Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 18.11.2004, Az.: L 5 V 4/03
Während der Ausübung des militärischen Dienstes erlittene Gesundheitsbeschädigung; Rechtlicher Status eines Berufssoldaten; Begriff des militärischen Dienstes; Vertriebener und Spätaussiedler
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 18.11.2004
- Aktenzeichen
- L 5 V 4/03
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2004, 29084
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2004:1118.L5V4.03.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 10.09.2002 - AZ: S 18 V 9/99
Rechtsgrundlagen
- § 89 Abs. 1 BVG
- § 2 Abs. 2 BVG
- § 124 Abs. 2 SGG
- § 143 SGG
- § 56 Abs. 1 Nr. 1 SGB I
- § 59 S. 2 SGB I
- § 1 Abs. 1 BVG
- § 2 Abs. 1 BVG
- § 4 BVG
- § 7 Abs. 1 Nr. 3 BVG
- § 54 Abs. 2 S. 2 SGG
Redaktioneller Leitsatz
Gemäß § 89 Abs. 1 BVG kann mit Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung ein Ausgleich gewährt werden, sofern sich in einzelnen Fällen aus den Vorschriften des BVG besondere Härten ergeben. Darunter fallen auch Kontingentflüchtlinge, wenn sie Wehrdienst in einer fremden Armee (vor dem 09. Mai 1945) geleistet haben. Hingegen ist die Härteausgleichsregelung auf Berufssoldaten nicht anwendbar. Nach Auffassung des Senats umfassen die Vorschriften über den Härteausgleich auch Soldaten, die seinerzeit die gesetzliche Wehrpflicht der UDSSR in der Roten Armee erfüllt haben. Diese Soldaten sind nicht Berufssoldaten gewesen. In der UDSSR gab es bis zu deren Auflösung keine Berufsarmee.
Tenor:
Das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 10. September 2002 wird geändert. Der Beklagte wird verurteilt, den Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung im Wege des Härteausgleichs gem. § 89 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 BVG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden. Der Bescheid vom 27. Mai 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Juli 1998 wird insoweit aufgehoben. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Der Beklagte trägt die Hälfte der außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um Beschädigtenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG), hilfsweise um die Gewährung eines Härteausgleiches nach dem BVG.
Die Klägerin ist die Witwe und Rechtsnachfolgerin des am 23. Juni 1923 geborenen und am 27. Juli 1997 verstorbenen Versorgungsberechtigten (VB) Fedor Eidelmann. Der VB wurde als Kind jüdischer Eltern in der Ukraine geboren. Nach Übersiedlung in die Bundesrepublik im Jahre 1992 hatte er den Status eines Kontingentflüchtlings. Im Jahre 1996 stellte der VB einen Antrag auf Einbürgerung. Der VB war der deutschen Sprache nicht mächtig.
Im Juni 1941 schloss der VB die Oberschule in der Ukraine nach Vollendung der 10. Klasse ab. Im Januar 1942 wurde der VB in die Rote Armee eingezogen. Von Februar bis Oktober 1942 besuchte er die Infanterie-Militärschule in Krasnocholmsk als Offiziersschüler. Von Oktober 1942 bis April 1943 war er Zugführer eines Schützenzuges. Ab April 1943 war er Kompaniechef einer Schützenkompanie im Range eines Leutnants. Ab April 1944 wurde er als Stabschef eines Bataillons eingesetzt. Am 29. Juli 1944 wurde er als Adjutant im Rang eines Oberleutnants im Baubataillon des 115. Schützenregimentes an der deutsch-russischen Front nordwestlich von Brest in Weißrussland von einem Granatsplitter im linken Kiefergelenk verletzt. Ab Dezember 1944 wurde er als Stellvertreter des Kommandeurs des Schützenbataillons eingesetzt. Ab Februar 1945 war der VB Kommandeur des Schützenbataillons. Am 29. April 1945 erlitt der VB bei einem Fronteinsatz vor der Stadt Schwerin eine weitere schwere Verwundung am linken Bein. Zu diesem Zeitpunkt stand er im Range eines Gardemajors der Garde- Schützendivision eines Baubatallions. Nach Kriegsende verblieb der VB in der Roten Armee. Von 1947 bis 1950 diente er als Kommandeur eines Kampftruppenteils. 1962 wurde er Regimentskommandeur. Danach wechselte er 1962 zur Nordmeerflotte. 1967 wurde er als Besatzungskommandeur einer Schiffsstammabteilung im Enddienstgrad eines Oberst aus gesundheitlichen Gründen in den Ruhestand versetzt. Der VB hatte den Status eines Kriegsinvaliden, der ihm auf Grund der Gesetzgebung der UdSSR und der Unionsrepubliken für die Invaliden des Vaterländischen Krieges das Recht auf Vergünstigungen und Ermäßigungen gab (Invalidenausweis vom 26. April 1991).
