Verwaltungsgericht Lüneburg
Beschl. v. 15.11.2018, Az.: 3 B 15/18

Abschiebungsandrohung; Aufschiebende Wirkung; Eilverfahren; Norwegen; Zweitantrag

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
15.11.2018
Aktenzeichen
3 B 15/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 74253
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Im Falle der Abweisung eines Asylantrages als unzulässigen Zweitantrag i.S. § 71a Abs.1 AsylG ist angesichts des Prüfungsmaßstabes des § 36 Abs.4 S.1 AsylG im Rahmen eines Antrages auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung von einem in Norwegen als sicherem Drittstaat i.S. § 26a AsylG abgeschlossenen Asylverfahren auszugehen, wenn sich aus der vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eingeholten Auskunft nach Art. 34 der Verordnung (EU) Nr.604/2013 ergibt, dass das Verfahren in Norwegen im November 2016 durch eine Sachentscheidung abgeschlossen wurde, der Antragsteller im Dezember 2016 aus Norwegen ausgereist ist und auch vom Antragsteller keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen sind, dass gegen die Entscheidung ein Rechtsbehelf eingelegt wurde.

2. Der im Eilverfahren erhobene Einwand, die Sachentscheidung im norwegischen Asylverfahren sei rechtswidrig, da sie mit Verfahrensmängeln behaftet gewesen sei, ist für die Frage, ob das dortige Verfahren als abgeschlossen gilt unbeachtlich, wenn gegen die Entscheidung in Norwegen ersichtlich kein Rechtsbehelf eingelegt wurde und Wiederaufnahmegründe nicht dargetan sind.

3. Die Ablehnung eines Asylgesuches in Norwegen bezieht sich im Zweifel sowohl auf die Frage der Flüchtlingseigenschaft als auch auf die Gewährung subsidiären Schutzes.

4. Auch für die Frage des Vorliegens eines Abschiebungsverbotes gilt der Prüfungsmaßstab des § 36 Abs.4 AsylG.

Tenor:

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers (3 A 195/18) gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 21. September 2018 wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen die Androhung seiner Abschiebung nach Afghanistan.

Der Antragsteller ist nach seinen Angaben afghanischer Staatsangehöriger. Nach seinen Angaben sei der Antragsteller am D. geboren. Der Antragsteller stellte am 20.03.2017 bei dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, vertreten durch seinen Vormund, einen Asylantrag.

Im Asylverfahren wurde der Antragsteller als Minderjähriger behandelt. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 8.05.2017 gab er an, bereits am 16.12.2015 in Norwegen einen Asylantrag gestellt zu haben. Er habe sich ungefähr ein Jahr lang in Norwegen aufgehalten. Sein Rechtsanwalt habe ihn seinerzeit angerufen und ihm mitgeteilt, dass er abgelehnt worden sei. Direkt nach seiner Ablehnung sei der Antragsteller am 1.12.2016 in Deutschland eingereist. In Afghanistan würden noch sein Vater, seine Mutter und drei Schwestern sowie ferner die Familie seines Onkels als auch die Familie seiner Tante leben. In Afghanistan sei der Antragsteller bis zur achten Klasse in die Schule gegangen und habe nebenbei als Näher sowie in einem Laden, in dem Süßigkeiten verkauft worden seien, gearbeitet. Der Vater des Antragstellers sei Inhaber des Ladens gewesen.

Fluchtgrund sei gewesen, dass der Antragsteller im Herbst 2015 zu Beginn der achten Klasse in der Schule ein Mädchen kennengelernt und sich in sie verliebt habe. Zu diesem Zeitpunkt seien der Antragsteller und das Mädchen 15 Jahre alt gewesen. Dieses Mädchen sei bereits dem Sohn seiner Tante versprochen gewesen, welchen sie aber nicht habe heiraten wollen. Der Antragsteller und seine Freundin hätten besprochen, dass sie in den Ferien zusammen fliehen wollten. Dies hätten sie auch getan und seien gemeinsam mittags nach der Schule geflohen. An diesem Tag hätten sie dann auch miteinander geschlafen. Nachdem sie zusammen gewesen seien, seien beide noch am selben Tag abends wieder nach Hause zurückgekehrt. Der Antragsteller sei in den Laden seines Vaters, in welchem er gearbeitet habe, gegangen und seine Freundin nach Hause. Diese habe ihrem Vater und ihrem Bruder gegenüber auf die Frage, wo sie gewesen sei, erklärt, dass sie mit dem Antragsteller zusammen gewesen sei. Sie würde nicht mit dem Sohn ihrer Tante verheiratet werden wollen sondern wolle mit dem Antragsteller zusammen sein. Der Bruder und der Vater hätten sodann den Antragsteller aufsuchen wollen. Seine Freundin habe ihn dann per SMS vorgewarnt, dass ihr Vater und ihr Bruder ihn suchen würden, um ihn zu töten.

