Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 02.11.2021, Az.: 2 Ss 121/21

Einziehungsverfahren gegen am Verfahren nicht beteiligten Dritten; Einziehung von Taterträgen bei Betriebsleiter des Einziehungsberechtigten; Keine Einziehung gegen Dritte nach rechtskräftigem Strafbefehl

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
02.11.2021
Aktenzeichen
2 Ss 121/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 47230
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2021:1102.2SS121.21.00

Verfahrensgang

vorgehend
AG Celle - 13.07.2021 - AZ: 20d Ds 4/21

Fundstellen

  • NStZ-RR 2022, 66
  • NStZ-RR 2022, 67
  • StRR 2022, 14-16
  • StV 2022, 711
  • ZWH 2022, 94-95
  • wistra 2022, 175-176

Amtlicher Leitsatz

Eine Verurteilung ist dann keine im selbständige Einziehungsverfahren bindende Hauptsacheentscheidung gemäß §§ 436 Abs. 2, 423 Abs. 1 Satz 2 StPO, wenn der Einziehungsbeteiligte an dem ihr zu Grunde liegenden Verfahren nicht beteiligt war.

Tenor:

Auf die Revision der Einziehungsbeteiligten wird das Urteil des Amtsgerichts - Strafrichterin - Celle vom 13. Juli 2021 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Celle zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Celle hat mit dem angefochtenen Urteil im selbständigen Einziehungsverfahren bei der Einziehungsbeteiligten die Einziehung des Wertes "des Taterlangten" in Höhe von 5.200 Euro angeordnet.

Nach den Feststellungen wurde die Einziehungsbeteiligte am 12. Februar 2019 damit beauftragt, auf einem Grundstück in N. Dacharbeiten vorzunehmen. Dabei sollten asbestenthaltende Zementfaserplatten von einem Dach abmontiert und entsorgt werden, anschließend sollte das Dach mit neuen Wellplatten gedeckt werden. Außerdem sollte an einem Nebengebäude eine Regenrinne montiert werden. Am 25. und 26. Februar 2019 ließ der Betriebsleiter der Einziehungsbeteiligten sodann ohne behördliche Erlaubnis und ohne über den vorgeschriebenen Sachkundenachweis zu verfügen, von Arbeitnehmern der Einziehungsbeteiligten die asbesthaltigen Platten abmontieren. Für die Arbeiten erhielt die Einziehungsbeteiligte eine Vergütung von insgesamt 5.600 Euro, davon entfielen 910,80 Euro auf das Abnehmen und Entsorgen der Asbestplatten. Auf die Montage der Regenrinne entfiel ein Betrag von 400 Euro, den das Amtsgericht nicht eingezogen hat.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Einziehungsbeteiligten mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts.

II.

1. Der Senat ist zu einer Sachentscheidung über die Revision berufen. Die Voraussetzungen für die (weitere) Durchführung eines selbständigen Einziehungsverfahrens gemäß § 76a Abs. 1 StGB liegen vor. Zwar war wegen der vom Amtsgericht Celle festgestellten Tat auch eine Strafverfolgung des Betriebsleiters der Einziehungsbeteiligten möglich und ein solches Strafverfahren ist auch durchgeführt und mit einem mittlerweile rechtskräftigen Strafbefehl abgeschlossen worden. Infolge der Rechtskraft des Strafbefehls ist nunmehr aber eine Strafverfolgung des Betriebsleiters aus rechtlichen Gründen unmöglich. Auch für die Fälle der rechtlichen Unmöglichkeit eröffnet § 76a StGB n. F. die Möglichkeit eines selbständigen Einziehungsverfahrens (vgl. Fischer, StGB § 76a Rn. 2). Die Durchführung des selbständigen Einziehungsverfahrens ist damit nach dem Willen des Gesetzgebers immer dann möglich, wenn eine Entscheidung über die Einziehung im subjektiven Verfahren nicht getroffen worden ist, ohne dass es auf die - möglicherweise fehlerhaften - Gründe dafür ankommt (vgl. BT-Drs. 18/9525, S. 72). In der Gesetzesbegründung werden insoweit die Fälle des Strafklageverbrauchs ausdrücklich erwähnt.

2. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Einziehungsbeteiligten hat Erfolg.