Im Juni 1992 stellte der VB einen Antrag auf Beschädigtenversorgung, der erfolglos blieb, weil der VB weder Deutscher, deutscher Volkszugehöriger noch Vertriebener im Sinne des BVG sei (Bescheid vom 4. Juni 1992). Ein im Februar 1994 gestellter Antrag auf Beschädigtenversorgung blieb aus denselben Gründen erfolglos (Bescheid vom 18. April 1994).
Nachdem der VB einen Einbürgerungsantrag gestellt hatte, stellte er im April 1996 erneut einen Antrag auf Beschädigtenversorgung. Unter Vorlage diverser medizinischer und militärischer Unterlagen gab er an, ohne seinen Willen Offizier geworden zu sein. Nach Kriegsende habe er mehrfach Entlassungsgesuche aus der Armee gestellt, die jedoch abgelehnt worden seien. Der Antrag blieb erneut erfolglos. Zur Begründung führte der Beklagte wiederum an, dass der VB nicht zu dem nach dem BVG anspruchsberechtigten Personenkreis zähle. Zwar könne mit Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung bei Kontingentflüchtlingen eine Ausnahmeregelung getroffen werden. Die Voraussetzungen hierfür erfülle der VB aber nicht, weil er nicht Wehrdienst in der russischen Armee geleistet habe, sondern als Berufssoldat tätig gewesen sei, wofür der Offiziersstatus, zuletzt im Rang eines Oberst spreche (Bescheid vom 27. Mai 1997).
Unter Bezugnahme auf die Bescheinigung des Gebietsmilitärkommissariats der Stadt Kiew vom 17. Juni 1997, wonach der VB am 17. Januar 1942 in den Militärdienst einberufen worden ist und einer weiteren Archivauskunft des staatlichen Archivs des Orenburger Gebiets vom 16. März 1990 legte der VB Widerspruch ein. Nach Vorlage der Stellungnahme des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes der Stadt Potsdam vom 17. Juni 1998, wonach der VB den Status eines Berufssoldaten gehabt habe, da eine gesetzliche Wehrpflicht nicht bestanden habe, blieb der Widerspruch erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 1998).
Hiergegen hat die Klägerin am 22. Januar 1999 vor dem Sozialgericht (SG) Hannover Klage erhoben. Sie hat sich darauf berufen, dass der VB Wehrdienst in einer fremden Armee geleistet habe. Er sei in den Militärdienst einberufen worden, so dass der Wehrdienst nicht freiwillig abgeleistet worden sei. Der eigentliche Berufswunsch des VB sei Ingenieur gewesen. Es gebe keinen Grund, Berufssoldaten fremder Herkunftsländer von der Beschädigtenversorgung auszuschließen. Das Sozialgericht (SG) hat eine Stellungnahme des Institutes für Militärgeschichte für Streitkräfte GUF in Moskau vom 18. Juli 2000 eingeholt, wonach es nach dem zweiten Weltkrieg keine Berufsarmee gegeben habe. Die Einberufung der Bürger habe auf einer allgemeinen Militärdienstpflicht beruht. Im August 1941 sei die Mobilisierung der Militärdienstpflichtigen, insbesondere des Jahrganges 1923 erfolgt.
