Verwaltungsgericht Hannover
Urt. v. 22.03.2006, Az.: 12 A 3682/01
Bibliographie
- Gericht
- VG Hannover
- Datum
- 22.03.2006
- Aktenzeichen
- 12 A 3682/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2006, 44500
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGHANNO:2006:0322.12A3682.01.0A
In der Verwaltungsrechtssache
der A.
...
gegen
das Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport,
Lavesallee 6, 30169 Hannover, - 52.02-41575-20.12/5.6 -
Beigeladen:
Firma C.
Streitgegenstand: Auswahlverfahren für eine Beauftragung nach § 5
NRettDG
hat das Verwaltungsgericht Hannover - 12. Kammer - ohne mündliche Verhandlung am 1. März 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Behrens, die Richter am Verwaltungsgericht Gonschior und Schulz-Wenzel sowie die ehrenamtlichen Richter E. und F. für Recht erkannt:
Tenor:
Der Bescheid des Niedersächsischen Ministeriums für Frauen, Arbeit und Soziales vom 10.08.2001 wird aufgehoben und der Beklagte wird verpflichtet, die Klägerin auf ihr Angebot vom 15.02.2001, sie mit der Durchführung des Luftrettungsdienstes von der Rettungswache "G." in Hannover-Langenhagen zu beauftragen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Der Beklagte und die Beigeladene tragen die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin jeweils zur Hälfte sowie ihre eigenen außergerichtlichen Kosten selbst.
Die Entscheidung über die Kosten ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte und die Beigeladene können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v. H. des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
TATBESTAND
Die Klägerin begehrt, die Auswahlentscheidung, die Beigeladene mit der Durchführung des Luftrettungsdienstes von der Rettungswache "G." (Flughafen Hannover-Langenhagen) zu beauftragen, aufzuheben und den Beklagten zur Neubescheidung zu verpflichten. Die Beigeladene, die ihren Sitz in Harste bei Göttingen hat, nahm im Jahre 1985 ihre Tätigkeit auf dem Gebiet der Luftrettung auf und führte u.a. Verlegungstransporte durch. Durch Erlass des Nds. Sozialministeriums (MS) vom 03.05.1986 wurde sie in den Anhang B (Ambulanzhubschrauber für den Sekundärtransport) der "Richtlinie für den Einsatz von Hubschraubern im Rettungsdienst" (vom 07.02.1986, Nds. MBl. S. 246, 248) aufgenommen. Auch in der Hubschrauber-Rettungsdienst-Richtlinie vom 15.02.1990 (Nds. MBl. 1990, 386) wurde die Beigeladene unter dem Anhang B geführt. Unter Sekundärtransporten war nach damaligem Verständnis die Verlegung eines Patienten von einem Krankenhaus in ein für seine weitere Versorgung geeignetes Krankenhaus zu verstehen, und zwar (wohl) unabhängig davon, ob die Verlegung als eine dringende (Notfall-)Maßnahme erforderlich oder ob aus sonstigen medizinischen Gründen eine Verlegung per Hubschrauber angezeigt war. Daneben flog die Beigeladene zumindest vereinzelt Einsatzflüge zum Unfallort, um Erstversorgung zu leisten und ggf. Verletzte in ein Krankenhaus zu verbringen.
Über Anträge der Beigeladenen aus dem Jahre 1992 bzw. 1997 auf Genehmigung von qualifizierten Krankentransporten nach §§ 19, 29 Nds. Rettungsdienstgesetz (NRettDG) bzw. auf Beauftragung nach § 5 NRettDG entschied das seinerzeit zuständige MS nicht, sondern wartete die Aufstellung eines Bedarfsplans im Jahre 1998 ab. Dieser sieht vor, dass neben 5 Rettungshubschraubern, denen jeweils bestimmte Einsatzbereiche zugewiesen sind, ein sechster, in Hannover stationierter Hubschrauber ("G.") landesweit vorrangig für dringende und weniger dringende Verlegungen zwischen Krankenhäusern zuständig ist.
