Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 30.05.2008, Az.: 16 K 467/05
Erzielung von Einkünften aus Gewerbebetrieb mit dem Betrieb von Wohnungen zum Zweck der Ausübung der Prostitution; Ermittlung gewerblicher Einkünfte i.R. einer Schätzung nach den Grundsätzen des Betriebsvermögensvergleichs; Ermittlung von Besteuerungsgrundlagen mithilfe von Wahrscheinlichkeitsüberlegungen; Schätzung von Umsätzen aus der Tätigkeit von Prostituierten
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 30.05.2008
- Aktenzeichen
- 16 K 467/05
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 27301
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2008:0530.16K467.05.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- BFH - 23.10.2008 - AZ: X B 168/08
Rechtsgrundlagen
- § 15 EStG
- § 162 Abs. 1 AO
Fundstelle
- Jurion-Abstract 2008, 228789 (Zusammenfassung)
Amtlicher Leitsatz
Orientierungssatz: Einkommensteuer 1998 - 2000
Schätzung von Umsätzen aus der Tätigkeit von Prostituierten
Tatbestand
Der Kläger ist ledig und wird zur Einkommensteuer allein veranlagt. In den Streitjahren erzielte er u.a. Einnahmen aus der Tätigkeit von Prostituierten. Dabei war er vereinbarungsgemäß teilweise gemeinschaftlich mit seinem Bekannten A tätig.
Zur Erzielung der Einnahmen hatte A Anfang 1996 für eine Kaltmiete von monatlich 1.650 DM eine Wohnung in der C-Straße 42 a, in V gemietet. Bei dem Mietobjekt handelt es sich um ein kleines einstöckiges Gebäude mit einer Küche, einem Wohnraum und zwei Schlafzimmern. Die Wohnung diente in der Zeit vom 01.07.1996 bis 26.08.2000 der Ausübung der Prostitution.
A hatte ferner zumindest seit dem 01.01.1997 das Einfamilienhaus G-Straße 3 in B gemietet. Im Erdgeschoss befanden sich ein Raum mit Sitzecke und Bartresen sowie zwei weitere Räume, ein Badezimmer und eine Küche. Das Obergeschoss bestand aus drei Zimmern, einem kleinen Badezimmer und einem Wohnzimmer. Die monatliche Nettomiete betrug 1.200 DM. Ab 01.05.1998 war der Kläger Mieter des Grundstücks. Seit dieser Zeit diente das Obergeschoss ihm und seiner Lebensgefährtin S als Wohnung. Im Übrigen wurde das Grundstück in der Zeit vom 01.01.1997 bis 26.08.2000 zur Ausübung der Prostitution genutzt.
Alle in den Wohnungen tätigen Prostituierten waren von dem Kläger und A allein oder gemeinschaftlich eingesetzt worden. Für die Wohnungen in B und V hatte A mit einzelnen Prostituierten formal Mietverträge abgeschlossen.
Am 25.02.1999 erteilte die Stadt C dem Kläger die Konzession für den Betrieb des Nachtlokals "O" in der P-Straße 23 in C als Schankwirtschaft und Nachtlokal. In dem zweigeschossigen Gebäudekomplex befand sich im Erdgeschoss ein größerer Barraum mit Sitzmöglichkeiten. Im Obergeschoss befanden sich neben einer abgetrennten Wohnung sieben Räume, von denen fünf mit Betten ausgestattet waren, sowie ein Badezimmer mit Whirlpool. Die Räume waren von der Rückfront des Gebäudes über einen umschlossenen Innenhof des Gebäudekomplexes zu erreichen. Pächter des Erdgeschosses war der Kläger; Mieter der darüber gelegenen Räume war A.
Die "O" wurde als Nachtlokal betrieben. Gleichzeitig bestand die Möglichkeit, Kontakt zu Prostituierten aufzunehmen. Die Prostitution wurde in den über dem Nachtlokal gelegenen Zimmern ausgeübt. Die in der O tätigen Prostituierten wurden überwiegend von dem Kläger und A angeworben. Gelegentlich waren in dem Nachtlokal von Dritten gestellte Prostituierte tätig. Die Bezahlung der Prostituierten erfolgte überwiegend im Nachtlokal, teilweise unter Verwendung eines Geldabrechnungsgerätes. In Zeiten, in denen mehr Prostituierte nachgefragt als anwesend waren, wurden weitere Prostituierte aus den Wohnungen in V und/oder B in die "O" gebracht.
