Verwaltungsgericht Osnabrück
Urt. v. 27.06.2003, Az.: 2 A 117/02

Anfechtungsklage; Erledigung; Ermittlung des Fahrzeugführers; Fahrtenbuch; Fahrtenbuchauflage; Fahrzeughalter; Feststellung; Fortsetzungsfeststellungsinteresse; Geschwindigkeitsüberschreitung; Kosten; Rechtsschutzbedürfnis; Unmöglichkeit; Verkehrsordnungswidrigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
27.06.2003
Aktenzeichen
2 A 117/02
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 48157
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Eine mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung versehene Fahrtenbuchauflage erledigt sich mit Ablauf der für die Führung des Fahrtenbuches gesetzten Frist. Dies gilt auch dann, wenn sie mit Widerspruch und Klage angefochten worden oder ggf. (faktisch) noch Grundlage für eine nachfolgende Verwaltungskostenerhebung durch die Behörde ist.

2. Zum Fortsetzungsfeststellungsinteresse bei einer erledigten Fahrtenbuchauflage.

3. Weitere Ermittlungstätigkeiten der Behörde sind regelmäßig dann nicht geboten, wenn der Fahrzeughalter den ihm übersandten Anhörungsbogen nicht zurückreicht und/oder tatsächlich keine Angaben zur Person des verantwortlichen Fahrzeugführers macht (im Anschluss an u.a. Nds. OVG, B. v. 12.07.2002 - 12 ME 511/02 -).

Tatbestand:

1

Der Kläger ist Halter des Fahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen D.. Am 10.03.2002 um 18.49 Uhr wurde mit diesem Fahrzeug in F. auf der Bundesstraße G. (Fahrtrichtung F.) eine Verkehrsordnungswidrigkeit begangen, indem der Fahrer des Fahrzeugs die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 34 km/h überschritt. Bei der insoweit durchgeführten Geschwindigkeitsmessung wurde von dem Fahrzeug ein Frontfoto gefertigt, auf dem die Person des Fahrzeugführers nur sehr undeutlich erkennbar ist.

2

Im Rahmen des daraufhin eingeleiteten Ordnungswidrigkeitenverfahrens übersandte der Beklagte dem Kläger einen entsprechenden Anhörungsbogen, den dieser allerdings nicht zurückreichte. Statt dessen meldete sich sein Prozessbevollmächtigter zu den Akten, bat um Einsicht in die Ermittlungsakten - die ihm anschließend auch gewährt wurde - und teilte sodann nach Akteneinsicht mit, dass der Kläger von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch mache. Im Hinblick darauf wurde das eingeleitete Ordnungswidrigkeitenverfahren mit Verfügung vom 14.05.2002 eingestellt.

3

Mit Bescheid vom 27.06.2002 gab der Beklagte dem Kläger - nach vorheriger Anhörung - unter Anordnung der sofortigen Vollziehung auf, für das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen D. oder ein auf den Kläger bereits zugelassenes bzw. künftig zuzulassendes Ersatzfahrzeug für die Dauer von sechs Monaten ein Fahrtenbuch zu führen.

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Den hiergegen erhobenen, nicht weiter begründeten Widerspruch wies die Bezirksregierung E. mit Bescheid vom 13.09.2002, zugestellt am 17.09.2002, zurück.

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Der Kläger hat daraufhin am 18.10.2002 Klage erhoben. Er macht geltend, dass die Voraussetzungen für eine Fahrtenbuchauflage nicht gegeben seien, weil nicht ersichtlich sei, warum die Feststellung des verantwortlichen Fahrzeugführers nicht möglich gewesen sei bzw. entsprechende polizeiliche oder behördliche Ermittlungen nicht erfolgt seien.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid des Beklagten vom 27.06.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung E. vom 13.09.2002 aufzuheben,

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hilfsweise (sinngemäß),

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festzustellen, dass die genannten Bescheide rechtswidrig gewesen sind.

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Der Beklagte hat im Hinblick darauf, dass die dem Kläger für die Führung des Fahrtenbuches gesetzte Frist mittlerweile abgelaufen ist, den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat keinen Erfolg.

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Soweit es das mit dem Hauptantrag verfolgte Anfechtungsbegehren betrifft, ist die Klage unzulässig.

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Dies folgt zum einen schon daraus, dass der Kläger die Klagefrist von einem Monat nach Zustellung des Widerspruchsbescheides (§ 74 Abs. 1 Satz 1 VwGO) versäumt hat, weil ihm der angefochtene Widerspruchsbescheid (bereits) am 17.09.2002 zugestellt worden, seine Klage jedoch erst am 18.10.2002 - und damit einen Tag zu spät - bei Gericht eingegangen ist. Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 Abs. 1 VwGO) sind ebenfalls weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.