Als der Antragsteller abends den Laden habe verlassen wollen, hätten der Bruder des Mädchens und ein weiterer Mann den Antragsteller auf dem Weg nach Hause abgefangen und begonnen, ihn zu verprügeln. Als sich ein Auto genähert habe, hätten sie vom Antragsteller abgelassen. Diesem Fahrzeug sei ein Bekannter des Antragstellers entstiegen, welcher ihn nach Hause gefahren habe. Der Vater des Antragstellers habe den Antragsteller ins Krankenhaus gefahren und ihn gefragt, woher die Verletzungen stammen würden. Er habe seinem Vater von der Beziehung mit dem Mädchen erzählt, nicht aber davon, dass er mit ihr geschlafen habe.

Auf weitere Befragung hat der Antragsteller erklärt, die SMS seiner Freundin habe er am nächsten Morgen erhalten. Diese habe sie vom Handy ihrer Mutter aus geschrieben, da ihr ihr eigenes Handy am Vorabend weggenommen worden sei. Seine Freundin habe ihm mitgeteilt, sie habe ihrer Mutter erzählt, dass beide miteinander geschlafen hätten, diese habe es dann dem Vater und dem Bruder weitererzählt. Von den beiden Männern zusammengeschlagen worden sei der Antragsteller dann am Abend desselben Tages.

Sein Vater habe den Antragsteller danach im Haus der Tante des Antragstellers versteckt. In dieser Zeit seien bei dem Vater des Antragstellers vier Männer erschienen und hätten erklärt, dass sie nach dem Antragsteller suchen würden. Wer diese Männer gewesen seien, wisse der Vater nicht.

Sein Vater habe dem Antragsteller mitgeteilt, dass diese Männer ihm nach dem Leben trachten würden und ihm geraten, das Land möglichst schnell zu verlassen. Der Vater habe dann einen Schlepper organisiert, welcher den Antragsteller in den Iran gebracht habe.

Mit Bescheid vom 30.05.2017 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag des Antragstellers als unzulässig abgelehnt und festgestellt, dass Abschiebungsverbote nicht vorliegen würden. Hiergegen hat der Antragsteller im Verfahren 3 A 365/17 vor dem Verwaltungsgericht Lüneburg Klage erhoben und im Verfahren 3 B 24/17 Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt.

Mit Beschluss vom 14. Juli 2017 hat das Verwaltungsgericht Lüneburg in jenem Verfahren die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in dem Bescheid vom 30. Mai 2017 angeordnet.

Mit Gerichtsbescheid vom 19. Januar 3018 hat das Verwaltungsgericht Lüneburg den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 30. Mai 2017 im Wesentlichen mit der Begründung aufgehoben, aufgrund der vorliegenden vagen Informationen allein auf Grundlage der Angaben des Klägers stehe nicht mit der erforderlichen Sicherheit fest, dass das Asylverfahren des Klägers in Norwegen erfolglos abgeschlossen sei. Diese Entscheidung ist rechtskräftig geworden.

In der Folge stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Informationsersuchen nach Art. 34 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 an das Land Norwegen. Mit Schriftsatz vom 4. Juli 2018 beantragte die Bevollmächtigte des Antragstellers Erteilung der Auskunft über den Gesamtbestand der zum Verfahren in Norwegen eingeholten Daten.

Auf das Informationsersuchen des Bundesamtes teilte das norwegische Utlendingsdirektoratet (Norwegian Directorate of Immigration) diesem mit Datum vom 18. Juli 2018 mit, der Antragsteller sei im Rahmen seines am 16.12.2015 gestellten Asylantrages in Norwegen als Minderjähriger behandelt worden. Eine Altersfeststellung habe ergeben, dass er im September 2016 20 Jahre alt gewesen sei. Die Auskunft des norwegischen Utlendingsdirektoratet vermerkt als Geburtsdatum des Klägers den 16.12.1997.

Ferner heißt es in der Auskunft, am 25.11.2016 habe der Kläger seine Zurückweisung erhalten und sei im Dezember 2016 ausgereist. Der Kläger habe in Norwegen keinerlei Schutz oder Bleiberecht erhalten. Wegen des weiteren Inhaltes wird auf Bl. 235 des Verwaltungsvorganges verwiesen.

Mit Bescheid vom 5. September 2017, am 14. September 2017 als Einschreiben zur Post gegeben, hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Anträge des Klägers auf Asyl, Flüchtlingsschutz und subsidiären Schutz erneut als unzulässig abgelehnt (Ziffer 1) und wiederum festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorlägen (Ziffer 2). Der Antragsteller wurde unter Androhung der Abschiebung nach Afghanistan aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen (Ziffer 3). Schließlich wurde das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG auf 36 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 4).

Zur Begründung hat das Bundesamt im Bescheid im Wesentlichen ausgeführt, es handele sich bei dem erneuten Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland um einen Zweitantrag im Sinne des § 71a AsylG, da der Antragsteller bereits in Norwegen als einem sicheren Drittstaat gemäß § 26a AsylG ein Asylverfahren erfolglos betrieben habe.

Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller am 28. September 2018 durch seine Bevollmächtigte Klage erhoben (3 A 195/18), mit der er beantragt, den Bescheid vom 21. September 2018 aufzuheben sowie ferner, die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen.