In den folgenden Jahren duldete das MS, dass die Beigeladene Luftrettungseinsätze durchführte, und ging teilweise auch von einer Art "Beauftragung" aus. Dies erschließt sich aus Schreiben bzw. Vermerken des MS aus den Jahren 1992 bis 1996. In einem Schreiben vom 08.02.1996 an die Träger des Rettungsdienstes und die Krankenhäuser in Niedersachsen teilte das MS mit, unter Berücksichtigung der seinerzeitigen Rechtslage dürften nur noch die Beigeladene und eine Drittfirma zulässige Einsätze fliegen. Im Rahmen der von der Beigeladenen im Dezember 1999 beim VG Göttingen erhobenen Klage (4 A 4406/97; jetzt: 4 A 4109/99) auf Verpflichtung zur Erteilung einer Beauftragung vereinbarten die Beigeladene und das MS im August 1998, dass die Luftrettungsmaßnahmen der Beigeladenen bis zur entgültigen Entscheidung über die Beauftragung weiter geduldet werden.
Die Klägerin hat in der Zeit seit 1975 auf dem Flugplatz Mariensiel bei Wilhelmshaven einen Flug- und einen luftfahrttechnischen Betrieb aufgebaut. Hauptaktivitäten sind der Seelotsenversetzdienst sowie die Versorgung von Offshore-Einrichtungen und Personentransporte. Seit Juni 1994 bzw. Januar 1995 betrieb sie in Hannover bzw. Mariensiel jeweils einen Intensivtransporthubschrauber. Ihren Antrag auf Erteilung einer Genehmigung nach dem NRettDG für Sekundärtransporte aus dem Mai 1993 lehnte das MS im November 1998 förmlich ab und untersagte ihr im Februar 1999 die Durchführung der ungenehmigten Flugtätigkeiten. Die Klägerin war zuvor mit Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, das MS vorläufig zu verpflichten, sie zu beauftragen bzw. ihre Tätigkeit in diesem Bereich zu dulden, gescheitert (vgl. z.B. OVG Lüneburg, Beschl. 01.11.1995 - 7 M 7719/94 -; VG Hannover, Beschl. v. 10.01.1998 - 10 B 5673/98 -; Zurückweisung des Antrags auf Zulassung der Beschwerde: OVG Lüneburg, Beschl. v. 26.01.1999 - 11 M 5532/98 -).
Das - seinerzeit zuständige - Nds. Ministerium für Frauen, Arbeit und Soziales (MFAS) schrieb zu Beginn des Jahres 1999 erstmals den nach dem Bedarfsplan insbesondere für Verlegungsflüge im Land Niedersachsen neu einzurichtenden Rettungsstandort Hannover für die Stationierung des 6. Rettungshubschraubers "G." nach der VOL/A beschränkt aus. Die Klägerin und die Beigeladene gaben neben anderen Unternehmen Angebote ab. Die Klägerin erhielt den Zuschlag. Auf entsprechenden Antrag der Beigeladenen (4 B 4099/99) verpflichtete das Verwaltungsgericht (VG) Göttingen mit Beschluss vom 30.04.1999 das MFAS, die Durchführung von Leistungen nach § 5 Abs. 1 NRettDG durch die Beigeladene für längstens 2 Monate mit der Maßgabe zu dulden, dass diese binnen einer Woche nach Bekanntgabe der Beauftragung der Klägerin mit diesen Leistungen einen Antrag nach §§ 80 a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO stellt. Die Beigeladene erhob gegen die Auswahlentscheidung zugunsten der Klägerin beim VG Göttingen Klage (4 A 4109/99), über die bislang nicht entschieden ist. Ihrem zugleich gestellten Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtschutzes (4 B 4105/99) gab das VG Göttingen mit Beschluss vom 09.06.1999 statt. Die Beschwerden der Klägerin und des MFAS (11 M 2747/99) wies das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg mit Beschluss vom 14.09.1999 zurück. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Auswahlentscheidung sei ermessensfehlerhaft, weil das MS das Merkmal der "gewachsenen Strukturen" nicht in seine Erwägungen einbezogen habe. Die Beigeladene zähle zu den "gewachsenen Strukturen" i.S.d. § 5 Abs. 1 NRettDG. Sie habe in der Vergangenheit bereits zum größten Teil die sekundären Verlegungsflüge, für die der Rettungshubschrauber G. ausweislich des Bedarfsplans und der Ausschreibung zuständig sein solle, durchgeführt - wenn auch unter anderen rechtlichen Vorgaben. Wegen dieser Flüge habe sie Aufnahme in den Anhang B des einschlägigen Erlasses des MS aus dem Jahre 1986 gefunden und sei damals schon an eine Rettungsleitstelle angeschlossen gewesen. Ihr Einsatzradius sei nicht auf einen regionalen Einzugsbereich beschränkt gewesen. Sie habe diese Flugtätigkeit nach dem Inkrafttreten des NRettDG weiter ausgebaut. Darüber hinaus habe das Ministerium hinsichtlich des Merkmals der Wirtschaftlichkeit den Sachverhalt nicht vollständig ermittelt bzw. sei bezüglich des in der Ausschreibung geforderten Hubschraubertyps von eigenen Vorgaben abgewichen.