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Zum anderen besteht auch das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für die Klage nicht mehr, weil sich die angefochtene Fahrtenbuchauflage mittlerweile erledigt hat. Die Erledigung eines (belastenden) Verwaltungsakts bedeutet den Wegfall der mit der Anfechtungsklage angegriffenen beschwerenden Regelung, wobei sich der Wegfall der Beschwer nach dem objektiven Regelungsgehalt des Verwaltungsakts und nicht nach dem subjektiven Klägerinteresse beurteilt (vgl. BVerwG, U. v. 02.07.1982 - 8 C 101.81 -, BVerwGE 66, 75; U. v. 15.11.1990 - 3 C 49.87 -, NVwZ 1991, 570). Dies ist hier der Fall. Der Beklagte hat den Kläger mit der angefochtenen Fahrtenbuchauflage dazu verpflichtet, für die Dauer von sechs Monaten ein Fahrtenbuch zu führen. Gleichzeitig hat er die sofortige Vollziehung angeordnet mit der Folge, dass der Kläger - unabhängig von der Einlegung etwaiger Rechtsbehelfe - dieser Auflage sofort, nämlich vom Tage der Zustellung des Bescheides an, nachzukommen hatte. Angesichts dessen hat sich die Fahrtenbuchauflage mit Ablauf der gesetzten Frist (am 29.12.2002) erledigt und entfaltet seit diesem Zeitpunkt keine - den Kläger beschwerenden - rechtlichen Wirkungen mehr (vgl. Bay. VGH, U. v. 01.10.1984 - 11 B 84 A 262 -, Bay. VBl. 1985, 23). Daran ändert auch der in der angefochtenen Fahrtenbuchauflage enthaltene Hinweis nichts, dass das Fahrtenbuch noch sechs Monate nach Ablauf der gesetzten Frist aufzubewahren sei; denn insoweit handelt es sich um einen bloßen Hinweis auf die Rechtslage (nämlich auf § 31 a Abs. 3 StVZO), der nicht zum Regelungsgehalt des angefochtenen Verwaltungsakts gehört und deshalb für die Frage der Erledigung des Verwaltungsakts bzw. des Rechtsstreits rechtlich unerheblich ist. Einer Erledigung steht schließlich auch nicht entgegen, dass der Beklagte für den Erlass der angefochtenen Fahrtenbuchauflage Verwaltungskosten (Gebühren und Auslagen) festgesetzt hat, die der Kläger bislang noch nicht bezahlt hat (und auch künftig nicht bezahlen möchte). Denn allein der Umstand, dass ein - in der Sache erledigter -  Verwaltungsakt weiterhin Grundlage für eine künftige Kostenerhebung nach Maßgabe des einschlägigen Verwaltungskostenrechts bleibt, stellt keine vom Regelungsgehalt des Verwaltungsakts erfasste Rechtswirkung, sondern eine bloße (fortwirkende) Tatbestandswirkung dar; wollte man dies anders sehen, würde dies zu dem - widersinnigen - Ergebnis führen, dass sich derartige (belastende) Verwaltungsakte praktisch nie erledigen könnten, weil es sich insoweit fast ausnahmslos um kostenpflichtige Amtshandlungen handelt (vgl. Nds. OVG, B. v. 21.03.1996 - 7 O 321/96 -; OVG Schleswig, U. v. 20.10.1992 - 4 L 73/92 -, NJW 1993, 2004 [BVerwG 12.05.1992 - BVerwG 1 C 54/89]; VGH Mannheim, U. v. 07.12.1993 - 10 S 1700/92 -, Natur und Recht 1994, 445, jeweils m. w. Nachw., auch zur abweichenden Auffassung).

