Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 07.09.2011, Az.: 2 Ws 183/11

Auswirkungen der vorübergehenden Invollzugsetzung der Unterbringung nach § 67h StGB auf die Dauer der Führungsaufsicht

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
07.09.2011
Aktenzeichen
2 Ws 183/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 25932
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2011:0907.2WS183.11.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Lüneburg - 24.05.2011 - AZ: 161 BRs 46/11

Verfahrensgegenstand

Verlängerung der Führungsaufsicht

Amtlicher Leitsatz

Zur Frage, welche Auswirkung die vorübergehende Invollzugsetzung der Unterbringung nach § 67h StGB auf die Dauer der Führungsaufsicht hat.

In der Führungsaufsichtssache ... hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht xxxxxx und den Richter am Landgericht ... am 7. September 2011 beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Untergebrachten gegen den Beschluss der 1. großen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg vom 24. Mai 2011 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Gegen diese Entscheidung ist keine Beschwerde gegeben (§ 304 Abs. 4 StPO).

Gründe

1

I.

Durch Urteil vom 8. Oktober 1991 ordnete das Landgericht Braunschweig die Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus an; zugleich sprach es ihn wegen nicht auszuschließender Schuldunfähigkeit aufgrund einer festgestellten "Sozio- und Charakteropathologie" vom Vorwurf von insgesamt elf Taten, darunter u.a. des räuberischen Diebstahls, des Raubes, des Diebstahls in mehreren Fällen und der Beleidigung in mehreren Fällen, frei.

2

Am 16. November 2007 setzte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg die weitere Vollstreckung der Maßregel zur Bewährung aus. Die Dauer der Bewährungszeit und der mit Entlassung aus dem Maßregelvollzug zum 30. November 2007 eintretenden Führungsaufsicht wurde auf drei Jahre festgesetzt. Dem Beschwerdeführer wurden u.a. die Weisungen erteilt, sich von der Forensischen Institutsambulanz nachbetreuen zu lassen, sich von Alkohol und Drogen fernzuhalten und die Abstinenz durch Kontrollen nachzuweisen.

3

Wegen wiederholten Cannabismissbrauchs durch den Beschwerdeführer ordnete die Strafvollstreckungskammer durch Beschlüsse vom 2. Juni 2008 und vom 10. Dezember 2008 die Wiederinvollzugsetzung der Maßregel nach § 67h Abs. 1 StGB jeweils für die Dauer von drei Monaten an.

4

Nach der zweiten Entlassung aus der Krisenintervention und dem anschließenden Umzug in das Pflegeheim Haus H., D., auf Grund der Anordnung der Strafvollstreckungskammer vom 12. März 2009 stabilisierte sich der Zustand des Beschwerdeführers deutlich. Er ging seitdem einer strukturierten Beschäftigung im Garten- und Landschaftsbau nach; es kam nur zu wenigen Verstößen gegen die Abstinenzweisung. Zuletzt wurde im September 2010 der Konsum von Alkohol nachgewiesen.

5

Die forensische Institutsambulanz regte durch Schreiben vom 18. Mai 2011 die nachträgliche Verlängerung der Dauer der Führungsaufsicht auf fünf Jahre an. Der Beschwerdeführer beabsichtige, nach Ende der Führungsaufsicht mit Ablauf des Mai 2011 die Einrichtung Haus H. zu verlassen und sich eine Wohnung und eine Arbeitsmöglichkeit in L. zu suchen; durch den Wegfall des Helfernetzes drohe der Rückfall in alte Verhaltensweisen.

6

Der Bewährungshelfer des Beschwerdeführers erachtet eine Verlängerung der Führungsaufsicht und der Bewährungszeit für nicht notwendig.