Das MFAS nahm mit Bescheid vom 19.11.1999 die zugunsten der Klägerin ergangene Auswahlentscheidung zurück.
Unter dem 20.12.2000 gab das MFAS neben der Klägerin und der Beigeladenen 3 weiteren, geeignet erscheinenden Unternehmen Gelegenheit, sich um die Beauftragung für das Betreiben der Rettungswache "G." gemäß § 5 NRettDG zu bewerben. Bis zum 15.02.2001 solle ein mitübersandter Fragenkatalog beantwortet werden; bei mehreren Bewerbungen werde eine Auswahlentscheidung getroffen; die Beauftragung sei sodann durch Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages vorgesehen. Den Aufforderungsschreiben war jeweils eine Anlage beigefügt, die insbesondere die Einsatzbedingungen des Hubschraubers und bestimmte zu erbringende Leistungen beschrieb, mitteilte, dass die Finanzierungsvereinbarung mit den Kostenträgern ein budgetiertes Gesamtvolumen vorsehe, das einen Anteil für die ausgeschriebene Rettungswache von rund 5,5 Mio. DM p.a. enthalte, und bei den potentiellen Bewerbern Angaben zu den Kriterien des § 5 Abs. 1 NRettDG abfragte sowie hierzu jeweils die Vorlage von Nachweisen verlangte.
Es bewarben sich neben der Klägerin und der Beigeladenen 2 weitere Unternehmen.
Die zur Durchführung des Auswahlverfahrens eingesetzte Projektgruppe bewertete die Angebote in einem Schema einzeln für jedes Kriterium und Unternehmen in der Weise, dass Platzziffern vergeben wurden. Bei dem Kriterium Leistungsfähigkeit zog sie das System "Zangemeister" heran, wonach aufgrund der abgefragten Angaben eine Note von 0 bis 10 bzw. 0 oder 10 bezogen auf die einzelne Leistungsanforderung - je nachdem, ob deren Erfüllung einen Spielraum zulässt oder nicht - vergeben wird. Entsprechend der erreichten Gesamtpunktzahl wurden die Platzziffern bei diesem Kriterium vergeben. Bei dem Kriterium Vielfalt der Anbieter wurden die Platzziffern entsprechend der Anzahl der Standorte eines Bewerbers vergeben, und zwar an die Klägerin die 1, weil diese über keinen Standort verfüge, sowie an die Beigeladene die 2, weil diese - anders als die übrigen Bewerber - einen Standort aufweise. Hinsichtlich des Kriteriums gewachsene Strukturen erhielt die Klägerin die 4, da sie als nicht zu den gewachsenen Strukturen zählend eingestuft wurde; die übrigen - auch die Beigeladene - erhielten jeweils als Teil der gewachsenen Strukturen die 1. Die Klägerin wurde als am wenigsten leistungsfähig eingestuft und erhielt hier die 4, die Beigeladene die 2. Bezüglich der Wirtschaftlichkeit wurde an die Klägerin die 4, an die Beigeladene die 2 vergeben. Die Addition der Rangziffern ergab für die Beigeladene Rang 1 mit 7 Punkten, für die Klägerin Platz 4 mit 13 Punkten.
Aus einem Vermerk des Landesrechnungshofs vom 20.06.2001 geht hervor, dass bei dem Vergabeverfahren haushaltsrechtliche Vorschriften nicht verletzt worden seien.
