Landessozialgericht Niedersachsen
Urt. v. 23.02.2000, Az.: L 4 KR 130/98
Anspruch auf Übernahme der Kosten der intracytoplasmatischen Spermainjektion (ICSI); Erkrankung des Ehemannes an "Oligo-Astheno-Teratozoospermie Grad III"; Voraussetzungen der Beiladung im sozialgerichtlichen Verfahren; Umfang des Anspruchs auf Krankenbehandlung; Voraussetzungen der Kostenübernahme für medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft; Erforderlichkeit der gewählten Behandlungsmethode; Hinreichende Wahrscheinlichkeit für die Herbeiführung einer Schwangerschaft; Ausschluss des Kostenerstattungsanspruches durch die Richtlinien über künstliche Befruchtung; Rechtsnatur und Bindungswirkung der Richtlinien des Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen; Rechtswidrigkeit der Richtlinien-Entscheidung des Bundesausschusses; Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebotes
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen
- Datum
- 23.02.2000
- Aktenzeichen
- L 4 KR 130/98
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 23110
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:2000:0223.L4KR130.98.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 22.04.1998 - AZ: S 11 KR 166/96
Rechtsgrundlagen
- § 13 Abs. 3 SGB V
- § 75 Abs. 2 SGG
- § 27 Abs. 1 SGB V
- § 27a SGB V
- Nr. 10.5 der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung vom 14. August 1990
- § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 SGB V
- Art. 80 Abs. 1 GG
- § 91 Abs. 2 SGB V
- Art. 3 Abs. 1 GG
- § 12 Abs. 1 S. 2 SGB V
Fundstellen
- Breith. 2000, 525-539
- MedR 2001, 461
- MedR 2000, 425
- NZS 2001, 32-39
- SozSich 2001, 69-70
Prozessführer
P. T. F. H.
Rechtsanwalt Dr. M... und Partner, P., D.
Prozessgegner
H. Krankenkasse für B. und H.
W. Z. H.
Sonstige Beteiligte
B. D.
vertreten durch das B. G. P. B.
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen sind weder Rechtsverordnungen, noch Satzungen, Normsetzungsverträge oder Rechtsquellen sui generis. Sie haben keine normative Wirkung für die Versicherten (Abweichung von BSG, Urteil vom 20. März 1996 - 6 RKa 62/94 - in SozR 3-2500 § 92 Nr. 6 sowie Urteile vom 16. September 1997 - 1 RK 28/95 - und - 1 RK 32/95 - in SozR 3-2500 § 135 Nr. 4 und § 92 Nr. 7).
- 2.
Die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen sind Empfehlungen eines fachkundigen Gremiums. Sie haben über das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG lediglich mittelbare Wirkung für die Versicherten.
- 3.
Nr. 10.5 der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung vom 14.8.1990 (BABl. 1990 Heft 12 S. 21), die die intrazytoplasmatische Spermainjektion (ICSI) aus der gesetzlichen Krankenversicherung ausschließt, ist nichtig. Der Ausschluss der intrazytoplasmatischen Spermainjektion (ICSI) aus der gesetzlichen Krankenversicherung gehört als eugenische Entscheidung und Rationierungsmaßnahme zu den wesentlichen Entscheidungen der gesetzlichen Krankenversicherung und ist gemäß der Wesentlichkeitstheorie dem Gesetzgeber vorbehalten.
Der 4. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle hat
am 23. Februar 2000
durch
die Vorsitzende Richterin am Landessozialgericht S... S...
den Richter am Landessozialgericht W... und
die Richterin am Sozialgericht K... sowie
den ehrenamtlichen Richter G... und
die ehrenamtliche Richterin B...
beschlossen:
Tenor:
Das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 22. April 1998 und der Bescheid der Beklagten vom 10. April 1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. September 1996 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die Kosten der im August 1996 durchgeführten intracytoplasmatischen Spermainjektion (ICSI) in Höhe von 2.274,- DM zu erstatten. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Rechtsstreit betrifft die Kosten der intracytoplasmatischen Spermainjektion (ICSI) in Höhe von 2.274,- DM, die im August 1996 durchgeführt wurde.
Die ICSI ist ein Verfahren der künstlichen Befruchtung, bei der ein einzelnes Spermium mittels einer Injektionsnadel in die Eizelle injiziert wird. In Fällen schwerer männlicher Zeugungsunfähigkeit ist die ICSI die einzige Möglichkeit für ein Paar, ein gemeinsames Kind zu bekommen.
Die 1963 geborene Klägerin hat aus einer früheren Beziehung einen im Jahre 1984 geborenen Sohn. Sie ist jetzt mit A... T... verheiratet und war im Jahre 1996 über ihn bei der Beklagten familienversichert. Seit 1990 hatte das Ehepaar den Wunsch nach einem gemeinsamen Kind. Wegen der beim Ehemann bestehenden Oligo-Astheno-Teratozoospermie Grad III (Einschränkung der Zahl, der Beweglichkeit und des Aussehens der Spermien) blieb dieser Wunsch unerfüllt. Deshalb entschlossen sich die Klägerin und ihr Ehemann zur Durchführung der ICSI. Die erste ICSI erfolgte im August 1996. Nach der fünften ICSI-Behandlung im November 1998 wurde die Klägerin am 20. August 1999 von einem gesunden Kind entbunden.
Am 15. Januar 1996 beantragte die Klägerin durch die Gynäkologen Dres. W.../M...-A... die Übernahme der Kosten für eine ICSI-Behandlung. Zuvor hatte sie sich zusammen mit ihrem Ehemann nach andrologischer Vordiagnostik durch die Frauenärztin Dr. O... (Vertragsärztin) über die medizinischen, psychischen und sozialen Aspekte der künstlichen Befruchtung beraten lassen (Bescheinigung Dr. O... vom 10. November 1995). Dr. O... überwies die Ehegatten am 20. Oktober 1995 zur ICSI-Behandlung an die Ärzte für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Dres. W.../M... - A... Beide Ärzte sind ebenfalls Vertragsärzte und besitzen die behördliche Genehmigung zur Herbeiführung von Schwangerschaften nach § 121 a Fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V).
Die Beklagte holte ein Gutachten nach Aktenlage von dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Niedersachsen (MDKN), Dr. P... vom 30. Januar 1996 ein, das einer Kostenübernahme im Hinblick auf gewisse Unwägbarkeiten im Hinblick auf die Missbildungsrate und die möglichen genetischen Auswirkungen nicht zustimmte. Die Beklagte zog daraufhin eine Stellungnahme ihres beratenden Arztes für Arbeitsmedizin Dr. zum Winkel, Hamburg, vom 18. März 1996 bei und lehnte den Antrag mit Bescheid vom 10. April 1996 ab.
Auf den Widerspruch der Klägerin holte die Beklagte eine Stellungnahme der behandelnden Gynäkologin Dr. M...-A... vom 24. Juni 1996 ein und wies sodann den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16. September 1996 zurück: Die beantragte Mikroinjektion gehöre nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Denn es handele sich dabei um ein Verfahren im Forschungsstadium. Die Forschung gehöre aber nicht zum Aufgabenbereich der gesetzlichen Krankenversicherung.
Am 26. August 1996 führten die Frauenärzte Dres. W.../M...-A... die ICSI-Behandlung durch. Die Kosten, die die Klägerin hierfür zahlte, betrugen 2.274,- DM.
