Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 25.06.2002, Az.: 3 A 286/99
Außenbereichsfläche; Kanalbaubeitrag; Tiefenbegrenzung; Vorteil
Bibliographie
- Gericht
- VG Lüneburg
- Datum
- 25.06.2002
- Aktenzeichen
- 3 A 286/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 41866
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 6 Abs 1 S 1 KAG ND
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zu einem Kanalbaubeitrag, soweit ein Beitrag von mehr als 14.812,81 DM von dem Beklagten festgesetzt worden ist.
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks ... in Ramelsloh. Als am 22. Januar 1996 der öffentliche Schmutzwasserkanal in der Straße A. an das Grundstück des Klägers herangeführt worden war, bestand das Grundstück aus den Flurstücken 6/7 und 6/8 der Flur 2 der Gemarkung Ramelsloh und hatte eine Fläche von insgesamt 7.098 qm. Das Grundstück grenzte im Südwesten mit dem Flurstück 6/7 an die Straße A. und im Nordosten mit dem Flurstück 6/8 an die Straße B. an. Das Grundstück ist von der Straße A. aus gesehen bis zu einer Tiefe von ca. 50 m bebaut. Dahinter schließt sich über die volle Breite des Grundstücks eine Außenbereichfläche an. Das zum Zeitpunkt der Herstellung des Kanals in der Straße A. unbebaute Flurstück 6/8 lag zwischen den bereits bebauten Flurstücken 6/9 und 6/4; letzteres Flurstück war zu dieser Zeit von unbebauten Flächen umgeben.
Am 29. März 1996 wurde das Flurstück 6/8, das bis zu diesem Zeitpunkt zusammen mit dem Flurstück 6/7 unter der laufenden Nummer 10 des Blattes 675 des Grundbuchs Ramelsloh eingetragen war, auf das Blatt 1121 des Grundbuchs Ramelsloh übertragen. Nachdem der Schmutzwasserkanal am 10. Juli 1996 in der Straße B. betriebsfertig hergestellt und an das Flurstück 6/8 herangeführt worden war, wurden die neuen Eigentümer dieses Flurstücks mit Bescheid vom 29. Januar 1998 zu einem Kanalbaubeitrag in Höhe von 5.316,-- DM herangezogen.
Der Kläger wurde als Eigentümer der Flurstücke 6/10 und 6/11 - das Flurstück 6/7 wurde in die Flurstücke 6/10 und 6/11 geteilt - ebenfalls mit Beitragsbescheid vom 29. Januar 1998 zu einem Kanalbaubeitrag in Höhe von 33.989,18 DM für die betriebsfertige Herstellung des Schmutzwasserkanals in der Straße A. herangezogen. Dabei setzte der Beklagte von der Grundstücksfläche von 6.138 qm entsprechend dem einen Vollgeschoss auf dem Grundstück des Klägers 25 % an und vervielfältigte diese Fläche mit dem Beitragssatz von 22,15 DM. Der Beklagte berücksichtigte die gesamte Fläche der Flurstücke 6/10 und 6/11, weil seiner Ansicht nach die sogenannte Tiefenbegrenzung sowohl von der Straße A. aus als auch von der Straße B. vorgenommen werden müsse mit der Folge, dass die gesamte Grundstücksfläche beitragspflichtig werde.
Den dagegen eingelegten Widerspruch begründete der Kläger damit, dass sein Grundstück von der Straße A. aus nur bis zu einer Tiefe von 50 m bei der Beitragsveranlagung berücksichtigt werden dürfe, weil sich dahinter eine Außenbereichsfläche erstrecke. Die trennende Wirkung des Außenbereichs schließe es aus, die an einer ganz anderen Straße liegende bebaubare Fläche des Flurstücks 6/8 zu den Baugrundstücken zu zählen, denen aufgrund der Herstellung einer Kanalisationsleitung in der Straße A. ein Vorteil zukomme.
Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Dezember 1999 wies der Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, dass das Grundstück des Klägers sowohl von der Straße A. als auch von der Straße B. betrachtet werden müsse. Werde von der Straße B. eine Parallele zur letzten vorhandenen Bebauung gezogen, so habe dies zur Folge, dass die gesamte Grundstücksfläche beitragspflichtig werde.
Der Kläger hat am 21. Dezember 1999 Klage erhoben.
