Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 13.09.2011, Az.: 2 Ws 253/11
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 13.09.2011
- Aktenzeichen
- 2 Ws 253/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 25631
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2011:0913.2WS253.11.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Bückeburg - 05.07.2011 - AZ: 4 Ns 89/10
- AG Rinteln - AZ: 20 Ds 26/10
Rechtsgrundlagen
- StPO § 338 Nr. 5
- StPO § 329 Abs. 1
Amtlicher Leitsatz
Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO (vorschriftswidrige Abwesenheit einer notwendigen Person von der Hauptverhandlung) liegt nicht vor, wenn der Angeklagte als der Rechtsmittelführer der Berufungshauptverhandlung unentschuldigt fernbleibt und die Strafkammer die Berufung deswegen nach § 329 Abs. 1 StPO verwirft.
Denn in diesem Fall wird weder zur Sache verhandelt noch werden irgendwelche Feststellungen zum Schuld oder Strafausspruch getroffen, sondern gerade wegen der Abwesenheit des Angeklagten lediglich die verfahrensrechtliche Frage geprüft, ob die Voraussetzungen für die Anwendung des § 329 Abs. 1 StPO vorliegen (im Anschluss an OLG Stuttgart, NStZRR 2004, 338 und OLG Hamm, NJW 1970, 1245 [OLG Hamm 29.01.1970 - 5 Ss 1177/69]).
Tenor:
1. Die sofortige Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bückeburg vom 05.07.2011 wird mit der Maßgabe verworfen, dass die Kostenentscheidung des angefochtenen Beschlusses, soweit sie die Verwerfung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betrifft, aufgehoben wird.
2. Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision ist gegenstandslos.
3. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bückeburg vom 12.05.2011 wird als unzulässig verworfen.
4. Der Angeklagte hat die Kosten des Beschwerde und des Revisionsverfahrens zu tragen.
Gründe
I. Das Amtsgericht Rinteln hat den Angeklagten am 02.11.2010 wegen Diebstahls in 3 Fällen, dabei in einem Fall in Tateinheit mit Hausfriedensbruch, wegen Betruges sowie wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Ferner hat es dem Angeklagten die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und angeordnet, dass ihm vor Ablauf von zwei Jahren keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf.
Die dagegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Bückeburg am 12.05.2011 gem. § 329 Abs. 1 StPO verworfen, nachdem der Angeklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung zum Hauptverhandlungstermin nicht erschienen war und sein Ausbleiben nicht hinreichend entschuldigt hatte. Das Verwerfungsurteil ist dem Angeklagten am 18.05.2011 und seinem beigeordneten Verteidiger am 19.05.2011 zugestellt worden.
Mit Schriftsatz vom 26.05.2011, bei Gericht eingegangen am selben Tag, hat der Angeklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung beantragt und zugleich Revision eingelegt für den Fall der Verwerfung des Wiedereinsetzungsantrags.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hat er - erstmalig - vorgetragen, er sei am 12.05.2011 reise und verhandlungsunfähig erkrankt gewesen und er habe deswegen zum Hauptverhandlungstermin nicht erscheinen können. Zur Glaubhaftmachung hat er ein ärztliches Attest vom 20.05.2011 vorgelegt, in dem es heißt, der Angeklagte sei am 12.05.2011 ´akut erkrankt und weder reisefähig noch in der Lage [gewesen] vor Gericht zu erscheinen´.
Zur Begründung der Revision erhebt der Angeklagte zwei Verfahrensrügen sowie die allgemeine Sachrüge. Im Rahmen der Rüge der Verletzung formellen Rechts wird zunächst der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO geltend gemacht und ausgeführt, die Hauptverhandlung sei in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführt worden, obwohl dieser, belegt durch "jetzt vorgelegtes ärztliches Attest" am Hauptverhandlungstag reise und verhandlungsunfähig gewesen sei. Ferner wird die Verletzung der Amtsaufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO beanstandet mit der Begründung, die Kammer habe zum Berufungshauptverhandlungstermin keine Zeugen geladen, obwohl die Berufung unbeschränkt eingelegt worden sei. Die Erwägungen, mit denen die allgemeine Sachrüge ausgeführt wird, erschöpfen sich in Angriffen gegen die Anwendung materiellen Rechts im amtsgerichtlichen Urteil.
Mit Beschluss vom 08.06.2011 hat das Landgericht Bückeburg den Wiedereinsetzungsantrag als unzulässig verworfen, weil der Angeklagte die Wiedereinsetzung nicht binnen einer Woche nach Zustellung des Verwerfungsurteils an ihn beansprucht hatte (§ 329 Abs. 3 StPO).
Daraufhin hat der Angeklagte mit Schriftsatz vom 10.06.2011 beantragt, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sowohl gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist zu gewähren als auch gegen die - von ihm irrig angenommene - Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision.