Die Prostitution wurde in den von A im Obergeschoß der "O" angemieteten Räumen in der Zeit vom 01.03.1999 bis 26.08.2000 ausgeübt. Für die Räume über dem Erdgeschoss zahlte A nach den Vereinbarungen im Mietvertrag eine monatliche Miete in Höhe von 1.400 DM. Ferner bedienten sich der Kläger und A im Jahre 1999 Hilfstätigkeiten ihres Bekannten W, der hierfür insgesamt 5.000 DM erhielt.
Zwischen dem Kläger und A bestand Einigkeit, den Betrieb der Prostitution in B und V in der Zeit vom 01.01.1997 bis 30.04.1998 und in der "O" vom 01.03.1999 bis 26.08.2000 gemeinschaftlich auszuüben. Entsprechend traten sie in dieser Zeit auch Dritten gegenüber nach außen hin auf.
Von den Bruttoeinnahmen verblieb die Hälfte als Lohn bei den Prostituierten. Die andere Hälfte erhielten der Kläger und A, die hieraus auch die Kosten zu tragen hatten. Die verbleibenden Einkünfte wurden zwischen ihnen geteilt.
Der Kläger und A hatten die Einnahmen aus dem Betrieb der Prostitution weder in ihren Einkommensteuererklärungen erklärt noch Umsatzsteuererklärungen abgegeben. Der Kläger hatte lediglich den Gewinn aus dem Barbetrieb in der "O" für 1999 i.H.v. 33.956 DM und für 2000 i.H.v. 10.168 DM erklärt.
Nach den Feststellungen einer Fahndungsprüfung und den ihnen zugrunde liegenden polizeilichen Feststellungen waren in den Wohnungen bei Polizeikontrollen mehrfach regelmäßig teilweise mehrere, überwiegend aus osteuropäischen Ländern stammende Prostituierte angetroffen worden. Nach den Feststellungen waren in den Wohnungen neben im Einzelnen nicht näher identifizierten Prostituierten zumindest folgende Prostituierte in folgendem Umfang tätig:
MF vom 27.08.1997 bis 30.11.1997 an 93 Tagen in V und B, GM an 21 Tagen im August bis September 1997 in B, MG an 60 Tagen in der Zeit von September bis Dezember 1997 in B, AJ an 231 Tagen in der Zeit von Oktober 1997 bis Juni 1998 in B, AS an 47 Tagen in der Zeit vom 06.03. bis 23.04.1998 in B, LP an 14 Tagen in der Zeit vom 10.04.1998 bis 23.04.1998 in B, AR an 84 Tagen in der Zeit vom 05.03. bis 29.05.1999 in V, LC an 165 Tagen in der Zeit vom 09.03. bis 24.08.1999 in V und B und an 111 Tagen vom 05.05. bis 26.08.2000 in B, LB an 222 Tagen vom 10.05. bis 21.12.1999 in V, MK an 63 Tagen vom 27.05. bis 30.07.1999 in V und in der "O", OM an 85 Tagen vom 28.05. bis 23.08.1999 in V, BK an 23 Tagen vom 07.07. bis 30.07.1999 in V und in der "O", EZ an 51 Tagen vom 01.11. bis 21.12.1999 in V und in der "O" und an 101 Tagen vom 15.05. bis 26.08.2000 in der "O", VC an 20 Tagen vom 03.08. bis 23.08.1999 in V, NH an 20 Tagen vom 03.08. bis 23.08.1999 in V, NB an 81 Tagen vom 01.10. bis 21.12.1999 in der "O", IV an 19 Tagen vom 29.11. bis 18.12.1999 in der "O", an 45 Tagen vom 19.01. bis 04.03.2000 in V, an 30 Tagen vom 10.03. bis 09.04.2000 in B, an 26 Tagen vom 10.04.2000 bis 06.05.2000 in der "O" und an 22 Tagen vom 15.05. bis 07.06.2000 in V und in der "O", i.F. an 113 Tagen vom 21.01. bis 14.05.2000 in V und an 31 Tagen vom 25.07. bis 26.08.2000 in V und in der "O", HN an 26 Tagen vom 16.02. bis 12.04.2000 in der O und an 4 Tagen vom 15.06. bis 19.06.2000 in der "O", JD an 101 Tagen vom 21.03. bis 02.07.2000 und an 12 Tagen vom 25.07. bis 07.08.2000 in der "O", EO an 2 Tagen vom 25. - 26.03. in der "O", an 6 Tagen vom 27.03. bis 02.04.2000 in B und an 50 Tagen vom 17.04. bis 07.06.2000 in V, VV an 41 Tagen vom 15.07.2000 bis 26.08.2000 in B, SM an 84 Tagen vom 01.03. bis 24.05.2000 in V und in der "O" und an 66 Tagen vom 16.06. bis 22.08.2000 in B, TB an 32 Tagen vom 05.05. bis 07.06.2000 in V, NP an 10 Tagen vom 27.05. bis 07.06.2000 in V, AS an 68 Tagen vom 18.06. bis 26.08. in V und in der "O", IP jeweils an 7 Tagen in der Zeit von Mitte Juli bis 08.08.2000 in der "O", OD an 46 Tagen vom 10.07. bis 26.08.2000 in V und in der "O" und MT an 7 Tagen vom 20.08. bis 26.08.2000 in der "O".
