Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 30.05.2005, Az.: 6 B 678/05
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 30.05.2005
- Aktenzeichen
- 6 B 678/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 43330
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGSTADE:2005:0530.6B678.05.0A
Fundstelle
- AbfallR 2005, 231
In der Verwaltungsrechtssache
...
Streitgegenstand: Sammlung von Altpapier;
hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO
hat das Verwaltungsgericht Stade - 6. Kammer - am 30. Mai 2005 beschlossen:
Tenor:
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die abfallrechtliche Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 29. März 2005 wird hinsichtlich der Untersagungsverfügung (Ziffer 1) wiederhergestellt und hinsichtlich der Zwangsgeldandrohung (Ziffer 2) sowie der Festsetzung der Verwaltungsgebühr (Ziffer 5) angeordnet.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10.000,-- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Mit Verfügung vom 29. März 2005 untersagte der Antragsgegner der Antragstellerin, auf dem Gelände der Firma E. in F. eine gewerbliche Sammlung von PPK (Papier, Pappe und Kartonage) gemäß § 13 Abs. 3 des Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetzes - KrW - /AbfG - durchzuführen (Ziffer 1). Für den Fall, dass diese Anordnung nicht befolgt wird, drohte der Antragsgegner der Antragstellerin ein Zwangsgeld in Höhe von 10.000,-- Euro an (Ziffer 2 der Verfügung). Zugleich ordnete der Antragsgegner die sofortige Vollziehung der Untersagung (Anordnung zu 1) gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - an. Außerdem setzte er die Verwaltungsgebühr für die abfallrechtliche Ordnungsverfügung auf 80,-- Euro fest.
Gegen diese Verfügung hat die Antragstellerin Widerspruch erhoben und bei Gericht um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Die Antragstellerin teilt die Auffassung des Antragsgegners, der von ihr geplanten gewerblichen Sammlung stünden überwiegende öffentliche Interessen entgegen, nicht.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und auf die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Der Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat Erfolg.
Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Gunsten der Antragstellerin aus. Denn die Rechtmäßigkeit der abfallrechtlichen Ordnungsverfügung des Antragsgegners begegnet nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand ernstlichen Zweifeln. Das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin hat daher Vorrang vor dem Vollziehungsinteresse des Antragsgegners.
Die Untersagungsverfügung des Antragsgegners (Ziffer 1 des Bescheides vom 29. März 2005) lässt sich nach dem derzeitigen Sachstand nicht auf § 21 Abs. 1 i. V. m. § 13 Abs. 3 KrW-/AbfG stützen.
Gemäß § 21 Abs. 1 KrW-/AbfG kann die zuständige Behörde - dies ist für sein Kreisgebiet der Antragsgegner - im Einzelfall die erforderlichen Anordnungen zur Durchführung des Gesetzes, also auch zur Durchführung der Regelungen des § 13 Abs. 1 und 3 KrW-/AbfG, treffen. Nach Lage der Dinge ist die angefochtene Untersagungsverfügung zur Durchführung dieser Regelungen nicht erforderlich.
Zwar besteht für PPK - im Folgenden: Altpapier - aus privaten Haushaltungen grundsätzlich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG eine Überlassungspflicht an den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger (hier: den Antragsgegner). Nach dem gegenwärtigen Sachstand ist jedoch davon auszugehen, dass diese Überlassungspflicht hier gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KrW-/AbfG entfällt.