7

Durch Beschluss vom 24. Mai 2011 verlängerte die 1. große Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg die Dauer der Führungsaufsicht und die Bewährungszeit, u.a. unter Aufrechterhaltung der Abstinenzweisung, auf fünf Jahre, weil zu besorgen sei, dass der Beschwerdeführer durch die angestrebte Veränderung des Lebensumfeldes psychisch überlastet werde und dadurch die Gefahr der Begehung erneuter Straftaten deutlich erhöht werde.

8

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Beschwerdeführers, mit der er insbesondere einwendet, dass die bestehende gesetzliche Betreuung eine ausreichende Unterstützung gewährleiste; zudem seien die Suchtmittelkontrollen seit einem Dreivierteljahr ohne Befund.

9

II.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

10

Die Strafvollstreckungskammer hat aus rechtlich zutreffenden und zweckmäßigen Erwägungen eine nachträgliche Verlängerung der Führungsaufsicht und der Bewährungszeit auf das gesetzliche Höchstmaß von fünf Jahren für notwendig erachtet, um die Gefahr der erneuten Begehung von Straftaten durch den Beschwerdeführer zu verringern.

11

Ergänzend ist lediglich Folgendes auszuführen:

12

1.

Die nachträgliche Verlängerung der Dauer der Führungsaufsicht war zulässig nach § 68d StGB i.V.m. § 68 c Abs. 1 StGB. Danach kann die Strafvollstreckungskammer eine zunächst verkürzte Dauer der Führungsaufsicht auch nachträglich auf das gesetzliche Höchstmaß von fünf Jahren anheben (Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 68d Rn. 5).

13

2.

Der Verlängerung stand hier insbesondere nicht der Ablauf der zunächst durch Beschluss vom 16. November 2007 auf drei Jahre, beginnend ab Entlassung aus dem Maßregelvollzug mit Ablauf des 30. November 2007, festgesetzten Dauer der Führungsaufsicht entgegen.

14

Zwar darf eine nachträgliche Verlängerung der Führungsaufsicht nicht erfolgen, wenn die ursprünglich festgesetzte Dauer bereits abgelaufen ist (OLG Frankfurt, NStZ-RR 2011, 188; OLG Rostock, Beschl. v. 23. Februar 2011, I Ws 38/11, [...]). Danach wäre grundsätzlich eine Verlängerung nach Ablauf des 30. November 2010 nicht mehr zulässig gewesen. Hier traten jedoch als weitere Umstände, die für die Dauer der Führungsaufsicht von Bedeutung sind, die zweimalige Wiederinvollzugsetzung der Unterbringung im Rahmen der Krisenintervention nach § 67h StGB für die Dauer von jeweils drei Monaten sowie die Bewährungszeit in einem Strafverfahren wegen einer anderen Tat hinzu.

15

a.

Welche Auswirkung die befristete Wiederinvollzugsetzung der Unterbringung gem. § 67h Abs. 1 StGB auf die Gesamtdauer der Führungsaufsicht hat, ist gesetzlich ausdrücklich nicht geregelt und ergibt sich auch nicht aus den Materialien zu der am 18. April 2007 in Kraft getretenen Regelung (vgl. BT-Drs 16/1993 S.16 f).

16

Teilweise wird vertreten, dass der vorübergehende Vollzug der Maßregel während der Krisenintervention keine Unterbrechung der Führungsaufsicht bedeute (SK-Sinn, StGB, § 67h Rn. 6) und nicht zu einer Verlängerung der Gesamtdauer führe (SK-Sinn, a.a.O.; LK-Rissing-van Saan/Peglau, StGB, 12. Aufl., § 67h Rn. 17).