Daneben waren eine Vielzahl weiterer Prostituierter in den Wohnungen tätig, die im Einzelnen nicht identifiziert werden konnten. In ihren Vernehmungen hatten identifizierte Prostituierte angegeben, dass in den Wohnungen teilweise mehrere Prostituierte gleichzeitig tätig waren. Ferner sei die Anzahl der Freier wie auch die Höhe des von ihnen gezahlten Entgelts sehr unterschiedlich gewesen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Abschlussbericht der Staatsanwaltschaft ... vom 22.03.2001 (602 Js 4905/00) verwiesen.
Mit Urteil des Landgerichts ... vom 31. Mai 2005 (22 KLs 9/02) wurden der Kläger und A wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz durch gewerbsmäßiges Einschleusen von Ausländern jeweils zu Freiheitsstrafen von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Im Hinblick auf diese Verurteilung war ein gegen den Kläger vom Finanzamt für Fahndung und Strafsachen ... eingeleitetes Steuerstrafverfahren (Az.: 2001/00404/3) gem. § 154 StPO eingestellt worden.
Der Beklagte ging davon aus, dass der Kläger in erheblichem Umfang Einkünfte aus dem Betrieb der Prostitution erzielt hatte.
Da über die Umsätze und Einkünfte keine Aufzeichnungen geführt worden waren, schätzte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen. Grundlage der Schätzung waren die im Abschlussbericht der Staatsanwaltschaft ... enthaltenen Aussagen der in den einzelnen Wohnungen tätig gewesenen Prostituierten. Darüber hinaus ging der Beklagte davon aus, dass der Kläger gemeinsam mit A Einkünfte aus der Einschleusung von Prostituierten aus dem Ausland in die Bundesrepublik Deutschland erzielt hatte.
Die Einkommensteuer setzte er mit Einkommensteuerbescheiden 1998 bis 2000 vom 17.12.2001 entsprechend fest. Der dagegen eingelegte Einspruch war erfolglos. Hiergegen richtet sich die Klage.
Der Kläger ist der Auffassung, die Schätzung des Beklagten beruhe auf weitgehend willkürlich angenommenen Besteuerungsgrundlagen. Monatlich seien höchstens 25 Tage der Einnahmeerzielung zugrunde zu legen. Auch der durchschnittlich ermittelte Lohn von 150 DM pro Freier sei überhöht und mit maximal 75 DM zu berücksichtigen. In der Wohnung in B seien durchschnittlich höchstens zwei und in der O höchstens 3 Prostituierte bei 1 Freier pro Prostituierter tätig gewesen. In der Wohnung in V seien durchschnittlich höchstens 1,5 Prostituierte bei durchschnittlich 1,5 Freiern pro Tag tätig gewesen. Ferner seien für die Wohnungen in B und V neben der Miete Hausnebenkosten für Wasser, Strom, Heizung, Telefon, Werbeanzeigen sowie weitere Kosten in Höhe von insgesamt 1.500 DM zu berücksichtigen.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Einkommensteuer 1998 - 2000 herabzusetzen und Einkünfte aus Gewerbebetrieb für die Einkommensteuer 1998 i.H.v. 1.536 DM, für 1999 i.H.v. 35.289 DM und für 2000 i.H.v. 14.180 DM zugrunde zu legen..
