Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 02.10.2009, Az.: L 4 KR 254/09 B ER
Informationspflicht einer Krankenkasse gegenüber Mitbewerbern von Leistungserbringern über Inhalte abgeschlossener Verträge; Möglichkeit eines Beitritts durch Leistungserbringer zu von anderen Leistungserbringern mit einer Krankenkasse geschlossenen Verträgen; Rechtmäßigkeit einer Einschränkung der Informationspflicht von mit einer Krankenkasse in Vertrag stehenden Leistungserbringern gegenüber anderen Leistungserbringern auf bisher zugelassene Leistungserbringer
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 02.10.2009
- Aktenzeichen
- L 4 KR 254/09 B ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2009, 28643
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2009:1002.L4KR254.09B.ER.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Osnabrück - AZ: S 3 KR 115/09 ER
Rechtsgrundlagen
- § 127 Abs. 1 SGB V
- § 127 Abs. 2 S. 4 SGB V
- § 127 Abs. 2a S. 1 SGB V
- § 127 Abs. 5 SGB V
- § 99 GWB
- § 102 GWB
- § 111 Abs. 1 GWB
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat die Kosten aus beiden Rechtszügen zu tragen. Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt von der Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes umfassende Informationen über Vertragsinhalte mit anderen Leistungserbringern, um ggf. diesem Vertrag beizutreten.
Die Antragstellerin ist als Leistungserbringerin im Hilfsmittelbereich seit 1996 nach der "alten" Zulassung gemäß § 126 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) zur Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln berechtigt. Seit dem 1. Januar 2009 besteht gemäß § 127 Abs. 2a Satz 1 SGB V ein Beitrittsrecht interessierter Leistungserbringer zu den gemäß § 127 Abs. 2 SGB V geschlossenen Verträgen zwischen Krankenkassen und anderen Leistungserbringern. Gemäß § 127 Abs. 2 Satz 4 SGB V sind andere Leistungserbringer über die Inhalte abgeschlossener Verträge auf Nachfrage unverzüglich zu informieren.
Im Januar 2009 stellte die Antragstellerin einen entsprechenden Antrag bei der Antragsgegnerin. Beide Beteiligte des Verfahrens konnten sich nicht über eine hinreichende Information einigen. Mit Schreiben vom 4. Mai 2009 schlug die Antragsgegnerin einen Termin am 27. Mai 2009 zur Einsichtnahme in die Verträge vor. Sie teilte jedoch gleichzeitig mit, dass eine Kopiergelegenheit nicht eingerichtet würde.
Daraufhin beantragte die Antragstellerin mit Schreiben vom 25. Mai 2009, eingegangen beim Sozialgericht (SG) Osnabrück am selben Tage, den Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Darin hat die Antragstellerin beantragt, "die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin anlässlich des für den 27. Mai 2009 vorgesehenen Termins zur Einsichtnahme in die abgeschlossenen Verträge nach § 127 SGB V zu den Produktgruppen 03, 14 und 21 des Hilfsmittelverzeichnisses eine Kopiermöglichkeit zur Verfügung zu stellen, hilfsweise die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Antragstellerin unverzüglich durch Übersendung entsprechender Ablichtungen sämtlicher einschlägiger Verträge über die Inhalte abgeschlossener Verträge im Sinne des § 127 Abs. 2 SGB V zu den Produktgruppen 03, 14 und 21 des Hilfsmittelverzeichnisses zu informieren."
Mit Schreiben vom 2. Juni 2009 hat die Antragsgegnerin beantragt, den Antrag abzuweisen. Die Antragstellerin habe keinen Anspruch auf Information gemäß § 127 Abs. 2 Satz 4 SGB V über die Inhalte der abgeschlossenen Verträge der Produktgruppe 14, da sie für Lieferungen dieser Produktgruppe nicht zugelassen sei. Ein Beitritt zu diesen Verträgen sei deshalb gar nicht möglich. Die Antragstellerin sei auch für die Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln aus der Produktgruppe 21 nur für Quickwert-Messgeräte zugelassen. Für Quickwert-Messgeräte seien keine Verträge abgeschlossen. Ein Beitritt zu einem Vertrag der Produktgruppe 21 sei daher mangels Zulassung ebenfalls nicht möglich. Eine Informationspflicht über den Inhalt der Verträge nach der Produktgruppe 21 bestehe aus diesem Grund nicht. Eine Zulassung und damit eine Informationspflicht über Vertragsinhalte bestehe nur für die Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln aus der Produktgruppe 03. Allerdings bestehe kein Anspruch auf die Zurverfügungstellung einer Kopiermöglichkeit. § 127 Abs. 2 Satz 4 SGB V verpflichte die Antragsgegnerin nur zur Information über den Inhalt abgeschlossener Verträge. Wenn die Antragsgegnerin diese Pflicht durch die Möglichkeit der Einsichtnahme erfülle, habe sie vollumfänglich den Anspruch auf Information der Antragstellerin erfüllt. § 127 SGB V sehe keine Verpflichtung zur Ermöglichung einer Vervielfältigung vor.