Die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen belegen nicht, dass die Voraussetzungen einer selbständigen Einziehung des Wertes von Taterträgen gemäß §§ 73 Abs. 1, 73b Abs. 1 Nr. 1, 76a Abs. 1 StGB vorliegen. Denn aus ihnen ergibt sich nicht, dass der Betriebsleiter der Einziehungsbeteiligten den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht und damit eine rechtswidrige Tat gemäß §§ 73 Abs. 1, 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB begangen hat.

a) Feststellungen zum Vorliegen einer rechtswidrigen Tat des Betriebsleiters sind im vorliegenden Fall nicht deshalb entbehrlich, weil gegen ihn bereits ein Strafbefehl ergangen ist und das Gericht im selbständigen Einziehungsverfahren gemäß §§ 436 Abs. 2, 423 Abs. 1 Satz 2 StPO an die Entscheidung "in der Hauptsache" und die tatsächlichen Feststellungen, auf denen diese beruht, gebunden ist. Denn der gesetzlich nicht definierte Begriff der Hauptsache ist unter Berücksichtigung von Art. 103 Abs. 1 GG auszulegen (vgl. Emmert, NStZ 2020, 587). Es wäre mit dem Anspruch des Einbeziehungsbeteiligten auf rechtliches Gehör nicht vereinbar, wenn dieser an Feststellungen aus einem Verfahren gebunden wäre, auf dessen Entscheidung er selbst keinen Einfluss nehmen konnte (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 1. Oktober 2018, 1 Ws 479/18, juris). Im selbständigen Einziehungsverfahren kann es sich deshalb nicht um eine bindende Hauptsacheentscheidung gemäß §§ 436 Abs. 2, 423 Abs. 1 Satz 2 StPO handeln, wenn der Einziehungsbeteiligte an dem ihr zu Grunde liegenden Verfahren nicht beteiligt war (vgl. Emmert, NStZ 2020, 587).

Diese Auslegung der §§ 436 Abs. 2, 423 Abs. 1 Satz 2 StPO steht auch mit der grundsätzlichen gesetzgeberischen Konzeption des Einziehungsverfahren in Einklang, das eine Beteiligung der Einziehungsbetroffenen bereits im Strafverfahren gegen den Beschuldigten vorsieht. Denn danach wäre das Verfahren gegen einen Drittbeteiligten ohnehin nicht - wie im vorliegenden Fall - im Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft abzutrennen, um es nach Rechtskraft des gegen den Beschuldigten erlassenen Strafbefehls im selbständigen Einziehungsverfahren fortzuführen. Vielmehr wäre die Einziehungsbeteiligte gemäß § 424 StPO zu beteiligen, und allenfalls die Entscheidung über die Einziehung könnte gemäß § 422 StPO durch Gerichtsbeschluss abgetrennt werden, wobei dadurch die Beteiligung der Einziehungsbeteiligten gemäß § 424 Abs. 1 StPO ebenso wenig entfallen würde wie die Bindungswirkung der unter ihrer Beteiligung ergangenen Hauptsacheentscheidung gemäß § 423 Abs. 1 Satz 2 StPO (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 1. Oktober 2018, 1 Ws 479/18, juris). Unabhängig von der Frage, ob abweichend von dieser gesetzlichen Systematik eine Abtrennung durch die Staatsanwaltschaft zulässig bleibt (vgl. Emmert, NStZ 2020, 587), kann diese Abtrennung jedenfalls nicht den Anspruch der Einziehungsbeteiligten auf rechtliches Gehör aufheben.

b) Die bisherigen Feststellungen des Amtsgerichts tragen nicht die Bewertung, dass der Betriebsleiter der Einziehungsbeteiligten einen Straftatbestand verwirklicht hat.

Die Demontage der asbesthaltigen Platten kann grundsätzlich als unerlaubter Umgang mit Abfällen gemäß § 326 Abs. 1 StGB und als unerlaubte Durchführung von Abbruch-, Sanierungs- oder Instandhaltungsarbeiten gemäß § 27 Abs. 1 Nr. 1 ChemG i. V. m. § 24 Abs. 2 Nr. 1 GefStoffV strafbar sein. Erforderlich für die Erfüllung der Tatbestände ist aber das Hinzutreten weiterer Umstände, die das Amtsgericht nicht festgestellt hat. Eine Strafbarkeit gemäß § 326 Abs. 1 StGB würde voraussetzen, dass der Betriebsleiter wesentlich von einem vorgeschriebenen Verfahren abgewichen ist, das sich hier namentlich aus den Vorschriften zum Schutz gegen Gefährdung durch Asbest, die in Nr. 2 des Anhangs I zur GefStoffV und den Technischen Regeln für Gefahrstoffe (TRGS) 519 niedergelegt sind, ergeben kann. Für die Annahme einer solchen Abweichung würde es nicht genügen, dass nur der Betriebsleiter nicht über einen Sachkundenachweis gemäß verfügt. Denn den maßgeblichen Vorschriften könnte bereits genügt sein, wenn die Arbeiten von sachkundigen Personen vorgenommen würden (Nr. 2.4.2 Abs. 3 Satz 2 Anhang I zur GefStoffV). Allerdings würde es eine wesentliche Abweichung von dem vorgeschriebenen Verfahren begründen, wenn die personelle Ausstattung des Betriebes insgesamt nicht für die vorschriftenkonforme Durchführung der Asbestarbeiten geeignet wäre (Nr. 2.4.2 Abs. 3 Satz 1 Anhang I zur GefStoffV, Nr. 5 TRGS 519), in diesem Fall wäre auch der Straftatbestand des § 27 Abs. 1 Nr. 1 ChemG i. V. m. § 24 Abs. 2 Nr. 1 GefStoffV erfüllt.