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, die von der Steuerfahndung ermittelten Grundlagen der Schätzung hätten sich weitgehend an den tatsächlichen Verhältnissen orientiert. Die Anzahl der Prostituierten, der Freier und der gezahlte Prostituiertenlohn seien durch verschiedene Aussagen von Prostituierten belegt. Daraus seien Durchschnittswerte ermittelt worden, die die tatsächlichen Verhältnisse im Wesentlichen realitätsgerecht wiedergäben. Da die Durchschnittswerte in einem inneren Zusammenhang stünden, seien sie isoliert nicht beliebig veränderbar. Die Bildung von Durchschnittswerten sei erforderlich gewesen, da sowohl die Anzahl der Prostituierten wie der Freier wie auch die Höhe des gezahlten Lohnes erheblichen Schwankungen unterlägen hätten. Weitere Betriebsausgaben könnten nicht berücksichtigt werden, da der Kläger keine weiteren Unterlagen über entstandene Kosten nachgewiesen habe.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist teilweise begründet.
Der Beklagte ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger mit dem Betrieb der Wohnungen zum Zweck der Ausübung der Prostitution Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielte. Die von dem Kläger in den Streitjahren ausgeübte Tätigkeit erfüllt den Tatbestand gewerblicher Tätigkeit i.S.v. § 15 Einkommensteuergesetz (EStG). Der Bekannte des Klägers, A, hatte zwar mit Prostituierten teilweise Mietverträge über die Wohnräume abgeschlossen. Die von dem Kläger erzielten Einnahmen führten jedoch zu Einkünften aus Gewerbebetrieb und nicht zu Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, weil der Kläger nicht nur die Räume an die Prostituierten überlassen hat, sondern die Prostituierten zum Einsatz in den Wohnungen beschaffte und alle damit zusammenhängenden weiteren Tätigkeiten und Organisationen ausübte. Im Rahmen einer solchen Tätigkeit liegen Einkünfte aus Gewerbebetrieb und nicht Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung vor (vgl. BFH, Beschluss vom 19.06.2001 X B 67/00, BFH/NV m.w.N. aus der Rechtsprechung).
Gemäß § 162 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) kann die Finanzbehörde die Besteuerungsgrundlagen schätzen, sofern sie sie nicht ermitteln oder berechnen kann. Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Steuerpflichtige an der Sachaufklärung nicht mitwirkt, zum Beispiel indem er keine Steuererklärung abgibt.
Der Kläger hatte in seinen Steuererklärungen keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb erklärt. Aufzeichnungen über die aus dem Gewerbebetrieb erzielten Einkünfte wurden von ihm nicht geführt. Dem Beklagten war es daher nicht möglich, die Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln oder zu berechnen, so dass sie geschätzt werden mussten. Die Schätzung ist daher dem Grunde nach rechtmäßig.
Die Schätzung des Beklagten ist jedoch der Höhe nach teilweise zu korrigieren.
