Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 20.05.2005, Az.: 1 B 722/05

Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Klage; Entziehung der Fahrerlaubnis; Möglichkeit der Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
20.05.2005
Aktenzeichen
1 B 722/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 14227
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:2005:0520.1B722.05.0A

Verfahrensgegenstand

Entziehung der Fahrerlaubnis;
hier: Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO

Prozessführer

Herr A.,B.

Rechtsanwälte C.

Prozessgegner

Landkreis Stade,
vertreten durch den Landrat, Am Sande 2, 21682 Stade

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Die unterschiedliche Bewertung der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gemäß Anlage 13 zu § 40 FeV und nach Anlage 12 zu § 34 FeV hält sich im Rahmen des Spielraumes, der dem Verordnungsgeber durch die zu Grunde liegenden gesetzlichen Ermächtigungen eingeräumt ist, und ist angesichts der unterschiedlichen Zwecke beider Regelungen auch in der Sache gerechtfertigt.

  2. 2.

    Angesichts der besonderen Gefahren für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs, die von Fahranfängern auf Grund mangelnder Fahrzeugbeherrschung und mangelnder Erfahrung in der Einschätzung der Straßenverhältnisse und Verkehrsverhältnisse ausgehen, steht es vom § 2 a Abs. 2 StVG verfolgten Zweck nicht außer Verhältnis, wenn der Verordnungsgeber jede in das Verkehrszentralregister einzutragende Geschwindigkeitsüberschreitung als schwer wiegend im Sinne dieser Vorschrift betrachtet, sodass die Pflicht zur Teilnahme an einem Aufbauseminar gemäß § 2 b StVG und § 35 FeV ausgelöst wird.

Das Verwaltungsgericht Stade - 1. Kammer - hat
am 20. Mai 2005
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 18. März 2005 gerichteten Klage wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

1

I.

Der Antragsteller war seit Dezember 2001 Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe gemäß § 2a StVG. Am 30. Mai 2002 beging er einen mit 3 Punkten bewerteten Verkehrsverstoß, weshalb der Antragsgegner durch Bescheid vom 20. August 2002 die Teilnahme an einem Aufbauseminar anordnete. Dieses besuchte der Antragsteller während der Monate Dezember 2002 und Januar 2003. Am 31. Mai 2003 beging der Antragsteller erneut einen mit 3 Punkten bewerteten Verstoß gegen Verkehrsvorschriften, der mit einem seit dem 22. Juli 2003 rechtskräftigen Bußgeldbescheid geahndet wurde. Durch Schreiben vom 25. August 2003 verwarnte der Antragsgegner den Antragsteller und forderte ihn auf, sich künftig verkehrsgerecht zu verhalten. Er legte ihm zugleich nahe, innerhalb von zwei Monaten an einer verkehrspsychologischen Beratung teilzunehmen. Wegen einer am 9. Juli 2003 begangenen Ordnungswidrigkeit erging ein weiterer Bußgeldbescheid vom 13. Oktober 2003. Das Punktekonto des Antragstellers wies nunmehr nach der Auskunft des Kraftfahrtbundesamtes neun Punkte aus. Mit Bescheid vom 1. Dezember 2003 verwarnte der Antragsgegner den Antragsteller erneut.

2

Mit Schreiben vom 18. Februar 2005 übersandte das Kraftfahrtbundesamt die innerhalb der Probezeit begangenen registrierten Ordnungswidrigkeiten an den Antragsgegner. Mit Bußgeldbescheid vom 12. Januar 2005, der am 29. Januar 2005 unanfechtbar wurde, wurde dem Antragsteller wegen einer am 6. Dezember 2004 begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung ein Bußgeld in Höhe von 80,00 EUR auferlegt. Der Verstoß wurde mit einem Punkt bewertet, sodass der Punktestand nunmehr zehn Punkte betrug.

3

Mit Schreiben vom 7. März 2003 hörte der Antragsgegner den Antragsteller zu der Absicht an, ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen. Nachdem dieser sich in der angegebenen Frist nicht gemeldet hatte, entzog der Antragsgegner dem Antragsteller die Fahrerlaubnis. Der Antragsteller sei noch Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe. Von der Möglichkeit, innerhalb der gesetzten Frist, an einer verkehrspsychologischen Beratung teilzunehmen, habe er keinen Gebrauch gemacht. Nunmehr habe er erneut einen Verkehrsverstoß begangen, der in das Bundeszentralregister einzutragen war. Daher sei ihm die Fahrerlaubnis zu entziehen.

4

Der Antragsteller hat gegen diesen ihm am 22. März 2005 zugestellten Bescheid durch Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 18. April 2005 Klage erhoben und zugleich um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Der Antragsteller habe den ihm vorgeworfenen Verkehrsverstoß vom 12. Januar 2005 nicht begangen. Tatsächlich sei der Vater mit dem Fahrzeug gefahren, das im Übrigen auch auf den Vater zugelassen sei. Dieser sei auf dem Lichtbild auch bei genauer Betrachtung zu erkennen.

5

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen den Bescheid vom 18. März 2005 anzuordnen.