Es bestünden bereits Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit des in Norwegen geführten Verfahrens des Antragstellers. Zweifelhaft sei insbesondere, ob dieser in Norwegen einen wirksamen Asylantrag gestellt habe, da Zweifel bestünden, dass er im Zeitpunkt seiner Einreise nach Norwegen volljährig gewesen sei. Nach welchen Verfahren eine Altersbestimmung durchgeführt worden sei, sei nicht bekannt. Im Zweifel hätte der Antragsteller als minderjährig angesehen werden müssen. Durch die Behandlung als Erwachsener seien im norwegischen Asylverfahren wesentliche Verfahrensrechte des Antragstellers verletzt worden.

Vor Erlass des Bescheides vom 21. September 2018 habe die Antragsgegnerin der Bevollmächtigten des Antragstellers trotz deren vorheriger Bitte den Inhalt der aus Norwegen erhaltenen Informationen nicht zugänglich gemacht. Dadurch sei der Anspruch des Antragstellers auf rechtliches Gehör verletzt.

Im Übrigen habe sich die Sachlage geändert. Der Kläger halte sich seit nunmehr drei Jahren im westeuropäischen Ausland auf. Er sei hier zur Schule gegangen und habe eine Ausbildungsstelle. Der Antragsteller sei bestens integriert und habe einen großen internationalen Freundeskreis. Seine Aktivitäten entsprächen denen eines deutschen Jugendlichen. Es könne deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass es ihm in Afghanistan möglich sein werde, diese Lebensweise derart wieder abzulegen, dass er dort nicht als verwestlicht erkannt und ausgegrenzt würde. Eine solche Ausgrenzung gefährde den Antragsteller als Rückkehrer aber unmittelbar. Darüber hinaus sei die Familie des Antragstellers nicht in der Lage, diese im Falle seiner Rückkehr zu unterstützen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vortrages wird insoweit auf die Klage- und Antragsschrift vom 28. September 2018 sowie den Schriftsatz vom 23. Oktober 2018 verwiesen.

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO

anzuordnen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten im Verfahren 3 A 365/17 und 3 B 24/17 verwiesen und auf den im vorliegenden Verfahren vorgelegten Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

II.

Der sinngemäß gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage (3 A 195/18) gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamts vom 21.09.2018 anzuordnen, ist zulässig, aber unbegründet.

1.

Der Antrag ist zulässig. Er ist nach § 80 Abs. 5 VwGO statthaft, da der in der Hauptsache erhobenen Klage nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG keine aufschiebende Wirkung zukommt (§ 71a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 ASylG). Auch die Wochenfrist zur Stellung des Antrags gemäß § 71a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG wurde eingehalten.

2.

Der Antrag ist nicht begründet. Die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 80 Abs. 5 VwGO i.V.m. § 36 Abs. 4 AsylG liegen nicht vor.

Gemäß § 71a Abs. 4 AsylG i.V.m. § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG darf die Aussetzung der Abschiebung im Falle eines Zweitantrags, in dem ein weiteres Asylverfahren nicht durchgeführt wird, nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen.

Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen dann vor, wenn zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Entscheidung des Bundesamts einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, Urt. v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris). "Angegriffen" ist dabei im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Abschiebungsandrohung; Gegenstand dieses Verfahrens ist allein die Frage, ob die unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche (§§ 71a Abs. 1 und 4, 36 Abs. 1 AsylG) erlassene Abschiebungsandrohung rechtmäßig ist.

Dies setzt voraus, dass die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Asylantrags als unzulässig (§§ 29 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2, 71a Abs. 1 AsylG) vorliegen, dass der Abschiebung des Asylbewerbers in den in der Abschiebungsandrohung benannten Staat keine Abschiebungsverbote entgegenstehen oder die Abschiebung ungeachtet des Vorliegens der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausnahmsweise zulässig ist (§§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG), dass der Ausländer keinen Aufenthaltstitel besitzt (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG) und dass die Abschiebungsandrohung auch sonst nicht zu beanstanden ist (vgl. VG Minden, B.v. 31. Juli 2017 – 10 L 109/17.A – juris Rn. 15). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts, § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. AsylG.

Gemessen daran bestehen im Rahmen der vorzunehmenden summarischen Prüfung jedenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Asylantrags als unzulässig und ebenso wenig an der Verneinung der Voraussetzungen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs.5 und Abs. 7 AufenthG.

a)

Nach § 71a Abs. 1 AsylG ist dann, wenn ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den die Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) stellt, ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen. Andernfalls ist der Antrag als unzulässig zurückzuweisen, § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG.

b)

Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin zu Unrecht von einem Zweitantrag i.S.d. § 71a Abs. 1 AsylG ausgegangen ist.

(aa)

Norwegen ist in der Anlage I (zu § 26a AsylG) genannt und damit sicherer Drittstaat (§ 26a Abs. 2 AsylG), für den die Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten (vgl. Übereinkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Republik Island und dem Königreich Norwegen über die Kriterien und Regelungen zur Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat oder in Island oder Norwegen gestellten Asylantrags vom 19.1.2001, Abl. L 93/40; vgl. auch European Union Agency for Fundamental Rights/Council of Europe, Handbook on European law relating to asylum, borders and immigration, 2014, S. 264). Nachdem die Bundesrepublik Deutschland hier kein Übernahmegesuch gestellt hat, ist sie nach Art. 21 Abs. 1 der Verordnung EU 604/2013 (Dublin-​III-​Verordnung) für das gegenständliche Verfahren zuständig geworden.