Am 2. Oktober 1996 hat die Klägerin gegen den Widerspruchsbescheid Klage beim Sozialgericht (SG) Hannover erhoben. Das SG hat eine Auskunft des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen - Arbeitsausschuss "Familienplanung" - vom 21. Oktober 1997 eingeholt und die Klage sodann mit Urteil vom 22. April 1998 abgewiesen. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt: Die Beklagte habe eine Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 SGB V zu Recht abgelehnt. Die Einzelheiten zu den Leistungen der künstlichen Befruchtung seien nach § 27 a Abs. 4 SGB V von dem Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen zu bestimmen. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) seien die Richtlinien des Bundesausschusses auch für die Versicherten verbindlich. Eine Aufnahme der ICSI in die Richtlinien über die künstliche Befruchtung sei bisher nicht erfolgt, weil es zur Zeit keine gesicherten Daten über die nach ICSI geborenen Kinder gebe. Derartige Daten seien aber wegen der Gefahr von Missbildungen erforderlich.
Gegen das ihr am 5. Mai 1998 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 3. Juni 1998 Berufung eingelegt. Sie ist u. a. der Ansicht, die ICSI-Methode sei ausreichend erforscht. Nicht nur ihre behandelnden Ärzte, sondern auch andere verantwortungsvoll handelnden Mediziner wendeten sie an. Sie werde auch von den meisten Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt. Schon das zeige, dass es sich nicht um eine Methode im Forschungsstadium mit unkalkulierbaren Risiken für Missbildungen handeln könne.
Inzwischen hatte die Klägerin am 8. Oktober 1996 und am 25. September 1997 die Kostenübernahme für zwei weitere ICSI-Behandlungen beantragt. Die Beklagte stellte ihre Entscheidung wegen des anhängigen Klageverfahrens zurück.
Die Klägerin beantragt,
- 1.
das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 22. April 1998 und den Bescheid der Beklagten vom 10. April 1996 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. September 1996 aufzuheben und
- 2.
die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 2.274,- DM zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und meint, dass sie wegen des Ausschlusses der ICSI durch den Bundesausschuss nicht zur Leistung verpflichtet sei.
Der Senat hat Unterlagen des Bundesausschusses beigezogen. Er hat sodann das Gutachten des Chefarztes der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Medizinischen Universität Lübeck, Prof. Dr. Diedrich, vom 22. September 1999 eingeholt. Prof. Dr. Diedrich besitzt seit 1993 praktische klinische Erfahrungen mit ICSI und hat bisher etwa 3.000 Behandlungszyklen mit ICSI durchgeführt; er hat außerdem zahlreiche Original- und Übersichtsarbeiten national und international zu ICSI, zur In-vitro-Fertilisation und zur hormonellen Vorbehandlung publiziert. Weiter hat der Senat das Gutachten vom 25. November 1999 von der Sachverständigen Prof. Dr. Kollek. Forschungsschwerpunkt Biotechnik, Gesellschaft und Umwelt, Forschungsgruppe Medizin der Universität Hamburg, erstatten lassen; Prof. Dr. Kollek verfügt über langjährige Erfahrungen in experimenteller zellulärer, genetischer und entwicklungsbiologischer Forschung und im Bereich der Technikfolgenabschätzung und -bewertung der modernen Biotechnologie in der Medizin.
Die Prozessakten des ersten und zweiten Rechtszuges haben mit den Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen; Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vortrages der Beteiligten wird hierauf verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig und begründet.
Eine Beiladung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen ist - entgegen dessen Anregung - nicht notwendig. Denn nach § 75 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist ein Dritter dann beizuladen, wenn er an dem streitigen Rechtsverhältnis derart beteiligt ist, dass die Entscheidung auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Voraussetzung ist, dass eine Identität des Streitgegenstandes im Verhältnis der Parteien zu dem Dritten besteht (vgl. Meyer-Ladewig, SGG. 6. Aufl. 1998, § 75 Rz 10 mwN). Streitgegenstand ist der Kostenerstattungsanspruch der Klägerin gegenüber ihrer Krankenkasse. Die Entscheidung des Senats über diesen Anspruch, d. h. ob die Beklagte 2.274,- DM erstatten muss, berührt die Rechte des Bundesausschusses nicht. Die Richtlinienkompetenz des Bundesausschusses ist lediglich eine - wenn auch wichtige - Vorfrage der Entscheidung. Demzufolge hat auch das BSG keine Beiladung des Bundesausschusses in den Rechtsstreitigkeiten erwogen, in denen es um den Anspruch eines Versicherten gegen seine Krankenkasse ging und im Zusammenhang damit die Richtlinienkompetenz des Bundesausschusses streitig war (vgl. z. B. BSG, Urteile vom 16. September 1997 - 1 RK 28/95 - in BSGE 81, 54 ff und - 1 RK 32/95 - in BSGE 81, 73 ff [BSG 16.09.1997 - 1 RK 32/95]).
Die Klägerin hat Anspruch auf Erstattung der Kosten für die ICSI in Höhe von 2.274,- DM. Das Urteil des SG und der Bescheid der Beklagten können keinen Bestand haben.
Die Klägerin ist aktivlegitimiert. Denn sie ist nach § 10 SGB V befugt, als familienversichertes Mitglied der Beklagten den Erstattungsanspruch im eigenen Namen geltend zu machen (BSG. Urteil vom 16. Juni 1999 - B 1 KR 6/99 R - noch nicht veröffentlicht).
Der Anspruch der Klägerin folgt aus § 13 Abs. 3 2. Alternative SGB V: Danach hat die Krankenkasse die Kosten für eine selbstbeschaffte notwendige Leistung zu erstatten, wenn sie die Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dem Versicherten dadurch Kosten entstanden sind. Der Kostenerstattungsanspruch tritt an die Stelle eines an sich gegebenen Sachleistungsanspruches. Ein solcher Anspruch setzt demzufolge voraus, dass die selbstbeschaffte Leistung ihrer Art nach zu den Leistungen gehört, die die gesetzliche Krankenkasse als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen hat (vgl. BSG, Urteil vom 23. Juli 1998 - B 1 KR 19/96 R - in NZS 1999, 245 mwN).
Diese Voraussetzungen liegen vor.
Für die ICSI-Behandlung im August 1996 hat die Klägerin Kosten in Höhe von 2.274,- DM aufgewendet. Diese Kosten sind ihr dadurch entstanden, dass die Beklagte ihren Sachleistungsanspruch auf Behandlung mit ICSI mit Bescheid vom 10. April 1996 abgelehnt hat. Denn erst danach haben die Klägerin und ihr Ehemann im August 1996 die ICSI durchgeführt.
Die Beklagte hat die ICSI-Behandlung mit Bescheid vom 10. April 1996 auch zu Unrecht abgelehnt. Der Klägerin steht ein Anspruch auf die ICSI nach § 27 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 27 a SGB V zu.
Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung. Hierzu gehören gemäß § 27 a Abs. 1 SGB V auch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft. Bei Inseminationen, die nach Stimulationsverfahren durchgeführt werden und bei denen dadurch ein erhöhtes Risiko von Schwangerschaften mit drei oder mehr Embryonen gegeben ist, besteht ein Anspruch nach § 27 a Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 SGB V unter folgenden Voraussetzungen: Die Maßnahmen müssen nach ärztlicher Feststellung erforderlich sein (§ 27 a Abs. 1 Nr. 1 SGB V). Es muss eine hinreichende, ärztlich festgestellte Aussicht bestehen, dass durch die Maßnahmen eine Schwangerschaft herbeigeführt wird; bei viermaliger erfolgloser Durchführung ist diese Aussicht in der Regel nicht mehr gegeben (§ 27 a Abs. 1 Nr. 2 SGB V). Es dürfen ausschließlich Ei- und Samenzellen von miteinander verheirateten Ehegatten verwendet werden (§ 27 a Abs. 1 Nr 3 und 4 SGB V). Die Ehegatten müssen sich vor Durchführung der Maßnahmen von einem Arzt. der nicht selbst behandelt, über die Behandlung und ihre medizinischen und psychosozialen Gesichtspunkte unterrichten lassen. Dieser Arzt muss die Ehegatten an einen Arzt oder eine Einrichtung mit einer Genehmigung nach § 121 a SGB Vüberweisen, der die Behandlung dann vornimmt (§ 27 a Abs. 1 Nr. 5 SGB V). Die Leistungspflicht der Krankenkasse beschränkt sich auf die Kosten der Maßnahmen, die bei ihrem Versicherten durchgeführt werden (§ 27 a Abs. 3 SGB V). Die medizinischen Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Maßnahmen der Herbeiführung einer Schwangerschaft bestimmt der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in den Richtlinien nach § 92 SGB V (§ 27 a Abs. 4 SGB V).