Daraufhin hat das SG die Klage mit Urteil vom 10. September 2002 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der VB nicht zu dem anspruchsberechtigten Personenkreis gem. §§ 1, 2 BVG zähle, da er weder Deutscher, deutscher Volkszugehöriger, Vertriebener noch Spätaussiedler gewesen sei. Auch stehe ihm ein Anspruch nach § 7 Abs. 1 Nr. 3 zweite Alternative BVG nicht zu, weil der VB militärischen Dienst außerhalb der deutschen Wehrmacht geleistet habe. Es fehle auch an den Voraussetzungen für die Gewährung eines Härteausgleichs gem. § 89 Abs. 1 BVG, wie sie in den Rundschreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom 02. Mai 1994 (Az.: VI 1-5200) und vom 11. April 1995 (Az.: VI 1-5200) formuliert sind. Der VB sei weder deutschsprachig noch Verfolgter des Nationalsozialismus gewesen. Im Übrigen scheiterten die Voraussetzungen daran, dass der VB den Status eines Berufssoldaten gehabt habe. Unter Bezugnahme auf das Urteil des BSG vom 18. Juni 1996, Az.: 9 RV 6/94 (SozR 3-5050 § 5 Nr. 2 = BSGE 78, 265) sei der Ausschluss von Versorgung wegen eines im feiwilligen Wehrdienst erlittenen Unfalls keine besondere Härte; die nichtfreiwillige Leistung des Wehrdienstes sei vielmehr Voraussetzung für die Gewährung eines Härteausgleichs. In Ländern ohne Berufssoldatentum mit gleichzeitiger Wehrpflicht überwiege die freiwillige Ableistung des Wehrdienstes immer dann, wenn der Soldat in auffälliger Art und Weise eine militärische Karriere durchlaufen habe, denn nur besonders verlässliche, kompetente und treu ergebene Soldaten könne es gelingen, in jungen Jahren derart herausgehobene Ämter zu erlangen. Vom Eintritt in die Offizierschule an habe der VB einen Status ähnlich dem eines Berufssoldaten gehabt. Die militärische Karriere habe der VB dann konsequent auch über das Ende des Krieges hinaus bis zu seinem Ruhestand fortgeführt. Auch dies spreche für eine freiwillig abgeleistete Militärzeit.
Hiergegen richtet sich die am 28. Januar 2003 eingelegte Berufung. Unter Vertiefung des erstinstanzlichen Vorbringens meint die Klägerin, dass der VB nicht einem Berufssoldaten gleichzustellen sei. Unter Vorlage zweier Bestätigungen der Brüder des verstorbenen VB beruft sich die Klägerin darauf, dass der VB die Militärschule nicht freiwillig besucht habe. Nach dem Krieg habe er mehrere Entlassungsanträge aus dem Militärdienst gestellt, die jedoch abschlägig beschieden wurden, weil der VB in der Armee anderweitig verwendet worden sei. Der VB habe an sich Ingenieur werden wollen. Hierfür spreche auch, dass er während des Krieges als so genannter "Bausoldat" tätig gewesen sei.
Die Klägerin beantragt sinngemäß schriftsätzlich,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 10. September 2002, den Bescheid des Beklagten vom 27. Mai 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 1998 aufzuheben,
- 2.
den Beklagten zu verurteilen, Beschädigtenversorgung nach einer MdE von mindestens 25 v.H. für die Zeit vom 01. April 1996 bis 31. Juli 1997 zu gewähren,
hilfsweise,
- 3.
den Beklagten zu verurteilen, den Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung im Wege des Härteausgleichs nach § 89 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 BVG unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung des Sachverständigengutachtens des Historikers Dr. Bernhard Chiari vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Potsdam vom 18. August 2004.
Die Beschädigtenakte des VB, Az.: 803 039 03, und die Prozessakten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens haben vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidung gewesen. Im Einzelnen wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Mit Zustimmung der Beteiligten hat der Senat gem. § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entschieden.
Die gemäß § 143 SGG zulässige Begründung ist teilweise begründet. Der Klägerin stehen als Sonderrechtsnachfolgerin im Sinne der §§ 56 Abs. 1 Nr. 1, 59 Satz 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) Ansprüche auf Beschädigtenversorgung nicht zu, weil der VB nicht zu dem nach § 1 Abs. 1, § 2 Abse. 1 und 2, § 7 Abs. 1 Nr. 3 BVG anspruchsberechtigten Personenkreis zählt. Insoweit haben das SG und der Beklagte die Ansprüche zu Recht abgelehnt.
Anspruch auf Versorgung hat, wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch diesem diensteigentümlichen Verhältnis eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat (§ 1 Abs. 1 BVG). Militärischer Dienst im Sinne dieses Gesetzes ist gem. § 2 Abs. 1 BVG
- a)
jeder nach deutschen Wehrrecht geleistete Dienst als Soldat oder Wehrmachtbeamter,
- b)
der Dienst im deutschen Volkssturm,
- c)
der Dienst in der Feldgendarmerie,
- d)
der Dienst an den Heimatflakbatterien.
Als Soldat der russischen Armee unterfällt der VB nicht dem genannten Personenkreis.