(bb)

Weiterhin ist von einem erfolglosen Abschluss des Asylverfahrens in Norwegen auszugehen. Ein solcher setzt zum einen voraus, dass der vorausgegangene negative Ausgang des Asylverfahrens durch rechtskräftige Sachentscheidung festgestellt wird und feststeht; bloße Mutmaßungen genügen nicht. Dies bedeutet, dass das Bundesamt zu der gesicherten Erkenntnis gelangen muss, dass das Asylerstverfahren mit einer für den Asylbewerber negativen Sachentscheidung endgültig – also ohne Möglichkeit der Wiedereröffnung des Erstverfahrens – abgeschlossen wurde (BVerwG Urt. v. 14.12.2016, 1 C 4/16 - juris).

Das erfolglos abgeschlossene Asylverfahren in einem anderen Mitgliedsstaat der EU oder sicherem Drittstaat muss sich auch auf die Gewährung des unionsrechtlichen subsidiären Schutzes beziehen (vgl. VG Lüneburg 3 B 43/17 vom 20.02.2018 – nicht amtl. veröffentlicht; VG Lüneburg Urt. v. 8.08.2017 – 3 A 92/16 , juris; VG München, Beschl. v. 20.11.2017 - M 11 S 17.48158 - und v. 3.4.2017 - M 21 S 16.36125 -; VG Trier, Urt. v. 10.2.2016 - 5 K 3875/15.TR -, juris Ls. 2 und Rn. 54 ff).

Diese Voraussetzungen liegen vor:

Es bestehen bei summarischer Prüfung keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür, dass das Prüfprogramm des in Norwegen gestellten Asylantrags nicht auch die Voraussetzungen der Flüchtlingseigenschaft wie des subsidiären Schutzes umfasste. Nach § 28 Abs. 1 des zum 1. Januar 2010 in Kraft getretenen norwegischen Ausländergesetzes vom 15. Mai 2008 (Lov om utlendingers adgang til riket og deres ophold her – utlendingsloven) soll, soweit für das Gericht ersichtlich, ein Ausländer (…) als Flüchtling anerkannt werden, der (a) eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer speziellen sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung hat (…), oder (b) ohne unter Buchstabe a) zu fallen, gleichwohl reelle Gefahr läuft, bei Rückkehr in sein Heimatland der Todesstrafe, Folter oder anderer unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung ausgesetzt zu werden (Text mit englischer Übersetzung abrufbar unter lovdata.no). Aus der Erläuterung des Gesetzesvorschlags des Ministeriums für Arbeit und Inklusion – Ot.prp.nr. 75 (2006 - 2007) – geht hervor, dass der Schutz vor Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung dabei auch den Schutz vor einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts i.S.d. Art. 15 Buchst. c) der sog. Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU (vormals RL 2004/83/EG) umfassen soll (vgl. S. 94 f.; abrufbar unter https://www.stortinget.no/no/Saker-​og-​publikasjoner/Saker/Sak/?p=37763). Damit umfasste das Prüfprogramm der Entscheidung der norwegischen Behörden sowohl die Flüchtlingseigenschaft i.S.d. § 3 AsylG als auch den subsidiären Schutz i S.d. § 4 AsylG und deckt sich mit dem Prüfprogramm nach § 13 AsylG (vgl. VG München, B. v. 28.02.2018 - M 16 S 17.47946 – juris Rn 22).

(a)

Mit Blick auf die Mitteilung der norwegischen Behörden vom 18.07.2018 auf das vorherige Auskunftsersuchen des Bundesamts nach Art. 34 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 hin spricht im Rahmen der vorzunehmenden summarischen Prüfung ganz überwiegendes für einen rechtskräftigen Abschluss des dortigen Asylverfahrens.

(b)

Dafür, dass der Antragsteller in Norwegen aufgrund Minderjährigkeit noch keinen formwirksamen Asylantrag gestellt hat, bestehen entgegen der Auffassung des Antragstellers keine durchgreifenden Anhaltspunkte.

Nach der Auskunft der norwegischen Behörden vom 18.07.2018 (Bl. 235 des Verwaltungsvorganges) haben diese den Kläger zunächst nach Maßgabe von Art. 7 Abs.3 der Richtlinie 2013/32/EU vom 26.06.2013 als Minderjährigen behandelt und sodann im Rahmen einer Altersfeststellung als Erwachsenen angesehen. Nach dem eigenen Sachvortag des Antragstellers war im norwegischen Asylverfahren ein Rechtsanwalt als Bevollmächtigter mit der Führung des Verfahrens beauftragt. Die Führung des Verfahrens durch einen Rechtsbeistand ist Indiz für eine Beachtung der wesentlichen Grundsätze des europäischen Asylverfahrens nach Art. 27 der Richtlinie 2013/32/EU vom 26.06.2013 und damit jedenfalls auch für eine wirksame Antragstellung.