Die Schätzung ist ein Verfahren, Besteuerungsgrundlagen mithilfe von Wahrscheinlichkeitsüberlegungen zu ermitteln, wenn eine sichere Feststellung trotz des Bemühens um Aufklärung nicht möglich ist. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für ein solches Verfahren von Bedeutung sein können. Aus dem festgestellten Sachverhalt ist zu folgern, dass Besteuerungsgrundlagen in einer wahrscheinlichen Höhe verwirklicht worden sind. Dabei enthalten die durch Schätzung ermittelten Besteuerungsgrundlagen einen Unsicherheitsbereich, da eine genaue Bestimmung der Besteuerungsgrundlagen im Wege der Schätzung trotz Bemühens um Zuverlässigkeit allenfalls zufällig erreicht werden kann. Die Unschärfe, die jeder Schätzung anhaftet, kann im Allgemeinen vernachlässigt werden. Soweit sie sich zu Ungunsten des Steuerpflichtigen auswirkt, muss er sie hinnehmen, wenn er den Anlass für die Schätzung gegeben hat. Schätzungen müssen insgesamt in sich schlüssig sein; ihre Ergebnisse müssen darüber hinaus wirtschaftlich vernünftig und möglich sein und von Wahrscheinlichkeitsüberlegungen bestimmt werden, damit die Schätzung der Wirklichkeit möglichst nahe kommt (vgl. BFH, Urteil vom 18.12.1984 VIII R 195/82, BStBl II 1986, 227 n.w.N.).
Gesicherte oder repräsentative Erkenntnisse über die Anzahl der jeweils in den Wohnungen tätigen Prostituierten, die Anzahl ihrer täglichen Freier und über das von diesen gezahlte Entgelt liegen nicht vor. Bei der Prostituierten W ging die Polizei nach deren Aussage davon aus, dass sie ihre Kosten der Einschleusung i.H.v. 2.000 DM in zwei Wochen abgearbeitet gehabt habe. Daraus ergäbe sich ein täglicher Verdienst von 141,- DM pro Tag. Die Prostituierte F gab an, den Schleuserlohn von 2.000 DM innerhalb von 1 ½ Monaten abgearbeitet zu haben. Daraus ergäbe sich ein Tagesverdienst von 45 DM pro Tag. Die Prostituierte J gab an, ein Festgehalt von 2.000 DM im Monat erhalten zu haben. Hieraus ergäbe sich ein Tagesverdienst von 66 DM. Da die Prostituierten jeweils die Hälfte des Entgelts für sich behalten durften, beträgt die Tageseinnahme mindestens das Doppelte der berechneten Beträge. Daraus ergäbe sich ein Entgelt von ca. 90 bis 282 DM pro Tag. Wegen der geringen Anzahl der Aussagen über den Verdienst, sind die daraus berechneten Tageseinnahmen jedoch nicht repräsentativ. Sie decken sich z.B. nicht mit den Angaben eines Kunden, wonach in der "O" ein Preis von 300 DM pro Stunde und 1.000 DM pro Nacht verlangt und dies Angebot auch mehrfach in Anspruch genommen wurde. Ferner haben Prostituierte nach eigenen Angaben für Sonderleistungen wesentlich höhere Entgelte erhalten. Entsprechende Feststellungen wurden anlässlich einer Durchsuchung in der O anhand der aktuellen Einnahme einer Prostituierten und einschlägiger Aufzeichnungen getroffen. Nach eigenen Aufzeichnungen für die Zeit vom 01.06. bis 21.06.2000 haben die Prostituierten in der Wohnung in B 100 DM bis 200 DM pro Freier eingenommen. Dies entspricht auch den Angaben des Klägers und As, die in der mündlichen Verhandlung mehrfach erklärten, dass das vom Finanzamt zugrunde gelegte Entgelt schon deshalb nicht zutreffen könne, weil die Höhe sehr unterschiedlich gewesen sei und je nach dem, was die Kunden verlangt hätten, darüber oder darunter gelegen hätte. Wenn das Finanzamt bei der Vielzahl der Unsicherheiten einen durchschnittlichen Prostituiertenlohn von 150 DM/Freier zugrunde legt, dürfte diese Schätzung eher am unteren Rand des Realistischen liegen. Jedenfalls konnte das Gericht nicht feststellen, dass die Schätzung des Beklagten außerhalb eines an der Wirklichkeit orientierten Schätzungsrahmens liegt, sodass gegen die Höhe des vom Beklagten in Ansatz gebrachten Durchschnittlohnes für die Prostituierten/Freier keine Bedenken bestehen. Insofern war zu berücksichtigen, dass sich die Finanzbehörde ohne Rechtsfehler an der oberen Grenze des Schätzungsrahmens orientieren kann, wenn, wie hier, der Kläger keine Aufzeichnungen geführt und keine Besteuerungsgrundlagen erklärt hat (vgl. Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl. § 162 Rz. 136 m.w.N. aus der Rechtsprechung). Letzte verbleibende Unschärfen gehen zu Lasten des Klägers und sind von diesem hinzunehmen, da er die Schätzung veranlasst hat.
