Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 23.07.2020, Az.: 6 B 3894/20
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 23.07.2020
- Aktenzeichen
- 6 B 3894/20
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2020, 72057
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Erfolgloser Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 EURO festgesetzt.
Gründe
Der (sinngemäße) Antrag der Antragstellerin,
die Antragsgegnerin zu verpflichten, sie in Form einer Einzelprüfung in der mündlichen Modulprüfung im Fach „Anatomie“ in der Zeit vom 28.07.2020 bis 31.07.2020 vorläufig zu prüfen,
hat keinen Erfolg.
Der zulässige Antrag ist unbegründet. Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass die Voraussetzungen vorliegen, unter denen im Verfahren nach § 123 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 VwGO i. V. mit § 920 ZPO unter zulässiger Vorwegnahme der Hauptsache ein Anspruch auf Teilnahme an einer Einzelprüfung im Rahmen der mündlichen Modulprüfung im Fach „Anatomie“ besteht. Der Antragstellerin steht nach der nur gebotenen summarischen Prüfung der in der Sache begehrte Nachteilsausgleich nicht zu.
Maßgeblich ist insoweit die Regelung des § 12 Abs. 5 der Prüfungsordnung für den Studiengang Medizin an der M. in der Fassung vom 14.08.2019 (im Folgenden: PO). Danach ist Studierenden, die eine Behinderung durch ärztliches Zeugnis nachweisen, die Erbringung von Prüfungsleistungen (u. a.) in einem gleichwertigen anderen Verfahren zu ermöglichen. Soweit die Antragstellerin die Durchführung einer mündlichen Einzelprüfung im Fach „Anatomie“ statt einer wie von der Antragsgegnerin angesetzten mündlichen Gruppenprüfung begehrt, kann sie sich nicht auf die e. g. Vorschrift berufen.
Die Anwendung des § 12 Abs. 5 PO muss sich am Grundrecht der Berufsfreiheit der Prüflinge gemäß Art. 12 Abs. 1 GG und vor allem an dem das Prüfungsrecht beherrschenden Grundsatz der Chancengleichheit aller Prüflinge, Art. 3 Abs. 1 GG, orientieren. Die hier in Rede stehende mündliche Gruppenprüfung dient dem Nachweis über die in und außerhalb der Lehrveranstaltungen des Moduls erlangten erforderlichen Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten der Prüflinge (vgl. § 4 Abs. 3 Satz 2 PO). Ihr Ergebnis ist insbesondere von der geistigen Leistungsfähigkeit der Prüflinge bestimmt. Der einzelne Prüfling steht hierbei im Wettbewerb mit anderen. Das Prüfungsverfahren muss danach gewährleisten, dass die Leistungsfähigkeit der Prüflinge unter gleichen Bedingungen zum Ausdruck kommen kann. Das ist dann der Fall, wenn lediglich eine Beeinträchtigung, eine an sich vorhandene Leistungsfähigkeit technisch umsetzen zu können, vorliegt, für die ein Ausgleich geschaffen werden kann, wie etwa eine Behinderung der – mechanischen – Darstellungsfähigkeit (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.8.1977 – VII C 50.76 –, juris). Dies gilt indes nicht, wenn – und sei es auch nur für einen vorübergehenden Zeitraum – bereits die Leistungsfähigkeit im Hinblick auf die jeweils geforderte Prüfungsleistung aufgrund in der Person des Prüflings liegender persönlichkeitsbedingter Einschränkungen dem Grunde nach vermindert ist. Letztes vermag krankheitsbedingt im Einzelfall den Rücktritt von einer Prüfung zu rechtfertigen (vgl. OVG NRW, Urt. v. 8.6.2010 – 14 A 1735/09 –, juris Rn. 37).
Das Gericht geht nach gegenwärtigem Stand davon aus, dass es sich bei den Erkrankungen der Antragstellerin – einer schweren und bereits chronifizierten spezifischen Phobie (Prüfungsangst) sowie einer rezidivierenden depressiven Störung (vgl. Attest des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie N. v. 21.11.2019) – um persönlichkeitsbedingte generelle Einschränkungen der Leistungsfähigkeit handelt, die Anforderungen an eine mündliche Gruppenprüfung zu erfüllen. Die Leistungsminderung bestimmt insoweit ihr „normales“ Leistungsbild mit der Folge, dass, soweit sich die durch die Prüfungsangst bedingten Leistungsschwächen im Prüfungsergebnis niederschlagen, dessen Aussagewert gerade nicht verfälscht wird (vgl. VG Freiburg, Beschl. v. 31.8.2007 – 2 K 1667.07 – Rn. 11). Die im Zusammenhang mit Gruppenprüfungen bei der Antragstellerin auftretenden Symptome wie Herzrasen, Hitzewallungen und Übelkeit treten nach ihren Angaben wiederkehrend und regelmäßig auf und wirken sich unmittelbar auf ihre Leistungsfähigkeit und damit auch auf das Prüfungsergebnis aus. Gleichwohl hat sie in der Vergangenheit auch schon Prüfungen in Gruppensituationen erfolgreich bestanden (vgl. Eidesstattliche Versicherung v. 16.7.2020), was die Einordnung ihrer Einschränkungen insoweit erschwert, zumal weder die Antragstellerin noch ihre Therapeuten diesen Umstand zu erklären vermögen. Sofern es bei der Antragstellerin am Prüfungstag zu einer außergewöhnlichen psychischen Belastungsreaktion kommen sollte, die einen Krankheitswert erreicht, kann dies ggf. als wichtiger Grund den Rücktritt von der Prüfung rechtfertigen (vgl. § 10 Abs. 1 UA 2 Satz 3 PO). Für die Gewährung eines Nachteilsausgleichs ist indes kein Raum.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1 GKG. Die Höhe des Streitwerts folgt aus §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist die Hälfte des Hauptsachestreitwerts festzusetzen, vgl. Nr. 1.5 Satz 1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NordÖR 2014, 11).