Gem. § 2 Abs. 2 BVG steht bei Vertriebenen im Sinne des § 1 BVG, die Deutsche oder deutsche Volkszugehörige sind, die Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht nach den Vorschriften des Herkunftslands vor dem 09. Mai 1945 dem Dienst in der deutschen Wehrmacht gleich. Satz 1 gilt auch für Spätaussiedler im Sinne des § 4 des Bundesvertriebenengesetzes (§ 2 Abs. 2 BVG). Da der VB weder Deutscher, noch deutscher Volkszugehöriger oder Spätaussiedler war, unterfällt er auch nicht diesem Personenkreis.
Gem. § 7 Abs. 1 Nr. 3 BVG wird das Gesetz auch angewendet auf andere Kriegsopfer, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes haben, wenn die Schädigung mit einem Dienst im Rahmen der deutschen Wehrmacht oder militärähnlichem Dienst für eine deutsche Organisation in ursächlichem Zusammenhang steht (1. Alt.) oder in Deutschland oder in einem zurzeit der Schädigung von der deutschen Wehrmacht besetzten Gebiet durch unmittelbare Kriegseinwirkung eingetreten ist (2. Alt.). Der VB hat weder im Sinne der ersten Alternative von § 7 Abs. 1 Nr. 3 BVG Dienst im Rahmen der deutschen Wehrmacht noch einen militärähnlichen Dienst für eine deutsche Organisation geleistet. Es besteht kein Zweifel daran, dass der VB ausschließlich als Soldat der Roten Armee gedient hat. Auch die zweite Alternative von § 7 Abs. 1 Nr. 3 BVG lässt sich nicht feststellen. Es mag dahinstehen, ob die örtlichen Voraussetzungen dieser Alternative vorliegen. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung greift die zweite Alternative dem Sinn und Zweck der Vorschrift bereits dann nicht, wenn der militärische Dienst außerhalb des Rahmens der deutschen Wehrmacht geleistet worden ist und in Ausübung dieses Dienstes Gesundheitsschäden durch Kampfhandlungen eingetreten sind (vgl. BSGE 45, 166 = SozR 3100 § 7 Nr. 5; BSGE 89, 207 = SozR 3-3100 § 7 Nr. 7). Demnach hat die erste Alternative des § 7 Abs. 1 Nr. 3 BVG für ausländische Kombattanten Vorrang. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die zweite Alternative von § 7 Abs. 1 Nr. 3 BVG einen für Dienstleistenden außerhalb des Rahmens der deutschen Wehrmacht von den übrigen Merkmalen der ersten Alternative unberührt bleibenden zusätzlichen Versorgungsanspruch schaffen wollte (vgl. BSGE 45, 166 = SozR 3100 § 7 Nr. 5).
Die Berufung ist insoweit begründet, als der Beklagte über den zu 3. gestellten Hilfsantrag nach pflichtgemäßem Ermessen neu zu entscheiden haben wird. Insofern waren die angefochtenen Bescheide aufzuheben. Das SG hat den zulässigen Bescheidungsantrag (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG) zu Unrecht abgewiesen. Der Beklagte hat von seinem Ermessen, im Wege des Härteausgleichs über die Beschädigtenversorgung zu entscheiden (§ 89 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 BVG), in einer nicht dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht. Der Beklagte hat verkannt, dass der VB im Zeitpunkt der beiden Kriegsverwundungen Wehrdienst in einer fremden Armee geleistet bzw. die gesetzliche Wehrpflicht nach den Vorschriften des Herkunftslandes vor dem 09. Mai 1945 erfüllt hat (§ 2 Abs. 2 BVG).
Gem. § 89 Abs. 1 BVG kann mit Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung ein Ausgleich gewährt werden, sofern sich in einzelnen Fällen aus den Vorschriften des BVG besondere Härten ergeben. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung kann der Gewährung von Härteausgleich allgemein zustimmen (§ 89 Abs. 2 BVG). Das BMA hat mit Rundschreiben vom 02. Mai 1994 (Az.: VI 1-5200) geregelt, dass unter § 89 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 BVG folgende Fallgruppen Ansprüche nach dem BVG geltend machen können:
- 1.
deutschsprachige Juden aus den Ostgebieten bzw. Ost- und Südosteuropa, die ihren Wehrdienst in der Roten Armee oder in einer anderen fremden Armee abgeleistet haben (Zeitraum 01. September 1939 bis 08. Mai 1945).
- 2.