Die Voraussetzungen des § 27 a Abs. 1 SGB V sind erfüllt.
Die ICSI dient der Herbeiführung einer Schwangerschaft. Sie ist Teil eines Verfahrens der künstlichen Befruchtung von Eizellen. Nach den Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen Prof. Dr. Diedrich und Prof. Dr. Kollek werden bei der In-vitro-Fertilisation Ei- und Samenzelle im Reagenzglas in engen Kontakt gebracht und verschmelzen dort aus eigener Kraft. Eine Verschmelzung aus eigener Kraft ist bei schwerer Einschränkung der Spermien, mangelnder Spermienausschüttung oder - Produktion etc. nicht möglich. Sie wird durch die ICSI ersetzt, indem ein einzelnes Spermium, das z. B. den Nebenhoden entnommen wird, mit Hilfe einer Injektionsnadel in die Eizelle injiziert wird. Die Vor- und Nachbehandlung des Paares erfolgt im Übrigen wie bei der In-vitro-Fertilisation.
Die Behandlung mit der ICSI-Methode ist im vorliegenden Fall nach ärztlicher Feststellung erforderlich gewesen (§ 27 a Abs. 1 Nr. 1 SGB V).
Nach den Bescheinigungen der behandelnden Vertragsärzte Dres. Wilken/Müseler-Albers vom 12. Januar, 30. April und 24. Juni 1996 besteht bei dem Ehemann der Klägerin eine Oligo-Astheno-Teratozoospermie Grad III. Diese Diagnose wird bestätigt durch die Vordiagnostik des Arztes für Urologie Dr. Re... (Arztbriefe vom 18. Januar und vom 13. April 1995) und des Arztes für Urologie Dr. S... (Arztbrief vom 29. November 1995 und Spermiogramm vom 12. Januar 1996). Es besteht bei dem Ehemann der Klägerin trotz konservativer Behandlung nach wie vor eine hochgradige andrologische Fertilitätsstörung.
Trotz intensiver medikamentöser Anregungstherapie der Spermiogenese konnte der andrologische Befund nicht verbessert werden. Auf Grund der Oligo-Astheno-Teratozoospermie Grad III ist das Ehepaar nicht in der Lage, auf natürlichem Wege ein Kind zu zeugen. Eine Schwangerschaft kann nur durch eine künstliche Befruchtung erzielt werden.
Besteht ein Oligo-Astheno-Teratozoospermiesyndrom Grad III, so kann eine Zeugung nur mittels ICSI erfolgen. Das ergibt sich aus den übereinstimmenden Bekundungen beider gerichtlicher Sachverständigen. In seinem Gutachten vom 22. September 1999 hat der Sachverständige Prof. Dr. Diedrich nachvollziehbar und überzeugend ausgeführt, daß bei einer Oligo-Astheno-Teratozoospermie Grad III - außer in dem hier nicht vorliegenden Ausnahmefall, in dem hormonelle Ursachen der eingeschränkten Spermienproduktion festgestellt werden können - die ICSI die einzige Behandlungsmethode mit einer vertretbaren Erfolgschance ist, ein Kind zu zeugen. Diese Aussage wird durch die Sachverständige Prof. Dr. Kollek in ihrem Gutachten vom 25. November 1999 bestätigt. Sie führt aus, dass bei der Oligo-Astheno-Teratozoospermie Grad III die Zeugungsfähigkeit des Mannes deutlich reduziert bis nicht mehr vorhanden und damit die Wahrscheinlichkeit einer Befruchtung auf natürlichem Wege oder auch im Rahmen einer normalen In-vitro-Fertilisation auf Grund der mangelnden Spermienqualität als gering anzusehen ist. Eine Behandlungsalternative zur Herbeiführung einer Schwangerschaft besteht bei dieser Erkrankung nicht, wie Prof. Dr. Diedrich und Prof. Dr. Kollek übereinstimmend betonen. Insbesondere scheidet wegen der mangelnden Spermienqualität auch eine In-vitro-Fertilisation aus. Denn sie setzt voraus, dass genügend bewegliche Spermien vorhanden sind, damit ohne gezielte Maßnahmen eine Befruchtung erfolgt. Als Alternative scheidet auch die von der Sachverständigen Prof. Dr. Kollek genannte heterologe Insemination aus. Denn bei der heterologen Insemination wird anstelle des Spermas des Ehemannes das Sperma eines Spenders verwendet. Das Kind, das geboren wird, ist also nicht das gemeinsame Kind der Ehegatten wie bei ICSI, sondern stammt genetisch von einem anderen Mann ab. Im übrigen schließt § 27 a Abs. 1 Nr. 4 SGB V die heterologe Insemination ausdrücklich aus. Entsprechendes gilt für die von Prof. Dr. Kollek erwähnte Adoption.
Es besteht auch die hinreichende Aussicht iSd § 27 a Abs. 1 Nr. 2 SGB V, mit der ICSI-Methode in der Fällen der Oligo-Astheno-Teratozoospermie Grad III eine Schwangerschaft herbeizuführen.
Prof. Dr. Diedrich hat überzeugend ausgeführt, dass in etwa 18 % der Fälle pro einzelnem Behandlungszyklus eine Geburt erfolgt. Nach den in § 27 a Abs. 1 Nr. 2 SGB V maximal vorgesehenen vier Behandlungszyklen wird - so Prof. Dr. Diedrich - in etwa 50 bis 60 % der Fälle ein Kind geboren. So sind an der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Medizinischen Universität zu Lübeck, an der der Sachverständige Prof. Dr. Diedrich tätig ist, seit 1993 etwa 3.000 Behandlungszyklen durchgeführt worden mit einer Schwangerschaftsrate von etwa 25 %. In Deutschland sind bisher etwa 13.000 (so Prof. Dr. Diedrich) bzw. 6.000 (so Prof. Dr. Kollek) Kinder durch ICSI geboren worden. Weltweit sind es weit über 100.000 (so Prof. Dr. Diedrich) bzw. bis 100.000 Kinder (so Prof. Dr. Kollek). Der vorliegende Fall bestätigt die Wirksamkeit der ICSI-Methode. Denn nach dem fünften Behandlungszyklus ist die Klägerin am 20. August 1999 von einem gesunden Kind entbunden worden.
Der Anspruch der Klägerin scheitert nicht an der Überschreitung der Regelanzahl von vier Anwendungen nach § 27 a Abs. 1 Nr. 2 2. Halbsatz SGB V. Denn der Klageanspruch betrifft ausschließlich die erste Anwendung der ICSI-Methode im August 1996.
Die Voraussetzungen der Nrn. 3 und 4 des § 27 a Abs. 1 SGB V liegen ebenfalls vor. Es sind bei der ICSI im August 1996 ausschließlich Ei- und Samenzellen der Klägerin und ihres Ehemannes verwendet worden.