Die vom Beklagten zugrunde gelegte Anzahl von zwei Freiern pro Tag und Prostituierter ist als Durchschnittswert schon angesichts der in B, V und der O in C zur Verfügung stehenden Zimmer nicht zu beanstanden. Zur Überzeugung des Gerichts ist es auch nicht sehr wahrscheinlich, dass täglich nur ein Freier pro Prostituierte vorhanden war. Die Schätzung von zwei Freiern pro Tag und Prostituierter ist als Durchschnittswert vielmehr eher am unteren Rand des Wahrscheinlichen angesiedelt.
Angesichts der polizeilichen Feststellungen hinsichtlich der bei Kontrollen in den Wohnungen angetroffenen Prostituierten und eines Teils der Aussagen der Prostituierten, wonach mehrere Prostituierte in den Wohnungen tätig waren, erscheint die von der Steuerfahndung zugrunde gelegte Anzahl von vier Prostituierten in B, drei in V und vier in der O nicht unrealistisch und zumindest für die O eher als zu gering. Gerade für die O ist zu berücksichtigen, dass hier selbst nach den Angaben des Klägers eine so hohe Nachfrage nach Prostituierten war, dass mehrfach aus den Wohnungen in B und V Prostituierte dorthin gebracht werden mussten und dies durch Feststellungen anlässlich verschiedener Polizeikontrollen bestätigt ist. Auch angesichts der in den jeweiligen Wohnungen zur Verfügung stehenden Räume erscheint die vom Finanzamt zugrunde gelegte Anzahl der Prostituierten pro Einheit nicht unrealistisch. Der Hinweis, dass bei zwei Zimmern nicht vier Prostituierte tätig werden können, wird schon dadurch entkräftet, dass sowohl vormittags wie nachmittags jeweils zwei Prostituierte tätig sein konnten. Um jedoch alle für die mit der Schätzung der Einnahmen aus der Wohnung in B verbundenen Unsicherheiten auszuschließen, geht das Gericht wie bei der Wohnung in V von nur drei Prostituierten pro Tag aus. Für die Wohnungen in der O verbleibt es bei vier Prostituierten pro Tag. Letztlich war im Rahmen der Schätzung auch zu berücksichtigen, dass der Kläger und A die Erwerbsquelle aus Tätigkeiten der Prostitution nicht bei Gelegenheit oder nebenbei betrieben, sondern professionell, in großem Umfang und mit eigener Rekrutierung einer Vielzahl von Prostituierten aus Osteuropa, was durch das Urteil des Landgerichts ... vom 31. Mai 2005 (22 KLs 9/02) bestätigt ist, in dem sowohl der Kläger wie auch A wegen Verstoßes gegen das Ausländergesetz durch gewerbsmäßiges Einschleusen von Ausländern jeweils zu Freiheitsstrafen von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt wurden.
Es bestehen keine Bedenken dagegen, die Tätigkeit der Prostituierten über den gesamten Zeitraum durchgängig an 30 Tagen im Monat anzunehmen. Es mag zwar sein, dass auch die Prostituierten Freizeit, Urlaub, Krankheit, Heimreise oder sonstige Ausfalltage hatten. Dagegen steht jedoch, dass sie nicht den ganzen Tag über ihrer Tätigkeit nachgingen, Prostituierte häufig nur kurzfristig tätig waren und ihnen daher ausreichend Freizeit zur Verfügung stand. Die insofern letztlich verbleibenden Unsicherheiten sind im Rahmen der vom Gericht zugrunde gelegten Anzahl der tätig gewordenen Prostituierten berücksichtigt; restliche Unsicherheiten sind vom Kläger hinzunehmen.
