Landessozialgericht Niedersachsen
Beschl. v. 01.12.1999, Az.: L 4 KR 195/99 ER
Pfändung des Finanzamts eines Krankengeldanspruchs eines Versicherten
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen
- Datum
- 01.12.1999
- Aktenzeichen
- L 4 KR 195/99 ER
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1999, 18171
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:1999:1201.L4KR195.99ER.0A
Fundstellen
- NZS 2000, 372
- SGb 2000, 368
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Rechtsbehelfe gegen Vollstreckungsmaßnahmen bestimmen sich nach dem jeweils maßgebenden Vollstreckungsrecht. Entscheidend ist die Rechtsnatur des Anspruches, wegen dem vollstreckt wird.
- 2.
Pfändet das Finanzamt den Krankengeldanspruch eines Versicherten wegen eines Anspruches aus einem Steuerschuldverhältnis, so ist die Krankenkasse grundsätzlich nicht befügt, über die Pfändungsgrenzen des § 54 Abs. 2 und 3 SGB I selbst zu entscheiden. Insofern unterscheidet sich ihre Stellung als Drittschuldnerin in nichts von der anderer Drittschuldner.
Der 4. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle
hat am 1. Dezember 1999
durch
die Vorsitzende Richterin am Landessozialgericht S.
den Richter am Landessozialgericht W. und
die Richterin am Sozialgericht K.
beschlossen:
Tenor:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Der Antragsteller (Ag) ist bei der Antragsgegnerin (Ag) krankenversichert. Er bezieht seit dem 4. März 1999 Krankengeld. Das Finanzamt V. erließ wegen vollstreckbarer Ansprüche aus Steuerschuldverhältnisses in Höhe von insgesamt 113.068,48 DM am 25. März 1999 eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung, mit der sie die Ansprüche des Ast auf Krankengeld gegen die Ag pfändete.
Mit Schriftsatz vom 5. Juli 1999 hat der Ast bei dem Sozialgerichts (SG) Stade den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Er hat insbesondere ausgeführt, die Pfändung sei unzulässig, weil er dadurch sozialhilfebedürftig werde.
Mit Beschluss vom 26. August 1999 hat das SG den Antrag des Ast abgelehnt, das seit dem 4. März 1999 bewilligte Krankengeld - ungeachtet der Pfändungs- und Einziehungsverfügung des Finanzamtes Verden vom 25. März 1999 - in voller Höhe auszuzahlen: Es bestehe keine hinreichenden Sicherheit, dass der Ast im Hauptsacheverfahren mit seinem Begehren erfolgreich sein werde.
Der Ast hat am 29. September 1999 Beschwerde eingelegt und im einzelnen vorgetragen, dass er durch die Pfändung sozialhilfebedürftig werde.
Er beantragt,
- 1.
den Beschluss des Sozialgerichts Stade vom 26. August 1999 aufzuheben und
- 2.
ihm vorläufigen Vollstreckungsschutz zu gewähren, indem im Wege einer einstweiligen Anordnung die Pfändung des Krankengeldes ausgesetzt wird, bis über die Höhe des pfändbaren Betrages des Krankengeldes entschieden ist.
Die Ag beantragt,
- 1.
die Beschwerde zurückzuweisen,
- 2.
das Finanzamt Verden beizuladen.
Sie hält den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz unter Bezug auf das Urteil des BSG vom 12. Juni 1992 - 11 RAr 139/90 - nicht für statthaft.
II.
Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist aber nicht begründet.
Zwar ist nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz in den im Sozialgerichtsgesetz (SGG) nicht geregelten Fällen vorläufiger Rechtsschutz vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit dann zu gewähren, wenn ohne ihn schwere oder unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache im Falle des Obsiegens nicht mehr in der Lage wäre (BVerfGE 46, 166, 179, 184 [BVerfG 19.10.1977 - 2 BvR 42/76]; ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats vgl. Beschluß vom 26. August 1999 - L 4 KR 55/99 ER mwN).
Im vorliegenden Fall fehlt es an dem erforderlichen Anordnungsanspruch. Entgegen der Ansicht des Ast obliegt der Ag nicht die Prüfung, ob der Ast durch die Pfändung sozialhilfebedürftig wird.
Die Rechtsbehelfe gegen Vollstreckungsmaßnahmen bestimmen sich nach dem jeweils maßgebenden Vollstreckungsrecht. Entscheidend ist die Rechtsnatur des Anspruches, wegen dem vollstreckt wird (vgl. hierzu Krauskopf, Soziale Krankenversicherung, Stand Juli 1999, § 54 SGB I Rz 18; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 23. März 1987 - 9 C 10/86 Koblenz - in NJW 1987, 3272 ff und BSG, Urteil vom 12. Juni 1992 - 11 RAr 139/90 - in BSGE 53, 260 ff = SozR 1200 § 54 Nr. 6 mwN). Das zuständige Vollstreckungsorgan hat die Pfändungsgrenzen zu beachten und ggf zusätzlich zu prüfen, ob die Pfändung der Billigkeit entspricht und ob der Leistungsberechtigte dadurch nicht hilfsbedürftig im Sinne der Vorschriften des Bundessozialhilfegesetzes über die Hilfe zum Lebensunterhalt wird (vgl. BSG, Urteil vom 12. Juni 1992 - 11 RAr 139/90 - aaO). Erfolgt die Pfändung wegen einer öffentlich-rechtlichen Forderung nach der Abgabenordnung (AO), so richtet sich der Vollstreckungsschutz nach den Vorschriften der §§ 249 ff AO. Das gilt jedenfalls dann, wenn - wie hier - allein die erlassene Pfändungs- und Einziehungsverfügung im Streit ist, nicht aber die zugrunde liegenden Ansprüche.
Das Finanzamt V. macht mit der Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 25. März 1999 Ansprüche aus Steuerschuldverhältnissen gelten. Die Pfändung des Krankengeldanspruches beruht auf der Anwendung des § 309 AO. Daher richtet sich auch der Vollstreckungsschutz des Ast nach den Vorschriften der AO. Die Ag ist demnach nicht befügt, über die in § 54 Abs. 2, 3 Erstes Sozialgesetzbuch (SGB I) genannten Pfändungsgrenzen selbst zu entscheiden. Insofern unterscheidet sich ihre Stellung als Drittschuldnerin in nichts von der anderer Drittschuldner (vgl. BSG, Urteil vom 12. Juni 1992 - 11 RAr 139/90 - aaO, mwN). Soweit der Ast zur Begründung seiner gegenteiligen Ansicht auf die Entscheidung des BSG vom 23. Mai 1995 - 13 RJ 43/93 - verweist, vermag ihm der Senat nicht zu folgen. Das höchstrichterliche Urteil vom 23. Mai 1995 betrifft die Abtretung laufender Sozialleistungen nach § 53 SGB I, nicht aber den hier vorliegenden Fall einer Pfändung- und Einziehungsverfügung.
Bei diesem Sachverhalt hat der Senat keinen Anlass gesehen, auf Anregung der Ag das Finanzamt V. beizuladen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Diese Entscheidung ist endgültig (§ 177 SGG).