Mit Bescheiden vom 10.08.2001, der Klägerin zugestellt am 14.08.2001, teilte das MFAS den Bewerbern die Auswahlentscheidung mit. Zur Begründung wurde das von der Projektgruppe gefundene Ergebnis dargestellt und hinzugefügt, dem besonderen Gewicht des Kriteriums der gewachsenen Strukturen werde bei der Auswahl Rechnung getragen, indem der Bewerber ausgewählt worden sei, der über gewachsene Strukturen verfüge, aber bisher nicht zu den Beauftragten zähle. Wäre ein anderer Bewerber ausgewählt worden, würden diese zerstört.
Die Beigeladene nahm mit Schreiben vom 23.08.2001 das Angebot des MFAS auf Abschluss eines Beauftragungsvertrages an.
Die Klägerin hat gegen die Auswahlentscheidung am 14.09.2001 Klage erhoben. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus: Es liege ein Verstoß gegen EUWettbewerbsrecht - nämlich gegen die Richtlinie 92/50/EWG und Art. 86 Abs. 1, 82 EGV - sowie gegen §§ 97 ff. GWB vor, da kein offenes Auswahlverfahren durchgeführt worden sei. Die Auswahlentscheidung sei ermessensfehlerhaft, weil die zugrunde gelegte Bewertungsmethode verzerrend wirke; dies zeige sich insbesondere bei den Kriterien der Vielfalt der Anbieter und der gewachsenen Strukturen. Die Kriterien seien nicht gewichtet worden. Die Vielfalt der Anbieter sei durch die willkürliche Auswahl der zur Abgabe eines Angebotes aufgeforderten Unternehmen nicht gewährleistet. Sie, die Klägerin, gehöre ebenfalls zu den gewachsenen Strukturen, da sie seit August 1993 in Niedersachsen luftrettungsdienstliche Leistungen erbracht habe. Bei der Leistungsfähigkeit seien zahlreiche Einzelbewertungen - die Klägerin trägt hierzu detailliert vor - zu ihren Ungunsten zu niedrig; bei zutreffender Beurteilung hätte sie den 1. Rang erreicht. Die Wirtschaftlichkeit der Bewerber hätte für jeden die Rangziffer 1 ergeben müssen, weil alle der Vorgabe der Ausschreibung erfüllt hätten. Die konkret vorgenommene Bewertung sei unzutreffend, weil bei ihr der Mittelwert aus beiden vorgelegten Kostenrechnungen gebildet worden sei, nicht aber bei dem dritten und vierten Bewerber; ihr stehe hier Rang 3 zu.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Nds. Ministeriums für Frauen, Arbeit und Soziales vom 10.08.2001 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die Klägerin auf ihr Angebot vom 15.02.2001, sich mit der Durchführung des Luftrettungsdienstes von der Rettungswache G. in Hannover-Langenhagen beauftragen zu lassen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Der Beklagte und die Beigeladene beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie treten dem Vorbringen der Klägerin entgegen.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die dem Gericht vorgelegt worden sind, verwiesen; sie sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch, ihr Angebot vom 15.02.2001, sie mit der Durchführung des Luftrettungsdienstes von der Rettungswache "G." in Hannover- Langenhagen zu beauftragen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Es kann letztlich dahin gestellt bleiben, ob die Auswahlentscheidung (bereits) rechtswidrig ist, weil der Beklagte gegen europa- und/ oder wettbewerbsrechtliche Vorschriften verstoßen hat.
Allerdings dürften vorliegend weder die Richtlinie 92/50/EWG anwendbar noch die §§ 97 ff. GWB einschlägig sein, weil die "Dienstleistung", um die es hier geht, unmittelbar auf der Grundlage eines Gesetzes, des NRettDG, erbracht wird (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 14.09.1999 - 11 M 2747/99 - Nds. VBl. 99, 285, m.w.N.).