6

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

7

Er verteidigt den ergangenen Bescheid.

8

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Streitakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners Bezug genommen.

9

II.

Der Antrag hat keinen Erfolg.

10

Rechtsmittel gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis haben in diesem Fall gemäß § 2a Abs. 6 StVG keine aufschiebende Wirkung, sodass die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nur dann in Betracht kommen kann, wenn das Rechtsmittel bereits bei der in diesem auf vorläufigen Rechtsschutz gerichteten Verfahren gebotenen summarischen Prüfung erkennbar Aussicht auf Erfolg haben wird. Dies ist indes nicht der Fall. Der Antragsgegner ist gemäß § 2a Abs. 2 Satz StVG im Falle der Entziehung der Fahrerlaubnis auf Probe an die rechtskräftigen Entscheidungen über die Straftat oder die Ordnungswidrigkeit gebunden. Im vorliegenden Fall hatte sich die Probezeit gemäß § 2a Abs. 2a StVG um zwei Jahre verlängert, weil bereits die Teilnahme an einem Aufbauseminar angeordnet worden war. Danach ist in diesem Verfahren nicht mehr zu klären, ob nicht der Antragsteller, sondern sein Vater die Verkehrsordnungswidrigkeit am 6. Dezember 2004 begangen hat. Der Antragsteller hatte insoweit auch hinreichend Möglichkeiten, sich vor Eintritt der Rechtskraft gegen den Bußgeldbescheid zu wehren. Auf die Frage, wer Halter des Fahrzeuges ist und ob auf dem während des Verkehrsverstoßes gefertigten Lichtbild tatsächlich der Vater zu erkennen ist, kommt es daher in diesem Verfahren nicht an.

11

Die Verfügung des Antragsgegners ist auch im Übrigen nicht zu beanstanden. Nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn der Führerscheininhaber auf Probe nach Ablauf der in Nr. 2 genannten Frist von zwei Monaten, während der er an einer verkehrspsychologischen Beratung teilnehmen kann, innerhalb der Probezeit eine weitere schwer wiegende oder zwei weitere weniger schwer wiegende Zuwiderhandlungen begangen hat. Der Antragsgegner hat zu Recht die Geschwindigkeitsüberschreitung um 23 km/h als eine schwer wiegende Zuwiderhandlung des Antragstellers bewertet. Zwar wird die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 25 km/h im Rahmen des Punktesystems nach § 4 StVG gemäß Anlage 13 zu FeV§ 40 mit der niedrigsten möglichen Punktzahl, nämlich mit 1 Punkt bewertet. Im Rahmen der Vorschriften über die Fahrerlaubnis auf Probe wird diese jedoch gemäß Anlage 12 zu § 34 FeV als schwer wiegende Zuwiderhandlung im Sinne des § 2a Abs. 1 StVG eingeordnet. Die insoweit vorgenommene unterschiedliche Bewertung hält sich im Rahmen des Spielraumes, der dem Verordnungsgeber durch die zu Grunde liegenden gesetzlichen Ermächtigungen eingeräumt ist, und ist angesichts der unterschiedlichen Zwecke beider Regelungen auch in der Sache gerechtfertigt. Die Maßnahmen nach dem Punktsystem des § 4 StVG dienen dem Schutz der Verkehrsteilnehmer von Mehrfachtätern und treffen jeden Fahrerlaubnisinhaber in gleicher Weise, unabhängig von seinem Alter und seiner Erfahrung als Kraftfahrer. Sie knüpfen allein an die Punktzahl an. Angesichts des weiten Anwendungsbereiches und des hohen Abstraktionsgrades dieser Regelung ist eine differenzierende Bewertung der zu Grunde liegenden Zuwiderhandlungen anhand einer Skala von 1 bis zu 7 Punkten gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 StVG erforderlich. Angesichts der besonderen Gefahren für die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs, die von Fahranfängern auf Grund mangelnder Fahrzeugbeherrschung und mangelnder Erfahrung in der Einschätzung der Straßenverhältnisse und Verkehrsverhältnisse ausgehen, steht es vom § 2a Abs. 2 StVG verfolgten Zweck nicht außer Verhältnis, wenn der Verordnungsgeber jede in das Verkehrszentralregister einzutragende Geschwindigkeitsüberschreitung als schwer wiegend im Sinne dieser Vorschrift betrachtet, sodass die Pflicht zur Teilnahme an einem Aufbauseminar gemäß § 2b StVG und § 35 FeV ausgelöst wird (vgl. VG München, Beschluss vom 15. November 1999 - M 6 S 99.494 - = NZV 2000, 222; VG Neustadt, Beschluss vom 20. Juni 2000 - 9 L 1447/00.NW -, ZfSch 2000, 269).

12

Die Klage wird daher, jedenfalls nach der hier gebotenen summarischen Prüfung, keinen Erfolg haben, sodass der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge abzuweisen war.

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 52 GKG. Er war auf die Hälfte des Streitwertes festzusetzen, der in der Hauptsache festzusetzen ist.

Schmidt
Clausen
Klinge