Schließlich ist auch § 27 a Abs. 1 Nr. 5 SGB V erfüllt. Die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassene Frauenärztin Dr. O... hat die Ehegatten vor der Durchführung der ICSI über die medizinischen und psychosozialen Aspekte der künstlichen Befruchtung unterrichtet. Das belegt ihre Bescheinigung vom 10. November 1995. Frau Dr. Offensand hat die ICSI-Methode nicht selbst durchgeführt, sondern die Eheleute am 20. Oktober 1995 zur ICSI-Behandlung an die Ärzte für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Dres. W.../M...-A... überwiesen. Auch diese Ärzte sind zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Sie besitzen außerdem die behördliche Genehmigung zur Herbeiführung von Schwangerschaften nach § 121 a SGB V.
Die Beklagte stellt das nicht in Abrede. Sie meint jedoch, dass § 27 a Abs. 4 SGB i.V.m. Nr. 10.5 der Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung vom 14. August 1990 (BABl. 1990 Heft 12 S. 21) - Richtlinien über künstliche Befruchtung - den Anspruch der Klägerin ausschließen. Das ist nicht der Fall.
Nach § 27 a Abs. 4 SGB V bestimmt der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in den Richtlinien nach § 92 SGB V die medizinischen Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft. Gemäß § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V hat er die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten zu beschließen. Diese Pflicht besteht nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 SGB V auch für die medizinischen Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft.
Mit Beschluss vom 14. August 1990 hat der Bundesausschuss in Anwendung der §§ 27 a Abs. 4, § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 SGB V die Richtlinien über künstliche Befruchtung erlassen. Mit Beschluss vom 1. Oktober 1997 (BAnz 1997 Nr. 243) hat erfolgende Nr. 10.5 eingefügt: "Die ICSI ist derzeit keine Methode der künstlichen Befruchtung im Sinne dieser Richtlinien, da für die Beurteilung dieser Methode keine ausreichenden Unterlagen vorgelegt wurden und daher die Voraussetzungen für eine Anerkennung der Methode in der vertragsärztlichen Versorgung noch nicht vorliegen." Dieser Beschluss ist am 1. Januar 1998 in Kraft getreten.
Anwendbar sind hier die Richtlinien über künstliche Befruchtung in der Fassung vom 1. Oktober 1997. Daran ändert der Umstand nichts, dass die Klägerin die Kosten für eine Behandlung begehrt, die bereits im Jahre 1996 durchgeführt worden ist. Die Klägerin hat eine Anfechtungs- und Leistungsklage erhoben. Maßgebende Sach- und Rechtslage für die Beurteilung des Klagebegehrens ist nach überwiegender Ansicht die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (Meyer-Ladewig, SGG, 6. Aufl. 1998, § 54 Rz 34 mwN). Das gilt nach überzeugender Ansicht des BSG jedenfalls dann, wenn das neue Recht - wie im vorliegenden Fall - nach seinem zeitlichen Geltungswillen auch das streitige Rechtsverhältnis erfassen will (BSG. Urteil vom 28. Januar 1998 - B 6 KA 44/96 R - nicht veröffentlicht).
Die Richtlinien über künstliche Befruchtung stehen dem Klageanspruch nicht entgegen. Denn ihnen kommt keine verbindliche Wirkung gegenüber den Versicherten zu. Sie sind weder eine Rechtsverordnung noch können sie im Verhältnis zu den Versicherten als Satzung, als Normsetzungsvertrag oder als eine Rechtsquelle sui generis qualifiziert werden. Die verfassungskonforme Auslegung der §§ 27 a Abs. 4, 92 Abs. 1 Nr. 10 SGB V ergibt, dass die Richtlinien über künstliche Befruchtung lediglich Empfehlungen eines fachkundigen Gremiums sind.
Die Richtlinien über künstliche Befruchtung sind keine Rechtsverordnung iSd Art. 80 Grundgesetz (GG).
In Art. 80 Abs. 1 Satz 1. Abs. 4 GG sind die Rechtsverordnungsgeber abschließend aufgeführt (vgl. Maunz/Dürig, GG. Oktober 1996, Art. 80 Rz. 38). Der Bundesausschuss gehört nicht dazu. Der Bundesminister der Gesundheit kann nach Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG zwar grundsätzlich Ermächtigungsadressat sein. Er hat nach § 94 SGB V aber lediglich das Recht zur Beanstandung der Richtlinien des Bundesausschusses und zur Ersatzvornahme. Damit ist er gerade nicht Urheber der Richtlinien. Er hat lediglich eine Kontrollfunktion.
Da eine Rechtsverordnung schon an Art. 1 Satz 1 Satz 4 GG scheitert, kommt es nicht auf an die Zweifel des Senats an der Wahrung des Bestimmtheitsgebots des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG an. Nach Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG müssen Inhalt. Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung für eine Rechtsverordnung im Gesetz bestimmt werden. Die Ermächtigung muß so substantiiert sein, dass schon aus dem Gesetz vorhersehbar ist, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von der Ermächtigung Gebrauch gemacht werden wird (Jarass/Pieroth, aaO, Rz. 11 ff mwN). Die Vorschriften der §§ 27 a Abs. 2, 92 Abs. 1 Nr. 10 SGB V genügen diesen Anforderungen nicht. Die Ermächtigung des Bundesausschusses in § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V zum Erlass von "Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten" ist ein offenes Programm, das eine Vorhersehbarkeit auch bei Berücksichtigung des gesetzlichen Gesamtzusammenhanges kaum zulässt. Die Begriffe "ausreichend", "zweckmäßig" und "wirtschaftlich" gelten für den gesamten Aufgabenkatalog des § 92 Abs. 1 SGB V. Sie beziehen sich damit pauschal und undifferenziert auf nahezu die gesamte ambulante Versorgung der Versicherten. Sie können, wie der vorliegende Fall anschaulich zeigt, je nach Weltanschauung und nach individueller Auffassung vom Aufgabenbereich der gesetzlichen Krankenversicherung höchst unterschiedlich konkretisiert werden. Der Begriff der Wirtschaftlichkeit könnte Rationierungsfragen ebenso umfassen wie andere Kosten/Nutzen-Entscheidungen, die Wertungsfragen von höchster Wesentlichkeit beinhalten und für die das Gesetz keine konkretisierenden Vorgaben enthält.
Die Richtlinien über künstliche Befruchtung können auch nicht als Satzung mit bindender Wirkung gegenüber den Versicherten qualifiziert werden.
Der 6. Senat des BSG hat in seinem Urteil vom 20. März 1996 (Az.: 6 RKa 62/94, in SozR 3-2500 § 92 Nr. 6) die Auffassung vertreten, dass der Bundesausschuss eine Anstalt des öffentlichen Rechts mit begrenzter Rechtsfähigkeit zur Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe sei. Er dürfe in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V verbindliche Regelungen über die versicherungsrechtlichen Leistungsansprüche treffen.
Zwar hat der Gesetzgeber, wenn er einen Regelungsbereich der autonomen Satzungsgewalt überlassen will, nicht die Voraussetzungen des Art. 80 GG zu beachten. Er darf sich aus seiner Regelungsverantwortung aber nicht völlig zurückziehen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - (BVerfGE 33, 125, 156 [BVerfG 25.04.1972 - 1 BvL 14/71]) hat die Satzungsautonomie den Sinn, gesellschaftliche Kräfte zu aktivieren und den gesellschaftlichen Gruppen die Regelung solcher Angelegenheiten eigenverantwortlich zu überlassen, die sie selbst betreffen und die sie in überschaubaren Bereichen am sachkundigsten beurteilen können. Diese Zielsetzung setzt der Verleihung von Satzungsautonomie Grenzen. Die Richtlinien des Bundesausschusses gehen über diese Grenzen hinaus. Denn sie sind für die Versicherten keine Selbstverwaltung, sondern "Fremdverwaltung". Das belegt § 91 Abs. 2 SGB V.