Auch erscheint ein Verstoß gegen Art. 86 Abs. 1 , 82 EG-Vertrag hier ausgeschlossen. Diese Vorschriften sollen verhindern, dass Unternehmen durch staatliche Maßnahmen ungerechtfertigt eine beherrschende Stellung auf einem wesentlichen Teil des gemeinsamen Marktes eingeräumt wird (vgl. EuGH, Urt. v. 25.10.2001 - C 475/99 -). Es ist nicht erkennbar, dass der Beigeladenen durch die Auswahl- und Vergabeentscheidung des Beklagten eine solche Stellung eröffnet wird.
Der streitgegenständliche ablehnende Bescheid des Beklagten erweist sich als rechtswidrig, weil ihm eine ermessensfehlerhafte Vergabeentscheidung zugrunde liegt.
Rechtliche Grundlage der Auswahlentscheidung ist § 5 Abs. 1 Satz 1 Niedersächsisches Rettungsdienstgesetz (NRettDG). Nach dieser Vorschrift kann der Träger des Rettungsdienstes (§ 3 NRettDG) Dritte mit der Durchführung von Leistungen des Rettungsdienstes und der Einrichtung und Unterhaltung der dafür erforderlichen Einrichtungen ganz oder teilweise beauftragen. Bei der Auswahl der Beauftragten ist der Vielfalt der Anbieter und den gewachsenen Strukturen unter Berücksichtigung von Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit Rechnung zu tragen (§ 5 Abs. 1 Satz 4 NRettDG).
In der Rechtsprechung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (vgl. Urteil v. 07.11.1997 - 7 L 5590/96 -, NVBl. 1998, 110 = NRpfl. 1998, 94, m. w. N.) ist geklärt, dass sich die Beauftragung eines Dritten nach § 5 NRettDG bei mehreren konkurrierenden Bewerbern als ein zweistufiges Verfahren darstellt, welches eine Auswahlentscheidung und den auf dieser basierenden eigentlichen Beauftragungsvorgang umfasst; diese können zwar zeitlich zusammenfallen, sind aber rechtlich voneinander zu unterscheiden. Die Auswahlentscheidung ist ihrem Wesen nach entsprechend dem öffentlich-rechtlichen Charakter des Rettungsdienstes ein Verwaltungsakt. Die Beauftragung kann gleichfalls durch Verwaltungsakt, kann aber auch in Form eines öffentlich-rechtlichen Vertrages erfolgen. Die Vorschrift des § 5 Abs. 1 Satz 4 NRettDG gebietet die gleichwertige Berücksichtigung der darin genannten Auswahlkriterien. Sie steht damit einem Auswahlverfahren entgegen, welches von vornherein und ausschließlich dem Merkmal der Wirtschaftlichkeit unter Hintanstellung der "nicht wirtschaftlichen" Auswahlkriterien den Vorrang einräumt. Dies lässt bereits der Wortlaut der Bestimmung erkennen, welche die Merkmale "Vielfalt der Anbieter" und "gewachsene Strukturen" in den Vordergrund stellt und gebietet, ihnen "bei der Auswahl der Beauftragten" - mithin bei der Entscheidung über die Beauftragung und nicht lediglich bei der Auswahl der Bewerber - "Rechnung zu tragen". Dass diesen beiden Faktoren besonderes Gewicht zukommt, geht auch aus der Entstehungsgeschichte jener Vorschrift hervor. Nach der ursprünglichen Fassung des Regierungsentwurfs (Landtagsdrucksache 12/2281, S. 2 ff.) enthielt der damalige § 4 Abs. 5 eine Regelung, die im Wesentlichen mit § 5 Abs. 1 Satz 1, 2 und 5 der endgültigen Gesetzesfassung übereinstimmte; die Sätze 3 und 4 - mithin auch die Regelung über die Auswahlkriterien - waren in jener Fassung noch nicht vorgesehen. Die endgültige Fassung ist erst während der parlamentarischen Beratung formuliert worden. Das Ermessen des Rettungsdienstträgers bezieht sich auf die Auswahl unter mehreren Mitbewerbern, welche die Auswahlkriterien erfüllen. Die gesetzlichen Auswahlkriterien sind Grundlage und bilden zugleich die Grenze dieses Ermessens, unterliegen als solche aber der nicht durch einen etwaigen Beurteilungsspielraum des Rettungsdienstträgers eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Eine Ermessensausübung ist gerade deswegen und dann gefordert, weil und wenn die verschiedenen Auswahlkriterien sich nicht auf einen Nenner bringen lassen und darum eine Abwägung erfordern. Diese Ermessenabwägung und Betätigung ist dem Träger des Rettungsdienstes im Zeitpunkt der Entscheidung über die Beauftragung aufgegeben.