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Auch das mit dem Hilfsantrag verfolgte Feststellungsbegehren kann keinen Erfolg haben. Dies folgt ebenfalls schon daraus, dass der Kläger - wie oben dargelegt - die Frist für die Erhebung der ursprünglichen Anfechtungsklage versäumt hat und die deshalb unzulässige Klage nicht allein dadurch wieder zulässig wird, dass der Kläger seinen Klageantrag im weiteren Verlauf des anhängigen Verfahrens (hilfsweise) auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag umgestellt hat (vgl. Eyermann, VwGO, 11. Aufl., § 113 Rdnr. 69 m. w. Nachw.). Darüber hinaus dürfte auch das berechtigte Interesse an der begehrten Feststellung (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO) fehlen. Insoweit käme hier allenfalls die - bislang allerdings nicht einmal ansatzweise konkretisierte -  Absicht des Klägers in Betracht, hinsichtlich der noch offenen (Verwaltungs-) Kostenforderung des Beklagten, die nach allgemeinen Grundsätzen des Schadensersatzrechts einen „potentiellen Schaden“ darstellen kann, eine entsprechende Amtshaftungsklage (Art. 34 Satz 1 GG i.V.m. § 839 Abs. 1 BGB) gegen den Beklagten zu erheben. Ob dies allein zur Begründung eines entsprechenden Feststellungsinteresses ausreicht, erscheint vor dem - oben bereits in anderem Zusammenhang erwähnten - Hintergrund, dass belastende Verwaltungsakte fast ausnahmslos kostenpflichtig sind und deshalb im Falle ihrer Erledigung stets ein entsprechendes Fortsetzungsfeststellungsinteresse anzunehmen wäre, äußerst zweifelhaft (vgl. auch insoweit Nds. OVG, B. v. 21.03.1996 - 7 O 321/96 -), bedarf im vorliegenden Verfahren jedoch letztlich keiner abschließenden Entscheidung. Denn selbst wenn man ein entsprechendes Feststellungsinteresse bejahen wollte, wäre der Hilfsantrag jedenfalls in der Sache nicht begründet, weil die angefochtene Fahrtenbuchauflage vom 27.06.2002 rechtmäßig ist.

16

Nach § 31 a Abs. 1 StVZO kann die Verwaltungsbehörde einem Fahrzeughalter für ein oder mehrere Fahrzeuge die Führung eines Fahrtenbuches auferlegen, wenn die Feststellung des Fahrzeugführers nach einer Zuwiderhandlung gegen die Verkehrsvorschriften nicht möglich war. Eine „Unmöglichkeit“ im Sinne dieser Vorschrift ist dann gegeben, wenn die Behörde nach den Gesamtumständen des konkreten Einzelfalles, insbesondere auch unter Berücksichtigung der Angaben bzw. des sonstigen Verhaltens des betroffenen Fahrzeughalters selbst, nicht in der Lage war, den Täter zu ermitteln, obwohl sie alle nach Lage der Dinge angemessenen, zumutbaren und Erfolg versprechenden Maßnahmen getroffen bzw. Ermittlungen angestellt hat (vgl. u.a. BVerwG, U. v. 23.04.1971 - VII C 66.70 - DAR 1972, 26 [BVerwG 23.04.1971 - BVerwG 7 C 66/70]; B. v. 17.07.1986 - 7 B 234.85 -, NJW 1987, 143). Unter Berücksichtigung dessen kann es im vorliegenden Fall - entgegen der schlichten gegenteiligen Behauptung in der Klagebegründung - nicht ernsthaft zweifelhaft sein, dass die Feststellung des für den Verkehrsverstoß vom 10.03.2002 verantwortlichen Fahrzeugführers objektiv unmöglich war. Der Kläger selbst hat im Rahmen des Ordnungswidrigkeitenverfahrens keinerlei Angaben zum verantwortlichen Fahrzeugführer bzw. zu dem insoweit in Betracht kommenden Personenkreis gemacht, sondern sich auf sein Aussageverweigerungsrecht berufen. Angesichts dessen ist nicht erkennbar und im Übrigen auch vom Kläger selbst nicht vorgetragen worden, in welche Richtung die Verfolgungsbehörde etwaige, einigermaßen Aussicht auf Erfolg bietende Ermittlungen überhaupt hätte lenken sollen bzw. können. Zu derartigen - in der Verwaltungspraxis regelmäßigen auftretenden - Fallgestaltungen hat das Nds. Oberverwaltungsgericht bereits mehrfach (vgl. u.a. B. v. 28.05.2002 - 12 ME 461/02 - und v. 12.07.2002 - 12 ME 511/02 -) Folgendes ausgeführt:

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„... Die Ordnungswidrigkeitenbehörde ist hiernach insbesondere dann nicht zu umfangreichen weiteren Ermittlungen veranlasst, wenn der Halter des Kraftfahrzeugs, mit dem der Verstoß begangen worden ist, nicht hinreichend mitwirkt, den Fahrzeugführer zu bezeichnen. An einer solchen Mitwirkung fehlt es bereits dann, wenn der Halter des Fahrzeugs den Anhörungsbogen der Ordnungswidrigkeitenbehörde nicht zurücksendet und/oder weitere Angaben zum Personenkreis der Fahrzeugbenutzer nicht macht. Damit hat es sein Bewenden. ...“

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Dem ist für das vorliegende Verfahren nichts hinzuzufügen. Anderweitige Gründe, die gegen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Fahrtenbuchauflage sprechen könnten, sind ebenfalls nicht ersichtlich.