Nach dieser Vorschrift besteht der Bundesausschuss aus neun Vertretern der Vertragsärzteschaft, neun Vertretern der Krankenkassen und drei unparteiischen Mitgliedern (§ 91 Abs. 2 Satz 1). Die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Krankenkassenverbände sollen sich über die Unparteiischen "einigen" (§ 91 Abs. 2 Satz 2 SGB V). Die übrigen achtzehn Vertreter werden von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Kassenverbänden "bestellt". Nach welchen Regeln die Einigungen und die Bestellungen erfolgen, wer, von wem und in welcher Weise bestellt wird, ist ungeregelt. Eine wie auch immer geartete demokratische Legitimation des Bundesausschusses gegenüber den Versicherten lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen.
Der 6. Senat des BSG hält es für ausreichend, wenn die Versicherten durch die Einbeziehung der nur von den Versichertenvertretern kontrollierten Ersatzkassen im Bundesausschuss repräsentiert seien. Auch dieser Auffassung kann der erkennende Senat nicht folgen (vgl. auch Schwerdtfeger in Schriftenreihe des Deutschen Sozialrechtsverbandes e.V. Band 34, S. 141 ff). Da die "Bestellung" der Kassenvertreter nicht näher geregelt ist, ist gerade nicht - weder rechtlich noch tatsächlich - gewährleistet, dass wirklich ein Versichertenvertreter von Seiten der Ersatzkassen in den Bundesausschuss bestellt wird. Ob dem Bundesausschuss tatsächlich wenigstens auch ein Versichertenvertreter angehört, bleibt vielmehr dem Zufall überlassen. Im übrigen fehlt jede Regelung eines angemessenen Proporzes. Nach § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB V können maximal zwei Vertreter der Ersatzkassen bestellt werden; ihnen steht eine Übermacht von sechzehn Vertretern der Vertragsärzte und Krankenkassen gegenüber.
Entgegen der Ansicht des 6, Senats des BSG wird eine Satzungsautonomie des Bundesausschusses auch nicht dadurch begründet, dass - wie der 6. Senat meint jedenfalls die Interessen der Versicherten im Bundesausschuss gewahrt würden. Der 6. Senat führt aus, dass die Ärztevertreter und die Vertreter der Krankenkassen übereinstimmend sowohl an einer sinnvollen Leistungsausweitung als auch an einer Ausgrenzung unwirtschaftlicher Behandlungsmethoden interessiert seien. Zur Artikulation der Belange der Versicherten werde, so der 6. Senat, auf die bereits vorhandenen Strukturen der Selbstverwaltung der Krankenkassen zurückgegriffen, die den Krankenkassen Vertretern im Bundesausschuss eine hinreichende Anbindung an die Interessen der Versicherten gäben. Nach Ansicht des 6. BSG-Senats nehmen also die Krankenkassenvertreter die Interessen der Versicherten wahr. Dem vermag der erkennende Senat nicht zu folgen. Er ist der Auffassung, dass beide im Bundesausschuss vertretenen Gruppen entsprechend der Struktur der gesetzlichen Krankenversicherung in erster Linie ihre eigenen Interessen wahrnehmen.
Die gesetzliche Krankenversicherung beruht auf dem Prinzip der Selbstverwaltung, die durch die Versicherten und die Arbeitgeber gemeinsam - bei den Ersatzkassen nur durch die Versicherten - ausgeübt wird. Schon diese paritätische Zusammensetzung erlaubt der überwiegenden Mehrzahl der Krankenkassen keine Wahrnehmung allein der Interessen der Versicherten. Hinzu kommt, dass die Krankenkassen als Körperschaften des öffentlichen Rechts selbstständige Rechtspersonen sind. Als solche haben sie eigene Interessen, die sich nicht mit den Interessen der sie tragenden Mitglieder decken. Sie sind vor allem an gesunden Versicherten mit geringem Behandlungsaufwand und an guten Beitragszahlern interessiert. Der konsequente Wettbewerb zwischen den Kassen verstärkt dieses Interesse noch. Demgegenüber ist das Interesse der Versicherten genau umgekehrt auf hohe Leistungen mit niedrigen Beiträgen gerichtet. Die Ärzte wiederum, deren wirtschaftliche Situation von möglichst vielen Behandlungsfällen zu maximalen finanziellen Bedingungen abhängt, nehmen im Bundesausschuss vornehmlich die Interessen der Vertragsarztseite wahr (siehe Entstehung und Ergänzung der sog. IGEL-Liste).
Im Übrigen sind die Richtlinien des Bundesausschusses nicht einmal gegenüber den Vertragsärzten unmittelbar geltendes Satzungsrecht, obwohl die vertragsärztliche Seite mit neun Vertretern im Bundesausschuss vertreten ist. Das belegt § 81 Abs. 3 Nr. 2 SGB V. Danach müssen die Satzungen der Kassenärztlichen Vereinigungen ausdrücklich Bestimmungen enthalten, nach denen die Richtlinien nach § 92 SGB V für die Kassenärztlichen Vereinigungen und ihre Mitglieder verbindlich sind.
Scheitert die Qualifizierung der Richtlinien über künstliche Befruchtung als Satzung für die Versicherten schon an der fehlenden demokratischen Legitimation des Bundesausschusses, so fehlt es zudem an der Satzungsfähigkeit der Regelungsmaterie des § 92 Abs. 1 SGB V.
Die anstaltliche Satzung taugt nicht zu einer Rechtsetzung beliebigen Ausmaßes. Nach der Wesentlichkeitstheorie des BVerfGs muss der Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen im Verhältnis zwischen Staat und Bürger alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen (BVerfGE 49, 89, 126 f [BVerfG 08.08.1978 - 2 BvL 8/77] m.w.N.; BSG, Urteil vom 3. Juli 1991 - 9b/11 RAr 131/89 - in SozR 3-4100 § 40 Nr. 5). Der Staat darf in diesen Bereichen nur tätig werden, wenn er durch ein vom Parlament erlassenes Gesetz dazu ermächtigt ist. Dieser Zuständigkeit und der damit verbundenen parlamentarischen Verantwortung darf sich der Gesetzgeber nicht dadurch entziehen, dass er die Regelungskompetenz für wesentliche Entscheidungen auf Gremien verlagert, die weder demokratisch gewählt noch kontrolliert werden. Aus diesem Grunde können anstaltliche Satzungen nur Regelungen ohne erhebliches Gewicht, nicht aber wesentliche Entscheidungen für wesentliche Lebensbereiche treffen. Der Katalog des § 92 Abs. 1 SGB V geht hierüber weit hinaus. Er erfasst nahezu den gesamten Bereich der ambulanten Versorgung der Versicherten. So soll der Bundesausschuss insbesondere Richtlinien beschließen über die ärztliche Behandlung, Maßnahmen zur Früherkennung von Krankheiten, ärztliche Betreuung bei Schwangerschaft und Mutterschaft, Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, Verordnung von Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitteln. Krankenhausbehandlung und häuslicher Krankenpflege, Beurteilung von Arbeitsunfähigkeit, Verordnung von im Einzelfall gebotenen medizinischen Leistungen und die Beratung über die medizinischen, berufsfördernden und ergänzenden Leistungen zur Rehabilitation. Bedarfsplanung, medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft, Maßnahmen der Empfängnisverhütung, bei Schwangerschaftsabbruch und Sterilisation. Damit sind nicht nur die Leistungserbringer, sondern vor allem die Versicherten in ihrem durch die Beitragszahlung erworbenen eigentumsähnlichen Recht auf Leistungsgewährung wesentlich betroffen.