Mit Beschluss vom 11. Juni 2009 hat das SG die Antragsgegnerin antragsgemäß verpflichtet. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass sich die umfassende Kenntnis der Vertragsinhalte nicht durch eine einmalige Einsichtnahme in die Vertragsunterlagen erreichen lasse. Zum einen sei bereits nicht der quantitative Umfang der bestehenden Verträge bekannt und damit überhaupt nicht abschätzbar, in wie viele Dokumente überhaupt Einsicht genommen werden müsse. Zum anderen seien die Belange der Antragstellerin als möglicher Vertragspartnerin zu berücksichtigen. Sie könne nicht Verträgen beitreten, die sie nur im Rahmen eines einzigen Gesprächstermins kurz habe einsehen dürfen. Eine solche weitreichende Entscheidung könne die Antragstellerin nur treffen, wenn sie entweder im Rahmen eines Gesprächstermins im Hause der Antragsgegnerin die Möglichkeit gehabt habe, die geschlossenen Verträge selbst zu kopieren bzw. ihren Wünschen entsprechend kopieren zu lassen oder wenn sie diese als Kopien von der Antragsgegnerin zugesandt bekomme. Soweit die Antragsgegnerin geltend mache, dass die Antragstellerin kein Informationsrecht bezüglich der Produktgruppen 14 und 21 habe, könne das Gericht im Rahmen der gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht klären, ob dieser Einwand zutreffend sei oder nicht. Angesichts der großen Bedeutung, die eine umfassende Information für die Antragstellerin habe, sei eine Begrenzung nur auf die Produktgruppe 03, wie sie von der Antragsgegnerin vorgeschlagen und von der Antragstellerin nicht akzeptiert worden sei, nicht sachgerecht.
Gegen den der Antragsgegnerin am 15. Juni 2009 zugestellten Beschluss hat diese Beschwerde eingelegt, die am 15. Juli 2009 beim Sozialgericht Osnabrück eingegangen ist. Zur Begründung hat die Antragsgegnerin ausgeführt, dass die Antragstellerin für die Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln aus der Produktgruppe 03 Applikationshilfen (hier aber nur Spülsysteme, Spritzen, Anwendungshilfen für Spritzen, Pens), Produktgruppe 14 Inhalations- und Atemtherapiegeräte (hier aber nur Hilfsmittelpositionsnummern 142401 und 142402), Produktgruppe 15 Inkontinenzhilfen sowie Produktgruppe 21 Messgeräte für Körperzustände/-funktionen (hier aber nur Hilfsmittelpositionsnummern 213401 Quickwert-Messgeräte) zugelassen sei. Die Antragsgegnerin habe der Antragstellerin per Mail am 15. Juni 2009 alle Verträge zur Versorgung ihrer Versicherten mit Produkten aus der Produktgruppe 03 zur Verfügung gestellt. Verträge für Hilfsmittel mit den Hilfsmittelpositionsnummern 14.24.01, 14.24.02 und 21.34.01 habe die Antragsgegnerin nicht abgeschlossen. Für die Versorgung mit Hilfsmitteln aus den übrigen Verträgen besitze die Antragstellerin keine Zulassung und damit auch keinen Informationsanspruch. Das SG habe bei seiner Entscheidung eine Folgenabwägung getroffen und dabei nicht die besonderen Anforderungen beachtet, die Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) an die Ausgestaltung des Eilverfahrens stelle, wenn es sich bei der vorläufigen Eilentscheidung faktisch um eine endgültige Entscheidung handele. Das Bundesverfassungsgericht habe sich in seiner Entscheidung vom 12. Mai 2005 - Az.: 1 BvR 569/05 - mit den Anforderungen auseinander gesetzt, die zu beachten seien, wenn es sich bei einer vorläufigen Entscheidung faktisch um die Vorwegnahme der Hauptsache handele. Es habe ausgeführt, dass in diesem Fall das Gericht die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen habe. Nur, wenn eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich sei, sei anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Osnabrück vom 11. Juni 2009 aufzuheben und den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abzuweisen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, dass die Antragsgegnerin den Anspruch auf Informationen bezüglich der Produktgruppe 03 nicht mit der e-Mail vom 15. Juni 2009 erfüllt habe. Die Antragsgegnerin habe fünf exakt gleichlautende Verträge übersandt, welche lediglich verschiedene Anhänge zur Preisvereinbarung enthalten würden. Es müsse daher davon ausgegangen werden, dass dies nicht sämtliche Produkte der Produktgruppe 03 betreffe, über die die Antragsgegnerin Verträge geschlossen habe.