Warum der Antragsteller im norwegischen Asylverfahren durch einen Rechtsanwalt vertreten war, aber andererseits meint, keine wirksamen Asylantrag gestellt zu haben, bleibt nach seinem Vorbringen im Dunkeln. Hierzu hat der Antragsteller im vorläufigen Rechtsschutzverfahren entgegen § 36 Abs. 4 Satz 2 AsylG auch keine konkrete Erklärung abgegeben. Ebenso wenig hat der Antragsteller sich dazu erklärt, welche konkreten Fluchtgründe er zuvor im Verfahren in Norwegen vorgebracht hat.

Soweit der Antragsteller rügt, die norwegischen Behörden hätten im Rahmen des dortigen Asylverfahrens Verfahrensvorschriften, insbesondere zur Altersfeststellung, verletzt, handelt es sich im Übrigen um Einwendungen, die etwaige Verfahrensmängel des in Norwegen geführten Asylverfahrens selbst betreffen und im dortigen Rechtsschutzsystem hätten geltend gemacht werden müssen. Norwegen ist zwar nicht Mitglied der Europäischen Union. Wie sich bereits mittelbar aus der lediglich eingeschränkten Unterrichtungspflicht in Art. 34 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 ergibt, ist es gerade nicht funktionell Aufgabe des jeweiligen Mitgliedsstaates, die förmliche Rechtmäßigkeit des in einem Drittstaat durchgeführten abgeschlossenen Asylverfahrens (erneut) zu überprüfen. Vielmehr kommt es nach Durchführung eines Asylverfahrens in einem Mitgliedsstaat der EU oder sicheren Drittstaat für die Frage eines zulässigen Antrages allein darauf an, ob bereits ein Asylverfahren durchgeführt und durch eine Entscheidung bestandskräftig abgeschlossen worden ist, ggf. noch, welche Gründe der dortigen Entscheidung zu Grunde lagen.

Hierzu hat der Antragsteller selbst keine Tatsachen vorgebracht, aus denen der Schluss gezogen werden könnte, trotz der erteilten Auskunft des norwegischen Utlendingsdirektoratet (Norwegian Directorate of Immigration) vom 18. Juli 2018 sei das Asylverfahren in Norwegen möglicherweise noch nicht abgeschlossen.

Der in dem dortigen Verfahren seinerzeit anwaltlich vertretene Antragsteller behauptet auch weder, dass in Norwegen noch ein Rechtsbehelf oder Rechtsmittel gegen den ablehnenden Bescheid anhängig sei noch, dass dort ein Wiederaufnahmeantrag gestellt sei.

(c)

Soweit der Antragsteller im vorliegenden Verfahren rügt, die mitgeteilte Auskunft der norwegischen Behörde trotz vorheriger Aufforderung vor Erlass des Bescheides nicht zur Kenntnis erhalten zu haben, ist dieser Verstoß gegen §§ 28, 29 VwVfG durch Übersendung des Aktenauszuges mit dem Auskunftsersuchen durch das Gericht geheilt. Der Verstoß ist zugleich voraussichtlich gemäß § 46 VwVfG unbeachtlich, da vieles dafür spricht, dass die Beachtung des Anhörungsrechtes im Ergebnis nicht zu einer anderen Entscheidung geführt hätte.

Entgegen der Auffassung des Antragstellers im Schriftsatz vom 23.10.2018 gehören weder die Frage der im Asylverfahren angewandten Methoden der Altersbestimmung noch die Frage „welche Angaben der Kläger in Norwegen gemacht haben könnte, die nunmehr im jetzigen Zweitantrag nicht mehr gewürdigt werden können“ zu den stets zu übermittelnden Informationen nach Art. 34 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013. Wie bereits ausgeführt, waren etwaige Verfahrensverstöße des norwegischen Asylverfahrens vom Antragsteller in dem dortigen Rechtsschutzsystem zu rügen.

Trotz des Verfahrensverstoßes bestehen damit im Ergebnis keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides.

(d)

Schließlich liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vor.

Voraussetzung ist eine nachträgliche Änderung der Sach- oder Rechtslage zugunsten des Betroffenen (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG). § 51 Abs. 1 VwVfG fordert einen schlüssigen Sachvortrag, der nicht von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtung ungeeignet sein darf, zur Asylberechtigung (Art. 16a GG) oder zur Zuerkennung des internationalen Schutzes (§§ 3 ff., 4 AsylG) zu verhelfen. Es genügt schon die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufnahmegründe (dazu BVerfG, B.v. 3.3.2000 – 2 BvR 39/98 – juris Rdnr. 32 m.w.N.).

Außerdem ist der Antrag gemäß § 51 Abs. 2 und 3 VwVfG nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren geltend zu machen, und er den Antrag binnen drei Monaten nach Kenntnis des Grundes für das Wiederaufgreifen gestellt hat.