Schließlich vermag auch das Harmonisierungsargument des 6. Senats des BSG eine Rechtsetzungsbefugnis des Bundesausschusses gegenüber den Versicherten nicht zu rechtfertigen. Der 6. Senat meint, dass der Umfang der zu gewährenden Krankenversorgung im Verhältnis von Versicherten zu Krankenkassen kein anderer sein könne als im Verhältnis der ärztlichen Leistungserbringer zu den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Krankenkassen. Es bestehe eine enge Verzahnung zwischen Leistungsrecht und Leistungserbringungsrecht, deren notwendige Konsequenz die Zuweisung von Normsetzungsbefugnissen an die Vertragsparteien der gemeinsamen Selbstverwaltung sei. Dem ist entgegen zu halten, dass seit dem Gesetz über das Kassenarztrecht vom 17. August 1955 (GKAR) auf Grund des seit jeher in der gesetzlichen Krankenversicherung geltenden Sachleistungsprinzips die Notwendigkeit einer Verzahnung von Leistungsrecht und Leistungserbringungsrecht bestanden hat, ohne dass dem Bundesausschuss in der Vergangenheit Normsetzungsbefugnisse gegenüber den Versicherten zuerkannt worden wären. Die durch das SGB V eingefügte Vorschrift des § 92 Abs. 8 SGB V, wonach die Richtlinien des Bundesausschusses Bestandteil des Bundesmantelvertrages sind, hat - entgegen der Ansicht des 6. Senats - für die Versicherten die Rechtslage nicht verändert. Die Inkorporation der Richtlinien unmittelbar in den Bundesmantelvertrag und die Gesamtverträge berührt die Rechtsposition der Versicherten nicht. Denn Bundesmantelvertrag und Gesamtverträge setzen verbindliches Recht nur für die Krankenkassen und die Vertragsärzte.
Die Richtlinien über künstliche Befruchtung können auch nicht als Normsetzungsvertrag qualifiziert werden.
Im Gegensatz zum 6. Senat des BSG ist der 1. Senat nicht der Auffassung, dass es sich bei den Richtlinien um Satzungsrecht handelt. Er hält die Richtlinien für Normsetzungsverträge, allerdings ebenfalls mit verbindlicher Wirkung gegenüber den Versicherten (Urteile vom 16. September 1997 - 1 RK 28/95 - und - 1 RK 32/95 - in SozR 3-2500 § 135 Nr. 4 und § 92 Nr. 7). Die Richtlinien des Bundesausschusses seien Teil eines umfassenden Gefüges untergesetzlicher Normen, die von den zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung gebildeten Körperschaften der Krankenkassen und Ärzte gemeinsam zu dem Zweck erlassen würden, eine den Vorgaben des Gesetzgebers entsprechende ambulante ärztliche Versorgung der Versicherten zu gewährleisten. Das gesamte System kollektivvertraglicher Normsetzung des Leistungserbringungsrechts weiche von den herkömmlichen, verfassungsrechtlich anerkannten Rechtsetzungsformen ab und bilde ein Regelungsinstrumentarium eigener Art. Seine Legitimation liege in dem historisch gewachsenen Regelungssystem mit den tragenden Prinzipien des Sachleistungsprinzips und dem Leitbild des freiberuflich tätigen Arztes. Die Rechtsetzung durch Normsetzungsverträge habe in der gesetzlichen Krankenversicherung eine lange vorkonstitutionelle Tradition. Das dem geltenden Recht zu Grunde liegende Konzept eines vertraglichen Zusammenwirkens von Ärzten und Krankenkassen komme ohne die Zuweisung von Normsetzungsbefugnissen an die Vertragspartner nicht aus. Es könne seinen Zweck nur erfüllen, wenn die in Gesamtverträgen und Mantelverträgen vereinbarten Regelungen nicht nur die vertragsschließenden Körperschaften, sondern auch die durch sie repräsentierten Versicherten binden würden. Auch dieser Ansicht vermag sich der erkennende Senat nicht anzuschließen.
Zwar ist anerkannt, dass Normsetzungsverträge, wie z. B. die Tarifverträge, verbindliches Recht auch für Außenseiter setzen können (vgl. BVerfGE 44, 322 ff [BVerfG 24.05.1977 - 2 BvL 11/74] zur Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen). Voraussetzung ist jedoch eine wirksame Verbindlichkeitserklärung. Sie fehlt hier.
Eine verfassungsrechtliche Regelung, die Art. 9 Abs. 3 GG entspricht und dem Bundesausschuss eine Normsetzungsautonomie zuerkennt, gibt es nicht. Eine einfachgesetzliche Verbindlichkeitserklärung würde zumindest voraussetzen, dass der von der Regelung betroffene Personenkreis, ebenso wie im Tarifvertragsrecht, das Recht und die tatsächliche Möglichkeit hat, durch demokratisch gewählte Vertreter an dem Abschluss der Normsetzungsverträge mitzuwirken. Denn der Staat darf den Einzelnen nicht schrankenlos der normsetzenden Gewalt autonomer Gremien aussetzen, die ihm gegenüber nicht demokratisch bzw. mitgliedschaftlich legitimiert sind. Er darf seine Normsetzungsbefugnis nicht in beliebigem Umfang außerstaatlichen Stellen überlassen und sich damit seiner parlamentarischen Verantwortung entziehen (BVerfGE 44, 322, 347 ff [BVerfG 24.05.1977 - 2 BvL 11/74]) [BVerfG 24.05.1977 - 2 BvL 11/74]. Für die Versicherten aber besteht - wie ausgeführt - keinerlei Möglichkeit, an den Richtlinien des Bundesausschusses mitzuwirken, weil sie im Bundesausschuss weder unmittelbar noch mittelbar vertreten sind.
Eine Verbindlichkeitserklärung ist auch nicht im Hinblick auf die Tradition des Kassenarztrechts entbehrlich, wie der 1. Senats des BSG meint. Das Traditionsargument versagt schon deshalb, weil es keine traditionelle Legitimation des Bundesausschusses zur Normsetzung gegenüber den Versicherten gibt. Der Bundesgesetzgeber hat an eine vorkonstitutionelle Kompetenz des Reichsausschusses, des Rechtsvorgängers des Bundesausschusses, gerade nicht anknüpfen wollen. Das ergibt sich aus den Gesetzgebungsmaterialien. Der Gesetzesentwurf zum GKAR vom 17. August 1955 sah zunächst eine Regelung vor, nach der der Bundesausschuss auch die Befugnis zum Erlass von "Bestimmungen" haben sollte (BT-Drucks. 1/3904 S. 11, 23 und 2/528 S. 9). Dieser Entwurf wurde jedoch nicht Gesetz, weil der Rechtsausschuss des Bundesrates hiergegen zu Recht verfassungsrechtliche Bedenken erhob. Gesetz wurde vielmehr § 368 p Abs. 1 RVO idF des GKAR, in dem es heißt: "Die Bundesausschüsse beschließen die zur Sicherung der kassenärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Kranken, ...". Dementsprechend hat die höchstrichterliche Rechtsprechung 40 Jahre lang - bis zur Entscheidung des 6. Senats vom 20. März 1995 (aaO) - den Richtlinien des Bundesausschusses eine unmittelbare Verbindlichkeit gegenüber den Versicherten gerade nicht zuerkannt. In seinem Urteil vom 20. März 1995 weist der 6. Senat hierauf im Gegensatz zum 1. Senat ausdrücklich hin. Er betont, das BSG habe bis in die jüngste Zeit die Auffassung vertreten, dass die Richtlinien keine normative Wirkung für die Versicherten hätten, sondern lediglich eine Selbstbindung der beteiligten Körperschaften erzeugten. Damit widerlegt das BSG selbst sein Argument, dass das System der gesetzlichen Krankenversicherung ohne normative Wirkung der Richtlinien des Bundesausschusses gegenüber den Versicherten seinen Zweck nicht erfüllen könne. Das System der gesetzlichen Krankenversicherung hat vom Inkrafttreten des GKAR im Jahre 1955 an bis zur Entscheidung des 6. Senats im März 1995 seinen Zweck erfüllt. Es ist nicht an der fehlenden Verbindlichkeit der Richtlinien des Bundesausschusses gegenüber den Versicherten gescheitert.
