Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 19.09.2011, Az.: 32 Ss 114/11

Urteilsgründe; die für erwiesen erachteten Tatsachen; Feststellungen zur Tatzeit und Tatort

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
19.09.2011
Aktenzeichen
32 Ss 114/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 45196
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
AG - AZ: 212 Ls 87/11
StA - AZ: 6182 Js 54294/10

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Wird in den Urteilsgründen eine Tatzeit nicht festgestellt und auch der Tatort (hier: "im Bereich Hannover-Mühlenberg") nur grob umrissen - obwohl die vorgeworfene Tat von zwei Polizeibeamten beobachtet worden ist -, so fehlt es an zureichenden Individualisierungs- und Identifizierungsmerkmalen jedenfalls dann, wenn auch die übrigen Feststellungen zum Tathergang äußerst knapp gehalten sind (hier: "Der Angeklagte führte bei einer Polizeikontrolle (...) 71,62 g Marihuana (...) mit sich.").

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Hannover zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht – Schöffengericht – Hannover hat den Angeklagten am 11.05.2011 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten belegt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Zur Sache hat das Amtsgericht Folgendes festgestellt:

"Der Angeklagte führte bei einer Polizeikontrolle im Bereich H.-M. insgesamt 71,62 g Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von 9,38 g THC mit sich.
(…)
Der Angeklagte hat zumindest billigend in Kauf genommen, dass es sich um eine nicht geringe Menge Marihuana handelt."

Der Angeklagte hat den Besitz von Marihuana eingeräumt mit der Maßgabe, dass er von einer Gesamtmenge von 50 g mit einem Wirkstoffanteil unterhalb der nicht geringen Menge ausgegangen sei. Seine anderslautenden Feststellungen hat das Amtsgericht im Wesentlichen auf die Angaben von drei Polizeibeamten gestützt, von denen zwei an der Kontrolle des Angeklagten beteiligt waren. Die objektiven Feststellungen des Gerichts zur Gesamtmenge und zum Wirkstoffanteil beruhen auf den entsprechenden Angaben hierzu in einem verlesenen Sachverständigengutachten des Landeskriminalamts N. vom 12.01.2011.

Bei der Strafrahmenwahl hat das Amtsgericht "unter Beachtung der Gesamtumstände und der Tatsache, dass der Angeklagte die Betäubungsmittel lediglich besessen hat" einen minder schweren Fall im Sinne des § 29a Abs. 2 BtMG angenommen und den entsprechenden Strafrahmen zugrunde gelegt, der Freiheitsstrafe von 3 Monaten bis zu 5 Jahren vorsieht.

Im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne hat das Gericht zu Lasten des Angeklagten unter anderem berücksichtigt, dass es sich "bei Marihuana um eine gefährliche Droge mit einem starken Suchtpotential handelt".

Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Sprungrevision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Er begehrt, das Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

II.

Das Rechtsmittel führt mit der Sachrüge zu einem jedenfalls vorläufigen Erfolg.

Nach § 267 Abs. 1 StPO müssen die Urteilsgründe die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben. Das strafbare Verhalten muss so konkret bezeichnet werden, dass erkennbar wird, welche bestimmte Tat von der Verurteilung erfasst wird. Insbesondere müssen Zeit und Ort der Tat mitgeteilt werden, soweit dies zur Identifizierung der Tat notwendig ist (vgl. KK-Engelhardt, StPO, 6. Aufl., 2008, § 267, Rdnr. 9; Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., 2011, § 267, Rdnr. 5; BGH, StV 2010, 61).

Dem wird das angefochtene Urteil bereits nicht gerecht.

Der Tatort ("im Bereich H.-M.") wird nur grob umrissen, obwohl die vorgeworfene Tat – ausweislich der Urteilsgründe – von zwei Polizeibeamten beobachtet worden ist. Insbesondere aber fehlt es gänzlich an einer Feststellung der Tatzeit. Sie lässt sich auch den Urteilsgründen insgesamt nicht entnehmen. Damit fehlt es an zureichenden Individualisierungs- und Identifizierungsmerkmalen, zumal angesichts der auch im Übrigen nur äußerst knappen Feststellungen zum Tathergang.

III.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

1.

Angesichts des Einlassungsverhaltens des Angeklagten dürfte es geboten sein, Feststellungen zu dem – durchschnittlichen – Kaufpreis von Marihuana in Gestalt von Dolden ("Pollen und gute Blütenstände") in der vorgeworfenen Menge und Qualität zu treffen sowie dazu, welche Vorstellung der Angeklagte sich von der Qualität und mithin vom Wirkstoffgehalt des Marihuanas gemacht hat.

Ferner dürfte aufzuklären sein, ob der Angeklagte vor dem Kauf Bargeld mit sich führte und ggflls. in welcher Höhe und Stückelung. Ebenso dürfte aufzuklären sein, welchen Kaufpreis der Angeklagte für die Rauschgiftdolden gezahlt hat. Auch daraus könnten sich Schlüsse auf seinen Vorsatz im Hinblick auf eine nicht geringe Menge des Rauschgifts ergeben.

2.

Aus den Gründen des angefochtenen Urteils geht nicht deutlich hervor, aufgrund welcher konkreten Umstände das Gericht einen minder schweren Fall im Sinne des § 29a Abs. 2 BtMG angenommen hat. Insbesondere ist nicht ersichtlich, ob dies darauf beruht, dass der Grenzwert zur nicht geringen Menge im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG bei Cannabisprodukten (von 7,5 g THC) nach den getroffenen Feststellungen lediglich geringfügig überschritten ist. In diesem Falle nämlich könnte diesem Umstand bei seiner gebotenen erneuten mildernden Berücksichtigung im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne möglicherweise nur noch ein geringeres Gewicht zukommen (vgl. S/S-Stree/Kinzig, StGB, 28. Aufl., 2010, § 50, Rdnr. 4; Fischer, StGB, 58. Aufl., 2011, § 50, Rdnr. 6; BGH, NStZ-RR 1998, 295).

3.

Die Strafzumessungserwägung, dass es sich "bei Marihuana um eine gefährliche Droge mit einem starken Suchtpotential" handele, liegt nicht ohne Weiteres auf der Hand und hätte einer Erläuterung bedurft. Zwar kommt der Art des Rauschgifts und seiner Gefährlichkeit im Rahmen der Strafzumessung eine eigenständige Bedeutung zu, weil die einzelnen Betäubungsmittel wegen ihrer unterschiedlichen Wirkungen – unabhängig von ihrer Menge und ihrem Wirkstoffgehalt – erheblich voneinander abweichen (Weber, BtMG, 3. Aufl., 2009, Vor §§ 29 ff., Rdnr. 783 und 784; Körner, BtMG, 6. Aufl., 2007, § 29, Rdnr. 649). Allerdings hat der BGH wiederholt ausgesprochen, dass es sich bei Cannabisprodukten um eine sogenannte "weiche" Droge mit einem geringeren Gefährdungspotential handelt (vgl. Körner, a.a.O, Anhang C 1, Rdnr. 272, § 29, Rdnr. 649, 718, 719 und 1160; Weber, a.a.O., Vor §§ 29 ff., Rdnr. 785 jeweils m.w.N.).