Die Antragsgegnerin hat daraufhin mit Schriftsatz vom 7. September 2009 mitgeteilt: "Hierzu ist klarzustellen, dass die Beschwerdeführerin entsprechend ihrer Rechtsauffassung der Beschwerdegegnerin nur die Verträge über Produkte der Produktgruppe 03 zur Verfügung gestellt hat, für die aufgrund der vorliegenden Qualifikation ein Beitritt möglich ist und die mit Einzelleistungserbringern abgeschlossen sind. Ein weitergehender Anspruch besteht nicht."
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte verwiesen, die Gegenstand der Beratung gewesen ist. Die Akten der Antragsgegnerin haben nicht vorgelegen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist nicht begründet.
Nach § 86b Abs. 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Erforderlich ist insoweit ein Anordnungsanspruch, d.h. ein subjektiv-öffentliches Recht des Antragstellers, für das er einstweiligen Rechtsschutz durch eine vorläufige gerichtliche Regelung begehrt. Neben dem Anordnungsanspruch setzt § 86b Abs. 2 SGG einen Anordnungsgrund voraus. Ein solcher ist bei der Dringlichkeit der begehrten Entscheidung gegeben, d.h. das Abwarten einer Hauptsacheentscheidung muss dem Antragsteller unzumutbar sein. Das Vorliegen des Anordnungsanspruchs und des Anordnungsgrundes muss der Antragsteller glaubhaft machen.
Es liegt sowohl ein Anordnungsgrund als auch ein Anordnungsanspruch vor.
Materielle Rechtsgrundlage für das Begehren der Antragstellerin ist die Regelung in § 127 Abs. 2 Satz 4 SGB V in der ab 1. Januar 2009 geltenden Fassung des Art 1 des Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG vom 15. Dezember 2008, BGBl. I 2426). Danach sind andere Leistungserbringer auf Nachfrage unverzüglich über die Inhalte abgeschlossener Verträge zu informieren. Bereits nach dem Wortlaut des Gesetzes ist von einer Informationspflicht ohne Einschränkungen auszugehen. Denn das Gesetz spricht nur von "anderen Leistungserbringern", ohne eine Einschränkung zu nennen. Es wird nicht auf bisher zugelassene Leistungserbringer abgestellt oder eine sonstige Einschränkung vorgenommen. Es soll über die "Inhalte abgeschlossener Verträge" informiert werden. Der Wortlaut des Gesetzes begründet folglich auch bezüglich der Inhalte der geschlossenen Verträge keine Einschränkungen im Rahmen der Informationspflicht. Im Gegensatz dazu hat der Gesetzgeber z.B. in § 127 Abs. 5 SGB V eine andere Regelung getroffen und den Krankenkassen aufgegeben ihre Versicherten über die zur Versorgung berechtigten Vertragspartner und auf Nachfrage über die "wesentlichen Inhalte" der Verträge zu informieren."