Einer Qualifizierung der Richtlinien des Bundesausschusses als Normsetzungsverträge stehen im übrigen auch der Wortlaut und die Systematik des Gesetzes entgegen.
Der Gesetzgeber bezeichnet die Richtlinien des Bundesausschusses nicht als Verträge und verwendet auch keine Formulierungen, die für einen Vertragsabschluss sprechen, wie er das z. B. im Zusammenhang mit den Gesamtverträgen oder dem Bundesmantelvertrag in den §§ 82 ff SGB V tut. Nach §§ 27 a Abs. 1, 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V "bestimmt" bzw. "beschließt" der Bundesausschuss die Richtlinien. In § 135 Abs. Abs. 1 SGB V, der die neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden betrifft, werden die Richtlinien ausdrücklich schlicht als "Empfehlungen" bezeichnet. Auch das Fehlen eines Schiedsverfahrens für den Bundesausschuss bestätigt, dass der Gesetzgeber diesen Ausschuss gerade nicht als vertragschließendes Gremium konzipiert hat. Erst das GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000 vom 22. Dezember 1999 (BGBl. I 2626) hat mit Wirkung vom 1. Januar 2000 für die zahnärztliche Behandlung eine Schiedsstelle eingeführt (§ 92 Abs. 1a Satz 4 SGB V). Der Bewertung der Richtlinien als Vertrag widerspricht schließlich auch § 92 Abs. 8 SGB V. Denn erst durch die ausdrückliche Vorschrift des § 92 Abs. 8 SGB V wird eine Richtlinie Teil eines Vertrages, und zwar zum Bestandteil des Bundesmantelvertrages zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und den Spitzenverbänden der Krankenkassen.
Die Richtlinien über künstliche Befruchtung sind damit weder eine Rechtsverordnung noch eine die Versicherten bindende Satzung oder ein Normsetzungsvertrag. Sie binden die Versicherten auch nicht als sog. Rechtsquelle sui generis. Denn die Qualifizierung eines Regelungswerkes als Rechtsquelle sui generis heilt demokratische und rechtsstaatliche Defizite nicht. Die Richtlinien über künstliche Befruchtung haben somit keine Normqualität gegenüber den Versicherten.
Die Richtlinien haben über das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG lediglich eine mittelbare Rechtswirkung für die Versicherten, weil sie von den Krankenkassen faktisch beachtet und angewandt werden. In verfassungskonformer Auslegung der §§ 27 a, 92 Abs. 1 Nr. 10 SGB V sind die Richtlinien über künstliche Befruchtung lediglich als Empfehlungen eines fachkundigen Gremiums einzustufen (vgl. zu den "Anhaltspunkten" des Schwerbehindertenrechts: BSG, Urteile vom 29. August 1990 - 9a/9 RVs 7/89 - und 9a/9 RVs 14/89 - in SozR 3-3870 § 4 Nr. 1 und 1300 § 32 Nr. 3).
Im vorliegenden Fall ist die Beklagte allerdings auch über Art. 3 Abs. 1 GG nicht an Nr. 10.5 der Richtlinien über künstliche Befruchtung gebunden. Denn ein Ausschluss der ICSI aus der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung ist von §§ 27 a, 92 Abs. 1 Nr. 10 SGB V nicht gedeckt und verstößt gegen höherrangiges Recht. Nr. 10.5. der Richtlinien über künstliche Befruchtung ist nichtig.
Der erkennende Senat ist verpflichtet, die Richtlinien über künstliche Befruchtung zu überprüfen.
Der 1. Senat des BSG (Urteil vom 16. September 1997 - 1 RK 28/95 - aaO, S. 26 unten, S 28 unten) vertritt die Auffassung, die Gerichte seien zur Überprüfung bestimmter Fragen im Zusammenhang mit neuen Behandlungsmethoden nicht befugt, weil sie medizinischwissenschaftlich überfordert seien. Dem widerspricht der erkennende Senat. Denn das Prinzip der Gewaltenteilung und die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG verpflichten die Richter zur Rechtsprechung, ungeachtet der Schwierigkeit der Fälle. Ihrer verfassungsrechtlichen Pflicht zur Rechtsprechung dürfen sich die Richter nicht mit dem Hinweis auf eine behauptete Überforderung entziehen. Praktische Schwierigkeiten sind kein ausreichender Grund, den durch Art. 19 Abs. 4 GG gewährleisteten Rechtsschutz einzuschränken (so zum Prüfungsrecht BVerfGE 84, 34 ff) Die Gerichte müssen ihre Kontrollfunktion stets und gerade auch bei komplizierten Sachverhalten wahrnehmen. Sie müssen sich ihrer verfassungsrechtlichen Verantwortung stellen, wobei sie sich bei Bedarf sachverständiger Hilfe bedienen können und müssen. Eine Verweigerung des Rechtsschutzes mit dem Argument der Überforderung steht mit der verfassungsrechtlichen Aufgabe der Gerichte nicht in Einklang (so auch z. B. Di Fabio in NZS 1998, 449, 453).
Der Bundesausschuss hat mit dem Ausschluss der ICSI seine fachlichen Kompetenzen nach §§ 27 a Abs. 1, 92 Abs. 1 Nr. 10 SGB Vüberschritten.
Der Bundesausschuss hat die ICSI abgelehnt, weil "für die Beurteilung dieser Methode keine ausreichenden Unterlagen vorgelegt wurden". Wie sich aus dem "Vermerk über die Sitzung des Arbeitsausschusses" vom 15. Mai 1997 ergibt, sind damit diejenigen Unterlagen gemeint, die eine konkrete Aussage zur Frage der mit der ICSI verbundenen Risiken erlauben. Als Risiken werden dabei "insbesondere das genetische Risiko sowie mögliche Fehlbildungen" angesehen. Grund für den Ausschluss der ICSI ist daher das Risiko der Geburt gengeschädigter bzw. fehlgebildeter Kinder für die gesetzliche Krankenversicherung.