Verfolgte des Nationalsozialismus (z.B. polnische oder russische Juden), die ebenfalls vor dem 09. Mai 1945 Wehrdienst in der Roten Armee oder in einer anderen fremden Armee geleistet haben. 3. Kontingentflüchtlinge, wenn sie
- a)
Wehrdienst in einer fremden Armee (vor dem 09. Mai 1945) geleistet haben oder eine Gesundheitsschädigung durch unmittelbare Kriegseinwirkungen außerhalb des deutsch-besetzten Gebietes (aber innerhalb des Kampfgebietes) erlitten haben,
- b)
Gesundheitsschäden durch unmittelbare Kriegseinwirkung im deutsch-besetzten Gebiet erlitten haben.
Diesen Fallgruppen sei gemeinsam, dass sie durch die Ansiedlung in Deutschland bzw. den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit Ansprüche auf Kriegsopferversorgung gegen ihr Herkunftsland verloren hätten. In Fällen zu 1. bis 3. a) bestünden keine Bedenken, Versorgung im Wege des Härteausgleichs nach § 2 Abs. 2 i.V.m. § 89 Abs. 1 BVG zu gewähren, wenn die Antragsteller im Zeitpunkt der Antragstellung die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hätten.
Mit weiterem Rundschreiben vom 11. April 1995 (Az.: VI 1-5200) wies das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung darauf hin, dass die in dem Rundschreiben vom 02. Mai 1994 dort aufgezeigten Fallkonstellationen 2. und 3. a) als rechtlich problematisch erachtet wurden, wenn die Betroffenen im Zeitpunkt der Antragstellung die deutsche Staatsangehörigkeit nicht oder noch nicht erworben hätten. In diesen Fällen sei wie folgt zu verfahren:
- Die Betroffenen werden angehalten, einen Antrag auf Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit zu stellen.
- Bei Vorliegen aller sonstigen Voraussetzungen kann danach mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung im Einzelfall ein Vorbehaltsbescheid erteilt werden, der an den endgültigen Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit und den ständigen Aufenthalt in der Bundesrepublik anknüpft.
Mit weiterem Rundschreiben vom 20. Dezember 1996 (Az.: VI 1-5200) teilte das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung mit , dass aus Anlass eines Einzelfalles die Frage aufgeworfen worden sei, ob dem Härteausgleich nach § 89 Abs. 1 BVG auch dann zugestimmt werden könne, wenn der Antragsteller im Zeitpunkt der Schädigung Berufssoldat gewesen sei. Da § 2 Abs. 2 BVG ausdrücklich nur solche Personen erwähne, die ihre gesetzliche Wehrpflicht nach den Vorschriften des Herkunftslandes erfüllt hätten, dürfe nach Auffassung des Bundesministeriums das Gesetz nicht durch § 89 Abs. BVG unterlaufen werden.
Zur Überzeugung des Senats steht nach Einholung des Sachverständigengutachtens des Historikers Dr. Chiari vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Potsdam vom 18. August 2004 fest, dass der VB die kriegsbedingten Gesundheitsschädigungen an der deutsch-russischen Front am 29. Juli 1944 und am 29. April 1945 in Ausübung seines Wehrdienstes in einer fremden Armee (vor dem 09. Mai 1945) erlitten hat. Die in den zitierten Rundschreiben des BMA vom 02. Mai 1994 und 11. April 1995 aufgezeigte Fallkonstellation der Ersten Alternative der Nr. 3a (Wehrdienst in einer fremden Armee vor dem 09. Mai 1945) lässt sich auf Grund der Ausführungen des Sachverständigen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststellen. Dr. Chiari hat die Einberufungspraxis in die Rote Armee zum damaligen Zeitpunkt überzeugend geschildert. Danach steht fest, dass der VB im Januar 1942 nicht freiwillig in die Rote Armee eingetreten ist. Der VB wurde vielmehr in Befolgung eines Gestellungsbefehls der sowjetischen Behörden zum Wehrdienst eingezogen. Grundlage des Einberufungsbefehls war das Gesetz des obersten Sowjets der UDSSR über die allgemeine Militärdienstpflicht vom 01. September 1939. Dieses sah u.a. eine Grundwehrdienstzeit zwischen 2 und 5 Jahren - abhängig von der Waffengattung - und die Einberufung für Abgänger der Mittelschulen ab dem 18. Lebensjahr vor. § 3 des Gesetzes regelte, dass alle männlichen Bürger der UDSSR, ohne Unterscheidung der Rasse, der Nationalität, des Glaubensbekenntnisses, des Bildungsstandes, der Abstammung und des sozialen Standes verpflichtet waren, Militärdienst in den Streitkräften der UDSSR zu leisten. Dieses Gesetz wurde bereits vor dem deutschen Angriff und vor Ausrufung des Kriegszustandes am 22. Juni 1941 angesichts der Bedrohung durch die deutsche Wehrmacht dahingehend modifiziert, dass zur Erhöhung des sowjetischen Verteidigungspotenzials eine Entlassungssperre für Wehrpflichtige bis Kriegsende befohlen wurde. Das Ausscheiden aus den Streitkräften war nur noch bei entsprechend schwerer Verwundung oder dem militärisch angeordneten Einsatz in einem anderen Bereich, wie etwa der Rüstungsindustrie möglich. Es steht daher zur Überzeugung des Senats fest, dass der VB in Erfüllung der gesetzlichen Wehrpflicht nach den Vorschriften des Herkunftslandes vor dem 9. Mai 1945 im Sinne von § 2 Abs. 2 BVG in die Rote Armee eingezogen worden ist.