Nach der Gesetzessystematik ist gleichfalls von einem umfassenden Informationsrecht der Krankenkassen gem § 127 Abs. 2 Satz 4 SGB V auszugehen. Die Regelung in § 127 Abs. 2 SGB V stellt eine Ausnahme zu dem in § 127 Abs. 1 SGB V festgeschriebenen Grundsatz dar, wonach Verträge der Krankenkassen mit Leistungserbringern auszuschreiben sind. Bei den Verträgen nach § 127 Abs. 1 SGB V handelt es sich grundsätzlich um Verträge gem § 99 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), welches gem § 69 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 SGB V (in der Fassung des GKV-OrgWG) anzuwenden ist mit der Folge, dass gem § 102 GWB die Vergabe öffentlicher Aufträge der Nachprüfung durch die Vergabekammern unterliegt (vgl LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 23. Januar 2009, Az: L 22 WB 5971/08). Für derartige Verfahren sieht § 111 Abs. 1 GWB vor, dass die Beteiligten, zu denen gem § 109 GWB der Antragsteller, der Auftraggeber und die Unternehmen, deren Interessen durch die Entscheidung schwerwiegend berührt werden und die deswegen von der Vergabekammer beigeladen worden sind, gehören, die Akten bei der Vergabekammer einsehen und sich durch die Geschäftsstelle auf ihre Kosten Ausfertigungen, Auszüge oder Abschriften erteilen lassen können. Zugleich ist Europarecht anzuwenden, wonach das Diskriminierungsverbot gem Art 12, 28, 43 und 49 EG zu beachten ist.
Diese für § 127 Abs. 1 SGB V anzuwendenden Grundsätze des Wettbewerbsrechts sind bei der Anwendung des § 127 Abs. 2 SGB V gleichfalls zu berücksichtigen. Es ist nach der Stellung der Regelung des § 127 Abs. 2 SGB V im Gesetz deshalb von einer breiten Informationspflicht auszugehen, um eine Diskriminierung der Wettbewerber zu vermeiden. Somit spricht die systematische Stellung des § 127 Abs. 2 SGB V ebenfalls für eine umfassende Informationspflicht der Krankenkasse gegenüber den Mitbewerbern nach § 127 Abs. 2 Satz 4 SGB V.
Nach dem Sinn und Zweck der Regelung in § 127 Abs. 2 Satz 4 SGB V ist ebenfalls von einem umfassenden Informationsrecht der anderen Leistungserbringer auszugehen. Es liegt auf der Hand, dass ein Leistungserbringer, der bislang keinen Vertrag mit der Krankenkasse hatte und einem bestehenden Vertrag gem § 127 Abs. 2a SGB V beitreten möchte, ein umfangreiches Informationsinteresse hat. Nur eine detaillierte Information über den bestehenden Vertrag seitens der Krankenkasse versetzt den Mitbewerber, der dem Vertrag beitreten möchte, in die Lage, entscheiden zu können, ob der Vertragsschluss für ihn sinnvoll, d.h. wirtschaftlich ist. Denn die Position der Leistungserbringer hat sich durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - GKV-WSG vom 26. März 2007, BGBl. I S 378) grundlegend verändert. Der Gesetzgeber verfolgte mit der Änderung der §§ 126 und 127 SGB V einen Systemwechsel bei den Leistungserbringern. Die Zulassungsregelung in § 126 SGB V alter Fassung ist aufgegeben worden zugunsten eines reinen Vertragsmodells, wobei eine Übergangsregelung mit einer Befristung in § 126 SGB V eingefügt wurde. Diejenigen Leistungserbringer, die entweder bislang eine Zulassung hatten oder wohl auch ganz neue Leistungserbringer sollen zur Stärkung des Wettbewerbs gem § 127 Abs. 2a SGB V die Möglichkeit erhalten, jenen Verträgen beizutreten, die die gesetzlichen Krankenkassen mit Leistungserbringern geschlossen haben. Damit soll ein möglichst freier Zugang der anderen Leistungserbringer nach dem neuen Modell begründet werden. Der Gesetzgeber hat auf diese Art und Weise eine Diskriminierung der anderen Leistungserbringer, die bislang ohne Vertrag sind, ausschließen wollen. Denn nur durch einen möglichen Beitritt dieser Leistungserbringer wird ein möglicher Verstoß gegen Art 12 Grundgesetz (GG) vermieden. Darüber hinaus berücksichtigt die im Gesetz vorgesehene Verfahrensweise, dass es sich bei den Verträgen nach § 127 Abs. 2 SGB V auch um öffentliche Aufträge gem § 99 GWB handelt. Zwar sind §§ 100 ff GWB auf diese Verträge nicht anwendbar, denn hier sind regelmäßig Verträge nach § 127 Abs. 1 SGB V gemeint (sog Vergabeverfahren). Gleichwohl sind die Normen des EG-Rechts für staatliche Auftraggeber zu berücksichtigen und eine Auftragsvergabe hat ohne Diffamierung der Mitbewerber zu erfolgen (vgl Otting in Bechtold, GWB, Kartellgesetz, Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, Kommentar, 5. Auflage, § 100 Rnr. 5 ff).