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Der Antragsteller hat zum einen nichts dazu vorgetragen, dass er die im Rahmen seiner Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgebrachten Gründe nicht bereits im norwegischen Asylverfahren vorgebracht hat oder hätte vorbringen können. Der Antragsteller hat nicht einmal behauptet, dass es Fluchtgründe gebe, welche bereits zum Zeitpunkt der Asylantragstellung in Norwegen bestanden hätten aber von ihm nicht hätten vorgetragen werden können.

Im vorliegenden Eilverfahren wäre es Sache des Antragstellers, welchem ja bekannt ist, dass er in Norwegen bereits erfolglos ein Asylverfahren durchgeführt hat, dazu vorzutragen, welche neuen Tatsachen er nunmehr geltend machen will, die er nicht bereits im norwegischen Verfahren erfolglos vorgetragen hat oder nicht hat vortragen können. Der Antragsteller macht lediglich geltend, die Sachlage habe sich seit Ablehnung des Asylantrages geändert.

Der Vortrag in der Klageschrift zu einer Änderung der Tatsachengrundlage ist nicht geeignet, eine Verfolgung i.S.d. § 3b AsylG oder einen ernsthaften Schaden i.S.d. § 4 AsylG zu begründen:

Die Frage, ob die Familie des Antragstellers nunmehr noch in Afghanistan lebt, ist für die Frage der Gewährung internationalen Schutzes unerheblich. Gleiches gilt für die Frage, ob der Antragsteller aufgrund seines Aufenthaltes in der Bundesrepublik Deutschland mittlerweile hier integriert ist.

Der - erstmals im Prozess - vorgebrachte pauschale Sachvortrag, der Antragsteller sei in den drei Jahren seines Aufenthaltes aufgrund der Annahme der hiesigen Lebensweise, der Absolvierung der Schule und einer Ausbildung mittlerweile „verwestlicht“, ist in dieser Allgemeinheit weder geeignet, eine mit beachtliche Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung noch einen drohenden ernsthaften Schadens im Herkunftsland Afghanistan zu begründen (vgl. dazu z.B. VGH BW Urt. v. 24.01.2018, A 11 S 1265/17 Rn 290 ff – juris; zuletzt auch VGH BW Urt. v. 12.10.2018, A 11 S 316/17 - juris) und führt daher nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides.

(e)

Eine Änderung der Sachlage ergibt sich auch nicht – insbesondere im Hinblick auf die Gewährung subsidiären Schutzes – aufgrund der gerichtsbekannten Erkenntnismittel.

In Afghanistan besteht auch unter Berücksichtigung aktueller Erkenntnismittel derzeit kein landesweiter innerstaatlicher bewaffneter Konflikt i.S. § 4 Abs.1 Satz 2 Nr.3 AsylG.

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass und unter welchen Voraussetzungen eine ernsthafte individuelle Bedrohung im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F.) anzunehmen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.6.2008 - 10 C 43.07 - juris Rn. 34 ff.; v. 27.4.2010 - 10 C 4.09 - juris Rn. 32 ff.; v. 17.11.2011 - 10 C 13.10 - juris Rn. 17 ff.; v. 13.2.2014 - 10 C 6.13 - juris Rn. 24; Beschl. v. 27.6.2013 - 10 B 11.13 - juris Rn. 7). Danach genügt es nicht, dass der innerstaatliche bewaffnete Konflikt zu permanenten Gefährdungen der Bevölkerung und zu schweren Menschenrechtsverletzungen führt (BVerwG, Urt.v. 13.2.2014, a.a.O., Rn. 24). Allerdings kann sich eine von einem bewaffneten Konflikt ausgehende allgemeine Gefahr individuell verdichten und damit die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG erfüllen (vgl. BVerwG, Urt. v. 24.6.2008, a.a.O., Rn. 34). Eine derartige Individualisierung kann sich bei einem hohen Niveau willkürlicher Gewalt für die Zivilbevölkerung aus gefahrerhöhenden Umständen in der Person des Betroffenen ergeben. Dazu gehören in erster Linie persönliche Umstände, die den Antragsteller von der allgemeinen, ungezielten Gewalt stärker betroffen erscheinen lassen, etwa weil er von Berufs wegen - z.B. als Arzt oder Journalist - gezwungen ist, sich nahe der Gefahrenquelle aufzuhalten. Möglich sind aber auch solche persönlichen Umstände, aufgrund derer der Antragsteller als Zivilperson zusätzlich der Gefahr gezielter Gewaltakte - etwa wegen seiner religiösen oder ethnischen Zugehörigkeit - ausgesetzt ist (BVerwG, Urt. v. 17.11.2010, a.a.O., Rn. 18 m.w.N.).