Gemäß § 13 Abs. 1 KrW-/AbfG sind Erzeuger und Besitzer von Abfällen aus privaten Haushaltungen verpflichtet, diese den nach Landesrecht zur Entsorgung verpflichteten juristischen Personen (öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger) zu überlassen, soweit sie zu einer Verwertung nicht in der Lage sind oder diese nicht beabsichtigen. Eine solche Überlassungspflicht ist für das Altpapier aus privaten Haushaltungen, dessen gewerbliche Sammlung die Antragstellerin in einem Großraum-Container auf dem Gelände der Firma G. beabsichtigt, anzunehmen. Bei dem Altpapier aus privaten Haushaltungen handelt es sich um Abfälle im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 KrW-/AbfG, nämlich um bewegliche Sachen, die unter die in Anhang I aufgeführten Gruppen fallen - Abfallgruppe Q 14 ("Produkte, die vom Besitzer nicht oder nicht mehr verwendet werden (z. B. in der Landwirtschaft, den Haushaltungen, Büros, Verkaufsstellen, Werkstätten usw.")) und deren sich ihr Besitzer entledigt. Die Besitzer des Altpapiers aus privaten Haushaltungen sind zu einer Verwertung des Altpapiers nicht in der Lage oder beabsichtigen diese nicht.
Die Überlassungspflicht gilt jedoch nach § 13 Abs. 3 Nr. 3 KrW-/AbfG nicht für Abfälle, die durch gewerbliche Sammlung einer ordnungsgemäßen und schadlosen Verwertung zugeführt werden, soweit dies den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern nachgewiesen wird und nicht überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen. Die Voraussetzungen für eine solche Ausnahme von der Überlassungspflicht liegen hier nach dem derzeitigen Sachstand vor.
Die Antragstellerin, ein überregional tätiges Entsorgungsunternehmen, beabsichtigt eine gewerbliche Sammlung, durch die das Altpapier einer ordnungsgemäßen und schadlosen Verwertung zugeführt wird. Der erforderliche Nachweis der ordnungsgemäßen und schadlosen Verwertung ist zwischen den Beteiligten nicht streitig. Entgegen der Annahme des Antragsgegners lässt sich auch nicht feststellen, dass der von der Antragstellerin geplanten Altpapiersammlung auf dem Gelände der Firma E. überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen.
Der Gesetzgeber wollte mit den Einschränkungen der Überlassungspflicht in § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KrW-/AbfG die Berechtigung auch gewerblicher Abfallsammlungen als eine der bisher schon üblichen Formen der Kreislaufwirtschaft anerkennen (vgl. hierzu und zum Folgenden OVG Brandenburg, Beschluss vom 14. Oktober 2004 - 2 B 122/04 -). Dabei hat er andererseits nicht verkannt, dass die Beibehaltung dieser historisch überkommenen Verwertungswege in Konkurrenz zu der in § 15 Abs. 1 KrW-/AbfG vorgesehenen Verwertung und Beseitigung des Abfalls aus privaten Haushaltungen durch die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger tritt. Entgegenstehende öffentliche Interessen ergeben sich daher bereits aus dem gesetzlichen Regelungsgefüge der §§ 13 und 15 KrW-/AbfG (OVG Brandenburg, a.a.O). Potentiell macht die gewerbliche Sammlung des Abfalls aus privaten Haushaltungen den gesetzlich vorgesehenen Entsorgungsweg über die öffentlich-rechtliche Abfallwirtschaft entbehrlich; praktisch wird den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern aber nur ein Anteil des zu verwertenden Abfalls, und zwar der lukrative Teil, entzogen (OVG Brandenburg, a.a.O.). Zudem kann die Art und Weise der Sammlung zu Beeinträchtigungen oder besonderen Anforderungen an die Aufgabenwahrnehmung führen. Alle diese Beeinträchtigungen der öffentlichen Abfallwirtschaft sind jedoch als Ausdruck des Spannungsverhältnisses, das mit der Zulassung des konkurrierenden Entsorgungsweges entsteht, grundsätzlich hinzunehmen und können eine Untersagung nicht begründen (OVG Brandenburg, a.a.O.).