17

Vorzugswürdig erscheint dem Senat demgegenüber die wohl überwiegend vertretene Auffassung, dass der Vollzug der Maßregel im Rahmen der Krisenintervention nach § 67h StGB eine Verwahrung in einer Anstalt auf behördliche Anordnung i.S.d. § 68c Abs. 4 S. 2 StGB ist, deren Zeit in die Dauer der Führungsaufsicht nicht eingerechnet wird (Schönke/Schröder - Stree/Kinzig, StGB, 28. Aufl., § 67h Rn. 12; LG Wuppertal, RuP 2008, 172, [...]; LG Marburg, NStZ-RR 2007, 356, [...]). Zwar ist die Krisenintervention in der Sache nur eine kurzfristige, erneute Invollzugsetzung einer bereits zuvor durch Urteil angeordneten Maßregel. Sie stellt dennoch eine deutliche Zäsur im Verlauf der Führungsaufsicht dar, die insbesondere eine eigenständige gerichtliche Entscheidung nach § 67h Abs. 1 Satz 1 StGB voraussetzt. In ihrem Ziel, der Gefahr der Begehung neuer Straftaten infolge einer akuten Dekompensation des Untergebrachten - ohne sonst zwingenden Widerruf der Bewährung - zu begegnen (BT-Drs 16/1993 S.16), ist die Krisenintervention vergleichbar mit einer Freiheitsentziehung nach den Landesgesetzen über die Unterbringung psychisch Kranker wegen fremdgefährdenden Verhaltens. Letztere - unstreitig eine Verwahrung i.S.d.§ 68c Abs. 4 Satz 2 StGB (vgl. nur Schönke/ Schröder, a.a.O., § 68c Rn. 8) - ist gem.§ 333 FamFG auf die Dauer von zunächst sechs Wochen begrenzt und damit auf eine noch kürzere Zeitspanne als die Krisenintervention angelegt. Die begrenzte Dauer der Krisenintervention nach § 67 h StGB schließt es nicht aus, den Lauf der Führungsaufsicht um eben diese Dauer zu verlängern.

18

Schließlich spricht der Regelungszweck des § 68c Abs. 4 Satz 2 StGB für eine Verlängerung der Höchstdauer. Die Maßregel der Führungsaufsicht dient als Mittel zur Überwachung und Betreuung eines Verurteilten in Freiheit. Es ist deshalb zweckwidrig, Zeiten mit einzurechnen, in denen eine Führung in Freiheit auf Grund hoheitlicher Verwahrung unmöglich ist (Bgrd. zu E 1962, S. 222; Mainz, NStZ 1989, 61).

19

b.

Letztlich braucht der Senat die zuvor aufgeworfene Rechtsfrage nicht zu entscheiden, denn im konkreten Fall endete die Führungsaufsicht gem. § 68g Abs. 1 Satz 2 StGB auf Grund der Bewährung in anderer Sache nicht vor Ablauf der dort anberaumten Bewährungszeit.

20

Der Beschwerdeführer war durch Urteil des Amtsgerichts Salzgitter vom 1. Juni 1988 (11 Ds 604 Js 16765/88) wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden. Die Vollstreckung des Strafrests von 19 Tagen aus dieser Verurteilung wurde durch Beschluss der 1. großen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Lüneburg vom 5. Mai 2008, rechtskräftig seit dem 27. Mai 2008, für die Dauer von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt. Die Bewährungszeit endete danach mit Ablauf des 26. Mai 2011, also nach dem angefochtenen Beschluss.

21

Nur ergänzend ist insoweit darauf hinzuweisen, dass der Erlass der Strafe in vorgenannter Sache nach - soweit ersichtlich - letztlich beanstandungsfreiem Verlauf der Bewährungszeit nicht gem. § 68g Abs. 3 Satz 1 StGB zur Beendigung der Führungsaufsicht in dieser Sache führt. § 68g StGB unterscheidet nach seinem Wortlaut deutlich zwischen Strafaussetzung zur Bewährung wegen derselben Tat, wegen derer der Untergebrachte unter Führungsaufsicht steht, und wegen einer anderen Straftat. Danach kann die Bewährung in einer Parallelsache zwar die Verlängerung der Führungsaufsicht zur Folge haben (§ 68g Abs. 1 StGB), nicht aber die vorzeitige Abkürzung (§ 68g Abs. 3 StGB).

22

3.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StGB.