Er trägt vor, Sinn der Tiefenbegrenzungsregelung sei es, bei Grundstücken, die mit ihrem vorderen, an der Straße gelegenen Teil im Innenbereich und mit ihrem rückwärtigen Teil im Außenbereich lägen, in typisierender Weise festzulegen, bis zu welcher Grundstückstiefe die Erschließungswirkung reiche. Aufgrund dieser Typisierung werde vermutet, dass die Abgrenzung zwischen dem bebaubaren und dem im Außenbereich gelegenen, nicht bebaubaren Grundstücksteil in einer Grundstückstiefe von 50 m verlaufe. Diese Vermutung werde wiederlegt, wenn Grundstücke über die Tiefenbegrenzungslinie hinaus bebaut seien, wenn also eine übergreifende Bebauung vorhanden sei. Dies sei hier jedoch nicht der Fall. Die vorhandene Bebauung im vorderen Bereich an der Straße A. liege vollständig innerhalb der 50 m - Zone und reiche nicht über diese hinaus. Jenseits der 50 m - Linie folge eine Fläche, die unzweifelhaft Außenbereich sei. Wenn dann im weiteren Abstand noch einmal eine bebaute oder bebaubare Fläche folge, dann sei dies keine übergreifende Bebauung im Sinne der Tiefenbegrenzungsregelung. Anderenfalls käme man zu völlig unhaltbaren Ergebnissen. Man könne sich durchaus ein Grundstück vorstellen, welches mehrere 100 m oder mehre km weit in den Außenbereich hineinrage. Wenn ein solches Grundstück im vordersten Bereich in einer Tiefe von bis zu 50 m im Innenbereich liege und bebaut sei und wenn sich dann Außenbereich anschließe und erst im Abstand von mehreren 100 m oder km noch einmal eine Bebauung folge, dann sei dies keine übergreifende Bebauung, die dazu führe, dass das gesamte Außenbereichsgrundstück bei der Beitragsveranlagung einzurechnen sei.
Der Kläger beantragt,
den Beitragsbescheid des Beklagten vom 29. Januar 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 2. Dezember 1999 hinsichtlich der Festsetzung eines über 14.812,81 DM hinausgehenden Beitrages aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er vertritt die Auffassung, dass der in der Mitte des Grundstücks des Klägers zum Zeitpunkt der Entstehung der Beitragspflicht befindliche Außenbereich für die Beurteilung der Berechnungsgrundlage der Kanalbaubeiträge keine Rolle spiele, da das Grundstück des Klägers von beiden Straßen her zu beurteilen sei und bei dieser Betrachtung eine übergreifende Bebauung vorliege. Deshalb sei hier die gesamte Grundstücksfläche bei der Berechnung des Kanalbaubeitrages in Ansatz zu bringen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat Erfolg. Der Beitragsbescheid des Beklagten vom 29. Januar 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 2. Dezember 1999 ist in dem angefochtenen Umfange rechtswidrig und verletzt insoweit die Rechte des Klägers
(§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), da das Grundstück des Klägers - bestehend aus den Flurstücken 6/10 und 6/11 - nur bis zu einer Tiefe von 50 m von der Straße A. aus bei der Beitragsveranlagung berücksichtigt und demzufolge nur ein Kanalbaubeitrag von 14.812,81 DM festgesetzt werden durfte.
Rechtsgrundlage für die Erhebung des Kanalbaubeitrages ist die Satzung des Beklagten über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die öffentliche Abwasseranlage des Landkreises Harburg vom 30. November 1993 (Amtsblatt LK Harburg 1993, 717) in der Fassung der 2. Änderungssatzung vom 14. Dezember 1995 (Amtsblatt LK Harburg 1995, 1113). Nach § 4 Abs. 2 c dieser Satzung gilt als bei der Berechnung des Kanalbaubeitrages zu berücksichtigende Grundstücksfläche bei Grundstücken, für die kein Bebauungsplan besteht, die Gesamtfläche des Grundstückes, höchstens jedoch die Fläche zwischen der jeweiligen Straßengrenze und einer im Abstand von 50 m dazu verlaufenden Parallelen. Nach Absatz 2 d dieser Satzungsregelung gilt als Grundstücksfläche bei Grundstücken, die über die unter c genannte Grenze hinaus bebaut sind, die Fläche zwischen der jeweiligen Straßengrenze und einer Parallelen hierzu, die in einer Tiefe verläuft, die der übergreifenden Bebauung entspricht.
Sinn dieser sogenannten Tiefenbegrenzungsregelung (soweit sie nach dem Beschl. des Nds. OVG vom 19.1.1999 - 9 M 3626/98 -, NSt-N 1999, 91, NdsVBl. 1999, 112, noch anwendbar ist) ist die Abgrenzung des (vorhandenen) Innenbereichs vom Außenbereich als Abgrenzung unterschiedlicher Nutzungsarten voneinander (Nds. OVG, Beschl. v. 19.1.1999, a.a.O.). Die Tiefenbegrenzungsregelung dient daher nicht dazu, einen Zusammenhang zwischen verschiedenen, voneinander durch eine Außenbereichsfläche getrennten Innenbereichsflächen und damit die Berücksichtigungsfähigkeit der vollen Grundstücksfläche erst zu "konstruieren".
