Amtsgericht zurückverwiesen.
Gründe
I.
Der Schuldner hat am 05.03.2001 die Durchführung des Verbraucherinsolvenzverfahrens beantragt. Seit 1988 arbeitete er als selbstständiger Gärtner. Im Juni 2000 stellte er seinen Betrieb ein.
Seine Verbindlichkeiten gegenüber 45 Gläubigern betragen über 200.000,- DM. Das Amtsgericht hat den Antrag auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens als unzulässig zurückgewiesen und zur Begründung u.a. ausgeführt, § 304 InsO sei dahingehend zu verstehen, dass die Vorschriften des Verbraucherinsolvenzverfahrens nur einschlägig seien, wenn der Schuldner überschaubare Vermögensverhältnisse habe, was hier nicht der Fall sei. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde des Schuldners zurückgewiesen und die Auffassung vertreten, dass es für die Abgrenzung zwischen dem Regelinsolvenzverfahren und dem Verbraucherinsolvenzverfahren darauf ankomme, ob eine unternehmerische Tätigkeit während der Zeitdauer ihrer Ausübung die Einleitung des einen oder anderen Verfahrens erfordert hätte. Dagegen wendet sich der Schuldner mit seiner sofortigen weiteren Beschwerde, deren Zulassung er beantragt.
II.
Die sofortige weitere Beschwerde ist gemäß § 7 Abs. 1 InsO zuzulassen.
1.
Die Zulassung einer sofortigen weiteren Beschwerde nach § 7 Abs. 1 InsO setzt voraus, dass bereits gegen die Entscheidung des Erstgerichts die sofortige Beschwerde gemäß § 6 Abs. 1 InsO er öffnet war (BGH NJW 2000, 1869). Dies ist hier der Fall. Die auf die Wahl einer unzutreffenden Verfahrensart gestützte Ablehnung eines Insolvenzantrags kann der Schuldner nach § 34 Abs. 1 InsO mit der sofortigen Beschwerde anfechten (OLG Schleswig NZI 2000, 164; OLG Naumburg, NZI 2000, 603, 604; OLG Köln InVO 2000, 381; OLG Rostock NZI 2001, 213; Landfermann in HK-InsO 2. Aufl. § 304 Rdn. 6).
2.
Die weiteren Voraussetzungen gemäß § 7 Abs. 1 InsO für die Zulassung der sofortigen weiteren Beschwerde sind gegeben. Der Schuldner macht geltend, dass das Landgericht die Voraussetzungen für ein Verbraucherinsolvenzverfahren verkannt habe, indem es die Vorschrift des § 304 Abs. 1 InsO falsch angewendet habe. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zur Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Verbraucherinsolvenzverfahren stattfindet, ist die Überprüfung der angegriffenen Entscheidung auch geboten, weil der Senat zu der entscheidungserheblichen Rechts frage noch nicht Stellung genommen hat und diese anders als das Amtsgericht und das Beschwerdegericht beantwortet.
III.
Die sofortige Beschwerde hat im erkannten Umfang Erfolg. Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts und des Landgerichts kommt es für die Frage, ob ein Schuldner eine geringfügige wirtschaftliche Tätigkeit im Sinn des § 304 InsO ausübt und damit die Eröffnung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens in Betracht kommt, grundsätzlich nicht auf die Verhältnisse des Schuldners in dem Zeitraum an, aus dem die Schulden stammen, sondern auf die Verhältnisse des Schuldners im laufenden Insolvenzverfahren. Der Senat folgt der - soweit ersichtlich - zu dieser Rechtsfrage bisher einhellig vertretenen oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung (OLG Frankfurt NZI 2000, 219; OLG Schleswig NZI 2000, 164; OLG Celle InVo 2000, 234, 236; OLG Jena InVO 2000, 378; OLG Naumburg NZI 2000, 603; OLG Köln InVO 2000, 381; OLG Rostock NZI 2001, 213; jeweils auch m.w.N. zur Gegenauffassung). Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 304 Abs. 1 InsO sind die Verhältnisse des Schuldners im Zeitpunkt des Insolvenzantrags maßgeblich, denn im Zusammenhang mit einer wirtschaftlichen Betätigung hat der Gesetzgeber die Gegenwartsform gewählt ("ausübt").
Auf eine frühere selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit des Schuldners bzw. auf den Umfang seiner Verbindlichkeiten und die Anzahl seiner Gläubiger wird ausdrücklich nicht abgestellt. Zudem ist allein ein Abstellen auf den Zeitpunkt der Antragstellung praktikabel. Käme es auf die Verhältnisse des Schuldners in der Vergangenheit, insbesondere im Zeitpunkt des Eintritts der Insolvenz an, hätte das Insolvenzgericht schon vor seiner Entscheidung über die Verfahrensart umfangreiche Ermittlungen anzustellen, die jedenfalls in den Fällen, in denen der Schuldner in dem in Betracht kommenden Zeitraum teilweise in einem erheblichen Umfang, teilweise nur geringfügig selbstständig wirtschaftlich tätig war, zu erheblichen Schwierigkeiten führen würde.
Eine andere Beurteilung mag dann gerechtfertigt sein, wenn ein nicht nur geringfügig wirtschaftlich tätiger Unternehmer seinen Geschäftsbetrieb einstellt und unmittelbar anschließend die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt. Nach dem bisherigen Akteninhalt bestehen jedoch keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass der Schuldner versucht, die Vereinfachungen des Verbraucherinsolvenzverfahrens rechtsmissbräuchlich in Anspruch zu nehmen (vgl. dazu OLG Frankfurt und OLG Rostock a.a.O.).
Da die Gründe, aus denen das Amtsgericht und das Landgericht den Insolvenzantrag des Schuldners abgelehnt haben, mit § 304 Abs. 1 InsO nicht im Einklang stehen, wird dem Antrag stattzugeben sein, sofern dem nicht andere Gründe entgegenstehen. Unter diesen Umständen ist es sachdienlich, die Sache in entsprechender Anwendung des § 575 ZPO zur weiteren Bearbeitung an das Insolvenzgericht (Amtsgericht) zurückzuverweisen.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da mangels Beschwerdegegner keine Erstattung der außergerichtlichen Kosten erfolgen kann.
Wellmann
Kießler