Aus dem Merkmal des Überwiegens entgegenstehender öffentlicher Interesse ist vielmehr für sich genommen abzuleiten, dass die Einschränkung der Überlassungspflicht nach § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KrW-/AbfG, letztlich aber auch die Zulässigkeit gewerblicher Sammlungen dort enden soll, wo das gesetzliche Regelungsmodell für die Entsorgung privater Haushalte in seiner Funktionsfähigkeit beeinträchtigt wird (vgl. OVG Brandenburg, a.a.O.; Frenz, KrW-/AbfG, Kommentar, 3. Auflage, § 13, Rdn. 62 ff.; Zandonella/Thärichen, NVwZ 1998, 1160). Ein Überwiegen entgegenstehender öffentlicher Interessen liegt daher vor, wenn die Erfüllung der gesetzlichen Pflichten des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers existenziell gefährdet wird (vgl. OVG Brandenburg, a.a.O; VG Frankfurt/M., Beschluss vom 23. Mai 1997 - 9 G 1205/97 - NVwZ-RR 1998, 167, 167; Kunig in Kunig/Paetow/Versteyl, KrW-/AbfG, Kommentar 2. Auflage, § 13, Rdn. 37; Frenz, a.a.O., § 13, Rdn. 66), vorbehaltlich eines davon unabhängigen öffentlichen Interesses an einer geordneten Durchführung der gewerblichen Sammlung. Eine solche existenzielle Gefährdung liegt vor, wenn die zum Betrieb der öffentlichen Entsorgungseinrichtungen notwendige Planungssicherheit nicht mehr gewährleistet ist, ein betriebswirtschaftlich sinnvoller Betrieb unmöglich gemacht wird oder die geordnete Abfuhr und Entsorgung der Abfälle aus privaten Haushaltungen sonst nicht mehr gewährleistet ist (OVG Brandenburg, a.a.O). Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger als öffentliche Einrichtungen der Daseinsvorsorge keine gewinnorientierten Unternehmen sind (OVG Brandenburg, a.a.O). Die öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger in Niedersachsen erheben gemäß § 12 Abs. 1 NAbfG, soweit nicht ein privat-rechtliches Entgelt gefordert wird, für die Abfallentsorgung Gebühren nach den Vorschriften des Niedersächsischen Kommunalabgabengesetzes - NKAG - mit den Maßgaben der nachfolgenden Absätze. Die Höhe dieser Gebühren wird bundesrechtlich durch das Äquivalenzprinzip begrenzt, wonach die Gebühr nicht in einem unangemessenen Verhältnis zu der erbrachten Leistung stehen darf und das dementsprechend auch im Rahmen des § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KrW-/AbfG die äußerste Grenze der (wirtschaftlichen) Entsorgungssicherheit darstellt (OVG Brandenburg, a.a.O.).
Nach diesen Grundsätzen ist ein Überwiegen entgegenstehender öffentlicher Interessen hier nicht ersichtlich. Der Antragsgegner hat hierzu in dem angefochtenen Bescheid ausgeführt: Im Gegensatz zu den Ausführungen der Antragstellerin seien seines Erachtens durchaus die Funktionsfähigkeit und der Bestand der öffentlichen Altpapiersammlung im Landkreis C. gefährdet. An dem in Rede stehenden Standort auf dem Gelände der Firma E. in F. werde ein erheblicher Anteil des im Rahmen der Containersammlung anfallenden Altpapiers gesammelt. Außerdem bestehe die Gefahr, dass durch die Tolerierung dieser Sammelstelle weitere gewerbliche Sammlungen im Kreisgebiet etabliert und so lange durchgeführt werden, wie eine Rendite erwirtschaftet werde. Es könne nicht hingenommen werden, dass private Unternehmen renditeträchtige gewerbliche Sammlungen durchführen und der zuständige öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger, der gemäß § 15 Abs. 1 KrW-/AbfG verpflichtet sei, die aus privaten Haushaltungen überlassenen Abfälle anzunehmen und zu verwerten bzw. zu beseitigen, lediglich eine kostenträchtige Reservefunktion übernehmen müsse. Diese Erwägungen des Antragsgegners belegen ein Überwiegen entgegenstehender öffentlicher Interessen nach dem derzeitigen Sachstand nicht.