Die vom Kläger und A zuletzt in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben, wonach in B 2, in V 1,5 und in der O höchstens 3 Prostituierte bei jeweils einem Freier pro Tag 75 DM pro Freier an höchstens 25 Tagen im Monat eingenommen haben und den Einnahmen neben der Miete weitere durchschnittliche Kosten in B und V von monatlich jeweils mindestens 1.500 DM gegenüber gestanden hätten, konnten schon deshalb auch nicht teilweise als realitätsgerecht berücksichtigt werden, weil sich danach in erheblichem Umfang ausschließlich Verluste ergeben, was der Kläger und A im Moment ihres Vortrags nicht überblickten und in anderen Zusammenhängen im Rahmen der mündlichen Verhandlung selbst nicht ernsthaft geltend gemacht hatten.
Es erscheint jedoch plausibel, dass hinsichtlich des Betriebs der Wohnungen Kosten angefallen sind. Der Kläger konnte hierüber zwar keine bzw. keine vollständigen Nachweise mehr erbringen. Hausnebenkosten für Wasser, Strom, Gas und Heizung, Kosten für Telefon, Werbeanzeigen und weitere Betriebskosten sowie eine zu bildende Gewerbesteuerrückstellung sind jedoch so wahrscheinlich, dass sie im Rahmen einer Schätzung auch ohne Nachweis in angemessener Höhe zu berücksichtigen sind. Da keine verlässlichen Daten vorliegen, schätzt das Gericht die weiteren Betriebsausgaben einschließlich Hausnebenkosten für die Wohnung B und V auf monatlich jeweils 600 DM.
Hinsichtlich der Unterhaltung und des Betriebs der für die Prostitution zur Verfügung stehenden Räume in der "O" geht das Gericht von einer monatlichen Miete i.H.v. 1.400 DM zzgl. weiterer Betriebsausgaben in Höhe von monatlich 700 DM aus. Soweit darüber hinaus eine "Schwarzmiete" von monatlich 600 DM gezahlt worden sein soll, kann diese steuerlich nicht zu berücksichtigt werden. Darüber hinaus ist für 1999 allerdings einmalig eine weitere Betriebsausgabe i.H.v. 5.000 DM zu berücksichtigen, da ausweislich der vorhandenen Unterlagen und der Angaben des Klägers und As eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass ihr Bekannter W nicht Teilhaber der "O" war, sondern für sie verschiedene Arbeiten geleistet hat, wofür er ein Entgelt erhielt. Der vom Kläger hierfür angegebene Betrag i.H.v. 5.000 DM erscheint realistisch.
Die Ermittlung gewerblicher Einkünfte erfolgt im Rahmen einer Schätzung grundsätzlich nach den Grundsätzen des Betriebsvermögensvergleichs, wenn - wie im vorliegenden Fall - eine vom Kläger getroffene Wahl für die Gewinnermittlung durch Überschußrechnung nicht festgestellt werden kann und zwar unabhängig davon, wie auch immer die Buchführung beschaffen ist (vgl. BFH, Urteil vom 30.09.1980, VIII R 201/78, BFHE 132, 228, BStBl II 1981, 301; FG Köln, Urteil vom 18.08.2006, 14 K 2344/05, EFG 2008, 783). Diese Voraussetzungen liegen vor, da der Kläger zu keiner Zeit ein Bewusstsein von einer zu treffenden Wahl hinsichtlich der Ermittlung eines Gewinns im steuerlichen Interesse hatte.
Da der Kläger bzw. im Falle der Zusammenarbeit mit A die GbR Steuerschuldner der Umsatzsteuer auch hinsichtlich des Teils der Einnahmen ist, der den Prostituierten als Anteil verblieb, ist die insgesamt zu zahlende Umsatzsteuer einschließlich der Umsatzsteuer aus den Einnahmen der Prostituierten gewinnmindernd zu berücksichtigen. Soweit der Kläger in der Zeit vom 01.01.1997 bis 30.04.1998 die Einkünfte in B und V und in der Zeit vom 01.03.1999 bis 26.08.2000 in den Räumen über der O gemeinschaftlich mit A erzielte, sind dem Kläger die Einkünfte nur anteilig, d.h. zur Hälfte, zuzurechnen.
Einkünfte aus der Schleusertätigkeit konnten bei der Schätzung nicht berücksichtigt werden, da keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass er daraus Einnahmen erzielte.
