Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 30.07.1998, Az.: 7 U 70/98

Recht zur fristlosen Kündigung eines Vertragshäöndlers bei Vorliegen eines wichtigen Grundes; Schwere Vertragsverletzungen als wichtiger Grund für die fristlose Kündigung ; Erschleichen von Zuschüssen durch Scheinverkäufe von Neuwagen; Voraussetzung für die Verwirkung des Rechts zur fristlosen Kündigung ; Zustimmung zu wettbewerbsbeschränkenden Regelungen in Vertragshändlerverträgen

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
30.07.1998
Aktenzeichen
7 U 70/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1998, 18321
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:1998:0730.7U70.98.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG ... - 25.05.1998 - AZ: 21 O 121/98

Fundstelle

  • OLGReport Gerichtsort 1998, 291-293

Prozessführer

A. ...
vertreten durch den Geschäftsführer,

Prozessgegner

Die ...
vertreten durch den Vorstandsvorsitzenden,

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Vertragshändlerverträge können nach herrschender Auffassung in entsprechender Anwendung des § 89a Handelsgesetzbuch (HGB) fristlos gekündigt werden können, wenn hierfür ein wichtiger Grund gegeben ist.

  2. 2.

    Eine Verwirkung des Rechts zur fristlosen Kündigung hat zur Voraussetzung, daß sich zum Zeitpunkt der Kündigung durch Zeitablauf und darüber hinaus durch weitere Umstände beim Kündigungsempfänger ein berechtigtes Vertrauen darauf gebildet hat, daß der an sich gegebene Grund zur fristlosen Kündigung nicht mehr zum Ausspruch der Kündigung führen werde.

In dem Verfügungsstreit
hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts ...
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ...
der Richterin am Oberlandesgericht ... und
des Richters am Oberlandesgericht ...
aufgrund der mündlichen Verhandlung
vom 16. Juli 1998
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 25. Mai 1998 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert für das Verfahren in beiden Rechtszügen wird auf 375.000,00 DM festgesetzt. Insoweit wird die Streitwertfestsetzung im Urteil des Landgerichts ... vom 25. Mai 1998 geändert.

Entscheidungsgründe

1

Die Berufung der Verfügungsklägerin (Klägerin) ist zulässig, jedoch als unbegründet zurückzuweisen. Der von ihr mit der Berufung, wie schon im ersten Rechtszuge, verfolgte Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung, durch welche der Verfügungsbeklagten (Beklagten) aufgegeben werden soll, die Klägerin, ihre Vertragshändlerin, zu beliefern, ist nicht gerechtfertigt, weil die Beklagte der Klägerin gegenüber mit Schreiben vom 4. Mai 1998, bei der Klägerin eingegangen am 7. Mai 1998, eine wirksame fristlose Kündigung der Vertragshändlerverträge vom 12.12.1995 (Vertrag U) und vom 09.05.1996 (Vertrag C) ausgesprochen hat. Für die beantragte einstweilige Verfügung fehlt somit der Verfügungsanspruch.

2

Vertragshändlerverträge können nach herrschender Auffassung (vgl. BGH NJW 1994, 722 = BB 1994, 815; NJW-RR 1993, 682; BB 1992, 162 [BGH 04.11.1991 - II ZB 10/91]; NJW 1982, 2432; Ulrich im Handbuch des Vertriebsrechts, herausgegeben von Michael Martinek und Franz-Jörg Semler, § 15 Rdnr. 27) in entsprechender Anwendung des § 89a HGB fristlos gekündigt werden können, wenn hierfür ein wichtiger Grund gegeben ist.

3

Der wichtige Grund für die fristlose Kündigung bestand hier darin, daß die Klägerin sich in der Zeit von Dezember 1994 bis November 1996 durch Scheinverkäufe von Neuwagen an die Firma ... GmbH Zuschüsse der Beklagten erschlichen hat, und zwar unstreitig in Höhe von fast 500.000,00 DM. Dieses Verhalten der Klägerin ist auch im Schreiben vom 04.05.1998 als Grund für die fristlose Kündigung genannt (zum Erfordernis der Angabe des Grundes für die fristlose Kündigung vgl. Ulrich a.a.O. Rdnr. 49 f.). Die Klägerin hat sich folglich schwere Vertragsverletzungen zuschulden kommen lassen und damit der Beklagten einen wichtigen Grund für die fristlose Kündigung der Vertragshändlerverträge gegeben. Das gibt die Klägerin auch zu.

