Verwaltungsgericht Göttingen
Beschl. v. 10.09.2009, Az.: 1 B 235/09

Hauswarte; Obdachlosenquartier; Untersagung; verbale Angriffe

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
10.09.2009
Aktenzeichen
1 B 235/09
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2009, 44096
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:2009:0910.1B235.09.0A

Amtlicher Leitsatz

Der Bewohner einer Obdachlosenunterkunft kann nicht von dem kommunalen Träger die Untersagung von verbotenen Attacken der Mitbewohner verlangen.

Gründe

1

Die gestellten Anträge,

  1. der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, den Bewohnern der städtischen Wohnsiedlung A. (Obdachlosenquartier), B., zu untersagen, die Antragstellerin mit beleidigenden und gegen ihre Würde als Frau gerichteten Worten verbal anzugreifen und

  2. der Antragsgegnerin weiterhin aufzugeben, die Hauswarte der Siedlung A., in Göttingen, verbindlich anzuweisen, beständig dafür Sorge zu tragen, dass verbale Aggressionen, Beleidigungen und Bedrohungen der Antragstellerin im Bereich der Wohnsiedlung A. unterlassen werden

  3. sowie

  4. der Antragstellerin Prozesskostenhilfe zu bewilligen,

2

haben keinen Erfolg.

3

Die Voraussetzungen für den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung, die hier nur gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO als sog. Regelungsanordnung in Betracht käme, liegen nicht vor. Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Deshalb kann auch Prozesskostenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussichten nicht bewilligt werden.

4

Zu 1. Zweifel könnten bereits im Hinblick auf die Dringlichkeit einer gerichtlichen Eilentscheidung (Anordnungsgrund) bestehen. Die Antragstellerin wohnt bereits seit dem 01.12.2008 im Wohnquartier A.. Nach ihrem eigenen Vortrag ist sie bereits von Beginn an, verbalen Angriffen wegen ihrer Transsexualität ausgesetzt gewesen. Warum sie erst jetzt um gerichtlichen Eilrechtsschutz nachsucht, hat sie nicht dargelegt. Letztendlich kann das aber dahinstehen, da sie einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht hat. Als Anspruchsgrundlage könnte § 11 i.V.m. § 2 Nr. 1a Nds. SOG in Betracht kommen. Danach kann die Verwaltungsbehörde die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine Gefahr abzuwehren. Eine Gefahr i.S.d. Nds. SOG ist gemäß § 2 Nr. 1a eine konkrete Gefahr, d.h. eine Sachlage, bei der im einzelnen Fall die hinreichende Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche Sicherheit und Ordnung eintreten wird. Diese Voraussetzungen hat die Antragstellerin nicht im Ansatz dargelegt oder glaubhaft gemacht. Sie verweist lediglich darauf, dass sie durch die verbalen Angriffe an Herzschmerzen leide und gesundheitlich gefährdet sei. Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung begründet dies nicht.

5

Auch aus § 1 Abs. 3 Nds. SOG, wonach den Verwaltungsbehörden der Schutz privater Rechte obliegt, wenn gerichtlicher Rechtsschutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und wenn ohne verwaltungsbehördliche Hilfe die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde, ergibt sich kein Anspruch der Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin. Es ist grundsätzlich Sache der Antragstellerin selbst, sich gegen Störungen aus der Unterkunftsanlage mit den Mitteln des Privat- oder Strafrechts zur Wehr zu setzen. Die Antragsgegnerin darf die Antragstellerin ermessensfehlerfrei auf solche Eigenbemühungen verweisen. Aus der Zuweisung einer Obdachlosenunterkunft erwächst der Antragstellerin kein Anspruch auf Rundum-Betreuung durch die Antragsgegnerin (s. VG München, Beschluss vom 02.10.2007 - M 22 E 07.2495 -, juris). Soweit die Antragstellerin vorträgt, ein Vorgehen mit Strafanzeigen, Strafanträgen und zivilrechtlichen Unterlassungsklagen sei ihr nicht zumutbar, weil dadurch das aggressive Verhalten der Mitbewohner sich weiter verstärken würde, überzeugt dies nicht. Zum Einen fällt, selbst wenn die Antragsgegnerin auf die Bewohner des Quartiers einwirkt, dies auf die Antragstellerin zurück und schützt sie nicht vor einer weiteren Verstärkung des Verhaltens der Mitbewohner, da alle genau wissen, dass das Einschreiten auf die Antragstellerin zurückgeht. Zum Anderen hat die Antragsgegnerin bereits in der Vergangenheit über ihre Hausmeister versucht, auf die Bewohner einzuwirken, ohne dass sich an deren Verhalten etwas geändert hat. Es ist jetzt deshalb an der Antragstellerin selbst, aktiv zu werden.