Auch für den erkennenden Senat steht fest, dass über das Fehlbildungsrisiko der nach ICSI geborenen Kinder bislang noch keine zuverlässigen, wissenschaftlich abgesicherten Erhebungen (Statistiken) vorliegen. Das ergibt sich aus den übereinstimmenden Äußerungen der gerichtlichen Sachverständigen. Der Schlussfolgerung des Bundesausschusses, dass deshalb ein Ausschluss von ICSI geboten ist, folgt der Senat jedoch nicht. Denn das SGB V, insbesondere auch das Gebot der Qualitätssicherung (vgl. §§ 135 Abs. 1, Abs. 2 SGB V, § 136 a SGB V i.d.F. des GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000), schreiben nicht vor, dass die Leistungspflicht der Krankenkassen auf Methoden beschränkt ist, für die entsprechende statistische Erhebungen vorliegen. Prof. Dr. Kollek weist darauf hin, dass seit 1994 zwar eine Reihe von Untersuchungen über eine Fehlbildungsrate bei ICSI veröffentlicht worden sind, diese Untersuchungen aber spezifische Probleme aufwerfen und ihre Aussagekraft daher eingeschränkt ist. Prof. Dr. Diedrich bestätigt das und stellt fest, dass zur Zeit kein Anhalt für eine erhöhte Fehlbildungsrate der nach ICSI geborenen Kinder besteht. Dieser Standpunkt wird von den medizinischen Fachgremien geteilt. So hat die Bundesärztekammer die "Richtlinien zur Durchführung der assistierten Reproduktion" (DÄBl. 1998 B 2454) unter Berücksichtigung der medizinischen und ethischen Gesichtspunkte beschlossen und ausdrücklich auch die ICSI als unbedenkliche Methode aufgenommen. Die ICSI gründet sich - so die Bundesärztekammer - "auf eine umfangreiche naturwissenschaftliche Forschung sowie erfolgreiche klinische Anwendung beim Menschen. Sie ist so weit ausgereift, dass ihre Anwendung zur Behandlung bestimmter Formen der menschlichen Unfruchtbarkeit gerechtfertigt ist" (DÄBl. 1998 B-2457). Dieser Auffassung stimmen die Deutsche Gesellschaft für Andrologie und die Deutsche Gesellschaft zum Studium der Fertilität und Sterilität, die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. und die Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin in der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. zu (alle in: Reproduktionsmedizin 1999, 5 ff).
Der Bundesausschuss ist zudem nicht zur Entscheidung darüber legitimiert, ob ein mögliches Risiko der Geburt gengeschädigter oder fehlgebildeter Kinder von der gesetzlichen Krankenversicherung zu tragen ist. Der Ausschluss der ICSI aus der gesetzlichen Krankenversicherung wegen eines Risikos der Geburt gengeschädigter oder fehlgebildeter Kinder ist eine eugenische Entscheidung. Sie betrifft letztlich auch die Frage, ob und weiche ethischen Grenzen der Einsatz gentechnischer Forschungsergebnisse in der gesetzlichen Krankenversicherung hat. Hierfür fehlt dem Bundesausschuss die Kompetenz.
Denn bei diesen Fragen handelt es sich weder um "medizinische Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang" der Maßnahmen der künstlichen Befruchtung iSd § 27a Abs. 4 SGB V noch um Fragen der Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit nach § 92 Abs. 1 Abs. 1 SGB V. Der Ausschluss von ICSI aus den genannten Gründen wäre eine ethische Frage von außerordentlicher Brisanz. Sie würde zu den wesentlichen Grundentscheidungen unserer Gesellschaft gehören, deren Antwort sich am Menschenbild des Grundgesetzes orientieren muss. Eine solche wesentliche Entscheidung ist nach der Wesentlichkeitstheorie dem Gesetzgeber vorbehalten. Der Gesetzgeber hat seine Regelungskompetenz für Fragen der Anwendung von Fortpflanzungstechniken demgemäß auch bereits wahrgenommen. So hat er durch das Embryonenschutzgesetz vom 13. Dezember 1990 (BGBl. I 2746) bestimmte Maßnahmen der Fortpflanzungstechnik verboten. Er hat außerdem in § 27 a Abs. 1 SGB V enge Voraussetzungen für die Durchführung von Maßnahmen der künstlichen Befruchtung geschaffen. Weitere Regelungen hat er nicht getroffen, obwohl die ICSI auch in Deutschland seit 1993 angewendet wird. Er hat damit die Entscheidung den betroffenen Ehegatten überlassen.
Der Ausschluss der ICSI stellt sich darüber hinaus eine Rationierungsmaßnahme dar. zu der der Bundesausschuss ebensowenig legitimiert ist. Der Beschluss des Bundesausschusses hat die Konsequenz, dass Versicherte mit Oligo-Astheno-Teratozoospermie Grad III für diese Krankheit überhaupt keine Leistungen nach § 27 a SGB V erhalten, weil es - wie oben ausgeführt - keine alternative Behandlungsmöglichkeit gibt. Der Ausschluss von Behandlungsmaßnahmen mit der Folge, dass eine Krankheit vollständig aus der Leistungspflicht der Krankenkassen fällt, ist eine Rationierungsmaßnahme. Rationierungsentscheidungen aber gehören zu den wesentlichen Grundentscheidungen der gesetzlichen Krankenversicherung und sind dem Gesetzgeber vorbehalten. Der erkennende Senat stimmt insoweit den Ausführungen des 8. Senats des BSG im Urteil vom 30. September 1999 zu (sog. SKAT-Urteil - B 8 KN 9/98 KR R).
Der Anspruch der Klägerin scheitert schließlich nicht an der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG, wonach die Leistungspflicht der Krankenkassen für eine neue Behandlungsmethode solange ausgeschlossen ist, bis sie der Bundesausschuss ausdrücklich und positiv als zweckmäßig anerkannt hat (Urteil vom 16. September 1997 - 1 RK 28/95 - aaO). Voraussetzung dieser Rechtsprechung ist die Verbindlichkeit der Richtlinien gegenüber den Versicherten. Da nach Auffassung des erkennenden Senats eine solche Verbindlichkeit aber gerade nicht besteht und die Richtlinien nur empfehlenden Charakter haben, hängt der Anspruch eines Versicherten auf eine neue Behandlungsmethode nicht von einer positiven Entscheidung des Bundesausschusses ab.
Entscheidend ist allein, ob die neue Methode den Leistungsanforderungen der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht. Das ist im vorliegenden Fall zu bejahen.
Nach § 12 Abs. 1 Satz 2 SGB V können Versicherten keine Leistungen beanspruchen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind. Wirtschaftlich ist eine Leistung, die mit geringstem Aufwand die ausreichende und zweckmäßige Leistung erbringt. Notwendig ist eine Leistung, für die ein Bedarf besteht und auf die nicht verzichtet werden kann. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Der Ehemann der Klägerin leidet an einer Oligo-Astheno-Teratozoospermie Grad III. Bei dieser Erkrankung ist die ICSI-Methode, wie oben bereits ausgeführt, die einzige wirksame Therapiemöglichkeit für ein Paar, ein von beiden Partnern gemeinsame abstammendes Kind zu bekommen. Anhaltspunkte dafür, dass im vorliegenden Fall die ICSI-Behandlung nicht notwendig oder unwirtschaftlich gewesen wäre, sind nicht ersichtlich. Die Geburt eines gesunden Kindes durch die Klägerin im August 1999 nach der Behandlung mit ICSI zeigt vielmehr die Wirksamkeit der Methode gerade bei der Klägerin und ihrem Ehegatten.
Da die Klägerin somit Anspruch auf die Behandlung mit ICSI nach §§ 27 Abs. 1 Nr. 10, 27 a SGB V hatte, hat die Beklagte ihren Antrag vom 15. Januar 1996 zu Unrecht abgelehnt. Die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 SGB V liegen damit vor.
Die Klägerin hat Anspruch auf Erstattung der vollen Kosten der ICSI in Höhe von 2.274,- DM. Nach § 27 a Abs. 3 SGB Vübernimmt die Krankenkasse nur die Kosten der Maßnahmen, die bei ihrem Versicherten durchgeführt werden. Die ICSI erfolgt aber unmittelbar weder beim Ehemann noch bei der Ehefrau. Deshalb ist es sachgerecht, die ICSI der Ehefrau zuzurechnen. Denn Ziel der ICSI ist die Befruchtung der Ehefrau, auch wenn ihre Behandlung wegen der Infertilität des Ehegatten erforderlich wird.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG.
Der Senat hat wegen Abweichung von der Rechtsprechung des BSG und wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).