4

Der Einwand der Klägerin, die Kündigung vom 04.05.1998 stelle eine unzulässige Rechtsausübung dar, insbesondere sei zum Zeitpunkt ihres Anspruchs das Recht der Beklagten zur fristlosen Kündigung verwirkt gewesen, ist nicht erheblich.

5

Eine Verwirkung des Rechts zur fristlosen Kündigung hat zur Voraussetzung, daß sich zum Zeitpunkt der Kündigung durch Zeitablauf und darüber hinaus durch weitere Umstände beim Kündigungsempfänger ein berechtigtes Vertrauen darauf gebildet hat, daß der an sich gegebene Grund zur fristlosen Kündigung nicht mehr zum Ausspruch der Kündigung führen werde (vgl. BGH NJW 1994, 722; NJW-RR 1993, 682; BB 1992, 1162; Staudinger/Jürgen Schmidt BGB 13. Aufl. 1995 § 242 Rdnr. 547 f.).

6

Insoweit spielt auch der Zeitablauf zwischen der Erlangung der Kenntnis vom wichtigen Grund auf seiten des Kündigungsberechtigten und der Erklärung der Kündigung eine Rolle. Es ist aber nicht davon auszugehen, daß die fristlose Kündigung nach Ablauf einer bestimmten Frist, etwa nach Ablauf von 2 Monaten, nicht mehr wirksam ausgesprochen werden könnte. Auch in der Entscheidung des BGH vom 15.12.1993 (NJW 1994, 722 = BB 1994, 815), auf die sich die Klägerin beruft, wird die Einhaltung einer solchen Frist nicht verlangt, sondern nur davon gesprochen, daß in der Regel nach Ablauf von 2 Monaten seit Kenntnisnahme vom Kündigungsgrund die Kündigung nicht mehr wirksam ausgesprochen werden könne.

7

Im vorliegenden Fall mußte die Klägerin mit der fristlosen Kündigung auch noch in dem Zeitpunkt rechnen, in welchem ihr das Kündigungsschreiben zuging. Denn die Klägerin wußte, daß die Beklagte von dem Zeitpunkt an, wo sie den ersten Verdacht geschöpft hatte, damit befaßt war, diese Vertragsverstöße in einem umfänglichen Verfahren zu prüfen. Sie wußte auch, daß es sich um eine Vielzahl einzelner Verstöße, letztlich 249 Scheinverkäufe von Neuwagen, handelte und daß sie selbst zunächst, nämlich in der Zeit von August 1997 bis zum Ende des Jahres 1997, die Mitwirkung an der Aufklärung dieser Vertragsverstöße verweigert und damit zusätzlich Anlaß für eine intensive und zeitaufwendige Prüfung durch die Beklagte gegeben hatte. So hatten Prüfer der Beklagten der Klägerin noch am 25.03.1998 einen Besuch abgestattet und bei dieser Gelegenheit die Klägerin zur Beschaffung weiterer Unterlagen aufgefordert, die die Klägerin aber offenbar der Beklagten nicht mehr vorgelegt hat. Mit Schreiben vom 23.04.1998 erhielt die Klägerin dann die Aufforderung, an einem bewertenden Gespräch über die Vertragsverstöße unter Beteiligung der Rechtsabteilung der Beklagten teilzunehmen. Bis zum Erhalt dieses Schreibens hatte die Klägerin keine Veranlassung anzunehmen, die Beklagte werde die Vertragsverstöße auf sich beruhen lassen. Das hat die Klägerin auch nicht angenommen, denn der Geschäftsführer der Klägerin hat in der erstinstanzlichen Verhandlung vom 25.05.1998 erklärt, daß ihn die Gesprächsaufforderung vom 23.04.1998 nicht überrascht habe. Dem Schreiben vom 23.04.1998 mußte die Klägerin aber entnehmen, daß die Beklagte vorhatte, Konsequenzen, also möglicherweise auch die Konsequenzen einer fristlosen Kündigung aus den Vertragsverstößen der Klägerin zu ziehen.