6

Selbst wenn man jedoch die Voraussetzungen der genannten Vorschriften bejahen würde, hätte die Antragstellerin lediglich einen Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung hinsichtlich eines Tätigwerdens der Antragsgegnerin. Das Vorgehen der Antragsgegnerin ist allerdings nicht zu beanstanden, denn sie hat im Rahmen ihres Hausrechts alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um Auseinandersetzungen zwischen der Antragstellerin und den übrigen Bewohnern zu unterbinden bzw. möglichst zu vermeiden. Die Hauswarte haben die Bewohner immer wieder darauf hingewiesen, die Antragstellerin nicht zu belästigen. Außerdem hat die Antragsgegnerin der Antragstellerin mehrere Mietwohnungen angeboten, die von der Antragstellerin alle abgelehnt wurden. Auf die Frage der Mitarbeiter der Antragsgegnerin, wo sich die Antragstellerin eine Mietwohnung vorstellen könne, hat sie keine Angaben gemacht. Ende Januar ist der Antragstellerin ein Wohnberechtigungsschein ausgestellt worden. Trotzdem hat sie weiterhin die Verlängerung der Zuweisung in die jetzige Wohnung beantragt.

7

Es muss darauf hingewiesen werden, dass in Wohnanlagen mit Bewohnern in sozial schwierigen Lebenslagen wie in einer Obdachlosenunterkunft ein höheres Potential für Störungen des Hausfriedens vorhanden ist, das auch durch intensive sozialpädagogische Betreuung nicht völlig beseitigt werden kann. Insoweit ist es an der Antragstellerin, sich aus eigener Initiative um bessere Wohnalternativen zu bemühen. Die Antragstellerin kann nicht verlangen, dass die Antragsgegnerin ihre begrenzten personellen Ressourcen hauptsächlich für sie einsetzt.

8

Eine Rechtsgrundlage für das Begehren der Antragstellerin ergibt sich auch nicht aus der Hausordnung der Antragsgegnerin für das Wohnquartier, weil den dortigen Regelungen - bis auf die Vorschrift zur Einhaltung von ortsüblichen Ruhezeiten (Nr. 1), um die es hier aber nicht geht - keine so genannte drittschützende Funktion zukommt. Die dortigen Regelungen (insbesondere zur Hausreinigung, Abfallentsorgung, Benutzung von Gemeinschaftseinrichtungen) stellen nämlich keine den Individualinteressen der Bewohner dienende Schutznormen dar, sondern dienen lediglich der im öffentlichen Interesse liegenden Gewährleistung der Sicherheit und Ordnung in den von der Antragsgegnerin unterhaltenen öffentlichen Obdachlosenunterkünften (vgl. VG München a.a.O.).

9

Soweit die Antragsgegnerin verpflichtet werden soll, verbale Angriffe der Bewohner des Wohnquartiers zu unterbinden, scheidet ein Anspruch bereits deshalb aus, weil dies der Antragsgegnerin tatsächlich unmöglich ist.

10

Nach alledem ist der Antrag mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen.

11

Zu 2. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist ebenfalls abzulehnen, da der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes aus den dargelegten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).

Streitwertbeschluss:

Zu 3. Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG. Der Auffangwert ist im Hinblick auf den vorläufigen Charakter des gerichtlichen Streitverfahrens auf 2 500 Euro zu halbieren.