Die generelle Annahme, gewerbliche Sammlungen unterliefen und hüllten die Überlassungspflicht nach § 13 Abs. 1 KrW-/AbfG in lukrativen Bereichen aus, rechtfertigt angesichts der gesetzlichen Einschränkung der Überlassungspflicht für gewerbliche Sammlungen, die gerade auf mit Gewinnerzielung verwertbare Abfälle bezogen sind, die Bejahung eines Überwiegens entgegenstehender öffentlicher Interessen nicht, weil damit die gesetzliche Einschränkung der Überlassungspflicht durch § 13 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 KrW-/AbfG geradezu unterlaufen würde (OVG Brandenburg, a.a.O.).
Der Antragsgegner geht davon aus, die Antragstellerin, die zum 31. Dezember 2003 die Altpapiererfassung und -entsorgung im Landkreis C. durchgeführt habe, beabsichtige, nachdem ein Konkurrenzunternehmen ab 1. Januar 2004 nach europaweiter Ausschreitung, an der sich die Antragstellerin erfolglos beteiligt habe, mit der öffentlichen Altpapierentsorgung für das Gebiet des Landkreises C. beauftragt worden sei, den Einstieg in eine flächendeckende gewerbliche Sammlung an attraktiven Standorten. Derzeit ist allein zu beurteilen, ob der von der Antragstellerin beabsichtigten Altpapiersammlung auf dem Gelände der Firma E. in F. überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen. Die Antragstellerin hat eine flächendeckende gewerbliche Sammlung im Kreisgebiet in ihrem Schreiben vom 14. Februar 2005 nicht angezeigt. Vielmehr hat sie in ihrem Schreiben betont, auf Grund der Tatsache, dass sie "keine flächendeckende Sammlung durchführt", stünden ihrem Vorhaben keine überwiegenden öffentlichen Interessen entgegen.
Nach der vom Antragsgegner in diesem Eilverfahren vorgelegten Aufstellung "PPK -Landkreis C., Aufstellung der Tonnage an den öffentlichen Stellplätzen im Jahr 2004" sind am Standort E. im Jahr 2004 mit 338,68 t lediglich 7,6 % der vom Antragsgegner für dieses Jahr zu Grunde gelegten Gesamtmenge (PPK) von 4.667 t angefallen, also deutlich weniger als 20 %. Es ist damit nicht hinreichend wahrscheinlich, dass die von der Antragstellerin beabsichtigte gewerbliche Sammlung am Standort G. eine Unterschreitung von 80 % der Sammelleistung zur Folge hat. Erst bei einer solchen Unterschreitung aber könnte das Unternehmen, das ab 1. Januar 2004 mit der öffentlichen Altpapierentsorgung für das Gebiet des Landkreises C. beauftragt ist, eine Preisanpassung verlangen.
Der Antragstellerin ist vorläufiger Rechtsschutz auch gegen die in dem Bescheid des Antragsgegners vom 30. März 2005 ausgesprochene Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 10.000,-- Euro (Ziffer 2) zu gewähren. Ihr Widerspruch hat, soweit er sich gegen die Zwangsmittelandrohung wendet, gemäß § 64 Abs. 4 Satz 1 des Nds. Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung - Nds. SOG - keine aufschiebende Wirkung. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Zwangsmittelandrohung ist gemäß § 80 Abs. 5 VwGO i. V. m. § 64 Abs. 4 Satz 2 Nds. SOG anzuordnen. Da die Rechtmäßigkeit der Grundverfügung - wie dargelegt - ernstlichen Zweifeln begegnet, gilt dies auch für die Zwangsgeldandrohung.
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsstellerin gegen die Festsetzung der Verwaltungsgebühr für die abfallrechtliche Ordnungsverfügung auf 80,-- Euro war gleichfalls gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen. Die vorherige Durchführung eines behördlichen Aussetzungsverfahrens gemäß § 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO ist entbehrlich, weil eine Vollstreckung droht (§ 80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO). Da an der Rechtmäßigkeit der abfallrechtlichen Ordnungsverfügung ernstliche Zweifel bestehen, gilt dies auch für die Festsetzung der Verwaltungsgebühr.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Dabei hat sich die Kammer an der Höhe des angedrohten Zwangsgeldes orientiert.