Zusätzlich müsste für eine Strafbarkeit wegen unerlaubten Umgangs mit Abfällen - von der das Amtsgericht im angefochtenen Urteil ausgeht - festgestellt sein, dass die Demontage der Asbestplatten auch eine der in § 326 Abs. 1 StGB genannten Tathandlungen darstellt. Dies käme unter dem Gesichtspunkt eines "Sonst-Bewirtschaftens" der Abfälle insbesondere dann in Betracht, wenn die Demontage der erste Schritt zu einer unerlaubten Beförderung oder Entsorgung der Asbestplatten durch die Einziehungsbeteiligte gewesen sein sollte, die Asbestplatten dadurch der gesetzlichen Abfallentsorgung entzogen werden sollten und die Gefahr eines unkontrollierten Freisetzens von Schadstoffen gesteigert worden wäre (vgl. Schönke/Schröder/Heine/Schittenhelm, StGB § 326 Rn. 10b m. w. N.).

Den bisher getroffenen Feststellungen lassen sich diese für die Tatbestandsverwirklichung maßgeblichen Umstände nicht entnehmen. Es erscheint indes nicht fernliegend, dass das neue Tatgericht entsprechende Feststellungen wird treffen können.

3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

Es wird von der möglicherweise festzustellenden Straftat abhängen, ob und was die Einziehungsbeteiligte durch die Tat ihres Betriebsleiters erlangt hat. Sofern bereits die Demontage der Asbestplatten Teil der strafbaren Handlung sein sollte, würde der dafür gezahlte Werklohn gemäß §§ 73 Abs. 1, 73b Abs. 1 Nr. 1 StGB der Einziehung unterliegen. Entgegen der Annahme der Generalstaatsanwaltschaft läge dann keine Konstellation vor, in der der Betroffene lediglich die ersparten Aufwendungen für eine legale Entsorgung erlangt hätte (dazu Köhler, NStZ 2017, 503). Ein solcher Fall wäre nur dann gegeben, wenn die Durchführung der Asbestarbeiten an sich straflos gewesen wäre und der Betriebsleiter erst durch eine spätere Beseitigung der Asbestplatten eine Straftat begangen hätte (vgl. BGH, Urteil vom 23. Oktober 2013, 5 StR 505/12, RN 51 zitiert nach juris BGHSt 59, 45). Hiervon ist zumindest nach den bisherigen Feststellungen nicht auszugehen, da die Demontage der Asbestplatten eine Tathandlung gemäß § 326 Abs. 1 StGB - als "Sonst-Bewirtschaften - und § 27 Abs. 1 Nr. 1 ChemG i. V. m. § 24 Abs. 2 Nr. 1 GefStoffV darstellen könnte.

Entgegen der bisherigen Annahme des Amtsgerichts hätte die Einziehungsbeteiligte durch eine etwaige Straftat nicht den gesamten Werklohn für die Dacharbeiten, sondern nur die Vergütung für die Asbestarbeiten - nach den bisherigen Feststellungen 910,80 Euro - im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB erlangt. Die Vergütung für die übrigen, rechtmäßigen Arbeiten wären der Einbeziehungsbeteiligten hingegen erst durch weitere, nicht tatbestandsmäßige Handlungen - namentlich das Neueindecken des Daches - zugekommen. Insoweit würde es an dem erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen der Tat und dem Erlangen fehlen, so dass die entsprechende Vergütung nicht der Einziehung unterläge (vgl. BGH, Beschluss vom 11. August 2021, 1 StR 253/21, juris; BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2020, 2 StR 476/19, juris; BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2020, 5 StR 229/19, juris; Grosse-Wilde/Thurm, wistra 2021, 337).