Der Gewinn aus Gewerbebetrieb errechnet sich für die verschiedenen Wohnungen und Zeiträume danach wie folgt (T = Tage, P = Anzahl der Prostituierten pro Tag, F = Anzahl der Freier pro Prostituierter und Tag, L = vom Freier pro Prostituierter gezahlter Lohn):
Einnahmen | Abzüglich Kosten | ||||||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
B, Miete 1.200 mtl. s. Kosten: 600 | Bet. | T | P | F | L | Summe | Netto | ½ Brutto P-Lohn | Miete | s. Kosten | Einkünfte | Verteilung ½ Kl/S | |
15% | 01.01.98 - 31.03.98 | Kl/S | 90 | 3 | 2 | 150 | 81.000 | 70.435 | 40.500 | 3.600 | 1.800 | 24.535 | 12.677 |
16% | 01.04.98 - 30.04.98 | Kl/S | 30 | 3 | 2 | 150 | 27.000 | 23.276 | 13.500 | 1.200 | 600 | 7.976 | 3.988 |
01.05.98 - 31.12.98 | Kl | 240 | 3 | 2 | 150 | 216.000 | 186.207 | 108.000 | 9.600 | 4.800 | 63.807 | ||
01.01.99 - 31.12.99 | Kl | 360 | 3 | 2 | 150 | 324.000 | 279.310 | 162.000 | 14.400 | 7.200 | 95.710 | ||
01.01.00 - 26.08.00 | Kl | 236 | 3 | 2 | 150 | 212.400 | 183.103 | 106.200 | 9.600 | 4.800 | 62.503 | ||
V, Miete 1.650, s. Kosten: 600 | |||||||||||||
15% | 01.01.98 - 31.03.98 | Kl/S | 90 | 3 | 2 | 150 | 81.000 | 70.435 | 40.500 | 4.950 | 1.800 | 23.185 | 11.592 |
16% | 01.04.98 - 30.04.98 | Kl/S | 30 | 3 | 2 | 150 | 27.000 | 23.276 | 13.500 | 1.650 | 600 | 7.526 | 3.763 |
"O", C Miete 1.400, s. Kosten 700 DM | |||||||||||||
01.03.99 - 30.06.99 | Kl/S | 120 | 4 | 2 | 150 | 144.000 | 124.138 | 72.000 | 5.600 | 2.800 | 43.738 | 21.869 | |
01.07.99 - 31.12.99 | Kl/S | 180 | 4 | 2 | 150 | 216.000 | 186.207 | 108.000 | 8.400 | 9.200 | 60.607 | 30.303 | |
01.01.00 - 26.08.00 | Kl/S | 236 | 4 | 2 | 150 | 283.200 | 244.138 | 141.600 | 11.200 | 5.600 | 85.738 | 42.869 | |
Daraus ergeben sich für den Kläger in den Streitjahren folgende Einkünfte aus Gewerbebetrieb gem. § 15 EStG:
Jahr | 1998 | 1999 | 2000 | |
---|---|---|---|---|
Einkünfte aus Tätigkeiten von Prostituierten | B | 80.472 | 95.710 | |
V | 15.355 | 62.503 | ||
O | 52.172 | 42.869 | ||
Einkünfte Barbetrieb O lt. Erklärung | 33.956 | 10.168 | ||
Einkünfte aus Einschleusung | 0 | 0 | 0 | |
Einkünfte aus Gewerbebetrieb § 15 EStG | 95.827 | 181.838 | 115.540 |
Unter Beibehaltung der Besteuerungsgrundlagen im Übrigen wird die Einkommensteuer 1998 bis 2000 daher herabgesetzt, soweit Einkünfte aus Gewerbebetrieb nur noch für 1998 i.H.v. 95.827 DM, für 1999 i.H.v. 181.838 und für 2000 i.H.v. 115.540 DM der Besteuerung zugrunde zu legen sind.
Die Übertragung der Steuerberechnung wird wegen der zu berechnenden Entlastungsbeträge für gewerbliche Einkünfte gem. § 100 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung - FGO - auf den Beklagten übertragen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO -.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 Abs. 1 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung - ZPO -.