8

Aus dem Fax der Klägerin vom 10.12.1997, das sie als Selbstanzeige bezeichnet, läßt sich eine Verwirkung des Rechts der Beklagten zur fristlosen Kündigung schon deshalb nicht ableiten, weil die Beklagte noch am selben Tag der Klägerin antwortete, daß ihr, der Beklagten, die Auskünfte nicht genügten.

9

Sicherlich hätte die Klägerin die Prüfung der Vertragsverstöße und die Überlegung, welche Folgerung sie aus ihnen ziehen wollte, nicht unangemessen lange hinauszögern dürfen. Von einer solchen übermäßigen Verzögerung kann aber angesichts des Umfangs und der Schwierigkeit der Überprüfung und angesichts der verspäteten Mitwirkung der Klägerin an der Überprüfung nicht die Rede sein.

10

Eine Verwirkung läßt sich auch nicht daraus ableiten, daß die Beklagten noch mit Schreiben vom 16. und 20.04.1998 sogenannte Großkundenverträge mit der Klägerin abschloß. Schon in der vorangegangenen Zeit der Überprüfung der Vertragsverstöße hat die Beklagte die Vertragsbeziehungen zur Klägerin ohne jede Einschränkung fortgesetzt. Es war deshalb auch für die Klägerin deutlich geworden, daß die Beklagte vor Abschluß der Überprüfung keine Konsequenzen aus diesen Vertragsverstößen ziehen wollte. Das lag auch nahe, weil eben bis zum Abschluß der Untersuchung und bis zu einer abschließenden Stellungnahme der Klägerin selbst die Bewertung der vorgefallenen Unregelmäßigkeiten und die Schlußfolgerung aus dieser Bewertung auf seiten der Beklagten nicht feststand. Hiervon abgesehen war die Zeit zwischen dem Erhalt der Schreiben vom 16. und 20.04.1998 einerseits und dem Erhalt des Schreibens vom 23.04.1998 so kurz, daß schon deshalb nicht davon ausgegangen werden kann, daß sich in diesen wenigen Tagen ein schützenswertes Vertrauen der Klägerin auf die uneingeschränkte Fortsetzung der Händlerverträge gebildet hatte. Die Klägerin hatte auch noch nichts unternommen im Vertrauen auf den Abschluß der Großkundenverträge und eine Fortsetzung der Händlerverträge. Jedenfalls hat sie hierzu nichts vorgetragen.

11

Eine unzulässige Rechtsausübung der Beklagten durch die fristlose Kündigung läßt sich auch nicht aus etwaigen Vertragsverstößen der Beklagten selbst auf wettbewerbsrechtlichem Gebiet ableiten.

12

Es kann dahingestellt bleiben, ob die Entscheidung der Europäischen Kommission vom 28.01.1998, in welcher der Beklagten Verstöße gegen die Gruppenfreistellungsverordnung 1.475,95 der Europäischen Gemeinschaft vorgeworfen werden, zu Recht ergangen ist. Eine solche Überprüfung kommt ohnehin im gegenwärtigen Verfahren um den Erlaß einer einstweiligen Verfügung nicht in Betracht.

13

Es ist aber auch nicht ersichtlich, daß die Beklagte, selbst wenn sie unter Verstoß gegen Europäisches Recht wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen in ihre Händlerverträge aufgenommen hat und weitere den Wettbewerb der Händler beschränkende Verhaltensweisen gezeigt hat, damit gegen die mit der Klägerin abgeschlossenen Vertragshändlerverträge verstoßen hat.

14

Den wettbewerbsbeschränkenden Regelungen in den Vertragshändlerverträgen zwischen den Parteien hat die Klägerin zugestimmt.