Schließlich findet sich auch in der Gesetzesbegründung ein klarer Hinweis des Gesetzgebers auf eine umfassende Informationspflicht der Krankenkassen. Zwar enthält die Gesetzesbegründung keine unmittelbare Anmerkung zu der hier maßgeblichen Regelung in § 127 Abs. 2 Satz 4 SGB V (vgl Bundestagsdrucksache 16/3100 zu Nr. 93, S 141). Der Gesetzgeber erläutert auch die Beitrittsregelung in § 127 Abs. 2a SGB V in der Gesetzesbegründung nicht. Es heißt dort lediglich, dass bei Verträgen nach § 127 Abs. 2 SGB V die vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten dahingehend erweitert und weiter flexibilisiert werden, dass Krankenkassen und Organisationen der Krankenkassen in jeder möglichen Konstellation mit einzelnen Leistungserbringern und Organisationen der Leistungserbringer Verträge schließen können. Es wird weiter ausgeführt: "Vor dem Hintergrund der Neuregelung in § 126 Abs. 1 Satz 1 SGB V muss auch bei Verträgen nach § 127 Abs. 2 SGB V ein ausreichendes Maß an Öffentlichkeit gewährleistet sein, damit interessierte Leistungserbringer sich in die Verhandlungen einbringen können". Zwar wird nicht klar dargestellt, was der Gesetzgeber mit der Formulierung "damit interessierte Leistungserbringer sich in die Verhandlungen einbringen können" meint. Denn es gibt zum einen Leistungserbringer, die bereits einen Vertrag haben. Diese müssen sich jedoch nicht mehr in die Verhandlungen einbringen. Darüber hinaus gibt es andere Leistungserbringer, die noch keinen Vertrag haben, aber dem bestehenden Vertrag beitreten möchten. Auch hier werden auf den ersten Blick keine Verhandlungen geführt, mit denen sie sich einbringen können. Der Gesetzgeber hat jedoch klar zum Ausdruck gebracht, dass sich "interessierte" Leistungserbringer in die Verhandlungen einbringen können. Damit können nur die Leistungserbringer gemeint sein, die bislang noch keinen Vertrag haben und daher beitreten wollen. In diesem Kontext hat der Gesetzgeber ein "ausreichendes Maß an Öffentlichkeit" gefordert. Das lässt nur den Schluss zu, dass die Verträge nach § 127 Abs. 2 SGB V so weit wie möglich öffentlich gemacht werden sollen, damit andere Leistungserbringer Kenntnis davon erlangen, um den Verträgen dann ggf. beitreten zu können. Der Gesetzgeber hat die Regelung in § 127 Abs. 2 Satz 4 SGB V schlicht und ohne Einschränkungen formuliert, um das beschriebene Maß an Öffentlichkeit herzustellen.
Demgegenüber hat die Antragsgegnerin in der Beschwerdebegründung vom 14. Juli 2009 vorgetragen, dass die Informationspflicht der Krankenkassen begrenzt wird durch die Verpflichtung, die Geschäftsgeheimnisse der Leistungserbringer, mit denen ein Vertrag gem § 127 Abs. 2 SGB V besteht, zu wahren. Die Verträge würden Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der am Vertrag Beteiligten (Preise, Haftungsregelungen etc) enthalten, die vertraulichen Charakter hätten und nur den Vertragspartnern bekannt seien.
Bei einer Abwägung der Interessen hat der Gesetzgeber nach den o. g. Ausführungen grundsätzlich die Interessen der anderen Leistungserbringer, die einem Vertrag beitreten wollen, bevorzugt, um mehr Wettbewerb zu schaffen. Unter Berücksichtigung des o.g. Diskriminierungsverbotes nach EG-Recht und GWB auf der einen Seite sowie dem Schutz der Leistungserbringer aus Art 12 GG auf der anderen Seite ist eine solche Gewichtung rechtsfehlerfrei.