Fehlen - wie hier - individuelle gefahrerhöhende Umstände, so kann eine Individualisierung der allgemeinen Gefahr ausnahmsweise bei einer außergewöhnlichen Situation eintreten, die durch einen so hohen Gefahrengrad gekennzeichnet ist, dass praktisch jede Zivilperson allein aufgrund ihrer Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre (BVerwG, Urt. v. 17.11.2011, a.a.O., Rn. 18 m.w.N.). Erforderlich ist insoweit ein besonders hohes Niveau willkürlicher Gewalt (BVerwG, Urt. v. 17.11.2011, a.a.O., Rn. 18 m.w.N.). Für die individuelle Betroffenheit von der Gefahr bedarf es Feststellungen zur Gefahrendichte für die Zivilbevölkerung in dem fraglichen Gebiet, die jedenfalls auch eine annäherungsweise quantitative Ermittlung der Gesamtzahl der in dem betreffenden Gebiet lebenden Zivilpersonen einerseits und der Akte willkürlicher Gewalt andererseits, die von den Konfliktparteien gegen Leib oder Leben von Zivilpersonen in diesem Gebiet verübt werden, zu umfassen hat, sowie einer wertenden Gesamtbetrachtung mit Blick auf die Anzahl der Opfer und die Schwere der Schädigungen (Todesfälle und Verletzungen) bei der Zivilbevölkerung unter Berücksichtigung der medizinischen Versorgungslage (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.11.2011, a.a.O., Rn. 23; v. 13.2.2014, a.a.O., Rn. 24). Allerdings sieht das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls ein Risiko von 1:800 (0,125 %), in dem betreffenden Gebiet verletzt oder getötet zu werden, als so weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit entfernt an, dass auch eine wertende Gesamtbetrachtung am Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG a.F.) nichts zu ändern vermag (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.11.2011, a.a.O., Rn. 23).

In der Zentralregion Afghanistans, die neben Kabul (Einwohnerzahl ca. 4,5 Millionen, jeweils nach dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 2.3.2017, aktualisiert am 30.1.2018, S. 56, 89, 102, 109, 111, 125) die Provinzen Parwan (Einwohnerzahl ca. 675.000), Kapisa (Einwohnerzahl ca. 448.000), Logar (Einwohnerzahl ca. 398.000), Panjshir (Einwohnerzahl ca. 156.000) und (Maidan) Wardak (Einwohnerzahl ca. 606.000) umfasst (vgl. UNAMA, Afghanistan Annual Report on Protection of Civilians in Armed Conflict: 2017, v. Febr. 2018, S. 2; Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Republik Österreich Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vom 21.1.2016, aktualisiert am 19.12.2016, S. 61; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Afghanistan: Update, Die aktuelle Sicherheitslage v. 30.9.2016, S. 12) und in der insgesamt ca. 6,7 Millionen Einwohner leben, wurden im Jahr 2017 von der UNAMA 2.240 verletzte oder getötete Zivilpersonen gezählt gegenüber der Zahl von 2.348 im gleichen Vorjahreszeitraum (UNAMA, Afghanistan Annual Report on Protection of Civilians in Armed Conflict: 2017, v. Februar 2018, S. 7).

Selbst bei einer Verdreifachung der Opferzahlen besteht in der gesamten Zentralregion keine im Rechtssinn beachtliche Wahrscheinlichkeit für eine Zivilperson, dort aufgrund eines sicherheitsrelevanten Vorfalls verletzt oder getötet zu werden. Insgesamt gingen lt. UNAMA mit Ausnahme der Nordregion in allen übrigen Regionen Afghanistans die zivilen Opferzahlen ggü. dem Vorjahreszeitraum leicht zurück (a.a.O. S. 7). Auch die Entwicklung der Sicherheitslage im Jahr 2018 bis zur mündlichen Verhandlung führt trotz gehäufter Anschläge insbesondere im Zuge der Parlamentswahlen im Oktober 2018 zu keiner signifikant abweichenden Betrachtungsweise. Die Zahl der landesweiten zivilen Opfer (verletzte und getötete Personen) bewegte sich mit dem Stichtag 30.09.2018 in etwa auf dem Niveau des Jahres 2017 (2017: 8084 Opfer; 2018: 8050 Opfer) – vgl. UNAMA Quarterly Report v. 10.10.2018 S.1).

(f)

Das Bundesamt hat die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 bzw. § 60 Abs. 7 AufenthG unter Ziff. 2. des Bescheides vom 21.09.2018 mit vertretbaren Gründen verneint. Insoweit wird zunächst auf die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid vollinhaltlich Bezug genommen. Der Antragsteller hat mit seinem Antrag auch keine Tatsachen glaubhaft gemacht, aufgrund derer ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung zum Abschiebungsverbot bestehen.

Soweit der Antragsteller rügt, bei der Entscheidung sei insbesondere unberücksichtigt geblieben, dass der Antragsteller tatsächlich noch minderjährig sei, in Afghanistan keine Unterstützung durch seine Familie erwarten und nicht selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen könne, begründet dies allein keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung. Der Umstand allein, dass ein Asylbewerber minderjährig ist, löst noch kein Abschiebungsverbot aus sondern begründet gemäß § 58 Absatz 1a AufenthG zunächst einmal lediglich ein von Amts wegen von der zu berücksichtigendes Vollstreckungshindernis der Abschiebung i.S. § 60a Abs.2 S.1 AufenthG (BVerwG Urt. v. 13.06.2013 – 10 C 13.12 – juris; Bayrischer VGH, Urt. v. 23.03.2017, 13a B17.30011 – juris Rn 48).