Das Grundstück des Klägers hatte zum Zeitpunkt der betriebsfertigen Herstellung des Kanals in der Straße A. eine Größe von 7.098 qm (6.138 qm + 960 qm - Flurstück 6/8), lag zwischen zwei parallel verlaufenden Straßen, war nur von einer Straße aus bis zu einer Tiefe von ca. 50 m bebaut und im übrigen unbebaut und wies (zumindest) im mittleren Bereich auf voller Breite eine (bei Zuordnung des Flurstücks 6/8 zum Innenbereich 3.463 qm große - 7.098 qm abzüglich 960 qm - Flurstück 6/8 - und abzüglich 2.675 qm, die innerhalb einer Tiefe von 50 m von der Straße A. aus bebaut sind) Außenbereichsfläche auf. Hier wäre es eine nach dem oben Gesagten mit dem Sinn der Tiefenbegrenzungsregelung nicht übereinstimmende und deshalb unzulässige "Konstruktion", wenn bei einem solchen Grundstück von der gegenüberliegenden, selbst keine anliegende Bebauung (auf dem verfahrensgegenständlichen Grundstück) aufweisenden Straße aus eine übergreifende Bebauung angenommen und damit die Außenbereichsfläche gleichsam "übersprungen" wird. Einem solchen "Übergriff" steht die dazwischenliegende Außenbereichsfläche entgegen.
Hinsichtlich der Konsequenzen der Betrachtungsweise des Beklagten im Extremfall hat der Kläger zu Recht auf das Beispiel eines mehrere Kilometer tiefen Grundstücks zwischen zwei Straßen hingewiesen, dessen gesamte Fläche bei der vom Beklagten vorgenommenen Betrachtung trotz der in diesem Extremfall mehrere Kilometer messenden Außenbereichsfläche einzubeziehen wäre.
Eine Berücksichtigung der gesamten Grundstücksfläche scheidet hier damit von vornherein aus.
Doch auch die beidseitige Berücksichtigung einer Grundstücksfläche bis zu einer Tiefe von 50 m unter Anwendung der Tiefenbegrenzungsregelung sowohl von der Straße A. als auch von der Straße B. aus kommt hier nicht in Betracht. Denn wegen der dazwischen liegenden, sich über die gesamte Grundstücksbreite erstreckenden und nicht bebaubaren Außenbereichsfläche kann die (eventuelle) Innenbereichsfläche an der Straße B. keinen Vorteil im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 NKAG von der Heranführung des Kanals in der Straße A. an das Grundstück des Klägers haben. Die Außenbereichsfläche unterbricht die Vorteilswirkung. Die (eventuelle) Innenbereichsfläche an der Straße B. hat deshalb nur von der Heranführung des Kanals in dieser Straße einen Vorteil. Vor dem Zeitpunkt der Abtrennung des Flurstücks 6/8 von dem Grundstück des Klägers - 29. März 1996 - war der Kanal in dieser Straße aber noch nicht an das damalige Grundstück des Klägers herangeführt. Dies geschah erst am 10. Juli 1996; die neuen Eigentümer dieses Flurstücks haben den hierfür erhobenen Kanalbaubeitrag gezahlt.
Darüber hinaus ist es fraglich, ob das Flurstück 6/8 dem Innenbereich hat zugeordnet werden können. Das Ende des im Zusammenhang bebauten Ortsteils zum Zeitpunkt der Abtrennung des Flurstücks 6/8 von dem Grundstücks des Klägers kann möglicherweise auch in dem bereits zu diesem Zeitpunkt bebauten Flurstück 6/9 gesehen werden, so dass das Flurstück 6/8 zusammen mit den angrenzenden (unstreitigen) Außenbereichsflächen und dem (bei dieser Betrachtung) isoliert bebauten Flurstück 6/4 dem Außenbereich zuzuordnen gewesen wäre.
Die Frage der Zurechnung des Flurstücks 6/8 zum Innenbereich kann jedoch hier offen bleiben, da nach dem oben Gesagten dieses Flurstück keinen Vorteil von der Herstellung des Kanals in der Straße A. hat.
Nach allem kann das Grundstück des Klägers - bestehend aus den Flurstücken 6/10 und 6/11 - nur bis zu einer Tiefe von 50 m von der Straße A. aus bei der Beitragsveranlagung berücksichtigt werden. Die danach berücksichtigungsfähige Grundstücksfläche beträgt nach den (alternativen) Berechnungen des Beklagten (Bl. 106 der Beiakte A) 2.675 qm. Von dieser Fläche sind gemäß § 4 Abs. 1 der Kanalbaubeitragssatzung des Beklagten entsprechend den einem Vollgeschoss auf dem Grundstück des Klägers 25 % anzusetzen und mit dem Beitragssatz von 22,15 DM je qm zu multiplizieren. Dies ergibt den von dem Kläger zu leistenden (und von ihm akzeptierten) Kanalbaubeitrag von 14.812,81 DM (entspricht 7.573,67 Euro).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.