Die Ermessenausübung des Beklagten ist in mehrerer Hinsicht fehlerhaft:
1. Die Ermessensentscheidung leidet daran, dass die Ausschreibung fehlerhaft erfolgt ist. Diese entspricht nicht den allgemeinen vergaberechtlichen Geboten der Gleichbehandlung und der Transparenz, die in § 97 Abs. 1 u. 2 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen ihren Ausdruck gefunden haben (vgl. BGH, Urt. v. 17.02.1999 - X ZR 101/97 -, NJW 2000, 137, 139 und Urt. v. 08.09.1998 - X ZR 109/96 -, NJW 1998, 3644, 3646). Zwar handelt es sich vorliegend bei dem Auswahlverfahren nach § 5 NRettDG um ein Verwaltungsverfahren i.S.d. § 9 VwVfG i.V.m. § 1 Nds.VwVfG und bestehen keine besonderen Rechtsvorschriften für die Form dieses Verfahrens; es gelten aber bestimmte Mindestanforderungen eines rechtsstaatlichen Verwaltungsverfahrens als zwingende Folgerung aus dem Verfassungsrecht (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 07.02.2006 - 11 ME 26/05 -, V.n.b., m.w.N.). Aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit, zu denen auch die Vorhersehbarkeit, Messbarkeit und Transparenz staatlichen Handels gehören, ist es unabdingbar, dass die Zuschlagskriterien vor der Zuschlagsentscheidung, das heißt, bei Aufforderung zur Angebotsabgabe, bekannt gemacht werden, damit sich die interessierten Anbieter hierauf einstellen können. Die Offenlegung der Vergabekriterien umfasst gerade auch die Mitteilung eines im Voraus aufgestellten Bewertungssystems.
Die Ausschreibung vom 20.12.2000 legte das Platzziffern- bzw. Rankingsystem, anhand dessen der Beklagte die Auswahlentscheidung zu treffen beabsichtigte, nicht dar.
2. Das von dem Beklagten angewandte Bewertungssystem, wonach bezüglich jedes der vier in § 5 Abs. 4 NRettDG genannten Auswahlkriterien ein Ranking anhand bestimmter Maßstäbe herbeigeführt und dann rechnerisch anhand der Addition der Platzziffern ein Gesamtranking hergestellt wird, entspricht nicht dem Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung. Wie ausgeführt stellt § 5 Abs. 1 Satz 4 NRettDG die Merkmale "Vielfalt der Anbieter" und "gewachsene Strukturen" in den Vordergrund und gebietet, diesen "bei der Auswahl der Beauftragten" - mithin bei der Entscheidung über die Beauftragung und nicht lediglich bei der Auswahl der Bewerber - "Rechnung zu tragen".
Daraus folgt vorliegend, dass der Beklagte sein Ermessen insbesondere unter Abwägung der hier - im Sinne dieser Rechtsprechung "nicht auf einen Nenner zu bringenden" - Kriterien der Vielfalt der Anbieter einerseits und der gewachsenen Strukturen andererseits zu betätigen hatte. Demgegenüber mussten hier die Kriterien Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit - insbesondere vor dem Hintergrund der aus der gesetzlichen Formulierung sich ergebenden Schwerpunktsetzung des Gesetzgebers - deshalb in den Hintergrund treten, weil sowohl die Klägerin als auch die Beigeladene den hier gestellten Anforderungen grundsätzlich genügten. Durch die beschriebene "rechnerische" Ermittlung des "besten" Bewerbers erhalten die Kriterien der Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit - ohne dass dies hier durch erhebliche Unterschiede zwischen den Angeboten der Klägerin und der Beigeladenen (wie auch der übrigen Bewerber) gerechtfertigt gewesen wäre - ein übergroßes Gewicht gegenüber den Kriterien der Vielfalt der Anbieter und der gewachsenen Strukturen.