Die Kammer geht in ständiger Rechtsprechung im Einklang mit der Auffassung des niedersächsische Oberverwaltungsgerichtes (Beschl. V. 25.05.2018 9 LA 64/18 – juris) davon aus, dass die Lage in Afghanistan für alleinstehende junge Männer nicht derart ist, dass eine Abschiebung dorthin ohne weiteres eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG grundsätzlich anzunehmen wäre.

Auch in Bezug auf § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist geklärt, dass für aus dem europäischen Ausland zurückkehrende afghanische Staatsangehörige angesichts der aktuellen Auskunftslage im Allgemeinen weiterhin nicht von einer extremen Gefahrenlage auszugehen ist, die zu einem Abschiebungsverbot in entsprechender Anwendung von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG führen würde (vgl. BayVGH, B.v. 3.11.2017 – 13a ZB 17.30625 – juris Rn. 5;). Anhaltspunkte für eine Beurteilung mit Blick auf individuelle Umstände des Antragstellers, die jedenfalls zu ernstlichen Zweifeln an der Entscheidung des Bundesamtes zum Abschiebungsverbot führen würden, sind weder ersichtlich noch mit der Antragsschrift vorgetragen.

Der Antragsteller hat schließlich auch keine Tatsachen dahin glaubhaft gemacht, dass ihm aufgrund der im Rahmen seiner Anhörung am 8.05.2017 geschilderten Fluchtgründe im Falle der Abschiebung eine Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung droht, welche ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG begründen würde.

Bereits der Sachvortrag des Antragstellers dazu, er habe in der achten Klasse als Fünfzehnjähriger in der Schule ein Mädchen kennengelernt, wirft aufgrund der Erkenntnismittellage, wonach in Afghanistan nach der Grundschule üblicherweise eine Trennung zwischen Mädchen und Jungen erfolgt, Zweifelsfragen auf. Insbesondere der weitere Sachvortrag, der damals fünfzehnjährige Antragsteller habe mit seiner Freundin nach Schulschluss „fliehen“ wollen, beide seien dann zwar bereits am Abend zurückgekehrt, hätten aber in dieser Zeit die Gelegenheit wahrgenommen, miteinander Geschlechtsverkehr zu haben, hiervon habe die Freundin des Antragstellers sogleich noch am Abend ihre Mutter in Kenntnis gesetzt, wirkt angesichts der in Afghanistan herrschenden, auch unter Jugendlichen bekannten strikten Moralvorstellungen im Umgang zwischen Frauen und Männern und deren gravierenden Folgen im Fall von Verstößen gerade auch angesichts des (behaupteten) damaligen Alters wenig realitätsnah und deshalb nach Aktenlage keineswegs auf den ersten Blick plausibel und glaubhaft (vergleiche zu dieser Thematik z.B. ACCORD, Anfragebeantwortung zu Afghanistan vom 10. August 2012: Konsequenzen von vorehelichem Geschlechtsverkehr für Männer -https://www.ecoi.net/de/dokument/1185671.html; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Auskunft der SH-Länderanalyse vom 2. Oktober 2012, Afghanistan: Zina, außerehelicher Geschlechtsverkehr, wonach außereheliche Beziehungen zwischen Männern und Frauen- erst Recht der außereheliche Geschlechtsverkehr - in Afghanistan sowohl nach islamischem als auch staatlichem Recht drakonischen Strafen unterliegt und nicht selten zu Ehrenmorden führt; ferner heißt es in einer weiteren Anfragebeantwortung von ACCORD, vom 27.12.2012 zu Afghanistan zum Thema „Sanktionen gegen unverheiratetes Paar, das untertaucht“: „wenn ein Junge gemeinsam mit einem Mädchen wegliefe, seien vermutlich beide dem Risiko ausgesetzt, von ihren Familien getötet zu werden. Es müsse jedoch davon ausgegangen werden, dass das Mädchen am härtesten bestraft werde, vor allem, wenn außerehelicher Geschlechtsverkehr stattgefunden habe. Der Verlust ihrer Jungfräulichkeit bedeute für ihre Familie eine große Schande.“- https://www.ecoi.net/de/dokument/1053322.html).

Aufgrund der jedenfalls nach Aktenlage geringen Überzeugungskraft der Angaben des Antragstellers zu seinen Fluchtgründen bestehen auch insoweit keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Bundesamtes zur Frage eines Abschiebungsverbotes.

(f)

Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der ausgesprochenen Abschiebungsandrohung ergeben sich ebenfalls nicht. Die Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sind weder formell noch in der Sache zu beanstanden, insbesondere entsprechen sie den Anforderungen des § 34 AsylG.

Ermessensfehler (vgl. zum eingeräumten Ermessen BVerwG, Urt. v. 22.2.2017 - 1 C 27/16 -, juris Rn. 18 ff.; VG Lüneburg, Urt. v. 12.7.2016 - 5 A 63/16 -, juris Rn. 30; so im Ergebnis auch VG München, Urt. v. 16.3.2017 - M 17 K 16.34860 -, juris Rn. 54) bei der Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbotes gem. § 11 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 AufenthG durch das Bundesamt sind ebenfalls nicht ersichtlich.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b Abs. 1 AsylG).

IV.

Dieser Beschluss ist gemäß § 80 AsylG unanfechtbar.