Die Antragstellerin hat folglich einen grundsätzlichen Anspruch gem § 127 Abs. 2 Satz 4 SGB V über die Inhalte der abgeschlossenen Verträge, wie beantragt, unverzüglich informiert zu werden (so auch SG Hamburg, Beschluss vom 26. Februar 2009, Az: S 34 KR 164/09 ER, abgedruckt in [...]).
Dieser Anspruch wird durch die bisherige Zulassung gem § 126 SGB V alter Fassung nicht dahingehend eingeschränkt, dass ein Informationsanspruch nur für bestimmte Produktgruppen in Betracht kommt.
Die Antragsgegnerin kann nicht damit gehört werden, dass die Antragstellerin bestimmten Verträgen nicht beitreten könne, weil sie für diese Produktgruppen nicht zugelassen sei. Die Antragsgegnerin verknüpft hier altes und neues Recht in unzulässiger Art und Weise. Die Antragstellerin ist unstreitig ein nach altem Recht gem § 126 SGB V a.F. zugelassener Leistungserbringer. Nach neuem Recht soll es auf eine Zulassung nicht mehr ankommen, sondern es wird auf Verträge mit Leistungserbringern umgestellt. Als bereits zugelassene Leistungserbringerin hat die Antragstellerin ein umfassendes Recht auf Information über die bestehenden Verträge gem § 127 Abs. 2 Satz 4 SGB V, um ihnen gem § 127 Abs. 2a SGB V beitreten zu können. Auf eine Zulassung für bestimmte Produktgruppen nach altem Recht kommt es nach der neuen Systematik im SGB V nicht mehr an.
Schließlich besteht auch ein Anordnungsgrund.
Die Antragsgegnerin muss nicht das Hauptsacheverfahren abwarten. Gem § 126 Abs. 2 Satz 1 SGB V gelten für Leistungserbringer, die wie die Antragstellerin über eine alte Zulassung verfügen, gem § 126 Abs. 1 Satz 2 SGB V bis zum 30. Juni 2010 die Voraussetzungen für die Leistungserbringung als erfüllt. Nach § 126 Abs. 2 Satz 3 SGB V bleiben abweichend von der Regelung in § 126 Abs. 2 Satz 1 SGB V Leistungserbringer bis zum 31. Dezember 2009 zur Versorgung der Versicherten berechtigt, soweit keine Ausschreibungen nach § 127 Abs. 1 SGB V erfolgen. Da die Antragstellerin behauptet, nur bis zum 31. Dezember 2009 zur Versorgung der Versicherten berechtigt zu sein und die Antragsgegnerin dem nicht widersprochen hat, ist von einer Eilbedürftigkeit der beantragten Entscheidung auszugehen.
In Bezug auf die Art und Weise, wie die Antragsgegnerin die Antragstellerin über die Inhalte abgeschlossener Verträge informiert, hält der Senat den vom SG vorgegebenen Modus für zweckmäßig und ausreichend. Zwar wäre auch eine Veröffentlichung der bestehenden Verträge möglich. Diese Möglichkeit ist jedoch nicht Streitgegenstand. Auf die Frage, wer die Kosten der Kopien zu zahlen hat, brauchte ebenfalls nicht eingegangen zu werden, weil dies ebenfalls nicht Streitgegenstand dieses Verfahrens ist.
Die Antragsgegnerin hat im Schriftsatz vom 7. September 2009 selbst ausgeführt, dass der Antragstellerin noch nicht alle Verträge über die Produktgruppe 03 zur Verfügung gestellt wurden. Aus diesem Grund hat sich der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes auch nicht teilweise erledigt.
Richtig ist schließlich der Hinweis der Antragsgegnerin, dass die Entscheidung des Senats die Hauptsache vorwegnimmt. Die Vorwegnahme der Hauptsache ist hier aber ausnahmsweise zulässig, weil der Antragstellerin die Beschreitung des Hauptsacherechtswegs unzumutbar ist. Aus diesem Grund hat der Senat die Sach- und Rechtslage auch nicht nur summarisch, sondern abschließend geprüft.
Die Kostenentscheidung folgt aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 52 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 7 i.V.m. § 53 Abs. 3 Nr. 4 Gerichtskostengesetz (GKG). Dabei hat der Senat entgegen seiner ständigen Rechtsprechung den Streitwert für Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht auf die Hälfte reduziert, weil der Beschluss eine Entscheidung in der Hauptsache ersetzt.
Dieser Beschluss ist gem § 177 SGG nicht anfechtbar.