15

Entsprechende Regelungen in anderen Händlerverträgen benachteiligen aber grundsätzlich die Klägerin deshalb nicht, weil die Wettbewerbsbeschränkungen sich nicht nur zum Nachteil sondern auch zum Vorteil der Klägerin ausgewirkt haben. Die Klägerin beklagt, daß sie von der Beklagten daran gehindert worden sei, in Italien besonders preiswerte Fahrzeuge aus der Produktion der Beklagten zu kaufen. Gleichzeitig wurden aber auch potentielle Kunden der Klägerin in Deutschland daran gehindert, solche besonders billigen Fahrzeuge zu kaufen. Es kann nicht unterstellt werden, daß ein völlig freier Wettbewerb der Autohändler in Europa den bisherigen Vertragshändlern der Beklagten grundsätzlich Vorteile bringt. Somit kann auch nicht festgestellt werden, daß die Beklagte eine etwaige Nebenpflicht aus den Verträgen mit der Klägerin, sie wettbewerblich nicht zu beeinträchtigen, verletzt hätte.

16

Hiervon abgesehen ist auch die Frage, inwieweit Vertragsverstöße des Kündigenden sich auf sein Kündigungsrecht auswirken, unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu beantworten. Insoweit ist hervorzuheben, daß es keinen inneren Zusammenhang gibt zwischen etwaigen Vertragsverstößen der Beklagten und den umfangreichen schuldhaften Vertragsverstößen der Klägerin, aufgrund derer die Beklagte fristlos gekündigt hat. Hier liegt auch ein entscheidener Unterschied zu dem von der Klägerin vorgelegten Urteil des Kammergerichts vom 21.11.1997. Dort hatte der Kündigende durch eigene Vertragsverletzungen die Vertragsverletzungen des Kündigungsempfängers provoziert.

17

Auch ist das Gewicht etwaiger wechselseitiger Vertragsverstöße gegeneinander abzuwägen. Die Beklagte hat ein großes und dichtes Vertriebsnetz. Es wäre eine viel zu weitgehende Folgerung aus etwaigen Wettbewerbsverstößen der Beklagten, wollte man ihr nun grundsätzlich verwehren, sich von einem massiv ungetreuen Vertragshändler fristlos zu trennen (vgl. Niebling BB 1998, 335).

18

Die Behauptung der Klägerin, die Beklagte und andere Firmen, deren Inhaber der Vorstandsvorsitzende der Beklagten sei, hätten sich an sogenannten Graumarktgeschäften beteiligt, hat auf das Kündigungsrecht der Beklagten schon deshalb keinen Einfluß, weil es an hinreichend substantiiertem Vortrag der Klägerin fehlt. Sie beruft sich insoweit nur auf eine Sendung des ARD-Wirtschaftsmagazins Plusminus vom 10.03.1998, wo offenbar von solchen Vorwürfen gesprochen worden ist. Etwas anderes ist auch den vorgelegten Zeitungsartikeln aus der Frankfurter Rundschau vom 12.03.1998 und aus der Zeitschrift Autohaus Nr. 7/1998 nicht zu entnehmen. Die Klägerin sagt nicht, was konkret geschehen ist, welche Beteiligung der Vorstandsvorsitzende der Beklagten an möglicherweise involvierten Firmen hat und inwiefern ihm etwaige Vertragsverletzungen solcher Firmen zuzurechnen sind.

19

Schließlich spricht die Klägerin von klaren Vertragsverstößen der Beklagten in der Vergangenheit, trägt aber auch insoweit nicht substantiiert vor, was sie der Beklagten vorwirft. Aus den vorgelegten, aber im Berufungsvorbringen nicht ausgewerteten Schreiben der Anwälte der Klägerin und den Schreiben der Beklagten läßt sich nur soviel feststellen, daß die Beklagte 1994 eine Rechnung über 26.621,00 DM stornierte, 1995 drei der Klägerin schon gelieferte Fahrzeuge wieder zurücknahm, weil sie nicht bestellt waren, und im Jahre 1997 nochmals ein Fahrzeug, das geliefert, aber nicht bestellt worden war, zurücknahm. Diese etwaigen Vertragsverstöße liegen überwiegend lange Zeit zurück. Darüber hinaus haben sie nicht das Gewicht, um in irgendeiner Weise zu einer Verwirkung des Rechts der Beklagten auf fristlose Kündigung beizutragen.

20

Die Berufung der Klägerin war also mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

21

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 6, 711 und 713 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert für das Verfahren in beiden Rechtszügen wird auf 375.000,00 DM festgesetzt. Insoweit wird die Streitwertfestsetzung im Urteil des Landgerichts ... vom 25. Mai 1998 geändert.