3. Selbst wenn das von dem Beklagten angewandte ("rechnerische") Ranking-System zur Auswahl als dem Grunde nach sachgerecht anzusehen wäre, erscheint es jedenfalls nicht als sachgerecht, dass der Beklagte das Ranking zum Kriterium "Vielfalt der Anbieter" nach der Anzahl der Standorte, über die ein Bewerber im Zuständigkeitsbereich des Beklagten verfügt, vorgenommen hat. Im Hinblick auf dieses Kriterium kann es auf die Anzahl der innegehabten Standorte nicht ankommen. Wenn - wie der Beklagte dies getan hat - das Kriterium der "Vielfalt der Anbieter" dahin verstanden wird, die Teilhabe an der Durchführung des Rettungsdienstes für solche Bewerber zu öffnen, die bislang nicht am öffentlichen Rettungsdienst beteiligt sind, ist eine Differenzierung unter denjenigen Bewerbern, die bereits am öffentlichen Rettungsdienst teilnehmen, nicht nachvollziehbar.
4. Das Ranking-System führt infolge der konkreten Handhabung durch den Beklagten dazu, dass von vornherein derjenige Bewerber, der nicht zu den gewachsenen Strukturen zählt, gegen einen diesen Strukturen angehörenden Bewerber auch dann keine Chance hat, wenn er bei den Kriterien Wirtschaftlichkeit und Leistungsfähigkeit diesen Konkurrenten weit hinter sich lässt, sofern dieser nur jeweils dort den zweiten Rangplatz belegt. Dies folgt daraus, dass der nicht zu den gewachsenen Strukturen zählende Bewerber bei diesem Kriterium den Rangplatz 4 zugewiesen bekommt und dadurch - selbst wenn er bei den übrigen Kriterien den Rangplatz 1 einnimmt - ebenso auf 7 Gesamtpunkte kommt wie der zu den gewachsenen Strukturen zählende, bei den übrigen Kriterien den 2. Rangplatz einnehmende Mitbewerber. Dass nach dem Inhalt des streitbefangenen Bescheides vom 10.08.2001 "dem besonderen Gewicht des Kriteriums der gewachsenen Struktur bei der Auswahlentscheidung Rechnung getragen" worden sei, indem keine der vorhandenen gewachsenen Strukturen zerstört werde, weil der ausgewählte Bewerber über gewachsene Strukturen verfüge, aber bisher nicht zu den Beauftragten zähle, macht deutlich, dass der Beklagte dem Kriterium der gewachsenen Strukturen - insoweit allerdings wohl in Einklang mit den gesetzgeberischen Motiven - ein besonderes Gewicht beigemessen hat, so dass die Klägerin als "von außen kommender" Bewerber das Nachsehen gehabt hätte/ hätte haben müssen.
5. Weiterhin erscheint es nicht als sachgerecht, das System Zangenmeister bei der Bewertung der Leistungsfähigkeit in der geschehenen Weise anzuwenden. Das bezogen auf eine ganze Anzahl von Kriterien gespreizte Punktesystem kann nämlich ohne weiteres dazu führen, dass bereits bei äußerst geringfügig abweichenden Beurteilungen zu einem einzelnen Leistungskriterium sich die vergebenen Punkte in einer Weise aufaddieren, dass zwei konkurrierende Bewerber - wie hier Klägerin und Beigeladene - trotz letztlich nur geringer Differenz ihrer Leistungsfähigkeit Rangplätze am oberen bzw. unteren Ende der Rankingliste einnehmen. Dadurch kommt geringen Leistungsunterschieden eine unverhältnismäßige Bedeutung im Hinblick auf die Gesamtauswahlentscheidung zukommen.
Die Kosten des Verfahrens sind dem Beklagten und der Beigeladenen zu gleichen Teilen aufzuerlegen. Die Kostenpflicht des Beklagten folgt, weil er unterlegen ist, aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Beigeladene hat Kosten in gleicher Höhe zu tragen, weil dies vorliegend billigem Ermessen nach § 154 Abs. 3 VwGO entspricht, denn die Beigeladene ist in vollem Umfang dem Begehren der Klägerin mit eigenem Antrag entgegen getreten.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten folgt aus §§ 167 Abs. 2 VwGO, 708 Nr. 11, 711 Satz 1 ZPO.