Hierauf hat das Landgericht Bückeburg dem Angeklagten mit Beschluss vom 05.07.2011 - unter Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist - die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung erneut versagt. Es hat den entsprechenden Antrag nunmehr als unbegründet verworfen, weil der Angeklagte nicht glaubhaft gemacht habe, den Termin schuldlos versäumt zu haben. Das hierzu vorgelegte ärztliche Attest enthalte weder eine Diagnose noch sonstige Angaben zu der Erkrankung, was zur Glaubhaftmachung erforderlich sei.
Dagegen wendet sich der Angeklagte mit der sofortigen Beschwerde.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die sofortige Beschwerde als unbegründet und die Revision als unzulässig zu verwerfen.
II. Die Rechtsmittel führen nicht zum Erfolg.
1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
Die Gründe der angefochtenen Entscheidung - auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird - treffen zu. Ihnen gegenüber greift das Beschwerdevorbringen nicht durch.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat dazu wie folgt Stellung genommen:
"Der Angeklagte hat damit bis heute die Gründe für sein Ausbleiben in der Berufungshauptverhandlung weder hinreichend dargelegt noch glaubhaft gemacht.
Ein krankheitsbedingtes Ausbleiben in der Hauptverhandlung ist nur dann entschuldigt, wenn dem Angeklagten eine Teilnahme an dieser aufgrund von Art und Auswirkungen seiner Krankheit unzumutbar war. Dies setzt eine detaillierte Darlegung der konkreten Symptomatik der Erkrankung voraus, aufgrund derer der Angeklagte am Erscheinen gehindert war (OLG Celle, Beschluss vom 16.09.2009, 2 Ws 109/09. OLG Celle, Beschluss vom 19.01.2010, 1 Ws 22/10. MeyerGoßner, StPO, 54. Auflage, § 329 Rdnr. 26 m. w. Nachw.). Das vom Angeklagten vorgelegte Attest weist weder eine Diagnose noch Art und Umfang der erforderlichen Behandlung aus. Aus ihm ergibt sich noch nicht einmal, ob am 12.05.2011 überhaupt eine eigene Untersuchung des Angeklagten durch den ausstellenden Arzt stattgefunden hat. Dies genügt den Anforderungen an eine hinreichende Darlegung und Glaubhaftmachung einer krankheitsbedingten Verhinderung des Angeklagten nicht. Das Landgericht war nach den vagen Angaben des Beschwerdeführers zu seiner Verhinderung nicht gehalten, im Wiedereinsetzungsverfahren von Amts wegen weitere Nachforschungen anzustellen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 16.09.2009, 2 Ws 109/09)."
Dem tritt der Senat bei.
Damit war der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Hauptverhandlung bereits unzulässig erhoben und aus diesem Grund zurückzuweisen. Bei der Darlegung der konkreten Gründe für die Säumnis und bei ihrer Glaubhaftmachung handelt es sich um Zulässigkeitsvoraussetzungen (MeyerGoßner, aaO., § 45, Rdnr. 5 und 6).
Darüber hinaus ist lediglich Folgendes auszuführen:
Soweit das Landgericht dem Angeklagten mit Beschluss vom 05.07.2011 die Kosten des Wiedereinsetzungsverfahrens auch insoweit auferlegt hat, als es den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung verworfen hat, war die Kostenentscheidung - lediglich zur Klarstellung - aufzuheben. Eine Kostenentscheidung nach § 473 Abs. 7 StPO ist nur bei Gewährung der Wiedereinsetzung veranlasst. Bei Antragsverwerfung gehören die durch den Antrag entstandenen Kosten zu den Verfahrenskosten, mit denen der Antragsteller schon belastet ist (MeyerGoßner, aaO., § 473, Rdnr. 38 m.w.N). Diese hatte das Landgericht dem Angeklagten bereits mit dem Verwerfungsurteil vom 12.05.2011 auferlegt.
2. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die - irrig angenommene - Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision ist gegenstandslos.
Die Revisionseinlegungsfrist ist nicht versäumt worden. Das Verwerfungsurteil ist dem Angeklagten zwar am 18.05.2011 zugestellt worden, jedoch daneben auch seinem beigeordneten Verteidiger, und zwar erst am 19.05.2011. Wird die für einen Beteiligten bestimmte Zustellung an mehrere Empfangsberechtigte bewirkt, so richtet sich gem. § 37 Abs. 2 StPO die Berechnung der Frist nach der zuletzt bewirkten Zustellung. Danach ist die einwöchige Revisionseinlegungsfrist des § 341 Abs. 1 StPO mit Eingang der Revision bei Gericht am 26.05.2011 gewahrt.