Diese Beurteilung trifft auch mindestens bis zum Zeitpunkt der beiden Verwundungen am 29. Juli 1944 und am 29. April 1945 zu. Dem steht nicht entgegen, dass der VB mit dem Eintritt in die Offiziersschule im Februar 1942 die Offizierslaufbahn eingeschlagen hat und seitdem im Rang eines Offiziers stand. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen gab es eine Berufsarmee in der UDSSR bis zu deren Auflösung nicht. Deshalb war auch der Begriff des Berufssoldaten nach Auskunft des Moskauer Instituts für Militärgeschichte des Verteidigungsministeriums der russländischen Förderation vom 18. Juni 2000 nicht gebräuchlich. Den rechtlichen Status eines Berufssoldaten kann der VB deshalb nicht gehabt haben. Hiervon zu unterscheiden ist der faktische und gesellschaftliche Status von russischen Offizieren, die eine privilegierte Stellung in den Streitkräften und eine zentrale Funktion im stalinistischen Staat hatten. Auch wenn der Besuch einer Offiziersschule gleich bedeutend war mit einer lebenslangen Ausübung des Offizierberufes, erfolgten die Verwundungen des VB an der deutsch-russischen Front nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen infolge eines militärisch begründeten Befehls in Ausübung des Wehrdienstes, der auf einer gesetzlich begründete Militärpflicht beruhte. Die gesetzliche Militärpflicht dauerte mindestens bis zum Ende des Krieges an. Sie war nach den geschilderten Umständen seinerzeit so maßgeblich, dass sich der VB ihr nicht ohne erhebliche persönliche Folgen hätte entziehen können. Ein unter solchen Bedingungen im zweiten Weltkrieg unter Fronteinsatz abgeleisteter Wehrdienst lässt sich in dieser Konstellation nicht als "freiwillig" einstufen, denn die gesetzlich begründete Militärpflicht gab dem Wehrdienst das maßgebliche Gepräge. Diese Beurteilung entspricht im Übrigen auch den glaubhaften schriftlichen Angaben des VB und seiner Brüder, die wiederholt dargelegt haben, dass der VB "nicht freiwillig" Offizier geworden sei. Dass der VB nach Ende des Krieges eine militärische Bilderbuchkarriere in der damaligen Sowjetunion durchlaufen ist, mindert diese Bewertung nicht. Es kommt lediglich auf den Zeitpunkt der Verwundungen an; eine Berufsarmee ist erst später begründet worden.
Das vom Sozialgericht angeführte Urteil des Bundessozialgerichts vom 18. Juli 1996, Az.: 9 RV 6/94 (SozR 35050 § 5 Nr. 2 = BSGE 78, 265) steht diesen Feststellungen nicht entgegen. In der vorgenannten Entscheidung ging es um die Frage, ob ein im freiwilligen Wehrdienst der Nationalen Volksarmee erlittener Dienstunfall im Wege des Härteausgleichs nach § 89 Abs. 1 BVG i.V.m. § 82 Abs. 2 BVG zu entschädigen ist. Zurzeit des Unfalles im Jahre 1960 gab es in der DDR keine gesetzliche Wehrpflicht. Es handelt sich im Übrigen um eine Einzelfallentscheidung, die keine Rückschlüsse auf die hier vorliegende Problematik zum kriegsbedingten Wehrdienstes in der Roten Armee zulässt. Im Übrigen ist auch keine entgegenstehende Entscheidung des Bundessozialgerichts zu dieser Frage ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein Grund, die Revision zuzulassen, besteht nicht § 160 Abs. 2 SGG.