3. Die Revision war gem. § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig zu verwerfen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat zu der Revisionsbegründung wie folgt Stellung genommen:
"a) Soweit die Revision die Verletzung des § 329 StPO rügt, genügt das Vorbringen nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Zur formgerechten Begründung einer Verfahrensrüge gegen ein Verwerfungsurteil nach § 329 Abs. 1 StPO ist es erforderlich, dass die Revision unter Angabe bestimmter Tatsachen ausführt, das Berufungsgericht habe zum Zeitpunkt seiner Entscheidung den Rechtsbegriff der genügenden Entschuldigung verkannt oder in sonstiger Weise die Voraussetzungen des § 329 Abs. 1 StPO missachtet (Gössel in: LöweRosenberg, StPO, 25. Auflage, § 329 Rdnr. 100, 102. OLG Karlsruhe NStZRR 2010, 287 f.. OLG München NStZRR 2006, 20 ff., MeyerGoßner, StPO, 54. Auflage, § 329 Rdnr. 48). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Vielmehr beschränkt sich die Revision auf den Vortrag, dass der Verteidiger dem Gericht mitgeteilt habe, der Angeklagte habe ihm gegenüber bekundet, entgegen seinen ursprünglichen Absichten doch zur Hauptverhandlung erscheinen zu wollen (RB S. 2). Der Revisionsführer unterlässt es insoweit, die einen Verfahrensmangel begründenden Tatsachen mitzuteilen, d.h. gegen welche Handlungen oder Unterlassungen des Gerichts der Vorwurf der fehlerhaften Verfahrensweise erhoben wird und inwiefern gegen das Gesetz verstoßen worden ist.
Auf das nachträglich eingereichte ärztliche Attest kann die Revision die Verfahrensrüge nicht stützten, weil es der Berufungskammer zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung noch nicht vorlag (vgl. Gössel in: LöweRosenberg, StPO, 25. Auflage, § 329 Rdnr. 102 m. w. Nachw.).
Im Übrigen wäre die Rüge daher auch unbegründet, weil das vom Landgericht erlassene Prozessurteil gemäß § 329 Abs. 1 StPO frei von Rechtsfehlern ist. Es lagen zum Zeitpunkt der Entscheidung des Landgerichts überhaupt keine Anhaltspunkte für eine genügende Entschuldigung des Fernbleibens des Angeklagten vor.
b) Die Rüge der Verletzung des § 244 Abs. 2 StPO ist unzulässig. Die Revision verkennt, dass es sich bei dem angefochtenen Urteil um ein Prozessurteil handelt und nicht um eine Sachentscheidung in Bezug auf den Verfahrensgegenstand. "Entscheidungsreife" des Verfahrens ist nicht Voraussetzung für die Anwendung des § 329 Abs. 1 StPO.
c) Auch die erhobene Sachrüge ist unzulässig, weil der Revisionsführer darin ausschließlich die Anwendung sachlichen Rechts im amtsgerichtlichen Urteil angreift, welches nicht Gegenstand der Revision ist (vgl. Gössel in: LöweRosenberg, StPO, 25. Auflage, § 329 Rdn. 98. MeyerGoßner, StPO, 54. Auflage, § 329 Rdn. 49 m. w. Nachw.)."
Auch dem tritt der Senat bei.
Ergänzend ist lediglich auszuführen, dass auch die Geltendmachung des absoluten Revisionsgrundes des § 338 Nr. 5 StPO nicht durchgreift. Diese Vorschrift sichert die Pflicht zur Anwesenheit der notwendigen Verfahrensbeteiligten, wobei anerkannt ist, dass die Abwesenheit nur dann schadet, wenn sie sich auf wesentliche Teile der Hauptverhandlung erstreckt (Hanack in: LöweRosenberg, aaO., § 338, Rdnr. 84 m.w.N.). Es liegt deshalb grundsätzlich kein Verstoß gegen diese Vorschrift vor, wenn der Angeklagte als der Rechtsmittelführer der Berufungsverhandlung fernbleibt und die Strafkammer nach § 329 Abs. 1 StPO verfährt. Denn in diesem Fall wird weder zur Sache verhandelt noch werden insoweit irgendwelche Feststellungen zum Schuld oder Strafausspruch getroffen, sondern gerade wegen der Abwesenheit des Angeklagten lediglich die verfahrensrechtliche Frage geprüft, ob die Voraussetzungen für die Anwendung des § 329 Abs. 1 StPO vorliegen (OLG Stuttgart, NStZRR 2004, 338. OLG Hamm, NJW 1970, 1245 [OLG Hamm 29.01.1970 - 5 Ss 1177/69]. Gössel in: LöweRosenberg, aaO., § 329, Rdnr. 31).
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs.1 StPO.
Der Umfang des Teilerfolgs der sofortigen Beschwerde ist gering. Angesichts dessen erscheint es nicht unbillig, dem Angeklagten die gesamte Kostenlast auch im Beschwerdeverfahren aufzuerlegen (§ 473 Abs. 4 StPO).